Samstag, Mai 10, 2025
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Von Rosinenpickern und der Straßenbilanz

Oder: Orchester geht nur gemeinsam

Rosinenpicker? Straßenbilanz? Was sind das für Begriffe und was haben sie mit Blasmusik zu tun?

Nun, bei beiden Begriffen geht es in etwa um das Gleiche: Es gibt beliebte und geliebte Auftritte in den Musikvereinen und ebenso auch die unbeliebten und ungeliebten. Was das jeweils ist hängt vom jeweiligen Musiker bzw. der jeweiligen Musikerin ab.

„Rosinenpicker“ in Musikvereinen sind Musiker:innen, die nur bei Anlässen anwesend sind, zu denen sie Lust haben. Unbeliebte Auftritte können sein: Musizieren bei der Erstkommunion, bei Ständchen für Ehrenmitglieder, am 1. Mai, der Fronleichnamsprozession, der Patroziniumprozession, Prozessionen oder kirchliche Anlässe allgemein, beim Volkstrauertag, bei Begräbnissen, oder ähnlichen Freuden- und Leid-Auftritten innerhalb der Gemeinde. Die „Straßenbilanz“ meint nichts anderes… Meist sind die oben genannten Auftritte auf der Straße zu absolvieren. Bei manchen Musiker:innen sieht diese Straßenbilanz nicht gerade gut aus… Einige wollen (oder können – beispielsweise bei einer Gehbehinderung oder aus Altersgründen) beispielsweise nur Konzerte spielen.

Beide Begriffe – Rosinenpicker und die Straßenbilanz – sind nicht von mir erfunden. Es sind Begriffe, die in verschiedenen Zukunftswerkstätten* bei der Analyse zu Tage gekommen bzw. als Problem genannt worden sind. Viele Musiker:innen sehen es als Problem an, wenn Kolleg:innen bei diesen speziellen Auftritten innerhalb der Gemeinde fehlen bzw. wenn es dazu noch immer dieselben sind, die sich bei diesen Gelegenheiten „ausklinken“.

Aus Gründen der positiven Außendarstellung des Musikvereins ist es wichtig, innerhalb der eigenen Gemeinde sicht- und hörbar zu sein. Wenn wir sicht- und hörbar sind, sollte es uns sehr wichtig sein, wie wir uns präsentieren. Die Bevölkerung unserer Gemeinde ist quasi unsere Top-Zielgruppe: für unsere Konzerte und sonstigen Veranstaltungen, für unsere Jugendarbeit, zum Finden neuer Mitglieder – seien es Kinder/Jugendliche, die ein Instrument bei uns lernen sollen, ausgebildete Musiker:innen, die bei uns mitspielen oder fördernde Mitglieder als Passive oder für unseren Förderverein. Es ist also nicht egal, wie wir uns in der Gemeinde – bei weltlichen oder kirchlichen Anlässen – präsentieren. Wenn wir beim 1.-Mai-Wecken durch’s Dorf negativ auffallen, wenn wir bei der Erstkommunion oder beim Volkstrauertag als klägliches Häuflein erscheinen, beim Schützenfest-Umzug mit halber Besetzung spielen oder beim Feuerwehrfest mit unpassender, schlechter bzw. schlecht gespielter Musik auftreten, so ist das keine gute Werbung für uns als Blasorchester.

In diesem Zusammenhang gibt es meiner Meinung nach nur zwei Möglichkeiten: Erstens die Traditionen bzw. die Auftritte überdenken oder zweitens uns gewissenhaft darauf vorzubereiten und uns top – in Musik und äußeren Zeichen – präsentieren. Kurz gesagt: Entweder gut oder gar nicht!

Beim Überdenken von Traditionen oder allgemein der Anzahl von Auftritten sollten wir uns sehr genau überlegen welche Termine wir aus dem Jahreskalender streichen. Es gibt viel dabei zu bedenken. Beispiele:

  • Bringt uns der Auftritt Geld, das wir für unsere Finanzierung dringend brauchen?
  • Ist der Auftritt wichtig für unsere Reputation in der Gemeinde?
  • Ist der Auftritt wichtig als gezielte Werbung für unsere Jugendarbeit, für neue fördernde oder aktive Mitglieder oder für unsere Konzerte?
  • Lösen wir mit dem Auftritt eine Gegenleistung ein oder stellt der Auftritt ein „Dankeschön“ dar?

