Jubiläumsinterview 6/10 zu 10 Jahren KSL und Blasmusikblog
Die Fragen stellt: Ralf Eckert
In den 10 Jahren, die der Blasmusikblog und meine Firma Kulturservice Link schon bestehen, habe ich vielen Persönlichkeiten Fragen gestellt. Sowohl für den Blasmusikblog in unzähligen Round-Up-Posts und Interviews als auch in meinen Workshops und Zukunftswerkstätten. Zu meinem Jubiläum drehe ich den Spieß um und lasse mir Fragen stellen.
Die Fragen in diesem sechsten Interview stellt Ralf Eckert. Ralf ist Vizepräsident Blasmusikverband Hochrhein und spielt im Musikverein Rickenbach.
Ralf: Welches bzw. welche Schlüsselerlebnisse haben dazu geführt, dass Du von der Blasmusik so angefixt wurdest? Was hat Dich dazu bewogen, Dich über das eigene musikalische Umfeld hinaus in die Weiterentwicklung der Szene einzubringen?
Alexandra: “Ich bin in der Trachtenkapelle Hartheim groß geworden. Das übliche Repertoire damals: Potpourries (meist aus dem Halter-Verlag), Polka, Walzer, Marsch. Stell Dich ein in Oberkrain (Tschingdadadidaaaaa….), Dankeschön Bert Kämpfert und so weiter. Hootenany war geradezu revolutionär. Auf der Jagd galt als Konzertstückle. Die erste Polka, die ich in meinem Leben gespielt habe, war In fröhlicher Runde. Die nächste Schöne Serenade. Ich fand das alles sterbenslangweilig. In die Probe ging ich, weil die ganze Familie in die Musikprobe ging (außer Mama). Und dann kam der Tag, an dem das Jugendblasorchester Boppard-Bad Salzig in Hartheim zu Gast war. Das Konzert in Hartheim mit diesem Orchester war der absolute Schlüsselmoment, wo ich gesehen, gehört und gemerkt habe: Blasmusik kann großartig sein! Auf dem Konzert der Bad Salziger: Moment for Morricone und Choral and Rock-Out von Ted Huggens. Ich kam zum ersten Mal mit den Namen Johan de Meij und Henk van Lijnschooten bzw. Ted Huggens in Berührung. In der Schule (10. Klasse Realschule) habe ich dann auch in Musik ein Referat über Henk van Lijnschooten geschrieben.
Der zweite Schlüsselmoment war mein C3-Kurs Ende der 80er-Jahre. Erstmalig eine Zusammenarbeit von Markgräfler Musikverband und Blasmusikverband Kaiserstuhl- Tuniberg und erstmals mehrere Wochenenden über ein ganzes Jahr hinweg (damals fortschrittlich, heute sehe ich das als minimalistisch an). Meine Dirigierlehrer: Bernd Becker und Helmuth Blaudzun. Die Theorielehrer: Josef Heckle und Michael Stecher.
Wegen Bernd Becker habe ich 1989 danach zum Musikverein Freiburg-Opfingen gewechselt – der damals schon viel originale Blasorchesterliteratur im Konzert gespielt hat. Und im Sommerprogramm waren so lässige Sachen wie Spanish Fever von Jay Chattaway. Im Jahr 1989 habe ich meine Lehre bei Gillhaus begonnen, wo ich bald wie ein Weltmeister Blasorchesternoten verkauft habe. Und im Jahr 1991 habe ich zusammen mit ein paar Kollegen das Margräfler Verbandsblasorchester gegründet mit Bernhard Volk als Dirigent – nach einer komplett gescheiterten ersten Runde vom Verband initiiert, mit einem sich selbst überschätzenden Dirigenten.
Und vom dritten Schlüsselmoment erzähle ich in der Antwort zu Deiner nächsten Frage.”
Ralf: Ich kann für mich drei solcher Schlüsselerlebnisse definieren. Bei einem der drei sind wir uns zum ersten Mal begegnet. Weißt Du noch, wo und wann das war?
Alexandra: “Mein drittes Schlüsselerlebnis, das endgültig dafür sorgte, dass ich der „sinfonischen“ Blasorchesterszene verfallen bin, teile ich tatsächlich mit Dir. Es war das Benefiz-Projekt mit Johan de Meij im Jahr 1995 in Waldkirch.
