Über den Anfang und die Einspielphase einer Musikprobe – Teil 6
In der vorletzten Ausgabe dieser beliebten Serie berichten Joachim Pfläging und Philip Steffe von ihren Einspiel-Methoden.
Joachim Pfläging
Joachim Pfläging ist studierter Hornist und hat in diesem Jahr sein Dirigierstudium (DAS) an der Musikhochschule in Zürich mit Auszeichnung absolviert. Er leitet noch bis Ende Januar 2019 die Concertband Hohenheim und ab November 2018 das Blasorchester Gebenstorf (CH). In der Stadtmusik Wehr ist er für das Ausbildungsorchester zuständig und er unterrichtet Horn an der Jugendmusikschule Bad Säckingen.
How to train your (ban)dragon
Warm-ups? Einspielen? – Die ersten 10 Minuten der Probe!
“Gemäß dem pädagogischen 3-Schritt : „wecken – üben – reflektieren“ ist für mich die erste Phase der Probe, also das „Wecken“ (Moin, moin, alle da??) der wichtigste Teil der Probe. Dieser gestaltet sich natürlich dramatisch unterschiedlich, je nach dem vor welcher Art Orchester ich stehe. Die Funktion des Weckens ist aber immer die gleiche.
Meine vor Energie überquellenden „Nachos“ (Nachwuchsorchester der Stadtmusik Wehr, Anm. der Redaktion) muss ich meistens zunächst mal einfangen und in eine Art konzentrierte Spannung bringen. In der Stadtmusik hieß es mehr „Woche raus aus dem Hirn, Probe rein…“ (Freitagabend Probe, der Energielevel der Musiker ging gerade gen Wochenende, meiner ging gerade gen Probe….) Die Concertband braucht zu Beginn des Semesters immer %ual mehr Einspielen als gegen Ende, da wir immer zu Semesterbeginn auch Besetzungswechsel haben und aus diesen bis zu 80 Individuen erst wieder ein Orchester werden muss. Die Profis aus Bulgarien brauchen eigentlich gar kein Einspielen, obwohl auch da ein „Wecken“ morgens um 09:30 meistens ganz sinnvoll wäre J.
Warm-ups (Einspielen) heißt für mich, x Individuen zu einem Orchester zu zusammenzufügen und Probenkonzentration einzustellen. Alles in Allem sollte dieser Teil der Probe nicht länger als 10 Minuten gehen.
Stimmen ist für mich nicht Teil der Warm-Ups!
Soweit die Grundüberlegungen. Nun aber „Butter bei die Fische“.
Hier einige bewährte Möglichkeiten Zusammenspiel, Rhythmus, Aufmerksamkeit, Hören und Konzentration zu wecken:
Blasen nach Zahlen
Man nehme eine Tonleiter (ja, wegen mir beim ersten Mal auch Bb-Dur) und versehe jeden Ton Mit einer Zahl (Bb=1, C=2, usw) Danach zeige ich Zahlen und die Musiker spielen den dazugehörigen Ton. Danach ein Lied in Zahlen, z.B. Hänschen klein 5, 3, 3, 4, 2, 2, 1, 2, 3, 4, 5, 5, 5, usw. Der eigenen Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt.
Dasselbe Prinzip nutzt Stephen Mellilo mit seinen „Function Chorales“ (im Folgenden „FC“) in akkordischer und kandenzierender Weise. Es fängt ganz einfach auf einer Tonleiter an und endet mit sehr interessanten chromatischen Wendungen (dann auch mit 3-, 7-, 4, usw) Hervorragend für langfristige Arbeit und in allen Tonarten möglich.
Natürlich kann und sollte man diese Tonleitern, Lieder, oder FC auch singen lassen. Klingt lustig am Anfang, aber dranbleiben lohnt sich. Der Erfolg mit sauberer Intonation, Luftführung und auch Klangqualität stellt sich ein… Sicher!
