Der/die Dirigent:in als Schlüsselfigur eines florierenden Musikvereins
Dirigent:innen tragen entscheidend zum musikalischen Erfolg des Blasorchesters bei. Sie haben einen großen Einfluss darauf, ob Musikerinnen und Musiker in einem Musikverein bleiben oder nicht. Somit liegt der erfolgreiche Fortbestand gewissermaßen und zu einem großen Teil wortwörtlich in seinen/ihren Händen.
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Offizieller Probenbeginn ist üblicherweise 20 Uhr. Eine Viertelstunde davor wird der Probenraum von der um alle und alles bemühten Vorsitzenden aufgeschlossen. Es folgen ein paar wenige Musiker und Musikerinnen. Der Dirigent kommt punkt 20 Uhr zur Tür rein. Da erst wenige Musikerinnen und Musiker da sind wird erst mal Small Talk gemacht. Nebenher werden die eigenen Stühle aufgestellt, nach und nach werden die Instrumente ausgepackt und wenn alle sitzen und gerichtet sind, fängt der Dirigent die Probe an. Mittlerweile ist es 20.15 Uhr. Weitere Musiker:innen trudeln noch ein. Manche holen sich still und leise einen Stuhl, bauen Notenständer und Instrument auf und erkundigen sich beim Nachbarn was gespielt wird. Kurz nach 20.30 Uhr kommt dann auch noch die Baritonsaxophonistin, grüßt alle in die Runde und versucht mit ihrem großen Koffer zwischen den bereits sitzenden Musiker:innen an den Platz zu kommen, der der ihrige ist. Halt, ein Stuhl braucht sie auch noch. Leider ist das eine dieser Proben, in denen 10 bis 15 Musiker:innen fehlen.
Die Geschichte geht noch weiter.
In der Probe werden Konzertstücke geprobt. „Schon wieder die gleiche Stelle“, denkt sich der Klarinettist, der in jeder Probe da ist, „haben wir doch letzte und vorletzte Woche schon geprobt.“ Weil endlich einmal der komplette Trompetensatz in der Probe ist, probt der Dirigent danach 20 Minuten lang an einer wichtigen Trompetenstelle. Danach geht’s weiter im tutti. „Wo sind wir?“ tönt es aus dem Schlagzeug-Register, die in den letzten 30 Minuten Pause hatten.
Und so weiter… Viele von Euch wissen, wie so eine Probengeschichte noch weitergehen kann.
In dieser Geschichte steckt bei näherem Hinsehen sehr viel Zunder drin. Viele Musikerinnen und Musiker akzeptieren solche Probensituationen nicht mehr. Und viele Dirigentinnen und Dirigenten auch nicht. Die Folge kann sein, dass entweder Musiker den Verein, in dem es nicht voran geht, verlassen oder der Dirigent bzw. die Dirigentin.
Es liegt allerdings zu großen Teilen in den Händen des Dirigenten, ob er solche Zustände akzeptiert oder nicht.
Wenn die Probe sowieso nicht pünktlich beginnt, haben die Musiker:innen auch keinen Grund pünktlich zu sein. Ein Dirigent sagte in einer Zukunftswerkstatt einmal zu mir: „Wenn um 8 Uhr nicht genügend Leute da sind, fange ich die Probe nicht an. Und wenn wir zu wenige sind, mache ich gar keine Probe. Wir sind ja nicht im Kindergarten.“ Nun, am pünktlichen Probenbeginn ändert so eine Einstellung nichts. Im Gegenteil. In der nächsten Probe werden noch mehr Musiker unpünktlich sein. Und diejenigen, die immer pünktlich sind? Die sind genervt… Hier hilft nur: der konsequente Beginn der Probe um 20 Uhr.
Wenn jede Woche die gleichen Stellen geprobt werden müssen, weil jede Probe andere Musiker:innen fehlen, regt dies dazu an, auf die nächste Probe zu verzichten. Warum sollte ich jede Probe da sein, wenn doch über Wochen hinweg immer das Gleiche geprobt wird?
