Donnerstag, November 21, 2024
MusiklebenWettbewerbe

Ernst Oestreicher zum 6. Deutschen Orchesterwettbewerb in Ulm

Der Deutsche Orchesterwettbewerb 2016 aus der Sicht eines Jurors Teil II

Ein Gastbeitrag von Ernst Oestreicher

“Nachdem ich mich vor dem Wettbewerb auf Wunsch von Alexandra Link schon aus der Sicht eines Jurors zum DOW geäußert hatte, möchte ich nun nach Abschluss zum Wettbewerb selbst zu den Kommentaren Stellung nehmen, die von mehreren beteiligten Dirigenten, aber auch interessierten Zuhörern hier zu lesen waren.

Da ich ja als Vorsitzender der zeitgleich stattfindenden B2-Kategorie Jugendblasorchester ans Congresszentrum Ulm gebunden war, kann ich zur Kategorie B1 nur das beisteuern, was ich ebenfalls nur so nebenbei mitbekommen habe.

Ich möchte zunächst allen Orchestern herzlich gratulieren zu Ihrem großartigen Erfolg in beiden Kategorien. Alle Orchester mussten sich ja einen mehr oder weniger spannenden Vorentscheid auf Landesebene stellen, in manchen Ländern waren hier vier und mehr Orchester in den einzelnen Kategorien, in anderen Ländern gab es nur ein Orchester, das sich dem LW gestellt hat. Dementsprechend haben wir in Deutschland unterschiedliche regionale Kumulationen von Leistungsträgern bei den Orchestern. Dies ist eine wichtige Feststellung, denn gerade bei der Auswahl der Pflichtwerke findet das unterschiedliche Leistungsgefälle innerhalb Deutschlands seine Berücksichtigung. Deshalb können ja auch nicht alle Länder ein Blasorchester zum DOW entsenden.

Die Philosophie des Deutschen Orchesterwettbewerbs wird durch das diesjährige Motto sehr treffend ausgedrückt: „GemEinsame Spitze“. Als Wettbewerb haben wir eine Rangliste zu erstellen, daneben soll aber vor allem der Begegnungscharakter einen wichtigen Platz haben.

Wir sprechen beim DOW auch nicht vom „Deutschen Meister“ wie es mittlerweile so in anderen Musikszenen leider üblich ist. Musik lässt sich eben nicht in dieses aus dem Sport kommende Schema so ohne weiteres übertragen. Oder wieviel Musik sind 0,4 Punkte Abstand? Beim DOW gibt es „Preisträger“ des 9. DOW, in der Kategorie B1 sind es immerhin 4 Orchester, in B2 3 Orchester, die diese Auszeichnung erhalten haben und übrigens auch noch einen Geldpreis erhalten, dessen Höhe erst nach Auswertung aller Kategorien festgelegt werden kann. Daneben gibt es Prädikate, die aussagen, ob eben ein besonders herausragender Vortrag gehört wurde, oder ein sehr guter oder eben ein Vorspiel, das noch einzelne Mängel aufweist.

Der Weg ist das Ziel! Jedes Blasorchester, das sich dem DOW stellt, hat eine zweijährige Vorbereitungszeit hinter sich – von den ersten Planungsüberlegungen bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses auf dem Marktplatz in Ulm, eine Zeit, in der das musikalische Bewusstsein aller Orchestermitglieder entscheidend geformt wird, eine Zeit, bei der der Zusammenhalt im Orchester besonders gefordert ist, eine Zeit, wo der Spass am Musizieren in einer völlig anderen Weise, nämlich in einer intensiven Auseinandersetzung mit der Musik, ausgerichtet ist.

Ich möchte hier den teilgenommenen Jugendblasorchestern der Kategorie B2 ein ganz besonderes Kompliment aussprechen. Acht JBO waren zum Wettbewerb angetreten, darunter ein Orchester aus Brandenburg und eines aus Mecklenburg-Vorpommern und ein Schulorchester.

Es war eine große Freude für unsere fünfköpfige Jury, den wirklich hochklassigen Vorträgen zuzuhören. Was da an musikalischer Qualität von den mit wenigen Ausnahmen (sprich: Aushilfen) spielenden Jugendlichen bis 21 Jahren geboten wird, zeugt von einer wahrlich erfolgreichen Nachwuchsarbeit und einer intensiven Beschäftigung mit der Musik. Dass auch wir drei hervorragende Orchester auszeichnen konnten, bestätigt diese Leistungsdichte.

Ob das nun die 18 besten Blasorchester Deutschlands sind oder nicht, wie ein Kommentator bemerkt, kein Wettbewerb, auch nicht die der BrassBands, zeigt immer nur die besten, sondern es sind die Besten, die zum Wettbewerb angetreten sind, in unserem Falle die sich auf Landesebene beworben und dort durchgesetzt haben.

