Donnerstag, November 13, 2025
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Woran scheitern Jugendkapellen-Kooperationen?

Eine umfassende Analyse, eine Handlungsempfehlung und ein Muster-Kooperationsvertrag zum Download

Die Idee klingt logisch: Vereine, die alleine nicht genug Nachwuchs haben, schließen sich zusammen und gründen eine gemeinsame Jugendkapelle. Auf dem Papier eine Win-Win-Situation – doch die Praxis zeigt: Solche Kooperationen sind ein komplexes Projekt, das an vielen Stolpersteinen scheitern kann. In den folgenden Abschnitten werden die häufigsten Ursachen aufgezeigt, gegliedert nach Themen, illustriert mit direkten Stimmen aus der Praxis. Grundlage dieses Beitrags ist eine entsprechende Umfrage auf Facebook mit der Fragestellung: „Woran scheitern Jugendkapellen-Kooperationen?“.

Organisation & Logistik

Eines der am häufigsten genannten Probleme ist die ganz banale Logistik. Schon die Frage des Probenortes wird schnell zu einem Streitpunkt:

„Das Problem ist, dass jeder Verein seine eigenen Bedürfnisse durchsetzen möchte und das sich oft reibt. Viele sind auch nicht bereit, für die Proben in andere Orte zu fahren.“

Gerade wenn die Verteilung der Kinder ungleich ist (z. B. 75 % aus Verein A, 25 % aus Verein B), fühlen sich Eltern und Jugendliche benachteiligt. Wechselnde Probenorte werden zwar manchmal als Lösung vorgeschlagen, doch auch das bringt zusätzliche Diskussionen.

Hinzu kommt die Auftrittsfrage: Da die Jugendkapelle „zu beiden Vereinen gehört“, verdoppelt sich oft die Zahl der Pflichtauftritte. (Sind es drei oder mehr Kooperationspartner entsprechend mehr.) Für die Jugendlichen bedeutet das zusätzliche Belastung und für die Vereine endlose Abstimmungsarbeit.

Unterschiedliche Strukturen & Erwartungen

Kooperationen scheitern oft daran, dass die Vereine unterschiedliche Ausbildungswege und Niveaus haben:

„Verein A hat schon mit D1 ins Hauptorchester aufgenommen, aber Verein B erst mit D2. Dadurch waren z. B. erste Stimmespieler:innen immer von Verein B.“

Solche Differenzen erzeugen Spannungen, gerade wenn es um die Frage geht, wann Jugendliche die Jugendkapelle verlassen und ins große Orchester wechseln. Für die Jugendlichen bedeutet das Unsicherheit, für die Vereine endlose Diskussionen.

Machtfragen & Ego

Mehrfach wurde genannt, dass die Kooperation am Ego Einzelner scheitert:

„Am eigenen Ego.“

Hinter dieser knappen Feststellung steckt ein zentrales Problem: Statt die Musik und die Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen, geht es oft darum, „wer das Sagen hat“. Auch die Angst, Jugendliche an den anderen Verein zu verlieren, spielt hier massiv mit hinein:

„Die Angst, Musiker an den mit beteiligten Verein zu verlieren!“
„Die Hürden liegen bei den einzelnen Vereinen und in den Köpfen der Verantwortlichen.“

Viele Verantwortliche wollen verhindern, dass die mühsam ausgebildeten Jugendlichen am Ende in einem anderen Orchester spielen. Diese Haltung führt dazu, dass Kooperationen blockiert oder nur halbherzig betrieben werden.

Motivation & Bindung der Jugendlichen

Entscheidend ist am Ende nicht der Verein, sondern die Motivation der Jugendlichen selbst. Sie gehen dorthin, wo Freunde spielen, wo die Bezugspersonen sind, wo das Vereinsklima stimmt:

„Meiner Erfahrung nach gehen die Jugendlichen fast geschlossen in das Erwachsenenorchester, bei dem die Mehrheit der Jugendlichen spielt (Freunde) bzw. dorthin, wo Bezugspersonen wie Instrumentallehrer oder Jugenddirigent ebenfalls aktiv musizieren.“
„Auf Dauer gehen die Jugendlichen dorthin, wo die Rahmenbedingungen wie Literaturauswahl, Dirigent, Zusammenhalt im Orchester und Vereinsklima besser passen.“

Das bedeutet: Wer seine Jugendlichen langfristig halten will, muss attraktiv sein. Wer glaubt, mit Zwang oder Pflichtgefühl etwas erreichen zu können, wird scheitern:

 „Die Wenigsten bleiben heute aus dem sog. Pflichtgefühl im ‚Heimatverein‘, wenn es ihnen nicht mehr gefällt.“

Rolle der Dirigenten & Leitungspersonen

Ein wiederkehrendes Muster: Am Ende hängt vieles an der Person, die die Jugendkapelle leitet:

 „Ganz entscheidend ist die Person, die die JuKa leitet, wenn die Jugendlichen genug motiviert sind/werden, dann erübrigen sich die Probleme eigentlich immer.“

Wenn Jugendleiter:innen und Dirigenten es schaffen, Begeisterung zu wecken, werden organisatorische Schwierigkeiten nebensächlich. Fehlt diese Kompetenz und Leidenschaft, helfen auch die besten Verträge nichts.

Elternarbeit & Integration

Eine oft unterschätzte Rolle spielen die Eltern. Werden sie mit einbezogen, funktioniert die Kooperation besser:

„Die Eltern sollten auch Fördermitglieder oder inaktive Mitglieder des Vereins werden (inkl. Jahresbeitrag), so schafft man auch die Bindung an den Verein, wenn die Eltern integriert werden.“

Auch Mentoren-Modelle (“Buddys”) werden empfohlen: Musiker:innen aus den Stammorchestern begleiten die Jugendlichen, schaffen früh Bindung und sorgen für Integration ins Hauptorchester.