Spannende, kurzweilige Proben, in denen es musikalisch voran geht, machen allen Spaß. Für die Gestaltung der Probe ist der Dirigent / die Dirigentin verantwortlich. Grundvoraussetzung ist ein solides Proben- und Dirigier-Handwerk des Dirigenten / der Dirigentin. Und dann sind die Auswahl adäquater Literatur für Konzerte und Sommerprogramm sowie Abwechslung und Unvorhersehbarkeit in der Probe die wichtigsten Aspekte einer guten Probe. Dazu gehört auch ein ausgewogenes Verhältnis im Proben zwischen Tutti und den Registern oder einzelner Spieler. Monologe des Dirigenten sind sehr gefährlich. Die Leute kommen zum Musik machen. Ohne Anweisungen des Dirigenten geht es aber nicht voran. Also: Kurz halten, maximal drei Anweisungen, von denen eine nochmals geprobt wird. Wird in den Registern miteinander gesprochen? Eventuell ist das Probentempo nicht hoch genug, die Ansagen zu ungenau oder der Dirigent wird nicht verstanden. Der Dirigent / die Dirigentin hat es in der Hand, ob der Geräuschpegel in der Probe hoch ist oder alle aufmerksam und ruhig in den Phasen zwischen dem Spielen sind.
Wenn sich Musiker:innen in der Probe langweilen oder gar ärgern kommen sie über kurz oder lang nicht mehr. Vor allen Dingen die sogenannten „Leistungsträger“ akzeptieren die oben genannten negativen Szenarien nicht. Sie verlassen über kurz oder lang den Verein.
Für was proben wir?
Wie ist das in Eurem Musikverein: In den Proben nach dem Konzert, wie gut ist da der Probenbesuch? Nun… eher schlecht wahrscheinlich. In vielen Musikvereinen ist der Probensaal erst dann richtig gefüllt, wenn es nur noch wenige Wochen bis zum Konzert sind. Wir brauchen hier eine wirklich gute Jahresstruktur mit regelmäßigen Auftritten und Konzerten, damit auch jede Probe gut besucht ist. Jede Probe muss Sinn machen und einen Zweck haben, sprich: es muss für das nächste Zwischenziel, also den nächsten Auftritt geprobt werden. Das ist die Grundvoraussetzung für einen guten Probenbesuch. Stücke, die einfach so geprobt werden, ohne dass klar ist, dass sie beim nächsten Auftritt oder Konzert gebraucht werden, machen in der Probenplanung und -gestaltung keinen Sinn.
Alles eine Sache des Dirigenten, der Dirigentin? Nicht alles. Aber das allermeiste. Viele Dirigent:innen unter den geschätzten Lesern werden das bisher gesagte in Frage stellen oder sich eventuell auch entrüstend abwenden. Denn schließlich sind ja auch die Musikerinnen und Musiker in der Pflicht. Außerdem gibt es ja auch ein Vorstandsgremium, das bei ungenügenden Proben- und auch Auftrittssituationen unterstützend eingreifen soll. Der /die Dirigent:in ist schließlich für das Musikalische zuständig und nicht für die Organisation.
Nun, ja und nein.
Die Erwartungen an Dirigent:innen sind sehr hoch. Die Anforderungen auch. Grundvoraussetzung, dass ein Dirigent bzw. eine Dirigentin erfolgreich mit einem Orchester arbeiten kann, ist die gründliche musikalische Ausbildung, die über das reine Dirigieren können eines Werkes hinaus geht sowie die stetige Fortbildung. Da der Dirigent / die Dirigentin de facto die einzige Führungspersönlichkeit in einem Musikverein ist, braucht es auch eine gute Ausbildung in Probendidaktik, Pädagogik, Psychologie, Führung und Kommunikation. Charisma und Persönlichkeit kommen auch hinzu, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das Fähigkeiten sind, die man lernen kann.
Viele Musiker:innen verlangen vom Dirigent, dass er sie motiviert. Das ist aber gewiss nicht seine Aufgabe. Die Musiker:innen nicht zu demotivieren allerdings schon!