Das Programm:
Suite aus “Romeo und Julia” – Sergeij Prokofiew, arr. Johan de Meij
Trois Rag-Caprices – Darius Milhaud, arr. Johan de Meij
Jazz Suite Nr. 2 – Dmitrij Schostakowitsch, arr. Johan de Meij
Symphony No.2 – The Big Apple – Johan de Meij, Deutsche Erstaufführung
Die Jazz Suite und der Big Apple waren bis dahin die schwersten Stücke, die ich je in einem Blasorchester gespielt habe. Ich habe davor täglich stundenlang geübt…
Und bei diesem Projekt haben wir uns kennengelernt. Da fällt mir ein: Damals haben wir ausgemacht, dass ich mal bei Dir in Rickenbach auf einen Kaffee vorbeikomme, wenn ich zu meiner Schwester nach Görwihl fahre. Das wäre dann noch pendent…
Hier an dieser Stelle ein großes Dankeschön an Dich für Deine unermüdlich Unterstützung. Herzlichen Dank dafür, dass ich Dich immer fragen kann, wenn ich Antworten brauche. Und auch dafür, dass ich schon mehrmals für Workshops in den Blasmusikverband Hochrhein eingeladen wurde. Danke für Deine Freundschaft, Ralf!”
Ralf: Hatte sich für Dich eigentlich auch mal die Frage der instrumentalen Professionalisierung gestellt?
Alexandra: “Nein, niemals. Ich wusste immer, dass ich für eine professionelle Flöten-Karriere nicht gut genug war. Außerdem hatte ich immer die Stimme meines Vaters in meinem Ohr: „Denk dran, Musik kannst Du immer machen, aber wenn Du musst…“ Und mit „müssen“ hatte ich in meiner Jugend schon Schwierigkeiten und eine Blockade *lach*. Mein Vater war ein weiser Mann!”
Ralf: Hast Du damals den Schritt in die Selbständigkeit mit Dir alleine ausgemacht, oder hattest Du einen Kreis von Ratgebern, die Dich darin bestärkt und unterstützt haben?
Alexandra: “Entschieden habe ich natürlich selbst, aber ich habe mir sehr viel Rat eingeholt und viele Gespräche vor der Gründung des Kulturservice Link geführt.
Meine Gedanken in Richtung Selbstständigkeit haben mit dem Rat eines Personalberaters angefangen zu drehen: „Frau Link, Sie taugen nicht als Angestellte. Sie machen sich selbstständig. Nutzen Sie Ihr Netzwerk.“
Mit den Vorstandschaften des Musikvereins Hausen an der Möhlin und der Schwarzwaldkapelle Münstertal habe ich jeweils einen Abend verbracht, um zu sehen, was die Musikvereine brauchen und wo ich genau mit einem Angebot für Musikvereine und Vereinsverantwortliche ansetzen kann. Ebenso habe ich mit dem Präsidium des Blasmusikverbands Kaiserstuhl-Tuniberg einen Abend verbracht. Weitere gute Ratgeber, mit denen ich persönlich sehr lange über Möglichkeiten gesprochen habe: Christoph Mild-Ruf, der schon in meiner De-Haske-Zeit von Anfang an ein wertvoller Unterstützer und Ratgeber war und Wolfgang Wössner. Ebenso war und ist meine Freundin Kisten Lin ein sehr wichtiger Ansprechpartner: Zusammen mit ihr habe ich beispielsweise das passende Logo für den Kulturservice Link gefunden. Danke an dieser Stelle an meinen Top-Grafiker Thomas Klein, mit dem ich seit Jahrzehnten zusammenarbeite und der auch von Anfang an mitgedacht hat. Dann habe ich noch meinen besten Kumpel Andreas Grotz, der die Gabe hat, alles ganz nüchtern zu sehen, der mir schwarz und weiß erklärt und immer ehrlich ist. Und haben wir zwei damals nicht auch ausgiebig über meine Selbstständigkeit gesprochen?”
Alexandra: Viele Deiner Themen und Expertisen liegen eigentlich auf der Hand, wenn man sie von Dir präsentiert bekommt. Wie kommst Du aber auf die Fragestellungen und bringst die Dinge immer wieder so auf den Punkt?
