Warum wird in Weihnachtskonzerten keine Weihnachtsmusik gespielt?
Mit dieser Frage bin ich vor vielen Jahren in meiner De-Haske-Zeit konfrontiert worden. Ein- bis zweimal im Jahr habe ich mich mit Jan de Haan und Kollegen aus den anderen De-Haske-Ländern zusammengesetzt und über neue Ausgaben diskutiert. Was brauchen die Blasorchester in den verschiedenen Ländern? Welche Ideen gibt es für neue Bearbeitungen, Sammlungen, was ist im Jugendbereich gewünscht? Selbstverständlich wurde auch darüber geredet, welche Werke gut laufen, wo eine Fortsetzung produziert werden soll usw. Advents- und Weihnachtsmusik hat in jedem neuen De-Haske-Katalog eine Rolle gespielt. Kein August-Katalog ohne neue Weihnachtsliteratur. Diese lief sehr gut, ohne Frage. Aber einmal kam eben diese Frage von Jan de Haan:
„Warum wird in Deutschland in Weihnachtskonzerten keine Weihnachtsmusik gespielt?“
Hhm, zunächst einmal konnte ich die Frage nicht auf Anhieb beantworten. Ich hatte mir darüber noch nie Gedanken gemacht. Wir hatten selbst im Musikverein am 3. Adventssonntag „Weihnachtskonzert“. Ein Name, der übrig blieb, weil unser ursprünglicher Jahreskonzert-Termin der zweite Weihnachtsfeiertag war. „Jahreskonzert“ ist dann auch das Stichwort. Viele Vereine veranstalten ihr Jahreskonzert vor, an oder nach Weihnachten und nennen es deshalb Advents- oder Weihnachtskonzert. Da es jedoch streng genommen das Jahreskonzert ist, wird natürlich – in der Regel – eine große Palette der Musikgenres gespielt. Nicht nur Advents- und Weihnachtsmusik.
Die Frage von Jan hat mich dann dazu bewogen, einmal zu beobachten, was die Vereine in ihren Advents- und Weihnachtskonzerten wirklich spielen. Advent und Weihnachten kommen in den Programmen wirklich nicht oder kaum vor. Lediglich als Zugabe wird dann noch eine Weihnachtsliedbearbeitung gespielt.
Eine der Konsequenzen, die ich aus diesem Gespräch mit Jan de Haan gezogen habe war, dass ich fortan andere Titel für das Konzert in unserem Musikverein gesucht habe (ich war damals Marketing-Vorstand dieses Vereins) und wir das Konzert mit einem Motto/Thema versehen haben, z. B. „Es werde Licht“, „…. aus fernen Ländern, Zeiten und Kulturen…..“ oder „Helden, Hexen, Zauberwesen“. Ich habe schließlich gelernt, ein Titel „muß die Ladung decken“. Was drauf steht muß drin sein. Punkt. Wenn „Weihnachtskonzert“ drauf steht muß also Weihnachtsmusik drin sein.
Aus kirchlicher (in meinem Fall katholischer) Sicht, das muß ich in diesem Rahmen noch bemerken, dürfen vor Weihnachten streng genommen in der Kirche keine Weihnachtslieder gespielt werden. In die Adventszeit gehört Adventsmusik, Weihnachtslieder ab Heilig Abend. Allerdings wird das nicht konsequent gehandhabt. Wir haben in unserer Seelsorgeeinheit einen Pfarrer, der da sehr darauf achtet und besteht. Wenn das Advents- bzw. Weihnachtskonzert in der Kirche stattfinden soll, dann mit entsprechender Literatur.
