Das Freiburger Blasorchester – von seinen Ursprüngen als Musikverein Haslach bis heute
Historie lebt dann, wenn Menschen, die dabei waren, ihre Geschichte erzählen. Leider können viele der Personen der 100+1 (und mehr) Jahren des Musikvereins Haslach, des späteren 1. Freiburger Jugendblasorchesters und letztendlich des Freiburger Blasorchesters, nicht mehr selbst erzählen. Von ihnen, unseren Ahnen, können wir jedoch vieles – wenn auch nicht alles – aus schriftlichen Dokumenten aus unserer Vorzeit lesen.
Eines können wir sicher sagen: Es waren immer mutige Persönlichkeiten, die im Laufe unserer Geschichte unser Blasorchester quasi immer neu erfunden bzw. in neue Bahnen gelenkt haben.
Wann genau sich die ersten Blasmusiker in Haslach bei Freiburg zusammengefunden haben, um gemeinsam zu musizieren, ist uns leider nicht bekannt. Aber es gibt eine Quelle, die uns sagt, dass die Kapelle zusammen mit dem Gesangverein anlässlich des Kaiserfestes im Jahr 1887 vom Gasthaus Pfauen 105 Liter Bier erhalten hat. Und aus dem Jahr 1913 gibt es tatsächlich ein Foto der Musikkapelle Haslach, das 12 Musiker zeigt.
Der 12. Februar des Jahres 1921 ist der große Tag, an dem ganz offiziell der Verein gegründet wurde. Wir wissen aus alten Unterlagen, dass die drei Herren Schneider, Schitterer und Krebs die Vereinsgründung in die Hand genommen haben. In einer alten Chronik aus dem Jahr 1961 ist zu lesen: „Einem vielfältigen Wunsche hiesiger Einwohner und mehrerer Vereinsvorstände entsprechend, hat sich eine Anzahl junger Leute zusammengeschlossen, um für den hiesigen Vorort eine Musik zu gründen. Sie hat den Zweck, junge Leute für die edle Musik zu begeistern. Geselligkeit und Kameradschaft zu pflegen und unseren Vorort im Ansehen zu heben. Nach reiflicher Überlegung und in Anbetracht der hohen Kosten für Instrumente und für die dauernde Unterhaltung eines Dirigenten soll ein Verein gegründet werden.
Wir treten nun an die verehrliche Einwohnerschaft des hiesigen Vorortes mit der Bitte heran, unser Vorhaben zu unterstützen und unserem Verein dem Beispiel anderer Ortschaften folgend, geschlossen beizutreten.“
Herr Krebs hat hierauf ca. 50 Unterschriften für den Verein gesammelt und so die Gründung des Vereins ermöglicht.
Ordnen wir die Vereinsgründung geschichtlich kurz ein. Haslach war bereits seit 1890 ein Stadtteil von Freiburg geworden. Der Erste Weltkrieg (1914-1918), die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, endet im November 1918 mit der militärischen Niederlage des deutschen Kaiserreiches und seines Büdnispartners Österreich-Ungarn. Durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und den Versailler Friedensvertrag mit seinen Reparationsforderungen hat die junge Republik schwere Lasten zu tragen, sowohl außen- als auch innenpolitisch. Es ist also durchaus mutig und vorausschauend zu nennen, in einer vor allem wirtschaftlich sehr schwierigen Zeit einen Verein zu gründen.
Interessant, was uns aus der Gründungsverammlung überliefert wurde: „Es wurde beschlossen, daß die Instrumente und sonstigen Geräte Vereinseigentum werden sollten. Der Verein muß hohe Beiträge erheben, wenn er etwas leisten will. Man einigte sich schließlich auf 3,- Mark Eintrittsgeld und 2,- Mark Monats-Beitrag.
Bei Punkt Verschiedenes erklärte Herr Stadtverordneter Hegner: ‚Der Verein kann und muß gedeihen, wenn aktive und passive Mitglieder treu zusammenhalten. Die Musik müsse aber Arbeit leisten. An der Opferwilligkeit der Haslacher werde es dann nicht fehlen.‘“
Die erste schwere Zeit hatte die Kapelle bei der Inflation 1923 zu bestehen, die dem Verein Verluste nicht ersparte. Im Jahre 1925 ging es dann wieder aufwärts. Die Musikkapelle unter der Leitung von Herrn Kurth war mittlerweile auf 36 aktive Musiker angestiegen. Viele Pokale und Urkunden zeugen von dem hohen musikalischen Stand der Kapelle, die bei vielen Wertungsspielen und sonstigen Veranstaltungen mit großem Erfolg teilgenommen hatte.
