Dirigent im Fokus: Joachim Pfläging
Wegen der Blasmusik zog der Sauerländer Joachim Pfläging in den Süden Deutschlands. Und das gleich in den südlichsten Zipfel von Baden, nach Wehr (der Heimatstadt von Anne Sophie Mutter). Dort übernahm er 1999 die Stadtmusik Wehr und prägte die Geschicke der Stadtmusik über viele Jahre hinweg.
Sein Selbstverständnis als Dirigent beinhaltet immer seinen Wunsch nach einer langfristig ausgelegten Zusammenarbeit mit einem Orchester. Er möchte in Jugendarbeit, strategischer Ausrichtung und Konzertkonzeption als Dirigent Teil des Vereins sein. Deshalb war er auch maßgeblich in das ausgeklügelte Ausbildungskonzept der Stadtmusik Wehr eingebunden, das den Verein heute mit Großem Orchester, Jugendkapelle und Nachwuchsorchester sehr gut dastehen lässt. Und obwohl er im Jahr 2015 den Taktstock bei der Stadtmusik niederlegte, dirigiert er auch heute noch das Nachwuchsorchester der Stadtmusik, die „NACHOS“.
Aufgewachsen ist Joachim Pfläging in einem kleinen Dorf im Sauerland (Nordenau). Er erhielt schon als Kind Klavierunterricht, später lernte er Trompete an der Musikschule des Hochsauerlandkreises bei Stefan Köhler. Nach seinen ersten Dirigierkursen (B-Schein an der Landesmusikakademie NRW) übernahm er mit gerade einmal 16 Jahren den örtlichen Musikverein. Nach Instrumentenwechsel von der Trompete auf das Horn und Lehrerwechsel zu Johannes Heppekausen (Staatstheater Dortmund) entschied er sich, seinen Wehrdienst als Hornist im Musikkorps abzuleisten. Aus 18 Monaten wurden vier Jahre und er konnte dank eines weitblickenden Chefs damals sein letztes Jahr Militärmusik in Düsseldorf und sein erstes Semester als Hornstudent an der Folkwang Hochschule der Künste in Essen parallel absolvieren. Gleichzeitig hat er immer schon unterrichtet und dirigiert und konnte so quasi die Stelle seines ersten Lehrers übernehmen. Nach einigen Aushilfsstellen in diversen Orchestern entschied er sich aber, seinen Fokus aufs Unterrichten und Dirigieren zu legen. In seiner Zeit als Hornist bei der Deutschen Bläserphilharmonie lernte er die Bläserszene im Südwesten kennen. Da wurde ihm klar: „da will ich hin!“ Als 1998 die Stadtmusik Wehr einen Dirigenten suchte, hat er sich beworben, war zur rechten Zeit am richtigen Ort und hat die Stelle bekommen. Ein Schritt in seinem Leben, den er noch keine Sekunde bereut hat.
Im Jahr 2001 erwarb Joachim Pfläging durch ein nebenberufliches Studium den B-Schein zur Leitung von Blasorchestern in Trossingen und bildet sich seither jedes Jahr dirigiertechnisch weiter. Er hatte Dirigierunterricht bei Isabelle Ruf-Weber und absolvierte Meisterkurse bei Douglas Bostock, Eugene Corporon, Colin Metters, Kurt Masur. Er ist bekennender Wiederholungstäter – er geht auch gerne mehrfach zum gleichen Maestro. Seit drei Jahren studiert er CAS Orchesterleitung an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) bei Iwan Wassilevski.
CAS Orchesterleitung ist ein Nachdiplomstudiengang im Bereich Weiterbildung. Es ist ein sehr individuell aufgebautes Studium, da alle Studenten dieses Lehrgangs mitten in Beruf und Familie stehen und nicht sieben Tage die Woche an der ZHdK sein können. Die Studenten müssen pro Jahr eine gewisse Anzahl (credits) an Kursen, Unterrichten, Ensemblestunden und Orchesterwochen belegen. Das trägt man sich am Anfang des Studienjahres ein und kann so auch mit größeren Pausen um Konzerte herum und größeren Kumulationen wenn es passt, sehr gut und effektiv übers Jahr arbeiten. Joachim Pfläging hat sich zum Sommersemester 2018 zum Diplom angemeldet und wird dann im Mai die Zwischenprüfung für das „advanced modul“ avisieren, welches Voraussetzung für die Masterprüfung ist.