Noch ein Wort zur Publikumsresonanz. Wenn sich beim Heimorchester – Junge Bläserphilharmonie Ulm – mehr als tausend Besucher am Sonntagmorgen im Congress Centrum Ulm einfinden und mit stehenden Ovationen versuchen, ihr Orchester zum Sieg zu tragen, anschließend dann aber nur noch relativ wenige den Saal füllen, dann liegt das vor allem an den Blasorchestern selbst, die nicht die Ausschreibung befolgen, in der eine komplette Anwesenheit aller vier Wettbewerbstage gefordert wird incl. der gemeinsamen Begegnung, sei es beim Zuhören der anderen Orchester, sei es bei den angebotenen Konzerten in der Stadt und im Rahmenprogramm oder bei der Orchesternacht und den Preisträgerkonzerten. Der Deutsche Orchesterwettbewerb bietet hier sehr viele Möglichkeiten der Begegnung, auch der Kategorien untereinander. Leider werden sie aber nur spärlich wahrgenommen. Eines der Preisträgerensembles in der Kategorie Kammerorchester wurde von mir (neben meiner Jurytätigkeit blieb auch dafür etwas Zeit) vor dem Ulmer Münster mit einem hinreißenden klassischen Programm gehört, wo waren da die Blasorchester?

Dass der erste Wettbewerbsteil auf die erste Wochenhälfte und damit auf Arbeits- und Schultage fiel, ist nur ein Teil der Problematik. Leider zeigt sich bei den Blasorchestern vielmehr der Trend hin zum Konkurrenzdenken: Wer ist der Beste im ganzen Land? Das schadet unserer gemeinsamen Szene der sinfonischen Blasorchestermusik. Wie sonst kann man es sich erklären, dass zwar Orchester äußerst emotional darauf reagieren, nicht wie erwartet den ersten Platz zu ergattern, aber von vornherein die damit verbundene Verpflichtung, beim Preisträgerkonzert zu spielen, nicht im Fokus haben und somit nicht spielfähig sind.

Für den Projektbeirat Orchester, dem ich ja ebenfalls angehöre, stellen sich für die Ausrichtung des nächsten Wettbewerbs einige Fragen:

Die Konzentration auf das verlängerte Wochenende ist natürlich zu empfehlen, aber nicht immer wegen der räumlichen Kapazitäten der mittelgroßen Städte nicht zu realisieren.

Wenn auf zwei Teile, sollten die Kategorien B1 und B2 auf beide Wettbewerbsteile aufgeteilt werden, damit die Chance besteht, dass man alle Orchester anhören kann.

Die Frage Profi – Laie wird uns sicherlich intensiv beschäftigen. Hier gab es massive Kritik bzgl. der 20%-Regelung. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob eine Regelung hier überhaupt noch zeitgemäß ist, auch die Frage der Überregionalität. Die BrassBands sind durchwegs überregionale Ensembles, auch wenn sie einen festen Sitz als Verein haben. Ein Orchester einer Musikschule wie in Ulm mit mehr als 2500 Schülern – ist so ein Orchester regional? Oder ein Orchester mit dem Namen „Junge Kammerphilharmonie Rhein-Neckar“?

Es fällt uns zunehmend schwerer, hier vergleichbare Abgrenzungen zu finden. Warum also zeigen wir beim Deutschen Orchesterwettbewerb nicht die gesamte musikalische Orchesterwirklichkeit in Deutschland. Wenn wir Auswahlorchesterwettbewerb und DOW zusammenlegen, erreichen wir da nicht vielleicht eine weitaus höhere Akzeptanz und Beachtung der Szene?

Gerne erwarte ich in den nächsten Tagen und Wochen noch Anregungen, wie wir den DOW weiter verbessern können.

Denn eines möchte ich abschließend feststellen:

Der DOW ist in seiner einmaligen Zusammenführung aller Orchestersparten Deutschlands seit 30 Jahren „GemEINSAME Spitze“!”

Ernst Oestreicher

Herzlichen Dank, lieber Ernst Oestreicher, für diesen ausführlichen Beitrag. Ich hoffe, liebe Blasmusikblog-Leser, dass Ihr das Angebot von Herrn Oestreicher annehmt und fleißig Eure Verbesserungsvorschläge mitteilt. Gerne könnt Ihr dafür das Kommentarfeld unter diesem Beitrag verwenden!

 

Wenn Du den Blasmusikblog mit einem freiwilligen Beitrag unterstützen möchtest, kannst Du das hier tun:

[paypal_donation_button]

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert