Windrichtung – Kompositionskurs mit Ferrer Ferran: Marktoberdorf die Zweite!
Ein Gastbeitrag von Dominik Wagner
Zum vierten Mal nahm ich bereits am Kompositionskurs in Marktoberdorf teil und war wie jedes Jahr voller Spannung was mich diesmal erwartet. Voller Vorfreude auf eine Woche Blasorchester pur, das Wiedersehen und den Austausch mit den regelmäßig kommenden Kollegen, das kennenlernen der “Neuen”, die Klangprobe mit einem vollbesetzten, super Orchester, das ganze Drumherum natürlich und für mich auch ganz wichtig, die Möglichkeit eine Woche fokussiert zu schreiben, auszuprobieren und an meinen Stücken zu feilen oder neue Ideen auszuarbeiten.
Und dann natürlich die Vorfreude auf den Dozenten. Nach Marco Pütz, Guy Woolfenden und Bert Appermont in diesem Jahr nun Ferrer Ferran.
Ich kam frei und offen, unvoreingenommen und ohne direkte Erwartungshaltung an den Kurs, auch Ferrans Werke waren mir zuvor eher flüchtig bekannt (was sich aber rasch ändern sollte). Die bisherigen Kurse fielen sehr unterschiedlich aus, da doch jeder Komponist natürlich anders ist und in Verbindung mit den parallel stattfindenden Orchesterproben den Kompositionskurs unterschiedlich gestaltet. Auch die Kursteilnehmer könnten verschiedener kaum sein, von den sinfonischen Erstversuchen eines “Laienkomponisten”, bis zu schon professionell arbeitenden Komponisten mit langjähriger Erfahrung ist alles vertreten, sowie verschiedene musikalische Backgrounds, von volkstümlicher Blasmusik, Jazz, bis hin zur klassischen Sinfonik. Das erschwert natürlich die Arbeit des Dozenten, da jeder ja auch etwas aus diesem Kurs mitnehmen sollte.
Schnell wurde jedoch klar, das Ferrer Ferran ein wunderbar ausgearbeitetes Konzept mitbrachte, welches sich durch die Woche ziehen sollte und jeden Teilnehmer mitnahm und weiterführte, unabhängig von seinem jeweiligen Kenntnisstand. Daneben blieb ausreichend Zeit zur Analyse der von den Kursteilnehmern mitgebrachten Werke oder Skizzen. Die anfängliche Sprachbarriere wurde schnell durch die Spanischkenntnisse eines Teilnehmers überwunden und durch seine offene und herzliche Art entwickelte sich schnell eine freundschaftliche Arbeitsatmosphäre.
Die einzelnen Unterrichtseinheiten (ca. 3-4 Stunden täglich, abhängig von den Orchesterproben) waren unter folgenden Schwerpunkten aufgeteilt:
- Formaler Aufbau eines Werkes
- Motivische Arbeit (von der ersten Idee/Melodie zum Stück)
- Orchestration (dies als Schwerpunkt, da das wichtigste Thema für jeden)
- Harmonik
- Moderne Kompositionstechniken/Textur
Zu allen Themen dienten seine eigenen Werke als Anschauungsmaterial, so begannen wir als erstes mit einer Analyse seiner 2. Sinfonie „La Passio de Christ“. Dabei gab er uns Einblicke in seine Arbeitsweise als Komponist und die verschiedenen kompositorischen Arbeitsprozesse bis zur Fertigstellung mit Schwerpunkt auf seinen beiden Hauptthemen und deren Entwicklung.
Eine Sonatenhauptsatzform, die formale Urform klassischer Musik, liegt verborgen hinter dem Notenbild. Sie ist immer noch wichtiger formaler Bestandteil in seinen Werken, allerdings unter dem kompositorischen Anspruch beim Hören als solche nicht erkennbar zu sein. Dies erreicht er hauptsächlich durch die Art und Weise, wie er seine Melodien auf verschiedenen Ebenen weiterentwickelt und variiert.