Anderswo ist es anders. Streng genommen dürfte nach dieser Regel ja nicht einmal das Weihnachtsoratorium von Johan Sebastian Bach aufgeführt werden. Und das wäre ja Himmel schade…
Viele Menschen lieben Advents- und Weihnachtsmusik. Nicht, wenn sie aus allen Lautsprechern der Stadt dröhnt, nicht wenn sie eine Dauerberieselung ist. Aber hochwertig im Konzert gehört wird dieses Genre geliebt. Zutiefst überzeugt von dieser These haben wir damals dann in meinem Verein die Tradition der „Bläsermusik zur Weihnachtszeit“, immer am 30. Dezember des Jahres in der Kirche, eingeführt. Ein Konzert, bei dem die einzelnen Register in Eigenregie Ensemble-Werke einstudiert haben oder solo mit Orgel musiziert wurde. Vorgabe für das Programm: es soll nach Möglichkeit vorwiegend weihnachtliche Literatur sein. Ein erfolgreicher Anlass, der mittlerweile in Tunsel zur Tradition geworden ist. Erfolgreich nicht nur aus finanzieller Sicht (Klingelbeutel), sondern auch durch die Akzeptanz und Begeisterung der Konzertbesucher aus nah und fern.
Die Weihnachtszeit dauerte früher bis zum 2. Februar, Maria Lichtmess bzw. Darstellung des Herrn. Seit der Erneuerung des liturgischen Kalenders endet die Weihnachtszeit mit dem Fest der Taufe des Herrn am Sonntag nach dem 6. Januar (aus katholischer Sicht geschrieben). Für Konzerte mit Advents- und Weihnachtsmusik haben wir also Zeit vom 1. Advent bis mindestens Dreikönig! Warum also nicht mal das Experiment wagen und ein „echtes“ Weihnachtskonzert spielen? Es gibt so viel tolle Literatur mit dem Thema „Weihnachten“, angefangen von reinen Choral- bzw. Liedbearbeitungen, über Fantasien, Rhapsodien und Variationen, bis hin zu klassischen und Pop-Bearbeitungen, Medleys, Potpourries und Originalwerken. Abwechslung bringen thematisch verwandte Themen wie Winter, Schnee, Lichterzauber, Licht, Feuerwerk usw.
DAS Weihnachtslied aller Weihnachtslieder feiert in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag. Der Organist Franz Xaver Gruber (1787-1863) schuf diese unglaublich schöne Melodie von Stille Nacht, die mittlerweile rund um den Erdball zur Weihnachtszeit gesungen wird. Der deutsche, ursprüngliche Text stammt von Joseph Mohr (1792 – 1848). Der Hilfspfarrer Mohr hatte das Gedicht schon früher geschrieben und bat dann den Organisten seiner Gemeinde, Franz Xaver Gruber, es zu vertonen. Erstmals erklang Stille Nacht dann an Weihnachten 1818 in der Kirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg.
Die – für mich – schönste Bearbeitung des Klassikers Stille Nacht schuf Jacob de Haan. Jacob – selbst studierter Organist und Kirchenmusiker – hat ein unglaubliches Händchen für Choral- und Liedbearbeitungen. Aus der einfachsten Melodie kann er ein wohlklingendes Werk für Blasorchester zaubern. Eine Begabung, die auch der oben schon erwähnte Bruder von Jacob, Jan de Haan hat. Beweis dafür sind die Bearbeitungen von Macht hoch die Tür und Tochter Zion – beide Ausgaben hundertfach verbreitet in der Blasorchesterwelt… Alle drei genannten Lieder sind in der Bearbeitung einfach gehalten und doch jeweils mit einem gewissen Extra versehen. Warum diese Werke so gut klingen wie sie es tun können Musiktheoretiker und Harmonielehrekenner sicherlich an Hand der Noten erklären. Ich selbst kann dies nur durch hören und selbst spielen erkennen. Sie können’s halt, die De-Haan-Brüder…
Ja, ich weiß, ich bin durch meine eigene Geschichte vorbelastet… Man kann halt nicht raus aus seiner Haut. Und doch schreibe ich das hier aus voller Überzeugung. Lieber die oben genannten Ausgaben spielen als irgendwelche 0815-Bearbeitungen der gleichen Lieder…
Wünsche durfte ich in meiner De-Haske-Zeit viele anbringen. Und glücklicherweise sind auch viele Produktvorschläge von mir umgesetzt worden. So habe ich zum Beispiel auch an den beiden Sammlungen Gott zur Ehre mitgearbeitet. Jan de Haan war der Überzeugung, dass diese beiden Sammlungen erfolgreich werden, wenn wir unsere besten Leute daran setzen. Und so ist es gekommen… Vorgabe bei beiden Sammlungen: Eine große Auswahl an Liedern (ich glaube 80 oder so) und jeweils ein Vorspiel. Arrangeure: Jacob de Haan, Jan de Haan, André Waignein, Jan Van der Roost, Jan Haderman, usw. Die Ausgabe Gott zur Ehre – Weihnachtsliedersammlung heißt in unserem badischen Sprachgebrauch nur „das rote Heftle“, die Ausgabe Gott zur Ehre – Kirchenliedersammlung entsprechend „das blaue Heftle“.