Alexandra: “Die Themen und Fragestellungen kommen quasi direkt aus den Musikvereinen heraus. Die meisten kommen direkt aus den Zukunftswerkstätten, die ich in Musikvereinen durchführe. Den Vormittag einer Zukunftswerkstatt verbringen wir mit dem Sammeln und Diskutieren der Probleme und Herausforderungen in den Bereichen Musik/Musiker, Organisation, Jugend und Finanzen. Mit diesen vier Bereichen ist im Prinzip der komplette Musikverein abgedeckt. Wir schauen ganzheitlich auf den Musikverein. Mittlerweile gibt es wenig neue Themen, die mir in den Zukunftswerkstätten begegnen. Die Zukunftswerkstätten sind jedoch nicht die einzigen Quellen. Es vergeht kaum eine Woche, dass ich nicht eine Mail mit einer speziellen Frage von einem Vereinsverantwortlichen, einem Dirigenten oder von Blasmusikern bekomme. Und dann bewege ich mich natürlich viel in der Szene und höre gut zu.
Mit den Lösungen ist es ähnlich. Es wird so viel gute Arbeit in den Musikvereinen geleistet. In den Zukunftswerkstätten vergessen wir auch nie die guten Seiten. Außerdem werden die Musiker:innen in den Brainstorming Sessions, die am Nachmittag der Zukunftswerkstatt folgt, sehr kreativ! Die Brainstorming Sessions, in denen die Arbeitsgruppen die Aufgabe bekommen, Lösungsideen – ohne Bewertung – für das ihnen zugeloste Problem zu sammeln und zu entwickeln, setzen eine großartige kreative Energie frei. Die Zukunftswerkstätten sind in den meisten Musikvereinen die erste Gelegenheit, wo sich erstmals alle Musiker:innen in die Vereinsorganisation und in zukünftige Projekte einbringen können. Üblich ist in den Musikvereinen ja eher, dass sich lediglich der Vorstand mit Ideen und deren Umsetzung beschäftigt und einbringt.
Die Lösungen hole ich mir auch aus der Beobachtung der Blasmusikszene. Die Social-Media-Kanäle sind hier sehr hilfreich. Ich habe sowohl in Facebook als auch in Instagram die meisten Blasorchester in Deutschland, Österreich, Südtirol und der Schweiz abonniert. Außerdem auch Blasorchester in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Italien. Wenn ich tolle Aktionen sehe, die Probleme lösen oder ganz einfach nur „toll“ sind, speichere ich die ab. Wenn ich eine Best-Practice-Aktion im Internet sehe, die mir besonders gut gefällt, nehme ich auch schon mal mit dem jeweiligen Blasorchester bzw. Musikverein Kontakt auf und frage, ob wir einen Beitrag daraus machen. Gute Lösungen, Ideen und tolle Aktionen erfahre ich auch in den Workshops für Vereinsverantwortliche, die ich auf Einladung von Blasmusikverbänden durchführe.
Nach jeder Zukunftswerkstatt und jedem Workshop erstelle ich eine schriftliche Dokumentation des Anlasses für den Musikverein bzw. für die Teilnehmer:innen, aber selbstverständlich habe ich alle diese Workshop-Ergebnisse auch bei mir abgespeichert und kann jederzeit darauf zurückgreifen.
Die Probleme und Lösungen dann auf den Punkt zu bringen hat sich im Laufe der Zeit und mit der gesteigerten Erfahrung so ergeben. Auch ich bin mit meinen Aufgaben gewachsen und lerne immer noch weiter dazu.
Übrigens: die Umfrage zur Zukunft der Musikvereine, die gerade (und noch bis zum 30. September 2025) läuft, zeigt genau die Fragestellungen der Musikvereine wieder auf – und sie unterscheiden sich nicht gravierend von den Problemen, die in der Umfrage vom Jahr 2015 durchgeführt habe… Die Arbeit geht nicht aus!”
Ralf: Wie könnten sich Deiner Meinung nach Verbände mehr um diese Basisthemen kümmern, anstatt sich in „verkopften“ Projekten zu verlieren?
Alexandra: “Punktuell leisten Blasmusikverbände auch bei den Basisthemen gute Arbeit. Leider steht sich die zerklüftete, zu vielfältige Blasmusikverbandslandschaft in Deutschland bei einer wirklichen Unterstützung der Blasorchesterszene in ihren Hauptproblemen und bei einer umfangreichen Kampagne für das Musizieren im Blasorchester selbst im Weg.
