Jubiläumsinterview 8/10 zu 10 Jahren KSL und Blasmusikblog
Die Fragen stellt: Henning Klingemann
In den 10 Jahren, die der Blasmusikblog und meine Firma Kulturservice Link schon bestehen, habe ich vielen Persönlichkeiten Fragen gestellt. Sowohl für den Blasmusikblog in unzähligen Round-Up-Posts und Interviews als auch in meinen Workshops und Zukunftswerkstätten. Zu meinem Jubiläum drehe ich den Spieß um und lasse mir Fragen stellen.
Die Fragen in diesem sechsten Interview stellt Henning Klingemann. Henning ist Dirigent des Modern Sounds Orchestra Seelze und der Bläserphilharmonie Hildesheim. Außerdem ist er Initiator und Dirigent des Sommerkus im Norden.
Henning: Ich finde es großartig, dass Du durch den Blasmusikblog einem musikalischen Bereich, der immer noch ein Nischendasein in der deutschen Musiklandschaft fristet, so viel Aufmerksamkeit schenkst. Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, nicht nur in einem Orchester zu spielen, sondern diesen Bereich auch beruflich zu Deinem Schwerpunkt zu machen?
Alexandra: “In den Interviews von Sandra Settele, Stephan Niederegger und Ralf Eckert habe ich schon ausführlich darüber geschrieben, wie es gekommen ist, dass mein komplettes Berufsleben mit Blasmusik zu tun hat. Darin habe ich auch alle Schlüsselmomente aufgeschrieben, warum meine Leidenschaft für die (originale) Blasmusik so groß ist. Wie es zum Blasmusikblog gekommen ist, habe ich bisher jedoch noch nicht erzählt. Deshalb bin ich sehr froh über diese Frage. Warum ich mich überhaupt selbstständig gemacht habe, erkläre ich in Deiner zweiten Frage.
Als klar war, dass ich mich als Beraterin von Musikvereinen und Unterstützerin für Vereinsverantwortliche sowie für Komponisten aus der Blasorchesterszene selbstständig machen werde, habe ich festgestellt, dass ich zwar ein großes Netzwerk an Dirigentinnen und Dirigenten (und selbstverständlich auch Komponisten) habe, aber mit viel zu wenigen Vereinsverantwortlichen in Kontakt war. Ich wusste aus eigener Erfahrung und durch jahrelanges Zuhören, mit welchen Hauptproblemen die Musikvereine zu tun haben, aber ich hatte nichts Konkretes auf der Hand, wo ich ansetzen konnte. Deshalb dachte ich, ich frag einfach mal großflächig nach, dann sehen wir weiter. Ich habe dann im Frühjahr 2015 die erste Umfrage zur Zukunft der Musikvereine durchgeführt. Ich war damals sehr erstaunt, dass 3.000 Leute aus den Musikvereinen mitgemacht haben. Die Umfrage „Wo drückt der Schuh?“ hat mir damals so viele Ergebnisse schwarz auf weiß geliefert, dass ich nicht nur meine Angebote für Musikvereine und Vereinsverantwortliche gestalten konnte. Mir war von Anfang an klar, dass ich diese Ergebnisse der Szene zur Verfügung stelle. Für die Social-Media-Kanäle, bzw. damals gab es ja quasi nur Facebook, waren mir die Ergebnisse jedoch zu wertvoll. Ich bin dann auf die Idee gekommen, sie in einem Blog zu veröffentlichen. Das habe ich getan – das war die Geburtsstunde des Blasmusikblog.com. Es hat nicht lange gedauert, da habe ich von den ersten Verbänden (Karlsruher Blasmusikverband und Blasmusikverband Kaiserstuhl-Tuniberg) schon die ersten Anfragen für einen Vortrag über die Ergebnisse erhalten. Seither positioniere ich mich und meine Expertise auf dem Blasmusikblog. Es ist quasi meine Werbeplattform für den Kulturservice Link. Die meisten Anfragen für Workshops bzw. Zukunftswerkstätten kommen über den Blasmusikblog.com. Zusätzlich lebe ich meine Leidenschaft für das originale Blasorchesterrepertoire auf dem Blasmusikblog aus. Die Repertoirebeiträge gehören zu den meist gelesenen auf dem Blasmusikblog.”
