Die 10 dringendsten Probleme der Musikvereine
In den letzten Wochen und Monaten war ich bei einigen Musikvereinen und Blasmusikkreisverbänden zu Gast. Entweder mit einer Marketing- oder Organisationsberatung für einen Musikverein bzw. für ein Blasorchester oder mit einem Workshop „Marketing für Musikvereine“ bzw. „Zukunft der Musikvereine“. Bei diesen Beratungen oder Workshops komme ich automatisch mit den Musikerinnen und Musiker vor Ort ins Gespräch. Immer wieder sind es die gleichen Probleme, die im Dialog oder in Arbeitsgruppen zum Thema genannt werden. Wenn der Stein innerhalb einer Gruppe Blasmusiker erst einmal ins Rollen gebracht wird, findet bald ein reger Austausch zwischen den Teilnehmern statt. „Bei uns ist es so…“, „Wir haben das mal so gemacht…“ oder „Unser größtes Problem im Musikverein ist…“. Und wie schon gesagt, es werden immer die gleichen 10 Probleme genannt, mit den die Musikvereine, vor allem in kleineren Gemeinden, aber auch in Städten zu kämpfen haben. Welche Probleme das im Einzelnen sind und welche Ursachen den Problemen zu Grunde liegen, habe ich in diesem Beitrag zusammen gefasst.
Zu wenig „Nachwuchs“
Eventuell ist die Jugendarbeit nicht optimal und beständig organisiert. Oder die Gemeinden schrumpfen eher als dass sie wachsen. Es gibt andere Vereine im Dorf (Sportverein, Judoclub, Turnverein o. ä.), die durch eine attraktive Jugendarbeit die Kinder davon abhalten, ein Instrument zu lernen. Es gibt keine aktive Familienentwicklung in den Dörfern, weil keine Neubaugebiete initiiert werden. Der Musikverein ist zu unattraktiv für die Kinder und Jugendlichen, einfach nicht „hipp“ genug. Die Eltern sehen die Vorteile einer musikalischen Bildung nicht.
Anzahl der Musiker nimmt ab
Gründe können sein, dass das zwischenmenschliche Klima innerhalb des Vereins nicht stimmt. Es macht aus den unterschiedlichsten Gründen „kein Spaß mehr“ im Musikverein zu spielen. Die Vorstandschaft ist unorganisiert und wenig innovativ. Der Dirigent macht langweilige Proben oder bringt nur „ätzende“ Stücke. Gute Musiker gehen in andere Musikvereine, weil es dort mehr Spaß macht. Es kommen keine jungen Musiker mehr nach, weil keine permanente Jugendausbildung gemacht wird. Die Kinder kommen erst gar nicht ins Große Orchester und hören nach Bläserklasse oder Jugendkapelle auf. Jugendliche gehen auf weiterführende Schulen und sind zu sehr mit der Schule und anderen Dingen beschäftigt. Jugendliche gehen zur Ausbildung oder zum Studieren in andere Städte. Abiturienten gehen erst einmal ein Jahr ins Ausland. Und so fort. Oft weiß man einfach gar nicht, warum Musiker aufhören. „Keine Zeit mehr“ und „keine Lust mehr“ sind die genannten Gründe.
Nicht ausgewogene Besetzung
Eine unvollständige Besetzung macht einen „normalen“ Blasorchesterbetrieb zu einer Herausforderung. Keinen Schlagzeuger zu haben, nur einen Tubisten oder nur 4 Klarinetten zu haben macht das Spielen von attraktiver Literatur schwierig. Oft kann nur mit Aushilfen ein Konzertprogramm realisiert werden. Gründe liegen meist in einer einseitigen Jugendarbeit. Weitere Gründe wurden unter 2. schon genannt.
Unregelmäßiger Probenbesuch
Es gibt Musiker, die durch ihren Job oder beispielsweise durch Schichtarbeit nicht regelmäßig an den Proben teilnehmen können. Krankheiten oder Probleme innerhalb der Familie halten Musiker ab in die Probe zu kommen. Kinder und Jugendliche sind in der Schule so eingespannt, dass für die Probe keine Energie mehr da ist. Manche Musiker fühlen sich „zu gut“ als dass sie in jede Probe kommen müssten. Das Programm oder die Probenarbeit ist zu langweilig, unattraktiv oder die Chemie stimmt zwischen den Musikern oder zwischen Musiker und Dirigent nicht. Gründe, nicht in die Proben zu kommen, sind so vielfältig wie die Spezies Mensch.
Mühe Vorstandsposten zu besetzen
Jugendliche und junge Erwachsene wurden nicht rechtzeitig in die Verantwortung geführt. Keiner will Verantwortung übernehmen. Es existiert kein Organigramm im Verein und keiner weiß eigentlich so richtig, was die Vorstände und Vorstandsmitglieder so machen. Es gibt keine dezidierten, also festgelegten Stellenbeschreibungen der verschiedenen Vorstandsposten. Der Verein wird eher konservativ patriarchalisch geführt. Der erste Vorstand macht alles und kann nichts abgeben aus Angst, dass es dann nicht vollständig oder korrekt oder zeitnah oder alles zusammen gemacht wird. „Da kann ich es besser gleich selbst machen“. Es ist den Musikern aus Zeitgründen durch Belastung im Job und den berechtigten Ansprüchen der Familie nicht möglich, mehr für den Verein zu tun.