Dieses Studium macht Joachim Pfläging zunächst für sich selbst als Weiterbildung. Im Bereich Blasorchester arbeitet er jetzt schon seit mehr als 30 Jahren und hat da schon einen dicken Rucksack an Erfahrung und Fähigkeiten. Das Sinfonieorchester hat ihn als klassischen Hornisten immer sehr interessiert. Ein Kapellmeisterstudium kam für ihn jedoch nie in Frage und die Gegenden, in denen er gelebt und gearbeitet hat, waren immer Hochburgen der Blasmusik.
Dem Blasorchester will er auf Grund seines momentanen Studiums jedoch auf keinen Fall den Rücken kehren. Joachim Pfläging dazu: „Es gibt kein Entweder-Oder. Beide Bereiche (Sinfonisches Blasorchester und Sinfonieorchester) können nur voneinander profitieren. Douglas Bostock beispielsweise war lange Chef des Tokyo Kosei Wind Orchestra TKWO und ist außerdem Dirigent von Argovia Philharmonic, einem Sinfonieorchester in der Schweiz. Ich würde sehr gerne zusätzlich ein Sinfonieorchester leiten, um die Stärken beider Formationen für die jeweils andere zu kultivieren und auf der einen Seite das ‘Mikromanagement’ und auf der anderen Seite die ‘lange Phrase’ pflegen.“
Auf meine Frage nach den Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede im Dirigieren eines Blasorchesters und eines Sinfonieorchesters liegen, antwortet Joachim Pfläging mit seinem ihm eigenen Humor: „Die 1 geht immer nach unten “.
Das Dirigieren und Proben empfindet er als sehr ähnlich. Beide Orchesterformen reagieren aber anders, artikulieren anders, allein durch die Besetzung. Das Sinfonieorchester spricht für uns Bläser immer etwas später an und ist bei aller herrlichen Kraft weicher. Ein Staccato wird dank Streicher-Pizzicato immer etwas gehaltvoller sein als im Blasorchester (bei gleichem Dirigat). Das Blasorchester ist direkter, hat mehr Ecken und einen brutalen „Punch“, wenn man will. Im Blasorchester haben Dirigenten sehr viel mit Schlagtechnik zu tun. Auch Amateurkollegen können wechselnde 5/8-Takte – wie zum Beispiel in den „Armenischen Tänzen“ – auflegen. Auch die „guten alten Medleys“ aus Oper und Operette verlangen Übergänge im Sekundentakt. Im Sinfonieorchester dagegen braucht man viel mehr den langen Atem, die lange Phrase, das Ansteuern der Zielpunkte, das Setzen der Höhepunkte und Geduld. So eine Dvořák-Sinfonie geht schon 45 Minuten. Im Blasorchester gibt es nicht so viele Werke von dieser Länge…
Geprägt haben Joachim Pfläging neben seinen Lehren natürlich die Dirigenten, unter denen er gespielt hat. Unter Stefan Köhler, seinem ersten Lehrer und Dirigenten, hat er zum Beispiel schon Ende der 80er Jahre „Sketches on a Tudor Psalm“ (Fisher Tull), „Poeme du feu“ (Ida Gotkovsy), „Music for a festival“ (Gordon Jacob, nicht Phillip Sparke) und ähnliche „Kracher“ aufgeführt und auf Schallplatte (!) aufgenommen. Da hat er gelernt, dass im guten Blasorchester fast alles möglich ist. David Gilson, Mitbegründer der Deutschen Bläserphilharmonie, ist seiner Meinung nach ein unglaublich guter „Band Coach“. Er weiß genau, wie ein Blasorchester klingen muß, UND wie er es hinbekommt, dass es so klingt. In letzter Zeit lernt Joachim Pfläging gerade im sinfonischen Bereich sehr viel von seinem Lehrer an der ZHdK, Iwan Wassilevski.