Du weißt, ich mache selbst keine Verbandsarbeit, ich schaue nur von außen auf die Arbeit der vielen Blasmusikverbände in Deutschland (und auch in anderen Ländern). Meine Hochachtung vor den vielen, die ehrenamtlich in den Verbänden arbeiten und auch vor der Arbeit der Hauptamtlichen. Respekt vor dem was Du persönlich leistest! Du bist für mich ein Blasmusikaktivist par excellence und das seit Jahrzehnten!
Meiner Meinung nach könnte noch mehr für die Blasorchesterszene in Deutschland gemacht werden, wenn die Verbände ihre Kräfte bündeln, an einem Strang ziehen, voneinander lernen und sich selbst einer Strukturänderung unterziehen würden.
Stell Dir mal vor, es gäbe für die Blasorchester und die Spielleute jeweils einen starken nationalen deutschen Blasmusikverband. Für die Blasorchester (Spielleute lasse ich hier außer Acht, um das Ganze nicht zu kompliziert darzustellen) dann pro Bundesland einen Landesverband und pro Region (auf Regierungsbezirks-Ebene) lokale Bezirksverbände. Die Kompetenzen der verschiedenen Ebenen wären genau definiert. Pro Landesverband idealerweise eine Blasmusikakademie (Ausnahmen: Bremen zu NDS, Hamburg zu SH) als jeweiliges Kompetenzzentrum und als Sitz des Verbandes.
Ich weiß, das ist Utopie. Die beiden Verbände in Baden-Württemberg würden niemals fusionieren (und erstrecht nicht eine ihrer luxuriösen Akademien aufgeben), die beiden Verbände in NRW auch nicht. Die Schützen, die Feuerwehren, die Turner oder der Diözesanverband würden niemals ihre Hoheiten aufgeben. Eine Ausgliederung der Spielleute, damit diese in einem starken Spielleuteverband die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, wird auch am Willen scheitern.
Lass mich die oben erträumte Struktur noch etwas weiterspinnen…
Der nationale Verband könnte sich um die Politik und Geldbeschaffung auf Bundesebene kümmern, um alle Themen, die alle Blasorchester in Deutschland betreffen. Gema, KSK, Versicherungen, usw. im administrativen Bereich. Die Definition der Standards in der Aus- und Fortbildung von Dirigent:innen, Ausbilder:innen und Vereinsverantwortlichen sowie bei den verschiedenen Arten von Wettbewerben und Wertungsspielen inklusive der Juroren-Aus- und Fortbildung und der Selbstwahl- und Pflichtstück-Listen. Die Ehrungsordnungen würde ich auch in die Bundesebene legen. Sie sorgen mit Kompositionswettbewerben und -aufträgen für die Entwicklung von neuem Repertoire von Komponisten aus Deutschland. Nationale Imagekampagnen und Werbekampagnen für das Spielen im Blasorchester und die Blasmusik mit einem umfangreichen Marketingmix allgemein ergänzen hier die Vorstellung. Alle paar Jahre ein Bundes-Blasmusikfest wäre fein.
Der Landesverband (Geschäftsstelle besetzt mit mehreren Hauptamtlichen) könnte sich um die Politik inklusive der Geldbeschaffung auf Landesebene kümmern und um alles Administrative, das nur auf Landesebene geklärt werden kann (Kultur liegt in der landespolitischen Hoheit). Sie setzen die Aus- und Fortbildung von Dirigent:innen, Ausbilder:innen, Vereinsverantwortlichen und Juror:innen um. Die Landesverbände kümmern sich außerdem um eine reibungslose Kooperation mit dem jeweiligen Landesverband der Musikschulen, um die flächendeckende hochwertige Instrumentalausbildung zu gewährleisten. Sie führen in verschiedenen Regionen des Bundeslandes unterschiedliche Arten von Wettbewerben und Wertungsspielen durch – geöffnet für jeweils alle Blasorchester aus dem Bundesland. Sie sorgen für die lückenlose Informationsweitergabe von allem Wissenswerten aus dem Bundes- und dem Landesverband an die Blasorchester und bauen auch eine Mailingliste von Blasmusiker:innen direkt auf. Außerdem sorgen sie durch einen klugen Marketingmix für die permanente positive Außendarstellung der Blasorchester bzw. der Blasorchesterszene. Alle paar Jahre ein Landes-Blasmusikfest wäre fein.
