Costa Blanca, Westfalen Winds und das Ding mit den Scheinwerfern
Konzertreisebericht Spanien 2017
Ein Gastbeitrag von Robin Gerke, Lüdenscheid.
01:00 Uhr. Westliches Sauerland. 9°C. An Schlaf ist nicht zu denken. Stattdessen werden Gepäckstücke nach draußen gewuchtet und in Richtung Straße gezerrt. Während man allein im Dunkeln steht und auf seine Mitfahrgelegenheit wartet, macht man unweigerlich die Beobachtung, dass der Sommer sich, zumindest vorzeitig, aus unseren Breiten verabschiedet zu haben scheint. Macht aber nichts, denn da, wo es hingeht, wird es an Sonne nicht mangeln. Außerdem heitert der Gedanke, dass man heute Nacht nicht der Einzige ist, der sich zu solch unchristlicher Zeit fröstelnd auf den Weg macht, ungemein auf.
Einige Stunden später. Die sperrigen, mühsam verladenen Koffer werden wieder aus dem Kofferraum gehievt und ins Flughafengebäude geschleppt. Schon erspäht man eine Traube wartender Menschen. Ein Blick in die Runde. Müde Gesichter, unförmige Koffer (einige klein, einige groß, zwei mittlere Küchenschränke). Wer all das schon mal gemacht hat, weiß: eigentlich kann das nur gut werden.
Déjà-vu auf Japanisch und spanisches Statement
Und da stehen einige, die das vor zwei Jahren schon einmal mitgemacht haben. Damals ging es in die entgegengesetzte Himmelsrichtung und der Flug war um ein vielfaches länger, aber die Truppe war zu einem Großteil die Gleiche. Die Japanreise war seinerzeit eine weitere Bestätigung der Idee, das Aufgabengebiet der Westfälischen Bläserphilharmonie Westfalen Winds um internationalen Austausch zu erweitern. Mit der Einladung zum 15. Festival Internacional de Bandas de Música in Torrevieja durch die „Sociedad musical ciudad de Torrevieja ‚Los Salerosos‘” folgte nun das nächste Kapitel. Nachdem auch die Küchenschrankbesitzer ihre heißgeliebten Tieftöner aka Tuben um die Gepäckaufgabe herum geschmuggelt haben, sind es noch schlappe zweieinhalb Stunden Flug nach Alicante.
Dort angekommen haben die regenverwöhnten Westfalen kaum Zeit, sich an die iberischen Sommertemperaturen zu gewöhnen, denn der Bus samt kleinem Empfangskomitee, gestellt vom Gastgeber, wartet schon. Damit hören die Mühen seitens der „Los Salerosos“ übrigens keineswegs auf. Unterbringung samt Verpflegung im Stadtzentralen Hotel in Strandnähe, Transfer zwischen Flughafen Alicante und Torrevieja, sowie Probenraum und ortskundige Führung aus den eigenen Reihen. Das ist schon ein Statement. Und wir sind nicht einmal das einzige geladene Orchester. Gleichzeitig residiert noch die Danish/Rødovre Concert Band im Hotel Fontana Plaza. Überhaupt ist es erstaunlich (und für den geneigten Blasmusiker natürlich höchst erfreulich), dass eine Stadt, die kleiner ist als Iserlohn oder Lünen, ein internationales Festival dieser Größenordnung seit über einem Jahrzehnt ausruft.
Torrevieja, 35°C, der Ton sitzt
Nach großzügiger Eingewöhnungszeit findet nachmittags die erste Probe in den Räumlichkeiten der Gastgeber statt. Dabei bleibt es dann auch erst einmal, denn für den nächsten Tag sind Proben am Konzertort vorgesehen. Und da auch nicht der hartgesottenste Sonnenanbeter gerne stundenlang vormittags in einer nach Osten geöffneten Betonmuschel sitzen (geschweige denn musizieren) kann oder möchte, geht es mit dem arbeitsintensiven Teil auch erst am Nachmittag des nächsten Tages weiter, wenn die Sonne nach Westen gewandert ist. Das war auch gut so, denn es mussten, soviel vorweg, während der gesamten Zeit keine Besetzungsausfälle aufgrund irgendwie gearteter Sonnenschäden beklagt werden.
Zuvor ist man aber erst einmal gespannt auf den Konzertauftritt der Gastgeber am Abend, auch um mitzubekommen, was einen denn selbst am nächsten Tag erwartet, vor allem was die ominöse Parade angeht.
Mit viel Energie und hervorragenden Soli präsentiert die „Sociedad Musical Ciudad de Torrevieja“ ein abwechslungsreiches Programm. Lediglich der für Deutsche ungewöhnlich späte Beginn des Konzertes, das bis Mitternacht dauert, stellt, ob des Treffens um 04:00 vor Abflug am Vortag und daraus resultierenden Schlafmangels, für den einen oder anderen im Publikum eine Herausforderung dar.
