Dirigent im Fokus: Jens Weismantel
„Arbeite immer freundlich aber bestimmt, fordere in einem bestimmten Zeitraum erreichbare Ziele ein, probiere die Musiker aus ihrem Alltag zu holen in eine musikalische Welt.“ Jens Weismantel
Jens Weismantel (aus Oberndorf in Hessen) kenne ich eigentlich schon seit vielen, vielen Jahren. Vielleicht Jahrzehnten. Ich schreibe „eigentlich“, weil ich ihn in Tat und Wahrheit persönlich nur wenige Male getroffen habe und viele Male mit ihm telefoniert habe. Aber wir sind blasmusikalisch gesehen auf einer Linie. Er ist ein Blasmusik-Aktivist wie er in keinem Buche steht – weil es dafür keine Bücher gibt. Ständig hochmotiviert für die Sache, voller kreativer Ideen und leidenschaftlich engagiert. Ein blasmusikalischer Tausendsassa, der Funken entzünden und das Feuer vielen Blasmusikerinnen und Blasmusikern weitergeben kann. Dies zeigt sich immer wieder, vor allem in seinen großen Projekten.
Projekte, wie zum Beispiel Es war einmal…, den Kompositionsauftrag den er im Auftrag der Bläserphilharmonie Rhein-Main an Jan Van der Roost vergeben hat. Kein Konzertwerk Grad 4, 10 Minuten – wie heute die meisten Kompositionsaufträge lauten – nein, nein, viel aufwändiger. Es war einmal…. wurde im Jahr 2013 von der Bläserphilharmonie Rhein-Main zusammen mit einem 140 Köpfe starken Kinderchor plus 6 Schauspielern
unter seiner Leitung uraufgeführt. Es ist ein ca. einstündiges „Singspiel“, das die Märchen Der Goldene Schlüssel, Rotkäppchen, Rumpelstilzchen und Dornröschen in Szene setzt. Diese Uraufführung war auch ausschlaggebend für die Auszeichnung von Jens Weismantel zum Kulturpreisträger des Main-Kinzig-Kreises. (Anmerkung: Das Notenmaterial ist leihweise beim Verlag erhältlich. Die Partitur kann hier bestellt werden.)
Ein weiteres großes Projekt war die Aufführung des Musicals Franziskus von Kurt Gäble. Bei fünf Aufführungen dieses Musicals mit seinem Jugendblasorchester aus Meerholz-Hailer kamen insgesamt 3.500 Zuschauer!
Bei solchen Projekten profitiert er immer wieder von den Synergien zwischen seinem „Brot-Beruf“ als Gymnasiallehrer, also der Schule und seinen Orchestern. Nachdem er von 1996 bis 2004 Geologie studiert hat, hat er sich im Jahr 2004 dazu entschlossen, ein Schulmusikstudium anzuhängen. Das Studium enthielt auch 8 Semester Chorleitung bei Professor Wolfgang Schäfer und 7 Semester Orchesterleitung bei verschiedenen Dozenten in Frankfurt an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Zuvor hat Jens Weismantel, nach den Dirigierkursen der C-Reihe im Landesverband Hessen, den B-Schein bei Jochen Wehner in Leipzig beim damaligen Rundfunkblasorchester Leipzig (heute Sächsische Bläserphilharmonie) absolviert. Nicht zuletzt hat Jens Weismantel bei verschiedenen Projekten auch von Komponisten, die ihre Werke selbst dirigieren, gelernt. Beispielsweise von Thomas Doss, Jan Van der Roost, Rolf Rudin, Otto M. Schwarz und Johan de Meij.
Der Kontakt zu und den Austausch mit Komponisten ist für Jens Weismantel sehr wichtig. Gespräche mit Komponisten verbessern das Verständnis für deren Musik. Er lädt mindestens einmal pro Jahr einen Komponisten als Gastdirigent in einem seiner Orchester ein. Mit Rolf Rudin hat er aktuell den engsten Kontakt, da er nur 20 Minuten von ihm entfernt wohnt. Er trifft sich mit ihm öfters, um über Partituren und die Blasorchester-Szene allgemein zu reden. An Rolf Rudin hat er auch den jüngsten Kompositionsauftrag vergeben: Ein Werk über die Milseburg, einem Berg über der Rhön, in dessen Schatten er selbst schon viele Probenphasen verbracht hat.
