Bläserphilharmonie Aachen: 92,08 Punkte bei der WMC-Premiere
Die erst drei Jahre alte Bläserphilharmonie Aachen erreicht bei ihrer ersten WMC-Teilnahme gleich eine Top-Ten-Platzierung in der 1. Division
Ein Gastbeitrag von Clemens Baumeister
Die Bläserphilharmonie Aachen hat bei der diesjährigen Ausgabe des WMC-Musikfestivals, das alle vier Jahre im holländischen Kerkrade stattfindet, einen großen Erfolg erzielt und aus dem Stand eine Platzierung in der Liste der besten zehn Orchester der 1. Division erreicht. Die Jury bestehend aus internationalen Blasmusik-Experten wie Miguel Etchegoncelay, Rob Goorhuis und Yves Segers benotete das Wertungsspiel der jungen Aachener Musiker am 23. Juli in der Rodahalle in Kerkrade mit der Gesamtpunktzahl von 92,08 Punkten und einer Goldmedaille mit Auszeichnung. Für die Bläserphilharmonie Aachen, die erst im Jahre 2013 von Aachener Technik-Studenten gegründet wurde und deren Musiker noch nie an einem WMC-Wettbewerb teilgenommen hatten, ist dies ein riesiger Erfolg.
Das Ergebnis war der Lohn für eine lange Vorbereitungszeit mit vielen Proben und Konzerten: Die Bläserphilharmonie Aachen, das erste sinfonische Blasorchester auf Höchststufenniveau in der Aachener Innenstadt, konnte sich im Sommer 2016 – zwei Jahre nach ihrer Gründung – als eines von drei deutschen Blasorchestern für die Teilnahme am WMC in der 1. Division qualifizieren. Allein die Zulassung zur Weltmeisterschaft der Blasorchester war ein großer Erfolg für das junge Ensemble, doch die Musiker und ihr Dirigent Tobias Haußig wollten mehr und arbeiteten ein Jahr lang auf den Wettbewerbsauftritt hin.
Das Pflichtwerk „The Unknown Journey“ von Philipp Sparke probte man bereits im Wintersemester und führte es in zwei Konzerten in Aachen im November 2016 auf. Die Probearbeit für das Wahlstück „Time for Outrage!“ von Marco Pütz und das Einspielstück „Xerxes“ von John Mackey begannen im April 2017. Für einen Probentag reiste sogar der Komponist Marco Pütz eigens nach Aachen, um mit den Musikern der Bläserphilharmonie Aachen sein Stück einzustudieren. Das Orchester spielte danach im Juni zwei Vorbereitungskonzerte in der alten Aula der RWTH Aachen, in denen das Wettbewerbsprogramm dem Aachener Konzertpublikum vorgestellt wurde. Schließlich reiste man Anfang Juli nach Margraten zum „Dreiländerkonzert“, wo die Bläserphilharmonie Aachen ein Gemeinschaftskonzert mit dem belgischen Harmonieorchester Riemst und der niederländischen Fanfare St. Getrudis spielte.
