Jubiläumsinterview 5/10 zu 10 Jahren KSL und Blasmusikblog
Die Fragen stellt: Stephan Niederegger
In den 10 Jahren, die der Blasmusikblog und meine Firma Kulturservice Link schon bestehen, habe ich vielen Persönlichkeiten Fragen gestellt. Sowohl für den Blasmusikblog in unzähligen Round-Up-Posts und Interviews als auch in meinen Workshops und Zukunftswerkstätten. Zu meinem Jubiläum drehe ich den Spieß um und lasse mir Fragen stellen.
Die Fragen in diesem fünften Interview stellt Stephan Niederegger. Stephan ist Pressereferent Verband Südtiroler Musikkapellen VSM und spielt in der MK St. Lorenzen im Pustertal.
Stephan: Was hat dich bewogen, deine Leidenschaft zur Blasmusik zum Beruf zu machen?
Alexandra: “Das war eine Reihe von Schlüsselmomenten und erfreulichen Gelegenheiten. Ausführlich habe ich darüber schon im Interview von Sandra Settele geschrieben. Ich habe tatsächlich nach der Schule zwei Jahre lang nicht gewusst, welchen beruflichen Weg ich einschlagen soll. Damals habe ich exzessiv geübt, in Blasorchestern gespielt wo sich die Gelegenheit ergab, den C2- (Ausbilder) und C3-Kurs (Dirigieren) absolviert, unterrichtet. Wenn ich nicht so viel Blasmusik gemacht hätte, wäre mein Abi sicherlich besser ausgefallen… Der berufliche Startschuss in der Blasmusikszene war meine Ausbildung zur Musikalienhändlerin bei Musik Gillhaus in Freiburg, einem Fachgeschäft für Holz- und Blechblasinstrumente. Mein damaliger Chef, Hans Gillhaus, auch Gründer und langjähriger Dirigent des 1. Freiburger Jugendblasorchesters (des heutigen Freiburger Blasorchesters), hat mich inspiriert, unterstützt und einen erheblichen Anteil daran, wie sich mein weiterer Weg in der Blasmusikszene entwickelt hat.”
Stephan: Hattest du das Gefühl, als Frau in eine Männer-Domäne vorzustoßen?
Alexandra: “Nein. Nicht in eine Domäne im Sinne von Hoheitsgebiet. Es war bis vor 10 Jahren einfach so, dass sich überwiegend Männer in der Blasmusikszene bewegt haben. Schau, bis vor 10 Jahren etwa (plus/minus ein paar Jahren) war Isabelle Ruf-Weber die einzige Spitzendirigentin eines Blasorchesters in Europa. In der Blasmusikverlagsszene waren neben mir nur Juliana Pierer-Kliment und Veronika Gruber in Spitzenpositionen.
Ich hatte es, wenn wir von Dirigenten und Vereins- bzw. Verbandsverantwortlichen sprechen, in meinem Berufsleben bis vor 10 Jahren überwiegend nur mit Männern zu tun. Das stimmt, das war einfach so. Sowohl bei den Kunden als auch bei den Kollegen im Verlag und in der Verlagsszene. Aber ich hatte in meinem ganzen Berufsleben bisher nur zwei Männer mit abschätzenden Bemerkungen vor mir stehen. Der eine war Paul Lavender, der mich gefragt hat, ob ich zum Thema Blasmusik auch etwas zu sagen hätte. Der andere war Rolf Rudin, der mich in Chicago (damals, als die MidWest noch im Hilton stattgefunden hat), fragte, was ich da machen würde: „am Stand stehen und nett lächeln?“ – waren die Worte seiner Frage.
Ich hatte noch nie das Gefühl, kämpfen zu müssen, weil ich eine Frau bin. Ich hatte noch nie das Gefühl, ich könnte etwas nicht erreichen, weil ich eine Frau bin. Ich hatte noch nie das Gefühl, dass mich Männer daran hindern würden, das zu tun, was ich gerne tun möchte. Ich hatte noch nie das Gefühl, besser sein zu müssen als Männer. Niemals.