Joachim Pfläging ist der Meinung, dass man als Dirigent niemals „fertig“ ist. Er plädiert dafür, dass lebenlanges Lernen für Dirigenten Standard sein sollte. Neben allen Kursen, dem Studium, dem Dirigieren und Unterrichten ist es für Joachim Pfläging wichtig, auch dadurch zu lernen, dass er in ausgewählte Konzerte geht. Er spielt gerne als Zuzüger in Orchestern um andere Kollegen am Pult zu erleben. Zur Zeit spielt er als Hornist im Sinfonischen Verbandsblasorchester Markgräflerland und hat in der Herbstphase den Gastdirigenten Ignatius Wang aus Singapur erleben dürfen. „Da habe ich eine Menge (mit langem eeeee) gelernt.“ Er spielt auch sehr gerne in Lehrgangsorchestern bei Meisterkursen und Dirigierworkshops mit. Da lernt er von den Kollegen am Pult und vom Maestro dahinter – und das völlig stressfrei.
Zur Zeit leitet Joachim Pfläging die Concertband Hohenheim. Das ist ein ganz besonderes Orchester, da es ein Teil der Universität ist. Die Concertband ist ein reines Konzertorchester der Höchststufe. Proben finden nur in der Vorlesungszeit der Uni statt und pro Semester gibt es ein Abschlusskonzert. Im Winter als Saalkonzert mit sinfonischer Blasmusik, im Sommer als Open-Air vor dem wunderschönen Hohenheimer Schloss mit guter Unterhaltungsmusik.
Joachim Pfläging hat eine sehr eigene Art, ein gelungenes Konzertprogramm zusammenzustellen und geht dabei nach dem Prinzip der „englischen Brautmode“ vor:
Something old (etwas Bekanntes)
Something new (etwas Neues)
Something borrowed (ein gutes Arrangement vielleicht)
Something blue (etwas Verrücktes)
Er versucht bei der Literaturauswahl kein Register im Konzert zu überfordern, bzw. – noch schlimmer – zu unterfordern. Hierbei denkt er auch an seinen Leitspruch, der von Michael Stecher stammt: „Die Angst davor, zu weit zu gehen, hindert uns oft daran, weit genug zu gehen.“ Ein Strauss Horn-Konzert kann man für das Schlagwerk zum Beispiel auch durch „Libertadores“ (Oscar Navarro) ausgleichen. Scherzhaft bemerkt Joachim Pfläging „Fatal wäre es Kees Vlak, Luigi die Ghisallo, Alfred Bösendorfer und Llano als verschiedene Komponisten in ein Programm zu setzen.“
Zur Erweiterung seines Repertoirewissens versucht Joachim Pfläging viel zu hören, in Konzerte zu gehen, wo er das Programm nicht kennt und / oder interessant findet. Die neuesten Verlagsnachrichten interessieren ihn eher weniger. Wenn er etwas sucht, dann sucht er gezielt. Außerdem erweitert er sein Repertoire-Wissen automatisch wenn er in diversen Orchestern und Lehrgangsorchestern spielt…
Seine Vorliebe gilt ganz klar der konzertanten Blasmusik, „weil man da das ganze Alphabet der Musik gebrauchen kann.“ Und da schließt er Konzertmärsche jeglicher Art ausdrücklich mit ein! Er mag auch gute Unterhaltungsmusik, vor allem in Richtung Big Band. Die traditionelle Blasmusik liegt ihm eher fern. Das liegt aber daran, dass er als Hornist gerne mehr spielt, „als nur Nachschlag “.