Einer vor alle nach
(Hervorragend für leicht verkaterte Sonntagmorgen-vor-10-Uhr-Proben)
Alle Musiker stehen auf, einer spielt irgendeinen Ton und alle anderen hören zu und versuchen ihn in ihrer Oktave nachzuspielen. Wer ihn hat setzt sich hin. Wenn alle sitzen spielen alle diesen Ton, singen ihn und spielen ihn wieder. Dann das Gleiche wieder mit einem anderen Musiker und anderem Ton (aber immer mit aufstehen!).
Nach ca. 5 Tönen kann man dann sagen: ok, alle Ton 1, dann Ton 3, dann 2 und 4 zusammen, usw….. viel Spaß beim Ausprobieren.
(Geht bei fortgeschrittener Übung auch mit 2-3 Tönen pro Musiker)
Build a groove
Entweder auf Tonleiter im Kanon, oder auf einfacher Kadenz (s. Blasen nach Zahlen: 1, 3, 5, dann 1, 4, 6, dann 2, 4, 5, dann 1, 3, 5)
Bass-Instrumente mit 4 Vierteln, Tenor und Alt mit 8 Achtel, Sopran mit 16 Sechzehntel. Schlagwerk im 16 Beat dazu… Achten auf Balance, gleiche Artikulation, Lockerheit und Präzision; gibt einen coolen Groove, funktioniert auch im Swing und mit anderen Rhythmen. Auch mal umgedreht machen (Bässe 16tel) oder in jeder Gruppe alle Rhythmen. Auch hier sind die Varianten zahllos.
Augen zu und durch
Folgende Übung funktioniert sehr gut mit geschlossenen Augen!
Sollte man aber zuerst mit offenen Augen machen, damit das Prinzip verinnerlicht wird.
Und nicht alles auf einmal versuchen! Um den Sinn der Übung nachhaltig zu verankern braucht es kleine Schritte, angemessene Zeit, viel Geduld, und positive Verstärkung.
Ansage: Hört genau hin!
Instrument ansetzen, Augen zu (unbedingt in dieser Reihenfolge, damit keine Verletzungen passieren J, z.B. Oboenrohr versehentlich im Auge gelandet)
Level 1: Zusammen einatmen (Natürlich atme ich besonders bewusst ein) zusammen einen Ton spielen, zuhören und nach 5-6 Sekunden Augen auf und den Ton gemeinsam beenden.
Level 2: Den Ton auch mit geschlossenen Augen zusammen beenden. Ansage vorher: nach ca. 5-6 Sekunden zusammen aufhören. Hört genau hin! Sobald sich der Klang ändert einfach aufhören. (Braucht manchmal viele Versuche über Wochen, geht aber. Kann man auch mal mitten in die Probe einstreuen, sorgt außerdem für Ruhe.)
Level 3: Ein Stimmton wird von allen gespielt, dann gesungen, dann wieder gespielt. (Ja, auch das mit geschlossenen Augen. Ansage vorher: Ich atme im Tempo einer Viertelnote ein, dann wechselt ihr in Halben)
Dann ½ Ton tiefer und zurück, 1 Ton tiefer und zurück, kleine Terz tiefer und zurück, soweit abwärts, wie man möchte. Entweder kann man die ganze Sequenz jetzt rhythmisch „veredeln“ oder das Orchester spielt den Stimmton und singt die wechselnden Töne (und umgekehrt).
Level 4-x: Das Ganze auch von einem Dreiklang aus.
Mal ganz anders beginnen…..
z.B. Gehörschulung
– Blechbläser nur auf dem Mundstück „stimmen“ lassen (buzzing)
– Flöten nur auf dem Kopf, spielen und stimmen lassen (Finger raus und rein ändert Tonhöhe
– Klarinetten/Saxes nur auf Mundstück und Birne „stimmen“ lassen. (s. Flöte)
Rhythmus und Körpergefühl
Die Füße klopfen Viertel, die Hände dazu auf den Oberschenkeln Achtelnoten (M. Stecher, Bronzebuch). Beide Seiten, nur links, nur rechts, rechter Fuß, linke Hand, umgekehrt, Arme überkreuz, usw……verknüpft rechte und linke Hirnhälfte.
Oder mal mit einfachen Bodypercussion starten. Alle-noten.de oder die gängigen Musikverlage helfen da gerne bei der Suche.
Der typische Choral
Ja, warum nicht, mache ich auch gerne. Aber um alle auf volle Aufmerksamkeit zu bekommen, warum nicht zuerst normal und dann von hinten nach vorne in langsamerem Tempo? Auch da kann man phrasieren, artikulieren, balancieren und stimmen. Oder im ersten Durchlauf komplett, danach ohne die erste Zählzeit, dann ohne die erste und zweite, ……
Auf dem Markt gibt es eine Vielzahl von Einspielwerken aus den unterschiedlichsten Ländern und alle sind gut! Wichtig ist nur, was man damit macht. Ein gutes Werk zu haben und zu spielen heißt noch lange nicht, dass das Orchester besser wird. Wir müssen damit auch gut arbeiten.
Ich versuche darauf zu achten, dass ich sehr selten 3 Proben hintereinander gleich beginne, sodass jeder (auch ich) schon zu Beginn der Probe aufpassen sollte. Auch hier ist das Maß der Kreativität und der Langfristigkeit natürlich sehr sensibel mit den Vereinsstrukturen abzugleichen. Nur etwas Anderes machen, damit etwas Anderes gemacht ist, bringt auch nix, und jedes Orchester hat andere Bedürfnisse.
Manchmal fange ich auch direkt, ohne Warm-Ups und Stimmen mit einem Stück an. Stimmen folgt dann später, oder in der ersten Probenphase und rhythmische Sachen werden an der Literatur geübt.
In den ersten 10 Minuten der Probe können wir zwanglos kreativ sein, danach arbeiten auch wir an der Literatur und da ergeben sich zwangsläufig Wiederholungen bei dem, was wir machen.
Auch und gerade beim Einspielen gilt für mich der Satz:
„Die Angst davor, zu weit zu gehen, hindert uns oft daran, weit genug zu gehen“
Let´s try and have fun…….
Selbstverständlich stehe ich auch für einen Praxis-Workshop “warm-ups” (How to train your (ban)dragon) gerne zu Verfügung.”
Liebe Grüße
Joachim Pfläging
Philip Steffe
Philip Steffe ist Dirigent der Trachtenkapelle St. Ulrich und Musik-Vorstand der Schwarzwaldkapelle Münstertal.
„Gerne gebe ich einen kleinen Einblick in meine Überlegungen, wenn es um die Planung meiner Proben-Einstiege geht: Ich habe über die vergangenen Jahre meiner Dirigiertätigkeiten bei Blasorchestern die Überzeugung gewonnen, dass ein gelungener Probeneinstieg „meist“ der Schlüssel für eine erfolgreiche Probe ist – in vielerlei Hinsicht – von der Musikermotivation bis hin zum musikalischen Ergebnis der Probe. Umgekehrt ist es äußerst schwierig, eine Probe mit einem holprigen Einstieg wieder komplett in die Spur zu bringen. Ich achte besonders darauf, dass nicht mehrere Proben hintereinander mit derselben Übung beginnen, damit sich in diesem Bereich keine Routine einschleicht, was auf Dauer motivationsraubend für den weiteren Probenverlauf ist.
Eine Auflistung meiner Probeneinstiegs-Methoden würde auf den ersten Blick möglicherweise den Anschein eines fehlenden roten Fadens über die vielen Proben hinweg machen, da sie sich oft nicht gleichen. Beispielsweise folgt auf einen Probeneinstieg mit einem Choral in der folgenden Probe eine Gesangsübung oder gar eine völlig unkonventionelle Übung, die für den Musiker in der Regel unerwartet kommt – der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt – Stichworte „rückwärts spielen“, „Einzelnoten auslassen“, „taktweiser Registerwechsel“ , „nur Frauen“, „Ü50+U50 im Kanon“, „Kanon aus einem ganz normalen Choral/Stück“ etc.