Mittlerweile – vielleicht seit 10 Jahren, vielleicht länger – wendet sich das einseitige Männer-Blatt in der Blasmusikszene. Bei den Vereins- und Verbandsverantwortlichen habe ich mittlerweile mit genau so vielen Männern wie Frauen zu tun. Bei den Dirigent:innen sind es immer noch mehrheitlich Männer – manchmal habe ich Mühe Dirigentinnen zu finden, die bei Round-Ups im Blasmusikblog mitmachen. Erfolgreiche Komponistinnen, die schon ein nennenswertes Oeuvre vorweisen können, sind in Europa leider immer noch nicht zu finden.
Jeder Mensch gestaltet seinen eigenen Lebensweg. Meine Empfehlung ist, geradeaus zu gehen. Immer gut schauen und hören, was hinter einem, links und rechts vom Weg und vorne passiert, aber sich davon nur positiv und bewusst beeinflussen zu lassen. Ratschläge, Kommentare, Informationen und Begegnungen gut zu analysieren und dann für sich selbst entscheiden. Und wenn Frauen das Gefühl haben, von einem Mann bewusst auf ihrem Lebensweg behindert zu werden: Umdrehen, nächste Möglichkeit suchen. Denn dieser Mann ist nur ein bedauerlicher Einzelfall.”
Stephan: Wie hast du die Entwicklung der Blasmusik in diesen 10 Jahren erlebt?
Alexandra: “Die Entwicklung der Blasmusik habe ich persönlich in den letzten 10 Jahren sehr viel intensiver erlebt als in den Jahrzehnten zuvor. Denn ich bin seit meiner Selbstständigkeit völlig frei in meinem Tun, meinen Entscheidungen und selektiere selbst wo und wie ich mich in der Szene bewege. Die Blasmusikwelt hat sich in den letzten 10 Jahren für mich erweitert, weil ich nicht mehr als De-Haske-Deutschland-Chefin wahrgenommen wurde und ich selbst auch nicht mehr die De-Haske-Brille auf der Nase habe.
In den letzten 10 Jahren ist eine neue Generation an hervorragenden Dirigentinnen und Dirigenten herangewachsen. Seit einige Musikhochschulen für die professionelle Dirigent:innen-Ausbildung geöffnet sind, wird die Anzahl an hochqualifizierten Dirigentinnen und Dirigenten für Blasorchester immer größer. Eine erfreuliche Entwicklung im deutschsprachigen Europa! Die wertvolle Basisausbildung der Dirigent:innen in Österreich, Südtirol und in der Schweiz zahlt sich voll aus, lediglich Deutschland hinkt in der Basisausbildung (vor Studium, für Amateur-Dirigent:innen) hinterher.
Entsprechend der Entwicklung der Dirigent:innen haben sich in den letzten 10 Jahren punktuell, regionsweise hervorragende Blasorchester entwickelt. Die Anzahl an Auswahlorchestern ist nahezu explodiert. Und wenn man diese Blasorchester und Auswahlorchester analysiert – also schaut, was gerade diese richtig machen – , sind das genau die Orchester, die auf musikalische Qualität setzen und von engagierten, idealistischen, leidenschaftlichen Menschen organisiert sind. Meiner Meinung nach ist die Entwicklung gewaltig! Gleichzeitig gibt es immer mehr Musikvereine, die in Schwierigkeiten kommen und Musikvereine, denen Corona einen extremen Dämpfer verpasst hat. Der Niedergang von Musikvereinen schreitet in den letzten 10 Jahren schneller voran als in den bewusst von mir erlebten 2 Jahrzehnten davor.
Zu den Verbänden, die natürlich auch zur Entwicklung der Blasmusik gehören, schreibe ich etwas in den Interviews von Helmut Schmid und Ralf Eckert. Deshalb an dieser Stelle nicht.
Zur Blasmusikverlagswelt: Der Niedergang von De Haske hat vor mehr als 10 Jahren begonnen. Ich kann mit Stolz sagen, dass ich an der Expansion und dem Erfolgskurs von De Haske beteiligt war, aber an den Entscheidungen, die letztendlich zum Verschwinden von De Haske als größten und mächtigsten Blasmusikverlag in Europa geführt haben, nicht (mehr) beteiligt war. Aber dieses Verschwinden des mächtigen Blasmusikverlags-Players hat Raum für neue, junge Verlage und Verlagsauslieferungen geschaffen. Außerdem konnten bestehende Verlage und Verlagsauslieferungen wachsen.