Henning: Du warst ja vor dem Blasmusikblog Deutschlandchefin bei dehaske. Warum hast Du diesen sicheren und guten Job aufgegeben und bist bestimmt zunächst in eine berufliche Unsicherheit gegangen oder warst Du Dir sicher, dass Du vom Blasmusikblog und der Selbstständigkeit im Bereich Blasmusik leben könntest?
Alexandra: “Das ist eine Frage, deren Antwort ich zuvor noch nie öffentlich gemacht habe. Nur meine engsten Vertrauten kennen diese Geschichte. Ich habe lange überlegt und dann entschieden, meine Geschichte zu diesem Thema im Rahmen meines 10-jährigen Jubiläums zu veröffentlichen. Wohlwissend, dass es für die jüngere Generation jetzt nicht soooo spannend ist.
Zwischen meinem Weggang von Hal Leonard (früher De Haske) und der Gründung meines Kulturservice Link lagen zwei Jahre. Wer mich kennt weiß, dass ich meinen Job bei De Haske, später Hal Leonard, sehr geliebt habe. Ich habe ihn mit voller Leidenschaft gemacht. Leider hat mir mein direkter Vorgesetzter, der für alle ausländischen Filialen (außerhalb der Niederlande) verantwortlich war, das Leben über Monate und Jahre hinweg schwer gemacht. Ich war sein Blitzableiter und habe alles an Druck, was dieser von HL auferlegt bekommen hat, abbekommen. Mit der Zeit konnte ich nicht mal mehr einen Vorschlag äußern, ohne dass mich dieser mundtot gemacht hat. Irgendwann war auch mein Kreuz nicht mehr breit genug und ich bin in einen heftigen Burnout geschlittert. Unterstützung von Mitarbeitern in Deutschland und Kollegen aus dem Verlag habe ich in dieser Zeit nicht erhalten. Der Vorgesetzte war ja auch Teilhaber – also deren Chef… Ein Jahr lang habe ich gebraucht um gesundheitlich wieder auf die Beine zu kommen und ein weiteres Jahr habe ich damit verbracht meinem Job nachzuheulen und zu überlegen, wie es beruflich mit mir weitergehen kann. Ein Segen, dass ein Musikkollege aus dem Benefiz-Orchester mir einen guten Personalberater empfohlen hat, der diesem auch selbst bei einer beruflichen Neuorientierung geholfen hat. Entscheidend war der Satz dieses Personalberaters: „Frau Link, Sie taugen nicht als Angestellte. Sie machen sich selbstständig, Sie nutzen Ihr Netzwerk!“ Das hab ich gemacht.
Henning: Mich interessieren auch immer Ideen zur Programmgestaltung oder Werke zu einem bestimmten Bereich (z.B. Eröffnungsstücke). Recherchierst Du selber auf anderen Internetseiten nach diesen Werken oder hast Du die Werke alle schon selbst gespielt oder hast Du ein so großes Netzwerk, dass Du gerade über neue Werke (und Komponisten) informiert wirst?
Alexandra: “Kurze Antwort: Ich bin Musikalienhändlerin und die Antworten auf Deine Teilfragen lauten ja, ja und ja.
Eine Info muss ich vorschieben: Ich sehe es als meine Mission an, selbst nur Originalwerke auf dem Blasmusikblog vorzustellen, weil diese Werke und damit auch ihre Schöpfer Unterstützung brauchen. Arrangements verkaufen sich von selbst.
Ich liebe es Werke zu recherchieren – sei es zu Themen oder speziellen Komponisten allgemein. Meine beiden Lieblingsplattformen dafür sind Youtube und Musicainfo.net. Auch der Online-Shop meines Affiliate-Kooperationspartners Hebu-Musikverlag ist für mich eine wichtige Quelle für Werkinformationen. Wenn ich Repertoire-Beiträge für den Blasmusikblog vorbereite, höre ich oft tagelang Blasorchesterwerke. Die Themen dafür kommen mir zugeflogen. Ich bin ein Mensch, der sehr oft sofort in die Tat umsetzt, was er gerade im Kopf hat oder zu was er im Moment getriggert wird. Ich habe übrigens zu mehr als 100 Themen eine Werk-Sammlung… Wenn mir spontan nichts einfällt, greife ich darauf zurück. (Frag mich gerne, wenn Du Werk-Empfehlungen zu einem Thema suchst.)
In meinem langen Blasmusikerinnen-Leben habe ich bisher in vier Musikvereinen bzw. Blasorchestern, jeweils jahrelang, mitgespielt: TK Hartheim, Musikverein Freiburg-Opfingen, Musikverein Tunsel und das Freiburger Blasorchester. Opfingen und Tunsel waren Oberstufen-Blasorchester, Freiburg eine Höchststufe.
Seit 1991 habe ich in unzähligen Orchesterprojekten mitgespielt:
- Im Markgräfler Verbandsblasorchester (ich bin Gründungsmitglied) mit den Dirigenten Bernhard Volk, Hans-Peter Blaser und Helmut Hubov;
- Bei Benefiz – Musik und Kultur für andere – die Projekte mit den Dirigenten Johan de Meij, Jan Van der Roost, James Curnow, Jan de Haan, Harry D. Bath, Bernhard Volk und Ignatius Wang – kommenden November freue ich mich wie wahnsinnig auf Isabelle Ruf-Weber
- Bei den Taubertäler Bläsertagen – mit den Dirigenten Philip Sparke, Thomas Doss, Fritz Frigo Neuböck und Walter Ratzek (liebe Grüße an Luk Murphy)
- Beim Sommerkurs in Marktoberdorf mit den Dirigenten Michael Kummer, Jochen Lorenz, Ferrer Ferran und Mario Bürki
- Beim Österreichischen Blasmusikforum in Ossiach zwei Mal im Teilnehmer:innen-Orchester mit den Dirigenten Thomas Ludescher, Gregor Kovacic, Johann Mösenbichler und vielen Meiserklassen-Dirigent:innen
- Beim WAWOP während der MidEurope 2025 mit den Dirigenten Verena Mösenbichler-Bryant, Johann Mösenbichler, Kevin Sedatole, Sami Ruusuvuori und anderen.
Außerdem habe ich im Markgräfler Verbandsblasorchester bei 10 Meisterkursen mit Douglas Bostock mitgespielt und mit dem Freiburger Blasorchester waren wir jahrelang unzählige Male Kursorchester beim Metafoor-Privatstudiengang mit Alex Schillings. Da kommen in mehr als 40 Jahren ganz schön viele Blasorchesterwerke zusammen, die ich schon selbst gespielt habe.
Mein großes Netzwerk von Komponisten hält mich auch regelmäßig auf dem Laufenden, was sie Neues geschrieben/komponiert haben. Einige senden mir regelmäßig Infos und digital neue Aufnahmen (die ich selbstverständlich nur höre und nicht weitergebe). Für die neuen Verlage von Otto M. Schwarz und Franco Cesarini arbeite ich auf Freelance-Basis. Bei diesen beiden Verlagen erfahre ich also meistens noch vor Erscheinen, welche Werke neu kommen.
Bei vielen Blasmusik-Anlässen, bei denen ich bin, notiere ich Blasorchesterwerke die aufgeführt werden und mich begeistern. Diese stehen oft zentral in meinen Blasorchester-Repertoire-Beiträgen auf dem Blasmusikblog.”
Henning: Bei meinen Orchestern ist die Programmgestaltung immer eine „gute Mischung“ aus überwiegend Originalkompositionen, aber auch klassischen Transkriptionen und immer mal wieder auch etwas aus den Bereichen Film und Musical oder auch Rock, Pop und Jazz. Bei der Zusammenstellung fällt mir immer wieder auf, dass es für diesen letztgenannten (Film, Musical, Rock, Pop) am schwierigsten ist geeignete Werke zu finden. Es gibt so unglaublich viele Bearbeitungen, aber leider auch viele Ungeeignete, teilweise schlecht arrangierte und häufig nur bis Grad 3, so dass viele Originalmelodien und -rhythmen vereinfacht wurden. Meinst Du, es liegt an den Verkaufszahlen, also dass sich diese Werke so gut verkaufen lassen oder hast Du eine andere Idee und vielleicht einen Tipp, wie man gute, das heißt für mich nah am Original, arrangierte Werke findet?
Alexandra: “Das ist ganz klar eine wirtschaftliche Entscheidung der Verlage. Es liegt auf der Hand: Es gibt sehr viel mehr Blasorchester, die bis Grad 3 bequem spielen können, als Blasorchester, die anspruchsvollere Arrangements bevorzugen. Es gibt weit mehr Unterhaltungsmusikauftritte als Konzerte. Bei diesen Auftritten, beispielsweise bei Schützenfesten (bei Euch im Norden), auf unseren Weinfesten und Dorfhocks, werden überwiegend Arrangements, Polka, Walzer, Marsch gespielt. Also kein Wunder, dass es ein Vielfaches an leichteren Arrangements gibt. Dann muss man auch sagen, dass es nicht so wahnsinnig viele gute Arrangeure gibt, die kreativ, anspruchsvoll, nah am Original Musik für Blasorchester setzen können. Arrangeure, bei denen im Speziellen Du immer fündig werden kannst, sind Peter Kleine Schaars, Gilbert Tinner, Stefan Schwalgin, Wolfgang Wössner und auch ein paar wenige Amerikaner, die Arrangements im Grad 4-5 schaffen. Es gibt in Belgien einen Verlag, der schon seit Jahrzehnten quasi über Nacht Arrangements in Billigbauweise auf den Markt wirft. Da lohnt sich meiner Meinung nach nicht mal ein Blick in den Katalog…
Arrangements von Pop, Film, Show gehören deshalb nicht zu den lukrativsten Ausgaben eines Verlags, weil die Abdruckgenehmigungen enorm viel kosten. Für Arrangeure ist das auch nicht lukrativ, da sie keine Verkaufstantiemen dafür erhalten, sondern nur eine einmalige Vergütung. An den Aufführungsrechten (Gema) sind sie auch nicht beteiligt. Ergo werden Arrangements hauptsächlich für die umsatzstärkste Klientel geschaffen: Die Blasorchester, die in den unteren Schwierigkeitsgraden spielen; zur schnellen Verfügbarkeit bei all den vielen unterhaltenden Gelegenheiten.”
Henning: Was meinst Du woran es liegt, dass es gerade in Deutschland nicht sehr viele Komponisten für Blasmusik gibt und Komponistinnen fast gar nicht? Sind wir nicht kreativ genug in Deutschland?
Alexandra: “Wenn wir schauen, warum es beispielsweise in der Schweiz oder in Österreich vergleichsweise viele Komponisten gibt, die für Blasorchester schreiben, nähern wir uns der Antwort: In der Schweiz werden schon seit Jahrzehnten sowohl für die kantonalen als auch für die eidgenössischen Musikfeste Kompositionsaufträge für die Pflichtstücke vergeben. Darüber hinaus vergeben viele Schweizer Vereine auch Kompositionsaufträge an Komponisten. In Österreich finden jährlich Kompositionswettbewerbe zu unterschiedlichen Themen statt. Außerdem wird in der Pflichtstückliste darauf geschaut, dass überwiegend österreichische Komponisten vertreten sind. In Österreich kommt noch die hervorragende Ausbildung von Kapellmeistern in Zusammenarbeit mit Landesmusikschulwerken hinzu. Das sorgt letztendlich zusammen mit der hochwertigen Ausbildung von Instrumentalisten dafür, dass die Blasorchester bzw. Musikkapellen tendenziell musikalisch qualitativ hochwertiger sind als bei uns in Deutschland. Sowohl dem Schweizer Blasmusikverband als auch dem Blasmusikverband in Österreich sind ihre Komponisten wichtig. In Österreich sieht man das daran, dass die Komponisten – da alle selbst auch Dirigenten – in die Dirigentenausbildung und auch -fortbildung eingebunden sind. In der Schweiz stand das ganze Jahr 2024 im Zeichen der Schweizer Blasorchesterliteratur – inklusive einer Erstellung einer Datenbank mit allen originalen Blasorchesterwerke von Schweizer Komponisten. In Deutschland gibt es nichts davon.
Warum es weder in Deutschland noch in Österreich oder der Schweiz keine Komponistinnen mit nennenswertem Oeuvre gibt erschließt sich mir leider auch nicht.”
Herzlichen Dank lieber Henning für die klugen Fragen!
Übersicht über die 10 Interviews:
1/10 Fragen von Roman Gruber
2/10 Fragen von Klaus Härtel
3/10 Fragen von Sandra Settele
4/10 Fragen von Mark Baumgartner
5/10 Fragen von Stephan Niederegger
6/10 Fragen von Ralf Eckert
7/10 Fragen von Andreas Kleinhenz
8/10 Fragen von Henning Klingemann
9/10 Fragen von Petra Springer
10/10 Fragen von Helmut Schmid