Abmarsch zum Konzert
Bis die valencianische Sonne ihren Griff um die Stadt an der Costa Blanca am Folgetag lockert und die Temperaturen in arbeitsfreundlichere Bereiche sinken, kommt Urlaubsstimmung auf. Ob und wie lange eine Siesta gehalten oder die Stadt und deren reizvolle Umgebung (Strand? Rosa Salzsee? Flaniermeilen? Oder doch der Hotelpool?) erkundet werden, ist jedem selbst überlassen.
Die anschließende Probenarbeit wird im Großen und Ganzen nur von den für Open Air-Situationen üblichen Verdächtigen, nämlich leichten und mittleren Windböen, gestört. An Wäscheklammern hat jedoch der Gastgeber auch gedacht.
Marschieren ist eigentlich nicht das Kerngeschäft von Westfalen Winds, aber entsprechende Erfahrung haben eigentlich alle. Und da die Parade zum Eras de la Sal obligatorisch ist, führt sowieso kein Weg drum herum. Muss ja auch nicht, denn Spaß macht die ‚neue‘ Herausforderung schließlich. Unfallfrei kommt die gesamte Besetzung im historischen Gemäuer der Konzertlocation an. Und die ist wirklich etwas Besonderes. Die Bühne an einer, verwitterte Steinmauern an den drei verbliebenen Seiten. Und der sternenbedeckte Nachthimmel ersetzt die Decke. Von einigen Plätzen überblickt man das schwarz glänzende Hafenbecken, das sich direkt an das Gelände anschließt. So geht Atmosphäre. Da sind auch die gefühlten 50°C im stickigen Backstagebereich schnell vergessen.
Sonnenbrillen gegen das Ding mit den Scheinwerfern
Nun also das, wofür man eigentlich hergekommen ist. Perfektion und optimale Bedingungen (Stichwort: gut abgemischte Mikrofonierung und kraftvolle Beleuchtung) mögen eine Reihe schöner Wörter sein, die jedoch das echte Leben in den seltensten Fällen treffend beschreiben. Denn das Ding mit Scheinwerfern ist ja stets dasselbe, wie jeder Musiker weiß: Entweder sind sie zu stark oder der Musiker zu schwach. Stehen die Flutlicht-ähnlichen Werfer aber direkt hinter dem Dirigenten, dann helfen nur noch Sonnenbrillen, abends um 22 Uhr.
Hat aber auch sein Gutes, denn dann rücken Begriffe wie Empfinden, Erlebnis und der unbedingte, freudige Wille, den Moment mit Musik zu begehen, weiter in den Vordergrund. Das Publikum dankt es einem und leistet mit tosendem Applaus und Standing Ovation seinen Beitrag zu diesem außergewöhnlichen Konzert, u. a. mit Oscar Navarros „Hispania“, Victoriano Valencias dritte Suite für Blasorchester „200“, Paul Harts „Cartoon“ und der „Danzon No.2“ von Arturo Marquez. Geben und nehmen eben.
Von Torrevieja nach Werdohl
Geben und nehmen, das trifft für uns dankbarerweise auf die gesamte Festivalerfahrung zu. Denn anstatt nach getaner ‚Arbeit‘ zum Flughafen und in Richtung Heimat zu pilgern, bleiben wir, machen einen Tag Urlaub und nehmen noch Konzert und Parade unserer dänischen Mitstreiter mit.
Bleibt zu hoffen, dass die Torreviejaner diese Tradition noch viele Jahre fortsetzen. Die Blasmusikszene kann von solchen Festivals, die für alle Beteiligten immer eine große Bereicherung bieten, eigentlich nie genug haben.
Das nächste Konzert der Westfälischen Bläserphilharmonie Westfalen Winds wird am 12. November um 16 Uhr im Festsaal Riesei in Werdohl stattfinden. Unter „Visions & Fantasy“ wird ein fantasievolles Konzert- u. a. mit der Symphony No. 1 „The Lord of the Rings“ von Johan de Meij- der offenherzigen Begegnung und des vorbehaltlosen Miteinanders in den aktuellen Zeiten von Flucht und Angst gewidmet.
Text: Robin Gerke, Lüdenscheid
Bei Rückfragen:
Westfalen Winds e.V.
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Martin Fuchs
Von-der-Marck-Straße 37
D-58511 Lüdenscheid
martin.fuchs@westfalen-winds.de
+49 (0) 23 51.97 41 619
Herzlichen Dank an Robin Gerke für diesen humorvollen Beitrag.
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