Direkt und herzlich – warum deftige Sprache manchmal die beste Musikpädagogik ist
Ein Gastbeitrag von Mark Baumgartner
Erstveröffentlichung: UNISONO – Magazin des Schweizerischen Blasmusikverbandes

Blasmusik ist vieles: Tradition, Leidenschaft, Dorffest-Highlight, Kulturpflege und soziales Miteinander. Aber vor allem ist sie ein Ort, wo Menschen zusammenkommen, die nicht nur Töne, sondern auch Geschichten, Stimmungen und Emotionen transportieren wollen. Und damit das funktioniert, braucht es nicht nur präzise Dirigate und ausgeklügelte Probenpläne, sondern vor allem eines: die richtige Sprache.
Dirigent:innen haben viele Aufgaben: Musikalische Leitung, Probenplanung, Motivation, Vermittlung von Technik und Interpretation. Doch oft wird unterschätzt, welche Kraft in der Sprache liegt. Ein gut platzierter, humorvoll-derber Spruch kann Wunder wirken – viel mehr als ein trockenes „bitte lauter ab Takt 28“.
Denn Sprache ist in der Musikprobe wie ein Instrument selbst – und da reicht es nicht immer, freundlich um mehr Dynamik oder etwas präzisere Artikulation zu bitten. Manchmal braucht’s einen kernigen Spruch, einen liebevoll-derben Kommentar oder ein deftiges Lob, das zwischen Notenständern und Posaunentrichtern wie ein warmer Windstoss wirkt.
Warum wir kernige Sprüche lieben
Was ist es, das uns an solchen Sprüchen fasziniert? Ganz einfach: Sie sind ehrlich, direkt und bleiben hängen. In einer Zeit, in der vieles weichgespült und vorsichtig formuliert wird, hat ein sympathisch-deftiger Satz eine ganz eigene Qualität. Er zeigt, dass man sich kennt, dass man sich etwas sagen darf — und dass es in dieser Runde nicht um gekünstelte Höflichkeit geht, sondern ums gemeinsame Musizieren.
Man erinnert sich oft jahrelang an solche Momente. An den Dirigenten, der einst meinte: „So schlapp wie das Wienerli im lauwarmen Wasser.“ Oder an die Euphorie, als jemand nach einer geglückten Tuttistelle begeistert rief: „Lago mio, das war ein Brett!“ Solche Sätze sind keine Beleidigung, sondern liebevolle Aufforderung und Anerkennung zugleich.
Von Bierlaune bis Probenpsychologie
Natürlich hat das alles auch mit Gruppendynamik zu tun. In der Blasmusik gibt’s Hierarchien, Register-Egos, Proben-Erschöpfung und Tagesform. Und manchmal hilft dann kein noch so wohlgemeinter Appell an die Disziplin, sondern nur ein Satz, der die Synapsen wieder wachrüttelt.
Wenn ein Satz wie „So schal war zuletzt nur der Weisswein beim Sommernachtsfest, der drei Stunden in der Sonne stand.“ durch den Raum geht, löst das nicht nur Gelächter aus, sondern auch eine kleine Befreiung. Der Druck fällt ab, man spielt befreiter, der Groove kommt zurück.
Lob muss nicht immer sanft klingen
Ein oft unterschätztes Thema dabei: Lob. Und auch das darf und soll mal derb sein. Ein „Ganz ordentlich gemacht“ motiviert niemanden. Ein „Jetzt habt ihr so Druck drauf, dass selbst der alte Vereinswimpel wackelt“ hingegen schon. Denn Blasmusik lebt nicht von neutralem Wohlgefallen, sondern von emotionalen Höhepunkten.
So entsteht ein eigener Sprachstil, eine Kultur des liebevollen Neckens und rustikalen Lobens, die die Proben lebendig macht. Und das hat auch einen psychologischen Effekt: Deftiges Lob wirkt glaubwürdiger, weil es ungefiltert kommt. Es sagt: „Du hast richtig geliefert – und das feiern wir jetzt auch mit einem Spruch, an den du dich erinnerst.“
Die Bedeutung des richtigen Timings
Eine kraftvolle Ansage ist nicht nur eine Frage der Wortwahl, sondern auch des Timings. Der Moment, in dem ein Spruch fällt, ist entscheidend – zu einem ungünstigen Zeitpunkt kann er verpuffen, oder sogar das Gegenteil bewirken. Aber im richtigen Moment, wenn die Spannung im Raum am höchsten ist oder die Motivation fehlt, kann ein gezielter Spruch Wunder wirken.