Auch die Dirigentin bzw. der Dirigent darf Erwartungen an die Musiker:innen haben. Einem Dirigenten, der große Probleme im Bereich der „Probendisziplin“ hatte, habe ich einmal geraten, nach dem Einspielen seine Erwartungen an die Musiker:innen zu kommunizieren und sie gleichzeitig in kurzen Worten an die Tafel oder ein Flip-Chart zu schreiben. Er hat meinen Rat nicht befolgt: „Es sind schließlich alles erwachsene Leute.“ Erwachsen ja, aber sie können die Erwartungen des Dirigenten auch nicht „riechen“. Und es ist ja durchaus menschlich, die Grenzen auszuloten und zu schauen, wie weit man gehen kann. Wer jetzt Angst hat, gewisse Musiker:innen zu vergraulen, wenn er seine Erwartungen kommuniziert, dem sei gesagt: Musiker:innen, die Disziplinlosigkeit in Proben, bei Auftritten und Konzerten nicht akzeptieren möchten und sich daran stören oder von ihnen genervt sind, verlassen den Musikverein auch.
Für Dirigent:innen ist es gut, Verbündete im Musikverein zu haben. Allianzen, die dann einspringen, wenn es über das reine Proben hinaus geht. Menschen, die gute Vorbilder sind. Da sind zunächst die Vorstandsmitglieder, die der Dirigent „mit ins Boot“ holen kann. Dann die Musikkommission und die Registerleiter. Denn es ist tatsächlich zu viel verlangt, das Binden der Musiker:innen an den Musikverein allein dem Dirigenten / der Dirigentin anzulasten. Es liegt aber auch hier wieder am Dirigenten, die Allianzen zuzulassen und gut zu gestalten. Außerdem müssen die Aufgaben eines Registerleiters dokumentiert und gut kommuniziert sein. Das Registerleiter-System einzuführen ist in Zukunftswerkstätten immer die erste Maßnahme, die ich empfehle, wenn nicht alles rund im Musikverein läuft.
Das Eingehen der Dirigent:innen auf Allianzen kann für einen Musikverein überlebensnotwendig sein. Wenn der/die Dirigent:in seine bzw. ihre Schlüsselfunktion zu ernst nimmt, fokusiert sich der ganze Musikverein auf diese eine Person. Beispielsweise wenn sich der/die Dirigent:in für alles die Verantwortung nimmt. Vom Probenplan über die Musikauswahl bis hin zur Wahl der Einheitskleidung, das Versorgen der Musiker:innen mit Noten, die Entgegennahme von Abmeldungen, die Organisation von Aushilfen, usw. Wenn der/die Dirigent:in hier in die Rolle des “Alleinunterhalters” schlüpft, bricht unter Umständen der gesamte Musikverein auseinander, wenn dieser Allrounder das Orchester verlässt. (Verhält sich bei manchen Vorsitzenden übrigens ähnlich.) Aufgabe des/der Dirigent:in ist und bleibt die musikalische Gestaltung des Vereinsgeschehens, nicht die organisatorische!
Und das Repertoire?
Eine heikle Angelegenheit. Wie soll ein Dirigent / eine Dirigentin es allen recht machen? Nun, gar nicht. Aber auch hier hilft die oben schon angeklungene Jahresstruktur. In den Musikvereinen musizieren die unterschiedlichsten Menschen mit verschiedenen Charakteren, Geschmäckern und Motivationen. Es ist nicht das Ziel alle gleichzuschalten. Sondern es ist das Jahresziel, dass sich alle irgendwann in der Auswahl des Repertoires oder der Art des Auftritts bzw. Konzerts wiederfinden. Ein Musikverein ist immer ein Ort, an dem Toleranz gefragt, gepflegt und gefordert wird. Einmal gefällt mir das Programm bzw. das Konzert, einmal halt meinen Kolleginnen oder Kollegen. Kein Grund für mich, den Proben fern zu bleiben oder beim Auftritt bzw. Konzert nicht mitzuspielen.