Auch bei der Sammlung 371 vierstimmige Choräle von Johann Sebastian Bach war ich nicht ganz unbeteiligt. Damals waren die 6 Bach Koralen aus dem Molenaar-Verlag weitverbreitet. Ich habe bei Jan den Wunsch geäußert, auch eine Ausgabe mit Bach-Chorälen für den deutschen Markt haben zu wollen und habe ihm zu diesem Zweck die „Urausgabe“ mit der Artikelnummer EB 10 aus dem Hause Breitkopf & Härtel vorgelegt. Jan sah diese Ausgabe und sagte: „Wir machen sie alle!“ Eine weitere kleine nostalgische Geschichte aus meinem Leben…
So, nun aber genug in De-Haske-Nostalgie geschwelgt. Nun noch ein paar Vorschläge „aus anderem Hause“.
Meine Favoriten bei den Weihnachtsliederbearbeitungen bzw -medleys sind Russian Christmas Music von Alfred Reed und Polish Christmas Music von Johan de Meij. Davon abgesehen, dass es hervorragende Arrangements sind gefällt mir dabei besonders, dass darin (für uns) unbekannte Weihnachtslieder drin und kreativ mit eigenen Elementen verarbeitet sind. Ganz besonders finde ich auch Ukrainian Bell Carol in der Bearbeitung von Philip Sparke. Zum einen, weil die Bearbeitung kreativ gemacht ist, zum anderen weil mir dieses Lied besonders gut gefällt.
Mein Lieblings-Weihnachtslied ist übrigens „Nun freut Euch Ihr Christen“, das besser bekannt unter den Namen „Herbei, o Ihr Gläubigen“ bzw. „Adeste Fideles“ ist. Und leider muß ich – wenn es um eine Blasorchesterbearbeitung geht – wieder meinen alten Arbeitgeber nennen. Eine ganz wunderbare Fantasie über dieses Lied hat Wim Stalman geschaffen: The Call of Christmas. Dazu gibt es übrigens auch Chorstimmen ad libitum mit deutschem, niederländischem und englischem Text.
Ohne auf die Weihnachts-Pop- und Rock-Songs einzugehen wäre jetzt dieser Weihnachts-Beitrag nicht ganz so komplett. Mal ehrlich, können wir auf Last Christmas verzichten? Die Frage soll jeder für sich beantworten. Wenn’s im Radio kommt gröle ich natürlich wie Ihr sicher auch lauthals mit. Das gehört so. Im Blasorchester-Konzert kann ich gut darauf verzichten.
Zwar weder Rock noch Pop, jedoch Gospel, aber oft von Popmusikern interpretiert: Mary’s Boy Child. Und es gibt einer super Bearbeitung von Philip Sparke. Filigran, kreativ, nicht 0815 und nicht ganz einfach. Zudem noch mit einer unverzichtbaren Bassklarinette. Aber richtig cool. Und auf jeden Fall konzerttauglich!!! Philip Sparke, ein Mann der sein Handwerk versteht. Ja, genau, ich bin Fan!
Es wäre schön, wenn ich mit diesem Beitrag das ein oder andere Blasorchester dazu animiert habe, demnächst einmal ein „echtes“ Weihnachtskonzert, also nur mit weihnachtlich-winterlicher Literatur zu spielen. Schickt mir dann gerne ein Konzertprogramm! (Per Mail an alexandra@kulturservice.link).