Die regionalen bzw. Bezirksverbände sorgen für die direkte Nähe zu den Blasorchestern, sie sind ganz nah an den Blasorchestern und den Blasmusiker:innen dran. Sie sorgen für die doppelte Portion an Informationen aus dem Bundes- und dem Landesverband sowie der Region/dem Bezirk. Sie setzen die Ehrungsordnung um. Und organisieren alles, was die Blasorchester direkt vor Ort brauchen – regionale Fortbildungsveranstaltungen zu allen Basisthemen, Stammtische, Diskussionsrunden usw. Sie haben das offene Ohr der Blasorchester und geben Rückmeldung an die Landesverbände.
Schöne utopische Blasmusikverbandslandschaft… In Österreich und der Schweiz funktioniert das übrigens in weiten Strecken so und das ziemlich gut.
Die Gründung des BMCO hat sich mir übrigens noch nie erschlossen. Wir hatten davor ja schon den Deutschen Musikrat mit den entsprechenden Landesverbänden. Die Verbindung von professioneller und Amateur-Musikszene ist beim Deutschen Musikrat ja sogar noch ein Bonus. Nun haben wir BMCO und Musikrat…. Und alle buhlen um dieselben öffentlichen Gelder… Was da so gründlich schief gelaufen ist würde ich gerne mal wissen.
Es wird in der Musikverbandslandschaft so viel Geld verbrannt nur dadurch, dass jeder sein eigenes Süpple kocht und jeder das Rad neu erfindet. Aber das wird wohl immer so bleiben…”
Ralf: Was sollten Deiner Meinung nach Verbände allgemein tun, um innovativer und präsenter zu sein?
Alexandra: “Da meine Vision, wie in der Frage zuvor dargestellt, niemals umgesetzt wird, meine Antwort zu dieser Frage für die vorhandene Verbandsstruktur (überlappende Verbands-Flecken- und Flickenlandschaft).
Ich möchte nochmals betonen, dass viele Verbände in Deutschland (Bezirksverbände, regionale Verbände) schon richtig gute Arbeit leisten. Dein Blasmusikverband Hochrhein ist das beste Beispiel dafür. Die Präsidien und Arbeitsgruppen dieser Verbände sind meistens ehrenamtlich besetzt. Deshalb kommt es natürlich immer auf die Persönlichkeiten, die diese Ämter füllen, und deren Motivation an. Richtig gute Verbandsarbeit von diesen Ehrenamtlichen wird nach meiner Erfahrung immer dann geleistet, wenn in Fach-Teams gearbeitet wird. Teams, die unabhängig handeln und entscheiden können. Es sind meist eigene Teams für Jugend, Dirigenten, Musiker allgemein, Verbandsorchester und Vereinsverantwortliche. Dazu kommt im Idealfall noch ein Marketing-Team. (Ich kenne auch einen Verband, der vordergründig in Teams arbeitet, der Präsident jedoch immer das letzte Wort haben möchte, ganz nach dem Motto „es kann nur einer den Hut auf haben“. Ideen unterstützt er meist nur dann, wenn es seine eigenen sind. So eine Haltung ist von vorgestern.)
Ehrenamtliche haben die Eigenschaft, dass sie natürlich nicht ununterbrochen für den Verband bzw. die Musikvereine, die im Verband organisiert sind, arbeiten können. Selbst dann nicht, wenn es für Lehrgangsleitung einen Obulus und Spesen gibt. Wenn Du nach Anregungen suchst, wie diese Verbände innovativer und präsenter sein können, müssen wir das immer berücksichtigen.