Wie ein offenes Buch erzählt er von seiner Arbeit. Eine Grenze zu seinem privaten Arbeitsprozess, einem quasi „Betriebsgeheimnis“, das für viele Komponisten wichtig ist, kennt er nicht. So erhalten wir sogar Einsicht in Skizzenblöcke seiner momentanen Arbeit, die sich während unserer Zeit in Marktoberdorf, weiter füllten, da er neben Workshop und Orchesterproben immer noch Zeit zum Komponieren fand. Viel passiert dabei aber auch in seinem Kopf: Eine zwei- bis drei- monatige Reifezeit im Kopf gibt er an, bevor er sich ans Aufschreiben macht.
Zum Schluss der ersten Vorlesung war dann Mut gefragt. Er wollte Einblick in unsere Arbeit haben. Es hat etwas von Hosen runterlassen, einem Meister wie ihm, dazu noch mit (noch) unbekannten Leuten in der Runde, seine (stellenweise noch unfertige) Arbeit zu präsentieren und selbst mir, der inzwischen schon einige Aufführungen eigener Werk erleben durfte, fällt es anfangs nicht leicht, einfach so aufzustehen und seine Sachen vorzulegen. Doch darum geht man ja auch an solch einen Kurs, man wünscht sich eine neutrale Betrachtung, Tipps und Anregungen durch den Dozenten, aber auch durch die Kurskollegen. Ich stellte mein zuvor vom Kreisverbandsorchester Stuttgart uraufgeführtes Werk „The Big Rush“ vor, eine Vertonung des Goldrausches in Klondike 1897. Als bereits aufgeführtes Werk, bedarf es dennoch einer Nachbesserung und ich war sehr gespannt welche Anregungen und Vorschläge er für mich hatte. So diente mein Werk gleich als Paradebeispiel für Orchestrierung und Instrumentation. Dies ist sicherlich einer der wichtigsten Punkte in der Orchesterkomposition, denn: „Man kann die schönste aller Melodien schreiben, aber wenn man sie schlecht orchestriert, klingt sie auch schlecht. Eine einfältige, langweilige Melodie hingegen kann bei einer guten Orchestration wunderbar klingen und das Publikum berühren.“
So fand er bei unseren Werken oft das Problem einer „Überorchestration“. Mit einer mehrstimmig ausgesetzten Melodie, einem Kontrapunkt, einer harmonischen Begleitebene in verschiedenen rhythmischen Patterns und dann noch irgendwas, wird es einfach zu viel und die Musik wird durch die Masse herum erschlagen. Hier gab es gute Tipps, vor allem auch zum Thema „Verzichten“, aber auch zum „Ausdünnen“, da es vielen auch schwerfällt den kompletten Orchesterapparat gut sein zu lassen und sich auf wenige Instrumente zu beschränken. Den Vergleich zum Holzbläserquintett und den verschiedenen Aufgaben und Funktionen der darin vorkommenden Instrumente war ein guter Vergleich und hat vieles nachvollziehbarer gemacht. Auch die Betrachtung seines Posaunenkonzerts „Te Bon e Paiporta“ gab großen Einblick in seine Art der Orchestration. Dieses Werk wurde ursprünglich nur für Klavierbegleitung geschrieben und erst nachträglich für Blasorchester bearbeitet. Den Sprung von der Klavierstimme zur Orchesterpartitur durch das Notenmaterial nachvollziehen zu können war hierbei sehr aufschlussreich.
Auch beim Betrachten der Werke der Kollegen ergaben sich viele Parallelen und überschneidende Themen. Das gegenseitige Betrachten der Stücke der Kollegen und der freundschaftliche Austausch ohne Neid und Konkurrenzdenken, ist dabei genauso bereichernd wie die Arbeit mit dem Dozenten.
Neben dem Unterricht bleibt für die Kursteilnehmer viel freie Zeit. Diese wird hauptsächlich zum eigenständigen Schreiben genutzt. In den Vorjahren entstanden bei mir sogar komplette Werke, da ich oft Tag und Nacht nur geschrieben habe. Ausgenommen ein paar nächtliche Ausflüge in den Bierkeller 🙂 oder durch inspirierende Spaziergänge durch die Region. Sehr spannend ist auch das Hospitieren bei der Probearbeit. Wann sieht man schon einen solchen Komponisten auch sein Werk selbst dirigieren und mit dem Orchester einstudieren? Der Mangel an Schlagzeugern dieses Jahr kam mir daher wie gerufen, so durfte ich als Schlagzeuger einerseits beim Orchester mitwirken, zum anderen hautnah Ferrer Ferran bei der Probenarbeit beobachten, welches mich als frisch absolvierten Master-Blasorchesterleitung sehr bereicherte und inspirierte.
Am Ende des Kompositionskurses steht die Klangprobe, der Höhepunkt der Woche. Hier darf jeder Kursteilnehmer seine mitgebrachten Stücke, Skizzen, Entwürfe, Ideen, dem Orchester vorlegen und einfach ausprobieren. Ein Live-Mitschnitt ermöglicht zusätzlich das mit nach Hause nehmen und immer wieder anhören können. Auch für das Orchester ist dieser Part sehr interessant, hat man sich doch über die Woche bereits gegenseitig kennengelernt und ist nun ganz gespannt was die Komponisten so mitgebracht oder verbrochen 😉 haben. Bei mir als „Wiederholungstäter“ zudem auch das Interesse der Musiker, die mich auch schon seit einiger Zeit kennen, wie ich mich kompositorisch weiterentwickelt habe und was für neue Ideen ich hatte.
Man hört vor allem gleich die unterschiedlichen Sprachen der Komponisten. Jeder hat einen anderen musikalischen Background und Bezug zum Schreiben. Die Werke bei der Klangprobe zeigten dies ganz deutlich. Vergleichbares oder ähnliches gab es nicht, das machte es auch fürs Orchester spannend nicht zu wissen was gleich erklingen wird. Von einer traditionellen Polka, den ersten Entwürfen einer vertonten Schwarzwaldwanderung bis hin zu barocken Harmoniekonzepten, war vieles geboten. Auch aus Dirigats-Sicht interessant, da die Stücke von einem selbst oder den Kurskollegen dirigiert werden konnten. Man hat nicht oft die Möglichkeit ein solch großes Orchester mit seiner eigenen Musik zu dirigieren, wobei man aber auch gerne im Publikum sitzt um auf alles hören zu können.
Für mich persönlich war die Klangprobe dieses Jahr wieder ein sehr schönes Erlebnis.
Diverse von Ferrer Ferran empfohlene Änderungsvorschläge zu „The Big Rush“ brachten mich näher an das von mir vorgestellte Klangresultat. Ein ausführliches Proben war leider aufgrund der Zeit nicht möglich. Dazu hörte ich auch zum ersten Mal mein neustes Stück „Lied ohne Worte“ von einem richtigen Orchester gespielt (eine nette Abwechslung zu den schrecklichen MIDI Sounds meines Computers), welches ich mit den Klangerlebnissen der Klangprobe nun nochmal ausfeilen kann, bevor es dann im Oktober von meinem Projektorchester „Filder Wind Symphony“ uraufgeführt werden soll. Das Feedback des Orchesters war überaus motivierend, mein Eindruck einer positiven Entwicklung meiner Kompositionen und meines Dirigats wurden von vielen bestätigt. Zudem abschließend noch die große Überraschung auf sich warten ließ, als Ferrer Ferran meinen Notensatz von „Lied ohne Worte“ bestellte um es in Spanien aufzuführen. Besser hätte der Kurs für mich nicht enden können.
Ich habe wieder eine wunderbare Zeit verbracht, viele wunderbare nette Leute kennengelernt, alte Freunde wieder getroffen und habe einen wunderbaren Gastkomponisten/-dirigenten kennenlernen dürfen, dessen Menschlichkeit, Herzlichkeit, Freude und Liebe zur Musik mich sehr inspiriert hat und sicher weiterhin begleiten wird.
Dominik Wagner, 12.08.2015
Herzlichen Dank, Dominik, für Deinen ausführlichen Bericht über den Kompositionskurs in Marktoberdorf mit Ferrer Ferran! Wer mehr über Dominik Wagner erfahren will findet seine Website hier.
Sehr schön dieser Einblick und interessant die Schilderung aus Sicht eines Teilnehmers des Komponisten Workshops. Glückwunsch! Da bedarf es wirklich keiner Worte mehr, wenn er dein Stück wollte.