Eure weihnachtlichen Favoriten und Tipps könnt Ihr für Eure Kolleginnen und Kollegen gerne unten in die Kommentare schreiben. Traut Euch, das Kommentarfeld weiter unten auf dieser Seite zu benutzen! Ihr müßt Euch zwar anmelden, aber das ist kein Hexenwerk. Es dient dazu, den Blog vor SPAM zu schützen. Ich gebe jeden einzelnen Kommentar nach Prüfung manuell frei. Ein Vorteil: Wenn jemand nach Vorschlägen für Weihnachtsmusik im Internet sucht, findet er von Euch geprüfte und für gut befundene Werke direkt auf einer Seite gesammelt. Die Kommentare mit Tipps in Facebook sind zwei Tage später verschwunden und vergessen… Also, immer direkt hier auf dem Blog kommentieren.
Es ist jetzt zwar erst September, aber ich glaube für einen Beitrag mit weihnachtlichen Vorschlägen ist es jetzt noch nicht zu früh…. Ganz im Gegensatz zu den Lebkuchen, die ich auch schon im Supermarkt entdeckt habe… Wie immer hoffe ich, Euch etwas Inspiration gegeben zu haben.
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Die Links, die hinter den Titeln hinterlegt sind, führen alle in den Online-Shop des Hebu-Musikverlags. Wenn Ihr über diesen Link einen der Titel bestellt, fließt eine kleine Provision an mich zur Unterstützung meiner Arbeit mit dem Blasmusikblog.com. Am Preis für Euch ändert sich nichts.
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Sehr interessanter Artikel, Alexandra! In der Tat halte ich es mit meinem Musikverein so, dass wir ein “Jahreskonzert” im Frühling spielen, in dem es eher “unterhaltend” (in Ermangelung eines besseren Wortes) ist. D.h. Originale Literatur und Musik aus Pop, Film, Musical und Show (wie es so schön heißt ). Am 1. Advent wird dann traditionell das Advents(!)Konzert gestaltet. Dort spielt das Blasorchester verhältnismäßig wenig und die – von Ihnen auch beschrieben – Ensembles und Solisten stehen im Vordergrund, die ich ggf. an der Orgel korrepetiere. In diesem Konzert wird speziell auch auf den Ort “Kirche” bei der Programmauswahl gedacht.
Ein wichtiger Unterschied, den ich zu Ihrem Artikel vielleicht noch ergänzen darf, ist der Unterschied zwischen Advents- und Weihnachtsmusik und “weihnachtlicher Musik”. Weihnachtsmusik ist eigentlich immer verbunden mit dem christlichen Glauben, während weihnachtliche Musik zum Beispiel auch eher weltliche weihnachtliche Figuren enthalten kann oder einfach von der Weihnachtszeit im allgemeinen singt (zB White Christmas, Santa Claus is coming to town, Schneeflöckchen, Weißröckchen usw.).
Hallo!
Es scheint gerade eine sehr produktive Zeit bei Dir zu sein…
Aus meiner Sicht ist aber nicht ERST September, sondern SCHON! Und da muss ich die Verlage sehr kritisieren. Ich finde, dass die Angebote viel zu spät kommen! Die Planung für ein Konzert ist oft ein halbes Jahr vorher abgeschlossen, weil ja auch die Probenzeit geplant werden muss.
Herzliche Grüße von
Ulrich
Danke für Deinen Beitrag Ulrich. Für diejenigen, die Konzert im Dezember oder Januar haben ist Juli/August als Erscheinungstermin der neuen Kataloge in der Tat zu spät. Aber heutzutage haben wir Gott sei Dank eine riesige Fülle an Werken, aus denen wir auswählen können, so dass wir die Programme sinnvoll langfristig planen können. Die “brandneuen” Werke sind dann halt für das übernächste Konzert…
Hallo Alexandra,
ich habe in meiner aktiven Zeit sehr gern “Die Winterrose” von Gäble gespielt.
Mein ehemaliger Verein veranstaltet zusammen mit den anderen kulturellen Vereinen des Städtchens ein Adventskonzert in der Kirche. Und da lagen meist so Stücke wie Adagietto oder Arioso auf dem Notenpult. In der Christmette war dann ‘s rote Heftle dran
Liebe Grüße, Chris
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