Die letzte Woche vor dem WMC-Wertungsspiel war gleichzeitig auch die intensivste: insgesamt fünf Probentermine standen für die Musiker an. „Das ist insbesondere deswegen bemerkenswert“, so Orchesterdirigent Tobias Haußig, „weil in dieser Zeit für alle Studenten in Aachen die Klausurenphase beginnt. Dass die Musiker dennoch mit einer riesigen Motivation bei der Sache waren, macht mich sehr stolz.“
Am 21. Juli – zwei Tage vor dem Wertungsspiel – stand die Generalprobe für den WMC an. Doch handelte es sich dabei keineswegs um eine normale Probe: für den letzten Test vor dem Wertungsspiel war das ganze European Union Youth Wind Orchestra (EUYWO) unter der Leitung von Jan Cober nach Aachen gereist, um ein Gemeinschaftskonzert mit der Bläserphilharmonie Aachen im Eurogress, dem größten Konzertsaal der Stadt, zu geben. Das Konzert fand im Rahmen der Reihe „WMC on tour“ statt. Dabei bieten die Organisatoren des WMC den Konzertbesucher in ausgewählten Städten der Euregio die Möglichkeit, einige der internationalen Spitzenorchester, die beim WMC in Konzerten und Wettbewerben in Kerkrade ihr musikalisches Können zeigen, in „ihrer“ Stadt zu erleben. Für Achim Lindt, den Vorstandsvorsitzenden der Bläserphilharmonie Aachen, war es eine große Ehre, ein WMC-Konzert ausrichten zu können: „Als der WMC uns gefragt hat, ob wir ein Gemeinschaftskonzert mit dem EUYWO in Aachen veranstalten wollen, haben wir sofort Ja gesagt.“
Das European Union Youth Wind Orchestra unter der Leitung des international renommierten Dirigenten Jan Cober gilt als eines der besten Blasorchester weltweit. Das 70-köpfige Ensemble, das alle zwei Jahre für eine Projektphase mit Konzerten innerhalb Europas neu zusammengestellt wird, bündelt die besten jugendlichen Musikerinnen und Musiker aus ganz Europa im Alter von 15-30 Jahren. Beim Gemeinschaftskonzert im Eurogress führte zunächst die Bläserphilharmonie Aachen ihr Wettbewerbsprogramm auf. Die besondere Akustik des großen, weiträumigen Konzertsaals kam den 87 Musikern der Bläserphilharmonie Aachen dabei sehr zugute, sodass der letzte Test ausgesprochen gut gelang. Danach war das EUYWO dran und riss die 700 Konzertbesucher mit Stücken wie „Les Trois Notes du Japon“ von Toshio Mashima oder „Ballets“ von Miguel Asins Arbó zu begeistertem Applaus und Standing Ovations hin.
Zwei Tage später war dann alles bereit für den großen Tag: um 14:00 Uhr versammelte sich das Orchester in Aachen zur Abfahrt nach Kerkrade. Dabei kam den Musikern der Umstand zugute, dass unter allen teilnehmenden Ensembles die Bläserphilharmonie Aachen das Orchester mit dem kürzesten Anreiseweg zum WMC ist: während andere Orchester aus Japan, China, Spanien, Schweden oder den USA mehrere Tage vor ihrem Wettbewerbsauftritt nach Holland reisen mussten, konnte die Bläserphilharmonie Aachen dank der Entfernung von nur 13 km zwischen Aachen und Kerkrade gleich am Wettbewerbstag anreisen.
Nach der Ankunft in Kerkrade hatten die Musiker zunächst eine Wartezeit zu überbrücken: die WMC-Organisatoren hatten mehrere Unterkunftscontainer als Umkleide- und Aufenthaltsräume für die Musiker aufstellen lassen. Da diese jedoch noch vom vorhergehenden Orchester belegt waren, nahmen die Musiker eine letzte Stärkung an den landestypischen Frittenbuden zu sich.
Die lange Wartezeit ließ die Anspannung der Musiker spürbar steigen. Spätestens als das Orchester um 15:40 Uhr – eine Stunde vor dem Wertungsspiel – in den Einspielraum vorgelassen wurde, konnte ein jeder die höchst konzentrierte Atmosphäre fühlen, die viel intensiver als bei allen vorangegangenen Konzerten zu sein schien. Ungefähr eine halbe Stunde lang probte Orchesterdirigent Tobias Haußig einige ausgewählte Passagen aus den Wettbewerbsstücken, danach ließ er jeden Musiker reihum sein Instrument stimmen.
In der Zwischenzeit musste die Bühne für die Bläserphilharmonie Aachen hergerichtet werden. Bei 87 Orchestermitgliedern ist dies ein beachtlicher logistischer und zeitlicher Aufwand. Deswegen waren zehn Helfer, zumeist Freunde von Orchestermitgliedern, mit nach Kerkrade gereist, um die Stühle zu positionieren und die Schlagwerkinstrumente, die eigens aus Aachen mitgebracht wurden, auf die Bühne zu tragen, während sich das Orchester in Ruhe einspielen konnte. Zehn Minuten vor dem Auftritt schickte der Dirigent alle Registerführer auf die Bühne, um den Orchesteraufbau auf seine Richtigkeit zu überprüfen.