Wir müssen aber auch abwägen:

  • Stehen Aufwand und Ertrag im richtigen Verhältnis (nicht nur monetär)?
  • Überfordern wir unsere Musikerinnen und Musiker zeitlich mit dem Termin?
  • Bekommen wir für den Auftritt eine ausreichende, ausgewogene Besetzung zusammen?

Ich war als Dozentin in Musikvereinen, die haben 30 und mehr „Ausrückungen“ bzw. Termine zusätzlich zu den wöchentlichen Proben und den Probentagen/-wochenenden pro Jahr. Mir persönlich erscheint das viel zu viel…

Wenn wir uns dann für den Auftritt bzw. den Termin entscheiden, müssen wir sicherstellen, dass wir uns top präsentieren. Dazu gehört die ausreichend, ausgewogene Besetzung, aber auch eine gewissenhafte musikalische Vorbereitung, die passende Literatur und das äußere Erscheinungsbild. Ebenso müssen wir das „Warum“ an alle Musikerinnen und Musiker kommunizieren.

Auftritte innerhalb der Gemeinde oder zu kirchlichen Anlässen lassen sich auch aufwerten. Nehmen wir das Beispiel Erstkommunion. Die Kommunionkinder und ihre Eltern sind unsere Top-Zielgruppe: Wir sollten uns entsprechend gut aufgestellt präsentieren, denn die Kommunionkinder sind genau im richtigen Alter ein Instrument zu lernen. Da es das Fest der Kinder ist sollten wir unser musikalisches Programm auch entsprechend wählen. Wie wäre es hier mal mit Let it Go aus der Eiskönigin nach dem Gottesdienst an Stelle des obligatorischen Marsches? Oder Taylor Swift on Tour? Das gibt’s sogar als Flex-Band-Fassung… Begeistern wir die Erstkommunionkinder bei ihrem Fest zum Spielen eines Instruments durch unsere Musik! Eine weitere Idee: Beim Begleiten der Kinder in die Kirche auf den letzten Metern des Marsches ein Spalier bilden und den Marsch zu Ende spielen. Die Kinder gehen dann durch eine Klangstraße – Wow! Wie eindrücklich!

Einige Musikvereine spielen bei der Beerdigung von aktiven Mitgliedern und Ehrenmitgliedern. Beerdigungen sind üblicherweise nicht am Abend und nicht am Wochenende. Es ist also nicht leicht, eine spielbare Orchester-Besetzung zusammen zu bekommen. Es ist verständlich, dass die Menschen zu diesen Zeiten arbeiten und nicht unbedingt frei nehmen wollen oder können.
Erst kürzlich war ich beim Begräbnis einer Musikerin (im gleichen Alter wie ich) und der Musikverein hat jämmerlich gespielt. Extra traurig. Bitte lieber nicht an der Beerdigung spielen als ungeprobt, undifferenziert und mit Lücken in der Besetzung. Besonders für eine aktive Musikerin ist das nicht würdig – eher sehr respektlos, wenn ein kläglicher Haufen mühsam einen gewünschten Song spielt, den man dann noch kaum erkennen kann. Auch hier gilt: Entweder gut oder nicht. Bei einer aktiven Musikerin tendiere ich hier zu „sehr gut“ – mit allen Anstrengungen! Das sollte es jedem Musiker wert sein.
Ich habe schon von Musikvereinen gehört, bei denen die Traueranlässe ein (Senioren-)Ensemble übernimmt. Es gibt aber auch die Möglichkeit aller Verstorbenen des Jahres bei einem Gottesdienst zu gedenken oder die Verstorbenen im Kirchenkonzert mit einem speziellen Stück zu ehren.

Glücklich der Musikverein, der verschiedene Bläserensembles hat und pflegt… Oder der eine kleine Polkabesetzung hat. Eines dieser Ensembles kann dann einspringen, wenn nicht sichergestellt ist, dass das große Blasorchester mit einer ausreichend, ausgewogenen Besetzung spielen kann. Sowohl Beerdigungen, der Volkstrauertag, eine Messe oder ähnliches kann gut mit einem Bläserensembles gespielt werden. Sommerprogramm-Auftritte beispielsweise mit der kleinen Polka-Besetzung. Ein Nebeneffekt dieser Ensembles: Sie fördern die musikalische Qualität. Außerdem können diese Ensembles einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung des Musikvereins leisten. Ganz davon abgesehen macht das Spielen in einem Ensemble extrem viel Spaß.

Ebenfalls eine Option für das Sommerprogramm, das Schützenfest, Festumzüge allgemein und ähnliche Sommerauftritte: Die Programme, die Marschbücher bzw. Unterhaltungsmappen mit Walzer-Polka-Marsch sind bei vielen Musikvereinen gleich oder zumindest teilweise gleich. Warum tun sich also nicht zwei (unvollständige) Orchester zusammen und ergänzen einander? Falls es ein Honorar gibt, kann dieses geteilt werden. Gemeinsame Proben davor nicht vergessen – und sie zu einem Highlight mit anschließendem geselligen Beisammensein mit Wurstsalat machen…

Zum Thema „Marschieren“ oder „Musik in Bewegung“ wie es zeitgemäßer heißt, möchte ich noch ein paar Worte schreiben. Vergesst bitte nicht, das Marschieren vor dem Festzug zu proben! Insbesondere, wenn Ihr junge Musikerinnen und Musiker habt. Die Proben dafür bitte rechtzeitig einplanen! Bedenkt: An der Straße stehen Menschen, die wollen nicht nur Gutes hören und von der Musik mitgerissen werden, sondern auch Schönes sehen. Dazu gehört natürlich die schicke Tracht – korrekt und vollständig angezogen – oder eine entsprechende Einheitskleidung. Überlegt aber bitte auch, wie Ihr sonst den Zuschauern am Straßenrand noch gefallen könnt. Kleine Choreografien können mit wenigen Proben eingeübt werden.
Mir gefällt es sehr gut, dass es in Österreich, in Südtirol und Bayern separate Stabführer gibt. Stabführer sein – Tambourmajor bei der Bundeswehr – will gelernt und geübt sein. Hier bieten die Blasmusikverbände in Bayern, Österreich und in Südtirol Stabführer-Lehrgänge an. Es spricht nichts dagegen, eines dieser Seminare zu besuchen, auch wenn Ihr nicht in dem entsprechenden Verbandsgebiet wohnt. Eventuell gibt es interessierte, motivierte Musiker:innen, die sich dieser Aufgabe im Musikverein annehmen wollen.
Die Proben für Musik in Bewegung finden üblicherweise im Freien statt. Aber vielleicht gibt es, falls es regnet, auch eine Sporthalle oder eine Maschinenhalle eines Landwirts, eines Straßenbauunternehmens, die Halle eines Busunternehmers, o. ä., in der Ihr Üben könnt. Kürzlich habe ich auch ein Foto eines Blasorchesters gesehen, das in einer öffentlichen Tiefgarage geprobt hat.

Viele Vereinsverantwortliche wie z. B. auch Dirigent:innen sprechen von Zielen für den Musikverein. Meiner Meinung nach sollten wir nicht über einzelne Ziele, sondern über eine kluge musikalische Jahresstruktur nachdenken und sprechen. In dieser Jahresstruktur sollten sich die Musiker:innen zumindest teilweise wiederfinden und zwar so, dass neben den „beliebten“ Auftritten die Toleranz für die weniger „beliebten“ aufrecht erhalten bleibt bzw. da ist. Denn: Orchester geht nur gemeinsam!