Bis vor 10 Jahren war es bei jungen Komponisten das Non-Plus-Ultra, bei einem der De-Haske-Verlage unterzukommen. Durch die Anzahl der hervorragenden, exzellenten Komponisten, die bei diesen Verlagen bereits waren, war es aber schlicht unmöglich, da rein zu kommen. Der Markt, der Blasorchesternoten nachfragt, war damals jedoch schon begrenzt. Es konnten also nicht noch mehr Werke herausgegeben werden, als die Komponisten, die damals schon bei den De-Haske-Verlagen untergekommen waren, produzierten. Jetzt ist die Blasmusikverlagswelt viel breiter aufgestellt und junge Komponisten bekommen Chancen! Das ist jedoch nicht nur den neuen Blasmusikverlagen und unzähligen Eigenverlagen zuzuschreiben, sondern selbstverständlich auch der digitalen Entwicklung. Die digitale Entwicklung ist jedoch nicht nur Segen, sondern gleichzeitig auch Fluch. Blasorchesterwerke kommen ungefiltert auf den Markt. Mögen sie handwerklich gut gemacht sein oder nicht. Als die Verlage eine größere Rolle spielten wurden in den Redaktionen die faulen Eier herausgefiltert. Jetzt scheint jede Veröffentlichung möglich. Hot und Schrott. Es kommt nur auf die digitale Vermarktung und das persönliche Netzwerk des jeweiligen Komponisten an und wie er es pflegt. Dieser Entwicklung können wir nur eine qualitativ hochwertige Ausbildung von Dirigent:innen und Musiker:innen entgegensetzen. Nie war eine hochwertige Musik-Ausbildung wichtiger als heute!
Nichts desto trotz finde ich es fantastisch, dass wir nun mit Georges Sadeler, Gauthier Dupertuis, Andreas Ziegelbäck und anderen eine junge Riege von hervorragenden Komponisten haben. Und in diesen schlummert noch sehr viel Potential!”
Stephan: Alois Schöpf sagt in seinem neuesten Buch, der “Blasmusikfibel”, dass die Blasmusik allzu oft in eitler Nabelschau und in kritiklosem Selbstlob versinkt. Siehst du das auch so? Oder ist die Blasmusikszene mittlerweile selbstkritischer und dadurch auch selbstsicherer geworden?
Alexandra: “„Eitle Nabelschau“ – was meint er damit? Ich habe Prof. Dr. Googleheimer befragt und der hat folgende Erklärung ausgespuckt:
„Nabelschau bezeichnet die übertriebene Beschäftigung mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Problemen. Man ist dabei so auf sich selbst fixiert, dass man die Außenwelt und andere Menschen kaum noch wahrnimmt. Es geht um ein selbstbezogenes Verhalten, das oft als egozentrisch und wenig produktiv empfunden wird. Kurz gesagt: Nabelschau ist das exzessive „In-sich-hineinhorchen“.“
Nun, viele Musikvereine kennen musikalisch gesehen nur ihr direktes Umfeld. Viel weiter geht der Blick über den Tellerrand meist nicht. Mein Bruder, selbst Vorstand, ist auch nicht daran interessiert, was außerhalb seines Musikvereins in der Blasmusikszene passiert. Der heimatliche Musikverein als Freizeitort ist für ihn genug. Die Konzerte sind voll, das Publikum begeistert. Alles gut.