Dieses Werk von Rolf Rudin wird vom Landesjugendblasorchester Hessen zum 10-jährigen Jubiläum am 14. Oktober 2017 uraufgeführt. Das Landesjugendblasorchester ist eines der vier Orchester, das Jens neben seinem Job als Gymnasiallehrer dirigiert.
Die Orchester
Den Musikverein Oberndorf dirigiert Jens Weismantel seit 1999. Es ist sein Heimatorchester, der davor schon 20 Jahre von seinem Vater geleitet wurde. Seine ganze Familie spielt in diesem Orchester. Das Repertoire reicht von traditioneller Musik im Sommer bis hin zu originaler, sinfonischer Blasmusik im Winterhalbjahr. An diesem Orchester hängt sein Herz. Besonders ist für ihn, dass von der Kirchenprozession bis zum großen Konzert mit 70 Musikerinnen und Musikern die komplette Bandbreite der Blasmusik abgedeckt wird.
Mit dem Jugendorchester Meerholz-Hailer, das ich oben im Zusammenhang mit dem Franziskus-Musical bereits erwähnt habe, hat er 2004 ein junges, engagiertes Orchester übernommen. Dieses leitet er seit ca. 2 Jahren mit seinem Kollegen Philipp Bräutigam als Tandem. Das Besondere an diesem Orchester sind der Esprit der Musiker und die Tatkraft für besondere Projekte. Eine sehr rührige Vorstandschaft arbeitet in diesem Orchester intensiv an der Weiterentwicklung, was es einem als Dirigent leicht macht, tolle Musikprojekte zu initiieren.
Im Jahr 2007 wurde er vom Arbeitskreis hessischer Musikverbände beauftragt, das Landesjugendblasorchester Hessen zu gründen. Dieses entwickelte er mit seinem Kollegen Prof. Hans Rückert von einem kleinen, 35 Musiker starken Ensemble, welches Mittelstufe spielt, zu einem großen Höchststufenorchester. Das Landesjugendblasorchester probt in 2 Phasen je eine Woche im Herbst und im Frühjahr. Die tollen, jungen Menschen mit ihrer großen Bereitschaft intensiv zu proben, sind eine tolle Bereicherung für Jens Weismantel als Dirigent.
Ins Jahr 2007 fällt auch die Gründung der Bläserphilharmonie Rhein-Main. In diesem Orchester spielen in einem jährlichen Projekt im September jeden Jahres vom ambitionierten Laien bis zum Profi 70 – 80 Musikerinnen und Musiker. Jens Weismantel kann mit diesem Orchester die musikalisch ambitioniertesten Programme verwirklichen.
Die Konzertprogramme
À propos Programme. Ein Konzertprogramm ist für Jens Weismantel dann besonders gelungen, wenn ein musikalisch interessierter Zuhörer, der aus Zufall in das Konzert kam und im Saal und auf der Bühne niemanden kennt, nach dem Konzert sagt, das war ein rundum gelungener Abend. Ebenso gelungen empfindet er es, wenn die Akteure und er selbst als Dirigent nach dem Konzert ein inniges, gutes Gefühl haben und voller Zufriedenheit auf das Erreichte und Erarbeitete zurückblicken. Weiterhin sind begeisterte oder gar gerührte Zuhörer ein gutes Zeichen für ein gelungenes Programm.
Bei der Literaturauswahl arbeitet Jens Weismantel gerne mit Leitfäden in einem Konzert. Die können sehr unterschiedlicher Natur sein. Dabei muß für ihn das Programm an den Leistungsstand des Orchesters, das erwartete Publikum, die pädagogische Weiterentwicklung von Orchester und Publikum und auch an den Geschmack des Dirigenten angepasst sein. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe für ihn wie für alle Dirigenten und gelingt mal mehr, mal weniger gut. Jens steht jedoch hinter den meisten Programmen, die er erstellt hat, noch heute.