Die größten Probleme werden immer durch kurzfristig angesetzte Termine verursacht – bei denen man aber „unbedingt spielen muss, weil…“. Hier sollten wir tatsächlich mal alle den Mut haben und nur Termine, die mindestens ein Jahr im Voraus bekannt sind, annehmen. Der Veranstalter, der zu spät kommt, hat Pech. Im Idealfall steht die Jahresstruktur Ende November des Vorjahres und spätestens zur Jahresmitte werden die ersten Termine des Folgejahres kommuniziert. Kurzfristig geht heutzutage gar nichts mehr! Alles eine Frage der klugen rechtzeitigen Planung aller Beteiligten – sowohl denjenigen, bei deren Anlässen wir spielen sollen als auch bei uns und unseren Musiker:innen.

Zukunftswerkstatt mit allen Musiker:innen eines Musikvereins
Zukunftswerkstatt mit allen Musiker:innen eines Musikvereins

Übrigens: Ich erzähle in vielen Beiträgen hier auf dem Blasmusikblog über Erlebnisse und Gesagtes in Zukunftswerkstätten*. Für alle, die nicht wissen, was das ist, möchte ich diesen Beitrag zum Anlass nehmen und kurz erklären, was eine Zukunftswerkstatt dem Musikverein bringen kann.
Eine Zukunftswerkstatt findet idealerweise mit (nahezu) allen Musikerinnen und Musikern des (Haupt-)Orchesters statt. Klar, alle können nie da sein. Aber zumindest sollte es das Bestreben sein. Denn bei einer Zukunftswerkstatt werden durchaus Entscheidungen getroffen, Weichen gestellt und wichtige richtungsweisende Dinge besprochen.
Der wichtigste Grund, eine Zukunftswerkstatt* in Eurem Musikverein durchzuführen, ist eine Kommunikationsplattform zu schaffen, bei der einfach mal über gewisse Dinge geredet und diskutiert werden kann. Die Zukunftswerkstatt ist ideal, um beispielsweise als Vereinsverantwortliche zu hören, was eigentlich die Musikerinnen und Musiker beschäftigt. Während der Probe ist dafür schließlich keine Zeit. In einer Zukunftswerkstatt können neue Projekte auf den Weg gebracht werden – einschließlich der Gründung der entsprechenden Projektgruppe mit Projektleiter:in. Hier kann endlich einmal in die Tat umgesetzt werden, was wir „eigentlich mal tun müssten/sollten/könnten“… Ich finde es immer unglaublich, welche Energie und welches kreative Potential in einer Zukunftswerkstatt in einem Musikverein freigesetzt wird. Ich kann den Augenblick, in dem durch Gruppendynamik eine große Motivation einsetzt, regelrecht spüren. Ich liebe die Moderation von Zukunftswerkstätten* in Musikvereinen.

Der Untertitel dieses Beitrags heißt: „Orchester geht nur gemeinsam“. Das ist insbesondere musikalisch gemeint, aber auch organisatorisch. Wenn ein Stuhl im Orchester frei bleibt – egal ob in der Probe, beim Auftritt oder beim Konzert – ist das ein Problem für die Gemeinschaft, also das Orchester an sich. Wir sollten die Anwesenheit als Normalität betrachten und die Abwesenheit als Ausnahme. Viel zu viele Orchester sind nur damit beschäftigt die Absenzen zu verwalten. „Werte definieren“ heißt unsere Aufgabe in den Orchestern und auch „Werte kommunizieren“. Immer nur über Probendisziplin und Rückmeldekultur zu diskutieren macht keinen Spaß… Dies sollten Selbstverständlichkeiten sein. Und für die Aufgabenverteilung gilt: Die Zeiten, in denen ein paar wenige alle Aufgaben für das Orchester erledigen, sind vorbei oder sollten vorbei sein. Teamarbeit ist das Gebot der Stunde.

Wie bekommt Ihr die Terminplanung für die musikalische Jahresstruktur in Eurem Musikverein hin? Nutzt gerne untenstehendes Kommentarfeld für Eure Ideen oder Eure Meinung zum Thema „Rosinenpicker und Straßenbilanz“.

*Link zu weiteren Informationen zu einer Zukunftswerkstatt hinterlegt.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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