Hier schlage ich vor, dass die vorhandenen Kapazitäten genau dafür genutzt werden, was die Musikvereine brauchen. Denn schließlich ist der Verband die Summe aller Musikvereine. Selbstverwirklichung von einzelnen Verbandsfunktionären ist hier etwas hinderlich. Ebenso selbstdarstellerische Aktionen. Zunächst müssen die Verbände genau wissen, wo den Musikvereinen der Schuh drückt. Eine Umfrage kann helfen. Weit besser ist es jedoch mit den Vereinsverantwortlichen alle paar Jahre einen Workshop „Zukunft der Musikvereine“ durchzuführen. Im gegenseitigen Austausch kann viel besser herausgefiltert werden, was den Musikvereinen tatsächlich hilft und was im Moment wichtig ist. So ein Format habe ich erst vor wenigen Wochen im Blasmusikverband St. Gallen selbst erlebt. Die Jugendverantwortlichen – etwa 60 Teilnehmer:innen – hatten mit mir eine extra Veranstaltung (Ein Allegro con fuoco – das musikalische Speed-Dating). Die allgemeinen Vereinsverantwortlichen (Vorstände, Präsidenten oder andere Vorstandsmitglieder) – etwa 130 Teilnehmer:innen – haben zu verschiedenen Themen in Arbeitsgruppen gearbeitet. Alle Ergebnisse, aus beiden Veranstaltungen, wurden am Spätnachmittag präsentiert. Der Verband besteht übrigens aus etwa 120 Musikvereinen (Harmonie und Brass Band). Mit Vereinsverantwortlichen aus den Blasorchestern und Spielmannszügen des Deutschen Turnerbunds habe ich in Bad Gandersheim schon eine Zukunftswerkstatt für den Verband durchgeführt. Viele Ideen, die dort entstanden sind, wurden mittlerweile schon umgesetzt.
Um innovativ zu sein, brauchen die Verbandsverantwortlichen offene Ohren und Augen. Wünschenswert ist die Gabe, über den Tellerrand hinauszuschauen. Dies kann durch das Lesen der eigenen Verbandszeitschrift oder den Verbandszeitschriften der anderen Verbände geschehen. Oder durch das Abonnieren von Newslettern von anderen Verbänden, auch im Ausland. Netzwerken mit Vereins- und Verbandsverantwortlichen aus anderen Regionen und regelmäßiger Austausch finde ich essenziell. Ebenso hilft es, in den Sozialen Medien allen Verbandsaccounts und so vielen Musikvereins-Accounts wie möglich zu folgen. Die Themen und die Best-Practice-Beispiele aus anderen Regionen kommen dann von alleine angeflogen (sofern man seine eigene Timeline/Chronik regelmäßig durchschaut). Hier kann man sich prima inspirieren lassen – ich mach das auch so.
Etwas verwundert war ich, als ich vor kurzem in drei verschiedenen Verbänden Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Ganztagesschule sah, mit Terminen jetzt (2025) im Herbst. Es ist bereits seit 2021 bekannt, dass die Ganztagesschule ab 2026 kommt. Warum die Fortbildung für die Musikvereine erst jetzt? Wenn nächstes Jahr im Herbst umfangreiche Kooperationen mit Schulen stehen sollen, ist es jetzt zu spät darüber nachzudenken, wie diese Kooperationen aussehen könnten.
Es finden viele Fortbildungen in den regionalen und überregionalen Blasmusikverbänden statt. Allgemeiner Tenor bei diesen Veranstaltungen: Die Informationen kommen nicht bei den Personen in den Musikvereinen an. Manchmal bleiben sie an einer Person im Vorstand „hängen“. Die Verbandszeitschriften werden nicht von allen Blasmusiker:innen gelesen (liest die überhaupt noch jemand?). Im Newsletter-Verteiler sind sie auch nicht. Hier helfen folgende Dinge:
- Die Website muss Up-To-Date sein
- Durch spezielle Aktionen muss eine Mailingliste aufgebaut werden
- Social Media (Achtung: einmal posten nutzt nichts. Hier gilt das Gebot der permanenten positiven Außendarstellung.)
- Flyer mit Halbjahres-/Jahres-Programm per Post – ganz altmodisch
- Ein Marketingteam, das sich um den Informationstransport in Richtung Musikvereine und Blasmusiker:innen umfassend kümmert
Ich glaube, das mit dem „Präsentsein“ bei den Musikvereinen vor Ort haben die meisten Blasmusikverbände ganz gut durch die vielfältigen Ehrungen im Griff. Allerdings finde ich es ganz großartig, dass es bei Euch im Blasmusikverband Hochrhein die verbandsweite Ehrungsveranstaltung gibt. Ich gehöre zu denen, die im Konzert Musik hören möchten und keine Reden. Ob Ehrung oder nicht, ich weiß aus den Musikvereinen, dass es sehr geschätzt wird, wenn jemand vom Verband am Konzert ist.”
Ralf: Was ist Deine Meinung zu meinen zwei folgenden Thesen:
a) Ein Großteil der Vereine verzettelt sich, weil sie alles können wollen. Im Umkehrschluss: Die Spezialisierung und Herausarbeitung von Alleinstellungsmerkmalen sind Erfolgsfaktoren.