Joachim Pfläging ist ein Marc-Camphouse-Fan. „Watchman, tell us of the night“, „A Movement for Rosa“, „whatsoever things…“ sind für ihn großartige Werke, die einem Dirigenten und dem Orchester musikalisch alles abverlangen. Alfred Reed schätzt er wegen seiner großen Vielfalt und seinem Gespür für Melodien und Stimmungen. Johan de Meij, weil er sehr gut orchestriert und arrangiert. Gustav Holst schließlich, weil er als Klassiker das feine, kammermusikalische Spiel fordert. Er begleitet gerne Solisten, weil man da als Dirigent und als Orchester ungeheuer flexibel und aufmerksam sein muß. Das sind aber nur ein paar Beispiele seiner Vorlieben.
Joachim Pfläging ist ein klarer Befürworter von Transkriptionen im Blasorchester. Der Dirigent und das Orchester haben aber die – nach seinen Worten – „verdammt anspruchsvolle Aufgabe“, sich immer auch mit dem Original auseinanderzusetzen und so auch diesen Teil der Musikgeschichte (in dem es das Blasorchester meist ja noch nicht gab) zu erleben und daraus zu lernen. Beispielsweise die richtige, der Zeit entsprechende Artikulation, Phrasierung und Spielweise. Aber wie wir alle wissen, eignet sich nicht jedes sinfonische Werk fürs Blasorchester. Joachim Pfläging dazu: „Und da das Dumme an bekannten klassischen Werken ist, dass sie halt auch jeder kennt, muß man sehr überzeugend und gut sein in dem, was man da macht. Einfach nur gespielt is nich….“
Das Thema „Wertungsspiele“ ist für ihn ein „heikles Thema“. Grundsätzlich ist er ein Befürworter von Wertungsspielen und er nimmt mit seinen Orchestern auch regelmäßig daran Teil. Zum Beispiel jetzt am 18. November in Schluchsee mit seinen NACHOS im Grad 1. Die größeren Neuerungen in der Bewertung verfolgt Joachim Pfläging mit Neugier und Interesse. Die Idee des Beratungsgespräches mit dem ganzen Orchester findet er gut – wenn der Juror entsprechend geschult ist. Bei aller gerechtfertigter Kritik an „Unzulänglichkeiten“ im Orchester, muß die Motivation und auch das Lob immer im Vordergrund stehen. Nichts ist für ihn schlimmer, als „abgeschulmeistert“ zu werden. Darüber hat in seinem Erlebnisbericht vom Landesmusikfest 2015 in Karlsruhe hier auf dem Blasmusikblog.com schon ausgiebig geschrieben.
Momentan steht für Joachim Pfläging ein großes Projekt mit seiner Concertband Hohenheim an: Am 28. Januar 2018, um 17:00 Uhr, findet das Winterkonzert anlässlich von 200 Jahren Universität Hohenheim und 30 Jahren Concertband als Galakonzert zusammen mit dem Musikkorps der Bundeswehr in der FILharmonie Filderstadt statt. Bei diesem Konzert wird auch die Auftragskomposition „Ad honorem scientiae“ (Der Wissenschaft zu Ehren), einer 13 minütigen Festouvertüre von Guido Rennert, uraufgeführt. Dieses Konzert ist ein Benefizkonzert zu Gunsten der DKMS.
Diesem Beitrag über Joachim Pfläging liegt ein schriftliches Interview mit ihm zu Grunde. Wie alle Dirigenten, habe ich auch Joachim Pfläging gefragt, was er ändern würde, wenn er für einen Tag das Sagen in der Blasorchesterszene hätte. In seiner unnachahmlichen Art, die auch seinen eigenen Humor wiederspiegelt, antwortete er: „Freibier für Dirigenten und klingend B-Dur-Verbot “ und bat mich gleich darauf, diese Frage zu streichen. Man kennt aber Joachim Pfläging nicht und erhält auch keinen persönlichen Zugang zu ihm, wenn man nicht auch eine Ahnung von seinem speziellen Humor bekommt….. Entschuldigung, Joachim
Beim Internationalen Blasmusik Kongress IBK (18. – 21. Januar 2018 in Neu-Ulm) spricht Joachim Pfläging ausführlich über das Jugendkonzept der Stadtmusik Wehr. Alle Informationen dazu hier.