Fehlende Jugendangebote
Es gibt kein Team, das sich um die Kinder und Jugendlichen kümmert. Es können keine Jugendverantwortlichen gefunden werden. Für Vororchester oder Jugendkapelle gibt es zu wenige Kinder. Es fehlen außermusikalische Angebote, weil sich niemand zur Organisation bereit erklärt. Der Verein ist einfach zu klein um eine optimale Jugendarbeit gewährleisten zu können.
Instrumentallehrer fehlen
Die Heimat des Musikvereins liegt vielleicht, weit von der nächst größeren Stadt entfernt, im ländlichen Gebiet. Es gibt keine Musikschule in der Nähe. Der Musikverein setzt auf ehrenamtliche Ausbilder oder allgemein auf Ausbilder aus den eigenen Reihen. Professionelle Ausbilder sind eventuell für den Verein zu teuer.
Schwierigkeiten Dirigent zu finden
Besonders für kleinere oder unvollständig besetzte Blasorchester ist es oft schwierig, einen Dirigenten zu finden. Nicht viele Dirigenten sind bereit, einen Musikverein, der in Schwierigkeiten steckt, nach oben zu bringen und übernehmen lieber Musikvereine, die gut dastehen. Der Musikverein liegt im ländlichen Gebiet und es wäre für Dirigenten ein weiter Weg in die Probe. Der Musikverein ist nicht in der Lage das geforderte Honorar zu bezahlen.
Schwache finanzielle Basis
Die passiven bzw. fördernden Mitglieder „sterben“ weg. Die Konzerte sind schwach besucht. Es gibt keine oder nur geringe Zuschüsse von der Gemeinde. Ein hoher Ausgabenposten wie zum Beispiel die Anschaffung einer neuen Uniform, die Renovierung des Vereinsheim oder die dringende Anschaffung einer Tuba haben ein großes Loch in die Kasse gerissen. Die Jugendarbeit wird durch den Verein finanziert. Auch in puncto Finanzen viele Gründe, wie das Problem „schwache finanzielle Basis“ entstehen kann.
Fehlendes Verantwortungsbewusstsein, fehlende Verlässlichkeit
Probleme die durch ein geändertes Wertebewusstsein entstehen. Mit dem zunehmenden Bedürfnis sich nicht binden zu wollen und keine Verantwortung übernehmen zu wollen. Einer zunehmenden Individualisierung und einem abnehmenden Gefühl, dass die Gemeinschaft das Wichtigste ist. Gründe, die wir weder erfassen noch irgendetwas dagegensetzen können.
Erkennst Du Dich und Deinen Musikverein in einigen Problemen und ihren Gründen wieder? Spreche ich Dir direkt aus dem Herzen? Sind es in etwa die Probleme, mit denen Ihr in Euren Musikvereinen zu kämpfen habt? Oder habt Ihr ganz andere Probleme? Oder – ganz im Gegenteil – läuft bei Euch alles gut? Das möchten ich und die Leser vom Blasmusikblog gerne von Dir hören oder besser gesagt lesen. Dafür gibt es unter diesem Beitrag, weiter unten auf dieser Seite ein Kommentarfeld, in dem Ihr Eure Gedanken, Probleme und auch die guten Beispiele für uns alle notieren könnt.
Lösungsansätze oder besser gesagt Vorschläge für spezifische Problemlösungen gibt es in einem der nächsten Beiträge auf dem Blasmusikblog. Den Beitrag hier anfordern:
Es sind zwar in etwa überall die gleichen Probleme, mit denen die Musikvereine zu kämpfen haben. Jedoch sind die Voraussetzungen und das Umfeld in jedem Musikverein anders. Oftmals ist es besser, zur Problemerkennung, zur Problemanalyse und vor allen Dingen für die richtigen Lösungsansätze jemand von außerhalb des Musikvereins kommen zu lassen. Jemanden, der nicht durch emotionale Befindlichkeiten vorbelastet ist. Jemand der die negativen Gefühle und Spannungen auf eine sachliche Ebene bringen kann. Gerne komme ich zur Problemanalyse und zur Erstellung eines Maßnahmenfahrplans auch in Deinen Musikverein. Frag einfach bei mir an: alexandra@kulturservice.link.
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Zu Punkt 10. Fehlendes Verantwortungsbewusstsein
Ich leite eine Brass Band (musikalisch) im ganz hohen Norden (S-H).
Hier im Norden läuft die Welt in den Musikvereinen allgemein noch ganz anders als im Süden Deutschlands.
Viel kleinere Dichte an Musikvereinen, wesentlich schlechtere finanzielle Lage, mittelmäßiger Nachwuchs uvm.
Aber zum Thema.
Derzeit ist es wirklich schlimm mit der spätpubertären Jugend.