Kurz darauf war es soweit: das Orchester zog unter dem freundlichen Applaus der 800 Zuhörer in die Rodahalle ein. Nach einer kurzen Ansage des WMC-Verantwortlichen, der das Orchester und sein Wettbewerbsprogramm vorstellte, ertönte die Glocke der WMC-Juroren und das Wertungsspiel begann.
Der Auftritt der Bläserphilharmonie Aachen wurde aufgezeichnet und ist unter folgenden Links bei YouTube abrufbar:
- The Unknown Journey (Philipp Sparke): https://www.youtube.com/watch?v=QvizuWpqJYI
- Time for Outrage! (Marco Pütz): https://www.youtube.com/watch?v=r71ZW2ro5XA
Nach ungefähr 40 Minuten war die Vorstellung der Bläserphilharmonie Aachen zu Ende. Lang anhaltender Applaus und Standing Ovations – auch durch den Komponisten Marco Pütz, der ebenfalls im Publikum war – belohnten die Orchestermusiker für eine großartige Leistung. Alle drei Wettbewerbsstücke gelangen ausgezeichnet und Dirigent Tobias Haußig war voll des Lobes für seine Musiker: „Es ist uns immer wieder gelungen, große musikalische Momente zu erzeugen, die bei mir jetzt noch Gänsehaut hinterlassen.“. Mit dem Bühnenabgang wich auch die letzte Anspannung bei den Musikern und wandelte sich in ausgelassene Freude.
Eine Stunde nachdem das Orchester die Bühne verlassen hatte, fand die Bekanntgabe aller Ergebnisse des Tages in der Rodahalle statt. Die WMC-Juroren bewerteten das Pflichtstück „The Unknown Journey“ mit 92,17 Punkten und das Wahlstück „Time for Outrage!“ mit 92,00 Punkten. Lauter Jubel brach unter den Orchestermusikern aus, als das Gesamtergebnis von 92,08 Punkten verkündet wurde. Ein Video von der Ergebnisbekanntgabe ist unter folgendem Link verfügbar: https://de-de.facebook.com/jvdhurk/posts/531007676481
92,08 Punkte sind ein wahres Traumergebnis für die Bläserphilharmonie Aachen, mit dem sich das Orchester den neunten Platz im Teilnehmerfeld der 23 Blasorchester in der 1. Division sicherte. Auf dem achten Platz liegt mit 92,17 Punkten und äußerst knappem Abstand die Junge Studentische Bläserphilharmonie, ebenfalls ein jugendliches Orchester, das aber ausschließlich aus Musikstudenten der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf besteht. Den Sieg holte sich mit 96,08 Punkten das Harmonieorkest de Volksgalm (Belgien).
Mit ihrer Leistung in Kerkrade haben die jungen Musiker sich der Weltblasorchesterszene vorgestellt und gezeigt, dass sie ganz oben mithalten können. Dies bestätigen auch die Bewertungsblätter der drei Juroren, die jedem Orchester nach seiner WMC-Teilnahme ausgehändigt werden. Über die Bläserphilharmonie Aachen schreibt bspw. Jurymitglied Rob Goorhuis: “an outstanding orchestra with very good technical skills, individually and as a whole” – welch ein Lob von einem der großen Blasmusik-Experten. Dass sie bereits drei Jahre nach der Gründung des Orchesters eine Goldmedaille bei der Weltmeisterschaft der Blasorchester erreichen würden, hätte vorher wohl keiner der Musiker der Bläserphilharmonie Aachen für möglich gehalten. Für die jungen Künstler ist jedoch eines gewiss: in vier Jahren, wenn die nächste Ausgabe des WMC stattfindet, wird die Bläserphilharmonie Aachen wieder dabei sein!
Clemens Baumeister, Bläserphilharmonie Aachen
https://www.facebook.com/blaeserphilharmonie
https://youtube.com/c/BläserphilharmonieAachen
http://blaeserphilharmonie-aachen.de/
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