Gerne kombiniere ich auch Bläserübungen mit Gesangspassagen, damit das Gehör wachgerüttelt wird. Seit Herausgabe des neuen Gotteslobes eignet sich auch dieses ganz wunderbar, um hieraus einzelne Lieder beim Einspielen unterjährig musikalisch zu erproben, mit dem positiven Nebeneffekt, dass man sich für kirchliche Anlässe gleich ein gewisses Repertoire erarbeiten kann.
Ich denke aber, dass genau dieser Wechsel von Einstiegsmethoden meinen roten Faden dahingehend darstellt, wobei man gleichzeitig aufpassen muss, dass der ständige Wechsel selbst nicht zur Eintönigkeit wird, denn auch ein konventioneller Probeeinstieg will gekonnt und gelernt sein, gerade in der heutigen Zeit, wo unserer Gesellschaft allzu oft die passive Bespaßung von außen als Mittel zur Konzentration dargestellt wird – ich denke die gesunde Mischung macht’s.
Es geht mir in erster Linie nicht nur um die besten oder neuesten Einstiegsmethoden und es müssen bei meinen Probenanfängen nicht immer spezielle Übungen stehen. Oft beginne ich mehrere Proben hintereinander direkt am Werk – möglichst mit Tutti-Passagen, die technisch nicht allzu schwer sind, damit man sich bläserisch zu Beginn nicht gleich völlig verausgabt – bei Allem geht es mir darum in einer angemessenen, nicht allzu langer Zeit, ein gutes musikalisches Ergebnis zu erreichen.
Mir ist es wichtig gerade beim Einspielen nicht nachlässig zu werden; lieber konzentriere ich mich beim Einspielen auf ein paar sehr wenige Takte und versuche diese so akribisch wie möglich zu proben, sodass sich beim Musiker für den weiteren Probenverlauf diese Klangvorstellung als „Zielklang“ in den Köpfen besser verankern kann – das kostet unter Umständen mehr Zeit als geplant, lohnt sich aber in den meisten Fällen, gerade im Hinblick auf den gerade angesprochenen Zielklang. Dann muss ich bei Zeitmangel während dem Hauptteil der Probe die eine oder andere Stelle gegebenenfalls nur „grob“ proben, wenn diese noch nicht gleich in vollem Umfang „funktionieren“ sollte, weil ich davon ausgehen kann, dass die Musiker dann (meistens) wissen, was sie tun müssen, um den Fehler zu korrigieren.
Ich versuche meiner Fantasie bei den Probeneinstiegen recht viel freien Lauf zu lassen, dies gelingt natürlich nicht immer, aber gepaart mit konventionellen Methoden der klassischen Schule, halten die meisten Musiker auch diese manchmal vielleicht eher sonderbar anmutenden Methoden gut aus.“
Viele Grüße,
Philip Steffe
Herzlichen Dank an Joachim Pfläging und Philip Steffe für ihre Mitarbeit an dieser Serie und ihre Einspiel-Methoden. Im nächsten und zugleich letzten Teil dieser Serie kommen die beiden Dirigenten Mathias Wehr und Wolfgang Wössner zu Wort.
Teil 1 – Joop Boerstoel und Stéphane Dellay
Teil 2 – Franco Hänle
Teil 3 – Marianne Halder und Dominik M. Koch
Teil 4 – Jochen Lorenz und Michael Meininger
Teil 5 – Gunnar Merkert und Alois Papst
Teil 6 – Joachim Pfläging und Philip Steffe
Teil 7 – Mathias Wehr und Wolfgang Wössner
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