Sie sind in allem die Besten, diskutieren über alles, stellen alles in Frage, machen aus jedem kleinen Problemchen ein Staatsverbrechen, proben wenig (weil sie denken sie hätten es einfach drauf), ihnen ist alles egal… frei nach dem Motto: “Was wollt ihr uns denn?” Sprich sie machen Dinge, die nicht gut für den Verein aber zu ihren Gunsten sind, aber es interessiert sie nicht, da sie sich sagen, was wollen die denn.
Selber aber mal was tun und Verantwortung tragen möchten Sie nicht. Da haben sie wieder keine Zeit zu. Aber kritisieren und sich mehr darauf zu konzentrieren das Haar in der Suppe zu suchen anstelle sich auf die Musik zu konzentrieren, das können sie gut.
Ich bin nebenberuflicher Dirigent und Instrumentallehrer.
Allerdings ist es hier oben in Norddeutschland noch absolut unüblich, Dirigenten zu entlohnen. Sprich ich bi ehrenamtlich und somit ausschließlich mit Herzblut in diesem Verein.
Wäre es ein Job, könnte man da ja vielleicht noch etwas drüber hinweg sehen. Ist es aber nicht und ich bin im Vorstand ebenfalls tätig.
Es belastet uns seit über einem Jahr mittlerweile. 2 Vorstandsmitglieder haben wir deswegen mittlerweile verloren, weil sie eben keine Lust mehr hatten zu kämpfen.
Das blöde ist, dass wir eigentlich ein sehr gut aufgestellter Verein sind.
Genügend Musiker, keine Nachwuchsprobleme, gute Qualität, genügend Auftritte, attraktive Auftritte und Jugendveranstaltungen, national erfolgreich, saubere Strukturen, sehr gute finanzielle Lage etc.
Ich selber berate Vereine in Sachen Vereinsstruktur und Marketing.
Aber dieses Problem könnte alles kaputt machen, weil es einfach überhand nimmt.
Wir bekommen es einfach Nicht in den Griff und wissen nicht mehr weiter.
Vielleicht habt ihr ja einen Rat für uns .
Liebe Grüße,
Maik Gess
Alles richtig und gut dargestellt. Und dennoch sind mMn diese Probleme nur Symptome eines tiefer liegenden Problems:
Zu oft bestimmt die Struktur den Inhalt und nicht der Inhalt die Struktur. D.h. (und das existiert abgesehen vom Männerchor nur im Blamu-Wesen) allzuoft herrscht kein grundlegendes Verständnis, welchen künstlerischen Wert auch dilettantische Musikausübung (im besten Wortsinn) eigentlich hat. Nämlich ein Nacheifern tätigen Dienstes an der Musik.
Meines Wissens hat kaum ein Akademisches Orchester und Amateursinfonieorchester Nachwuchssorgen in dem Ausmaß. Irgendwann wird man dieser Wahrheit ins Auge sehen müssen.
Von der Art des Genres ist das völlig unabhängig, wenn ein sinnvoller Inhalt die Strukturen bestimmt und nicht aus falsch verstandener Tradition oder Sozialität ein Musikantentum gefördert wird.
Res severa verum gaudium. Mit Akzent auf “gaudium”
Die meisten Punkte, bis auf den fehlenden finanziellen Rahmen (bei unserem Verein), kann ich voll und ganz unterschreiben.
Hier in einer Großstadt (Frankfurt/Main) führe ich das meiste auf ein Überangebot an anderen Aktivitäten zurück. Die jungen Leute wissen gar nicht, was sie alles auf einmal machen sollen.
Das Erlernen eines Instruments, das ja am Anfang mit recht viel Mühe und Zeitaufwand verbunden ist, fällt dann aus Gründen der Bequemlichkeit einfach raus.
ich bin ein wenig verärgert, wie eure Einstellung zu unserer Jugend ist. Ich weis das es nicht immer leicht ist, aber ich bin voll davon überzeugt, dass Junge Menschen mitreden, mitgestalten und ihre Ideen einbringen wollen. Wir müssen sie nur zulassen. Ich arbeite schon sehr lange ehrenamtlich im Musikwesen mit und stelle immer wieder fest, dass nicht die Jugend das Problem ist.
– Wie sieht es mit uns selbst aus
– Welches Vorbild sind wir gegenüber unserer Jugend
– Welchen Stellenwert hat für mich die Gemeinschaft, der Probebesuch,
– ….
Ich hoffe euch nicht mit meinem Kommentar beleidigt oder angegriffen zu haben, aber ich finde, wir sollen, wo immer es die Gelegenheit gibt, auf unsere Jugend zugehen, sie ansprechen und ihre andere Meinung und Ansichten respektieren, wertschätzen und somit ihnen die Möglichkeit geben ihre Ideen zu verwirklichen und umzusetzen. Wir sollten eines nicht da bei vergessen, dass wir immer wenn gewünscht auch mithelfen.
Freut euch mit der Jugend, lebt euer tun und zeigt es auch, dann wird es auch ankommen