Das Fazit: Ohne aktive Einbindung von Eltern und erwachsenen Musiker:innen fehlt den Jugendlichen die Brücke vom Jugend- ins Hauptorchester.

Entscheidungsprozesse in den Vereinen

Ein weiterer Knackpunkt ist die Frage, wer Entscheidungen trifft. Viele Musiker:innen kritisieren, dass nicht die Musik im Mittelpunkt steht, sondern Vereinsinteressen:

„Für mich ist es dasselbe Problem wie so oft in Musikvereinen: Entscheidungen werden oft nicht unter dem Aspekt ‚Musik‘ getroffen.“
„Kompetente Dirigenten sollten mit einem mutigen Vorstand eines MUSIKvereins (nicht Uniformverein, oder Bewirtungsverein, oder im schlimmsten Fall Saufverein) Entscheidungen auf musikalischer Basis treffen. Dann gelingt so etwas gut.“

Diese Stimmen machen deutlich: Kooperationen scheitern, wenn Vorstände aus Angst, Machtverlust oder anderen Nebensächlichkeiten Entscheidungen blockieren.

Strukturelle Fragen & Rahmenbedingungen

Viele Musiker:innen betonen die Notwendigkeit klarer Absprachen und Strukturen:

„Es braucht einen fest abgesteckten Rahmen in Form einer Kooperationsvereinbarung. Habe beides (ohne und mit) schon mehrfach durchgespielt. Am Ende zeigt sich immer: es geht nur mit.“

Ohne klare Vereinbarungen über Ziele, Finanzierung und Verantwortlichkeiten zerbricht die Kooperation spätestens dann, wenn die ersten Konflikte auftreten.

Die ideale Jugendkapellen-Kooperation

Ein gelungenes Kooperationsmodell zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

1. Gemeinsames Ziel: Alle Beteiligten verstehen die Kooperation als Chance, den Jugendlichen ein attraktives Umfeld zu bieten. Die Musik und die Jugendlichen stehen im Mittelpunkt, nicht die Vereinsinteressen.

2. Starke Leitung: Eine motivierende, kompetente, gut ausgebildete Dirigentin oder Dirigent führt das Orchester. Begeisterung ist ansteckend.

3. Klare Strukturen: Es gibt eine schriftliche Kooperationsvereinbarung mit klar definierten Zuständigkeiten, Finanzen, Probenorten und Auftrittsregelungen.

4. Eltern- und Mentorenarbeit: Eltern werden bewusst integriert, Erwachsene aus den Stammorchestern begleiten die Jugendlichen.

5. Attraktivität: Musikalisch herausfordernde Literatur, Gemeinschaftserlebnisse und Spaß sorgen für Bindung.

6. Transparente Kommunikation: Regelmäßige Feedbackrunden und offene Gespräche verhindern, dass Probleme sich aufstauen.

7. Langfristige Perspektive: Die Kooperation ist nicht als Notlösung gedacht, sondern als nachhaltiges Modell, das den Vereinen Zukunft gibt.

Handlungsempfehlungen für Vereine

1. Musik in den Mittelpunkt stellen – Entscheidungen nicht aus Angst, sondern im Sinne der Jugendlichen treffen.

2. Eine starke Leitungsperson finden – ohne motivierten, gut ausgebildeten Dirigenten keine funktionierende Kooperation.

3. Kooperationsvertrag aufsetzen – klare Regeln, damit Konflikte gar nicht erst eskalieren.

4. Eltern und Erwachsene einbinden – Bindung entsteht über Beziehungen, nicht über Zwang.

5. Regelmäßige Kommunikation pflegen – Feedback, Austausch, Evaluation.

6. Attraktivität schaffen – gute Literatur, Gemeinschaft, Konzerterlebnisse.

7. Mut zum Start – nicht zu lange diskutieren, sondern ausprobieren, evaluieren, verbessern.

Muster Jugendkapellen-Kooperationsvertrag

Eine Vorlage für einen Jugendkapellen-Kooperationsvertrag könnt Ihr hier kostenfrei downloaden. Es ist ein Word-Dokument, das Ihr bequem auf Eure Situation abändern könnt.

Fazit

Jugendkapellen-Kooperationen scheitern selten an den Kindern – sondern fast immer an den Erwachsenen. Ego, Angst und Machtfragen blockieren Projekte, die für die Jugendlichen eine große Chance wären. Wenn es gelingt, die Musik und die jungen Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, klare Strukturen zu schaffen und Begeisterung zu wecken, dann werden Kooperationen zum Erfolgsmodell. Die Sportvereine machen es seit Jahren vor – höchste Zeit, dass die Blasmusik nachzieht.

Da dies ein Thema ist, mit dem sich viele Musikvereine gerade beschäftigen, habe ich ein Beispiel aus der Praxis von Klaus Wachter veröffentlicht: Praxisbeispiel: Eine gelungene Jugendkapellen-Kooperation.

Im Jahr 2021 sind außerdem 10 Erfahrungsberichte aus Deutschland, Österreich und Belgien erschienen, die ich in diesen drei Beiträgen veröffentlicht habe:

Über die Herausforderungen von Jugendkapellen-Kooperationen
Beispiele gelungener Jugendkapellen-Kooperationen
Vorteile von Jugendkapellen-Kooperationen

Im Kommentarfeld unter diesem Beitrag besteht die Möglichkeit, dass Du Deine Erfahrungen mit Jugendkapellen-Kooperationen mit den Blasmusikblog-Leserinnen und -Leser zu teilen. Nur zu und erzähle von Eurer Jugendkapellen-Kooperation!

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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