Alexandra: “Es ist nicht einfach für mich, auf diese These zu antworten. Denn es gibt keine generelle Wahrheit für dieses Thema. Zu Deiner These „Die Spezialisierung und Herausarbeitung von Alleinstellungsmerkmalen sind Erfolgsfaktoren.“ Ja, das stimmt. Absolut korrekt. Ist aber nicht für alle Musikvereine bzw. Blasorchester die ideale Lösung.
Ich führe, wie Du weißt, sehr viele Zukunftswerkstätten in Musikvereinen durch – in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es sind kleinere Musikkapellen dabei, mit so zwischen 20 und 30 Musiker:innen, mittelgroße Blasorchester (30 bis 50 Musiker:innen) und große Blasorchester (ab 50 Musiker:innen). Vom Leistungsniveau sind die Orchester, in denen ich tätig bin, auch sehr unterschiedlich. Aber eine Erfahrung mache ich in jeder Zukunftswerkstatt: Viele Musiker:innen antworten auf die Frage, was das besonders Tolle an ihrem Musikverein ist „das vielfältige Repertoire“. „Verzetteln“ könnte man auch mit „vielfältigem Repertoire“ übersetzen.
Aber für manche Musikvereine kann es eine Chance zum Überleben sein, wenn sie sich spezialisieren, beispielsweise auf traditionelle Blasmusik oder auf die Unterhaltung. Wobei man sich bei einer Spezialisierung im Klaren sein muss, dass man immer Musiker:innen verliert. Nämlich diejenigen, die mit der Spezialisierung nicht einverstanden sind.
Musiker:innen sind heutzutage mobiler als noch vor 20 Jahren. Sie gehen heute in den Verein, in der die Musik gespielt wird, die sie gerne machen, in denen der Dirigent/die Dirigentin am Pult steht, den/die sie gut finden und wo auch die Kollegen „passen“.
Es gibt immer mehr Musiker:innen, die möchten gerne Konzerte spielen und gehen dafür gerne in die Probe. Aber auf die „anderen“ Anlässe – die unsere Musikvereine in dörflicher Umgebung ausmachen – haben sie keine Lust. Ich wage mal den Blick in die Kugel: Das wird sich in Zukunft verstärken. Im Interview mit Sandra Settele habe ich ausführlich über die sogenannten „Pflicht-Auftritte in der Gemeinde“ geschrieben. Darin schreibe ich grob zusammengefasst: wenn wir hör- und sichtbar in der Gemeinde sind, dann müssen wir diese Auftritte gut machen! Nur, wenn wir dafür die Musiker:innen nicht überzeugen können, haben wir ein Problem.
Um mal zu einem konkreten Lösungsansatz zu kommen: Spezialisierung ist bei den Musikvereinen klasse, die sowieso schon überwiegend beispielsweise traditionelle Literatur spielen oder die sich beispielsweise überwiegend der Unterhaltungsmusik widmen. Musikvereine bzw. Blasorchester, die sich der konzertanten, sinfonischen oder originalen Blasorchesterliteratur widmen gibt es schon, genauso wie die vorher genannten spezialisierten Ensembles. Unser Freiburger Blasorchester ist beispielsweise so ein Orchester. Spezialisierung muss, wie ich oben schon angedeutet habe, nicht bei jedem Musikverein sein. Wie schon beschrieben, viele Musiker:innen lieben die Vielfalt des Repertoires. Oft ist es jedoch in den kleiner werdenden Musikvereinen gar nicht mehr möglich, ein Konzert zu spielen. Deshalb finde ich es bei diesen Musikvereinen immer sehr klasse, wenn sie sich mit anderen Blasorchestern in der Region zusammenschließen und gemeinsam ein Konzert proben, gestalten und musizieren. Oder wenn sie einmal im Jahr ein Konzert-Projekt starten und dafür Gast-Spieler einladen. Beide Variationen finde ich deshalb klasse, weil sie den Musiker:innen einmal im Jahr ein Konzerterlebnis in einem großen Ensemble, in dem alle Stimmen ausreichend besetzt sind, bieten.