So ticken jedoch nicht alle Blasmusiker:innen. Ich bin mit vielen Blasmusiker:innen in Kontakt, hauptsächlich Dirigent:innen und Vereinsverantwortliche. Auch mit vielen blasmusikalischen Menschen in Tirol, der Heimat von Herrn Schöpf. In Gesprächen mit diesen kann ich nicht bestätigen, dass diese eitel nur auf sich selbst bezogen sind. Ganz im Gegenteil. Die Tiroler Blasmusikszene – er bezieht sich in seinem Buch auf die Tiroler Musikkapellen und die Innsbrucker Promenadenkonzerte – empfinde ich als sehr lebendig. Da gibt es eine Ansammlung von hervorragenden Blasorchestern, auf die er als Tiroler uneingeschränkt stolz sein kann. Landeck, Wilten, Swarovski Musik, Hall, nenn sie alle… Top Orchester und Spitzenpersonal vornedran. Schau Dir das Sinfonische Blasorchester Tirol an oder die Osttiroler. Orchester, die auch außerhalb Tirols Aufmerksamkeit haben (bspw. Riva, Valencia, Kerkrade). Diese Ansammlung an tollen Musikkapellen hätte ich in meinem Bundesland, vor allem in Baden (meiner direkten Umgebung), gerne. Die Dirigent:innen dieser und weiterer Kapellen aus Tirol kann er übrigens auch in Ossiach, Riva, Schladming und an anderen Orten, an denen Blasmusik spielt und Fortbildung stattfindet, treffen. Selbst bei den beiden IBK waren jeweils eine Gruppe von Dirigenten aus Tirol.
Ja, es gibt da und dort – nicht nur in Tirol – Dirigent:innen, die sich selbst überschätzen oder „für’s Publikum“ dirigieren. Die Mehrheit der Dirigent:innen nehme ich jedoch so wahr, dass sie wohl sehr selbstkritisch, neugierig und wissensbegierig sind. In der Außendarstellung brauchen wir Blasorchester, die selbstbewusst auftreten und ihr Können zeigen. Nur wenn wir begeistert nach außen kommunizieren und zeigen, was wir können, werden wir das Publikum für uns einnehmen. Sollen wir uns selbst niedermachen, wenn ein Konzert nicht so 100%ig musikalisch perfekt war? Sollen wir uns nach jedem Konzert selbstzerfleischen und demütig verlauten lassen, dass es „halt nur Blasmusik ist“? Kontraproduktiv. Reicht es nicht aus, wenn dem Publikum gefällt, was es im Konzert erlebt? Mir fehlt – im Gegenteil – das Selbstbewusstsein der Blasmusikszene etwas. Vor allem von den Blasorchestern, die richtig tolle Konzerte spielen, die sich in der Programmgestaltung etwas überlegen, was über die reine Musik hinaus geht, die mutig sind und mit außergewöhnlichen Werken und Programmen das Publikum überraschen. Wir sind in der Blasmusikszene so viel weiter als beispielsweise die Amateur-Sinfonieorchester. Bei denen werden überwiegend die toten Komponisten gespielt und die zeitgenössischen, noch lebenden Komponisten werden quasi komplett ignoriert. Da sind wir in der Blasmusik sehr viel weiter! Ein Grund sehr stolz zu sein!”
Stephan: Der Frühstückspost ist mittlerweile fast zu einem Markenzeichen von deinen “Geschäftsreisen” geworden – ist das ein bewusstes PR-Konzept oder ein zufälliger “Running Gag”?

Alexandra: “So was kannst Du nicht planen… Vor ein paar Jahren habe ich angefangen einen Morgengruß zu posten, um meine Aktivitäten publik zu machen, ohne Vertraulichkeit zu verletzen. Ich zeige damit, wo ich überall arbeiten darf und welche Art von Workshop ich an diesem Tag mache. Schon bald hat jemand bemerkt, dass sich auf meinem Frühstückteller immer Gurken befinden und hat das in die Kommentare geschrieben. Und dann ging es los… Die meisten Kommentare gibt es dann, wenn es zum Frühstück keine Gurken gibt… Seit das so viel Aufmerksamkeit erregt, poste ich das Frühstücksbild obligatorisch von jedem Ort. Eine schöne Geschichte kann ich aus Ossiach erzählen: einer der Teilnehmer kam mit einem Teller an meinen Frühstückstisch, darauf mittig angerichtet eine Gurkenscheibe!”
Herzlichen Dank lieber Stephan für die sehr interessanten Fragen!