Jens Weismantel hat eine deutliche Vorliebe für die Sinfonische Blasmusik. Es gibt verschiedene Werke, die er so tiefgehend empfindet, dass er sie gerne in mehreren Programmen erarbeitet und aufführt. Die unterhaltende und traditionelle Musik ist für ihn so etwas wie ein Brot, das zum täglichen Leben gehört. Die sinfonische Literatur beinhaltet dagegen so manches „Filet“, welches Lust auf mehr macht. Wenn man einmal ein Filet gegessen hat, möchte man dieses Erlebnis gerne öfters haben und probiert vielleicht noch ein besseres Geschmackserlebnis zu erreichen. Das Brot gehört aber auch ständig dazu.
Komponisten, die Jens Weismantel immer wieder einmal auf seine Programme setzt, sind Thomas Doss, Johan de Meij und Jan Van der Roost. Aber immer wieder auch die Werke von Rolf Rudin, weil er findet, dass gerade seine Werke für Blasorchester unglaublich gut klingen, immer Originalität besitzen und damit Orchester, Publikum und Dirigent weiterbringen.
Sein Verständnis von (Blas)Musik, Dirigieren und Proben
Durch sein Elternhaus wurde Jens Weismantel schon sehr früh blasmusikalisch geprägt. Musik ist von jeher allgegenwärtig für ihn. Es vergeht kein Tag, an dem er keine Musik macht. Da sein Vater, wie oben schon erwähnt, das örtliche Blasorchester leitete, war die Verwirklichung innerhalb dieser Besetzungsform naheliegend. Obwohl er mittlerweile auch Chöre und Streicherbesetzungen in Projekten dirigiert, ist er schon immer auf das Blasorchester spezialisiert. Da kennt er sich am besten aus, was Probenmethodik, Probendidaktik, Dirigat und Literaturauswahl betrifft. Eng verknüpft ist dies mit den Begegnungen und der Geselligkeit innerhalb der Orchester. Dies ist im Blasorchesterbereich immer noch sehr intensiv ausgeprägt, womit der soziale Aspekt dabei immer auch eine große Rolle spielt.
Beim Dirigieren und Proben ist ihm Pünktlichkeit und Aufmerksamkeit genauso wichtig wie ein grundsätzlich freundlicher Umgangston. Struktur in der Probenarbeit und ein didaktischer Aufbau über mehrere Wochen helfen auch, eine gute Probenkultur zu erreichen. Für die kleinen Alltags-Probleme in den Orchestern hat er ein gutes Rezept, das bei ihm selbst anfängt: Gutes Vorbild sein und gute Arbeit leisten. Zusätzlich gilt für ihn, in ruhiger Atmosphäre über die Probleme, die anstehen miteinander sprechen. „Wenn der Respekt da ist, passt auch der Rest“, so Jens Weismantel. Natürlich wird es in unserer globaler werdenden Gesellschaft immer schwieriger, Kontinuität zu erreichen, aber es ist für ihn doch möglich.
In seinen Orchestern arbeitet Jens Weismantel überwiegend mit Amateurmusikern. Das Gute für ihn dabei ist, dass die Amateurmusiker meist eine unglaubliche Motivation an den Tag legen, scheinbar Unerreichbares möglich zu machen. Die Arbeit mit Profis geht zwar schneller und das Ergebnis an sich ist hochwertiger, aber der Weg vom Noten austeilen, über Monate hinweg die Partituren zu erarbeiten und auseinander zu nehmen, um dann ein gutes Konzerterlebnis mit einem Amateurorchester zu erreichen, erfüllt ihn mehr mit Glück, als das kurzfristige Arbeiten mit Profimusikern.
Dozent für Dirigieren
Dirigieren zu unterrichten ist momentan seine liebste pädagogische Tätigkeit. Wie bei so vielen Dingen ist auch hier mit Fleiß viel zu erreichen. Der „Begabtere“ muß weniger tun, der „Unbegabtere“ mehr. Parameter die einem Dirigierschüler sehr helfen sind Fähigkeiten im analytischen Hören und eine Begeisterung für Klänge. Koordinative Fähigkeiten, um den Körper und die Mimik gut einsetzen zu können sind zusätzlich sehr wichtig. Der Rest ist intrinsische Motivation und Übung. Beim „Dirigieren“ lernen ist für ihn eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur von Vorteil. Und dann vor allen Dingen „learning by doing“. Einem Musiker / einer Musikerin, der sich für das Dirigieren interessiert, empfiehlt er, vielleicht mit einem Jugendorchester anzufangen und dieses sowohl als Gemeinschaft als auch musikalisch weiter zu entwickeln. Dabei merkt man sehr schnell, ob man ein Händchen dafür hat oder nicht. Das musikalische Verständnis ist für Jens Weismantel ein stetiger Bildungsprozess, der in der Ausbildung gesteuert und im weiteren Leben oft unbewußt beim Hören und Erleben von Musik geschieht. Er selbst hat das Gefühl, dass besonders bei Live-Konzerten immer wieder durch Beobachten und Hören ein Prozess in Gang gesetzt wird, der sein musikalisches Verständnis verändert. So ist es für ihn auch logisch, dass man nie ein „fertiger“ Dirigent sein kann. Musik und damit auch das Dirigieren ist Bildung bis an das Lebensende. Dabei ändern sich zum Beispiel eigener Geschmack, Körperempfinden, Bewegungsfähigkeiten und Kenntnisse der Literatur organisch in einem stetigen Prozess. Es wird nicht schlechter oder besser, es wird anders, vielleicht reichhaltiger.
Jens Weismantel ist sehr froh, dass er sich entschieden hat, ins Gymnasium als Musiklehrer zu gehen. Die Situation für Dirigenten von Blasorchestern ist finanziell gesehen doch eher bescheiden. Ein Verein kann ein professionelles Gehalt im Normalfall nicht bezahlen und er findet es auch bedenklich, wenn ein ganzer Verein Feste organisiert und das ganze Jahr arbeitet, nur um eine Dirigentin bzw. einen Dirigenten zu bezahlen. Er denkt, dass es in den Laienorchestern vermutlich nicht zu ändern ist. Schade findet er, dass es so wenige Orchester im Profibereich gibt und unsere Besetzungsform einen so schlechten Ruf in Sachen Seriosität etwa im Vergleich zum Sinfonieorchester hat. Seine Bläserphilharmonie Rhein Main kann nur existieren, weil kein Musiker und auch er selbst als Dirigent kein Gehalt bekommt und das alles nur aus purer Freude an der Musik machen. Die Eintrittsgelder der Blasorchesterszene reichen für professionelle Hallen und eine tolle Übertragungstechnik plus ein Bezahlen der Musiker leider nicht aus. Die Förderung durch die öffentliche Hand ist bei uns auch noch nicht angekommen und das wird sich seiner Meinung nach in nächster Zeit auch nicht ändern. Somit lebt die Sinfonische Blasmusik der Höchststufe meist von Idealisten.
Seine nächsten Projekte
Diesen Herbst stehen für Jens Weismantel wieder zwei große blasmusikalische Projekte an: Am 23. September ein großes Galakonzert der Bläserphilharmonie Rhein Main in Hanau im großartigen Paul-Hindemith-Saal. Gespielt wird eine Transkription der Planeten von Gustav Holst und die 3. Sinfonie „Planet Earth“ von Johan de Meij. Mit sechsstimmigem Frauenchor und einer von einer Oboistin aus dem Orchester entworfenen Illumination der Musik, wird dieser Abend bestimmt sehr beeindruckend.
Das zweite Projekt habe ich oben schon erwähnt: Das Landesjugendblasorchester Hessen feiert am 14. Oktober seinen 10. Geburtstag in der Orangerie in Fulda und führt dort die Auftragskomposition des Orchesters an Rolf Rudin auf.
Wir können sicher sein, dass es auch in Zukunft viele großartige blasmusikalische Projekte in Hessen mit Weismantel’scher Handschrift geben wird. So wie ich Jens Weismantel kenne: ganz bestimmt!
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