Denn Sprache muss mit der Musik in Einklang stehen – und in einem Orchester ist es genauso wichtig, den richtigen Moment zum Durchgreifen zu finden wie den richtigen Takt. Wenn die Energie in der Probe nachlässt oder sich ein Unverständnis breitmacht, dann ist der gezielte, humorvolle oder derbe Kommentar genau das, was nötig ist, um die Musiker wieder zu wecken.
Das Timing ist die Kunst, zwischen den Noten und Pausen den richtigen Impuls zu setzen – und das kann bei der Musik genauso wie bei der Kommunikation den Unterschied ausmachen. Der Spruch ist wie ein Takt, der die Musiker zu neuen Höhen anspornt.
Freundlich-derbe Ansagen für Proben mit Charakter
Wenn’s klemmt:
„Wenn ihr da noch weniger Luft reinpustet, saugt euch das Instrument gleich selbst mit ein.“
„Das hat gerade so viel Wucht wie ein Papiertaschentuch im Wind.“
„Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich sagen: Ihr habt heimlich Kamillentee statt Bier im Glas.“
„Also Leute… wenn’s hier noch gemütlicher wird, machen wir gleich Strickkurs statt Musikprobe.“
„Das klingt wie eine Geburtstagsparty ohne Kuchen – alles da, aber nix los.“
„Das war gerade so präzise wie ein Angeheiterter mit Dartpfeilen — weit weg vom Ziel, aber mit viel Hoffnung.“
„Ich hab schon Motorsägen gehört, die schöner geschnurrt haben als das hier.“
Wenn’s kracht:
„Jetzt habt ihr so Druck drauf, dass selbst der alte Vereinswimpel an der Wand zu vibrieren anfängt.“
„Genau so! Da wird selbst der bärtige Typ vom Posaunenregister feucht in den Augen.“
„Wenn ihr so weitermacht, machen wir euch einen eigenen Fanclub im Dorf — mit Vereinsfahne und Freibier.“
„Das sitzt so gut, da fallen sogar die Notenblätter vor Schreck vom Pult.“
„Lago mio, das war ein Brett! Da hätten selbst die alten Römer im Amphitheater applaudiert.“
„Das sitzt so perfekt, da würden sich selbst die besten Orchestermusiker im Konzertsaal die Ohren spitzen.“
„Das klingt so intensiv, da könnte man meinen, die Musik selbst applaudiert euch.“
Ein bisschen Geschichte dazu
Übrigens: Diese Tradition der derben Probenansagen hat Wurzeln. Bereits Militärkapellen im 19. Jahrhundert kannten Kommandanten, die zwischen strenger Disziplin und rustikalen Sprüchen schwankten. Auch in alten Protokollen von Dorfmusikversammlungen tauchen Formulierungen auf wie „Die dritte Stimme soll gefälligst lärmen, wie wenn das Schwein durchs Maisfeld rennt.“
Sprache prägt Blasmusik, und genau das macht ihren Charme aus. Ein Orchester, das nur brav probt, klingt auch brav. Eines, das lacht, sich neckt und mit kernigen Worten motiviert, hat Charakter — und genau das wollen wir hören.
Fazit
Sprache ist wie ein gutes Ventil: Sie lässt Emotionen raus, motiviert und baut Brücken. Blasmusik darf kernig, laut-leise und ehrlich sein — und manchmal braucht’s dafür eben auch einen Satz, den man besser nicht zwingend bei der Generalversammlung wiederholt, der aber garantiert die nächste Tuttistelle rettet.

Herzlichen Dank lieber Mark Baumgartner für diesen Gast-Beitrag!
Mark Baumgartner ist Dirigent der Stadtmusik Solothurn, Schweiz und Marketing-Verantwortlicher für das Eidgenössische Musikfest 2026 in Biel/Bienne.