Unbestritten finde ich, dass es nicht möglich ist, dass ein Musikverein musikalisch alles Können kann. Lösungsansatz hier ist ein Dirigent/eine Dirigentin, die sehr gut ausgebildet ist, genau einschätzen kann, welches Repertoire für das jeweilige Orchester geeignet ist und auch in der Lage ist, das Werk, das Arrangement oder das Stück – je nachdem – korrekt nach Partitur und Komponisten-/Arrangeur-Willen einzustudieren. Wenn sich dieser/diese in einem Genre nicht gut auskennt ist es immer eine gute Idee, sich Hilfe von entsprechenden Fachleuten zu holen.”
b) In zu vielen Musikvereinen wird musikalisches Leistungsdenken eher kritisch gesehen.
Alexandra: “Ja, den Eindruck habe ich leider auch. Nehmen wir mal das Thema Verbandsorchester/Auswahlorchester. Oder, weil diese Art von Orchester überall etwas anders genannt wird, nenne ich sie mal überregionale Orchester. Überregionale Orchester sind aus meiner Sicht hervorragende Gelegenheiten sich auf dem Instrument weiterzubilden, ein musikalisches Netzwerk aufzubauen (potenzielle Aushilfen!) und Repertoire kennenzulernen und zu spielen, das im Heimatverein aus Leistungsniveau-Gründen nicht möglich ist. Die Musiker:innen, die in diesen überregionalen Ensembles mitspielen, sind oder werden die Leistungsträger im heimischen Musikverein. So positiv das klingt, so negativ sehen das manche in den Heimatvereinen. Denn die Leute kommen mit neuen Ideen zurück, die dann manchen nicht passen. Sie wollen etwas im eigenen Musikverein ändern, wozu die Kollegen daheim nicht bereit sind. Sie sehen Dinge kritisch, die für die Mitmusiker:innen in der Heimat doch selbstverständlich dazugehören. Diese Leistungsträger, die sich in den überregionalen Orchestern einbringen, sollten meiner Meinung nach zuhause gefeiert werden! Oder zumindest sollte dieses besondere Engagement dadurch wertgeschätzt werden, dass die Kollegen aus dem eigenen Musikverein auch zum Konzert des Auswahlorchesters gehen. Blasmusikverbände, die in diese Auswahlorchester investieren, tragen zur musikalischen Verbesserung der Musikvereine bei. Diese Investitionen sind langfristig sehr gut angelegt. Ich wiederhole mich, aber auch da geht Dein Blasmusikverbalnd Hochrhein mit gutem Beispiel voran: Ihr leistet Euch ein Jugend- und ein Erwachsenenblasorchester. Bravo und herzlichen Dank dafür!
Ein weiteres Beispiel, wo der Leistungsgedanke in einigen Musikvereinen negativ aufstößt, sind Wertungsspiele bzw. Wettbewerbe. Wie schade, dass die Beteiligung an den Verbandswertungsspielen und -wettbewerben so nachgelassen hat. Schade, denn auch Wertungsspiele und Wettbewerbe tragen dazu bei, dass die Orchester musikalisch besser werden. Qualität ist immer der Schlüssel, um ein Blasorchester zukunftsfähig zu machen. Qualität in der Musik, in der Jugendarbeit, im Vereinsmanagement, im sozialen Miteinander und bei den Arbeitseinsätzen.
Auch für Verbandswertungsspiele und -wettbewerbe habe ich Ideen. Die hier jetzt noch aufzuschreiben, sprengt dann aber endgültig den Rahmen dieses Interviews.
Als drittes Beispiel drücke ich mein Bedauern darüber aus, dass die jungen Musiker:innen in den Musikvereinen nicht mehr im gleichen Maße wie noch vor 10-20 Jahren zu den Leistungsabzeichen motiviert werden. Wobei doch gerade das ein Ansporn und Motivation ist, sich auf dem Instrument weiterzuentwickeln.”
Herzlichen Dank lieber Ralf für die sehr interessanten und teilweise sehr herausfordernden Fragen!
Übersicht über die 10 Interviews:
1/10 Fragen von Roman Gruber
2/10 Fragen von Klaus Härtel
3/10 Fragen von Sandra Settele
4/10 Fragen von Mark Baumgartner
5/10 Fragen von Stephan Niederegger
6/10 Fragen von Ralf Eckert
7/10 Fragen von Andreas Kleinhenz
8/10 Fragen von Henning Klingemann
9/10 Fragen von Petra Springer
10/10 Fragen von Helmut Schmid