Anders verhält es sich mit der richtigen Wahl der Werke, die das Orchester nicht nur unterfordern und nicht nur überfordern. Von einer Dirigentin bzw. einem Dirigenten können wir erwarten, dass er / sie die Leistungsfähigkeit seiner / ihrer Musiker:innen einschätzen kann. Qualität in der Musik hängt nicht mit dem gespielten Schwierigkeitsgrad zusammen. Die Qualität eines Konzert zeigt sich dann, wenn die erklungene Musik Musiker:innen, Publikum und Dirigent:in gleichermaßen Freude macht und begeistert. Die Aussagen eines Konzertbesuchers “da habt Ihr aber ein schwieriges Werk gespielt” oder “an diesem Werkt hattet Ihr aber zu knabbern” sind keine Komplimente. Es sagt aus, dass der Konzertbesucher sehr wohl gemerkt hat, dass das Orchester mit diesem Werk total überfordert war. Wenn zwei Wochen vor dem Konzert noch Technik geprobt werden muss, ohne dass an den Feinheiten der Interpretation in den Proben gearbeitet werden kann, zeigt, dass das gewählte Stück tatsächlich viel zu schwierig ist. Wenn der Dirigent / die Dirigentin an vermeintlich leichten Werken jedoch zwei Wochen vor dem Konzert nichts mehr proben kann, frage ich mich, ob er / sie damit, Zusammenspiel, Klangausgleich, Intonation und musikalische Bögen zu proben, nicht selbst überfordert ist oder das schlichtweg nicht kann.
Von einem Konzertprogramm eines Musikvereins möchte ich Euch noch erzählen. Ich war im Konzert selbst nicht, aber ich wäre auch nicht hingegangen. Das Programm bestand quasi nur aus Sahnetorten-Stücken. Den Musikverein kannte ich von einem Sommerkonzert. Beides – im Sommer gehörtes Orchester und gelesenes Programm – habe ich bei der Ankündigung des Konzerts nicht in Einklang gebracht. Auf dem Konzertprogramm standen: The Lord of the Rings (Johan de Meij, komplett), Armenian Dances (Alfred Reed), Godzilla eats las Vegas (Eric Whitacre) und The Star Wars Saga (komplett, im Arrangement von Johan de Meij). Leser:innen, die sich im Blasorchesterrepertoire auskennen, wissen, dass so ein Programm kaum mit einem Höchststufen-Blasorchester (1.-Klasse-Orchester) zu bewältigen ist oder mit einem Auswahl-Orchester – geschweige denn mit einem Musikverein und seinen unterschiedlichen Musiker:innen. Ein Musikverein, der in der Regel Ober- bis Höchststufe (2. – 1. Klasse) spielt und keine ausgebaute sinfonische Besetzung hat, in dem Musiker:innen ganz unterschiedlichen Niveaus spielen: Warum dieses Programm? Was muss das für die Musiker:innen in der Vorbereitungszeit für ein Stress gewesen sein… Dieses Beispiel ist ganz klar ein Musterbeispiel für einen Dirigenten, der sich selbst verwirklichen will. Er will in seiner Biografie stehen haben, dass er diese Werke schon aufgeführt hat. Aber um was geht es in einem Blasorchester überhaupt? Hoffentlich um die Musik an sich. Und hoffentlich darum, gemeinsam ein tolles Programm auf die Bühne zu bringen, das am Ende des Tages als erfolgreiches Konzert in aller Munde ist, die Musiker:innen und Dirigent:in stolz auf das Geleistete macht und alle inklusive Publikum beschwingt und glücklich nach Hause gehen lässt. Schwierige Konzertprogramme – egal wie berühmt die Werke sind – nur deshalb zu programmieren, weil der Dirigent den Ehrgeiz hat, tun niemandem gut. Leider verpacken die Dirigenten eine solche Werk-Auswahl immer unter dem Aspekt der “Herausforderung” an sein Orchester…
Ja, der Dirigent / die Dirigentin ist eine Schlüsselfigur eines erfolgreichen Musikvereins. Mit ihm/ihr floriert, steht oder fällt der Musikverein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine umfassende, kontinuierliche Dirigenten-Aus- und Fortbildung nötig ist, eine konsequente Arbeitsweise wichtig ist, Erwartungen klar, positiv und wertschätzend kommuniziert werden müssen, die Jahresstruktur auf das Orchester bzw. die Musiker:innen abgestimmt werden muss, ebenso wie das Repertoire und es auf musikalische Allianzen ankommt, ob der Musikverein in eine erfolgreiche, musikalische Zukunft mit zufriedenen Musikerinnen und Musikern geht.
©Beitragsbild: Rainer Schabereiter, ÖBV, Blasmusikforum Ossiach