Die politischen Ereignisse in den Jahren ab 1933 brachten dem Verein einen Rückschlag, da alle nicht politisch organisierten Vereine aufgelöst wurden.
Durch die politische Lage war der Verein gezwungen, sich politisch zu organisieren. Hier trat nun die Firma FORTSCHRITT – ein Hersteller von Büromöbeln und mehr – hilfreich ein. Sie verpflichtete die Musikkapelle als Werkskapelle, um auf diesem Wege den Weiterbestand der Kapelle zu sichern. Wir können nachlesen: „In neuen Uniformen wurden zahlreiche Werkskonzerte und andere Veranstaltungen durchgeführt, die allen Beteiligten schöne und erlebnisreiche Stunden brachten. Die finanziellen Lasten wurden von der Firma FORTSCHRITT übernommen.“ Ein mutiger Schritt also wiederum – dieses Mal von den damaligen Inhabern der Firma FORTSCHRITT. Allerdings müssen wir hier einfügen, dass während dem Zweiten Weltkrieg keine Büromöbel, sondern Rumpf- und Leitwerkteile für Flugzeuge als Zulieferungsbetrieb für die Messerschmitt AG hergestellt wurden (Quelle: BZ 07.04.2015). Die Kriegsjahre sorgten für eine Unterbrechung der Vereinstätigkeiten. Nach dem Krieg existierte der Verein nicht mehr. Die Mehrzahl der Musikinstrumente war geplündert oder unbrauchbar. Die Noten waren vernichtet. Trotzdem beschlossen einige aktive Musiker, die sich nach dem Kriege wieder zusammengefunden hatten, den Verein neu zu gründen. Bei dieser Neugründung im Jahr 1947 waren 8 Musiker anwesend, die auch den provisorischen Vorstand bildeten. Diese Neugründung war mit vielen Schwierigkeiten und Hindernissen verbunden. Mit den Besatzungsbehörden waren lange Verhandlungen notwendig, um die Gründung zu legalisieren. Auch ein Probelokal war nicht vorhanden, da sämtliche Lokalitäten für Zivilisten geschlossen waren. In freundschaftlicher Verbundenheit stellte deshalb die Firma FORTSCHRITT ihr Werksheim für die Proben zur Verfügung.
Am 5. Oktober 1947 fand dann die offizielle Gründungsversammlung im Gasthaus „Markgrafen“ statt. Die mutigen Männer der Vereins-Neugründung nach dem Zweiten Weltkrieg waren: Karl Bürgin, Artur und Fritz Eisele, Anton Schneider, Albert Keller, Otto Gutknecht und Erich Becker. Dirigent wurde Stefan Schneider.
Die Chroniken berichten uns von einem langsam aufblühenden Musikverein und von Wertungsspielen, Unterhaltungskonzerten in Haslach, Freiburg, der nahen Region sowie von Reisen nach Frankreich und in die Schweiz.
Anfang der 70er-Jahre kam der Musikverein Freiburg-Haslach in große Bedrängnis. In einem Grußwort des langjährigen, sehr verdienten Präsidenten unseres Vereins und Stadtrat Karlheinz Thoman (*1931 †2019) in der Festschrift aus dem Jahre 1994 können wir zu dieser Zeit lesen: „Blicken wir 20 Jahre zurück: Der Musikverein Freiburg-Haslach hat große Probleme bezüglich der Spielfähigkeit seiner Kapelle. Viele aktive Musiker sind überaltert und einige Jungmusiker werden zum Militärdienst eingezogen. Der bevölkerungsreichste Stadtteil Freiburgs ohne Musikkapelle? Der 1921 offiziell gegründete Musikverein steht vor dem Nichts, droht sich aufzulösen. Gott sei Dank gab es wagemutige Männer, die ihre Ärmel hochkrempelten und den Weg zur Gründung des „Ersten Freiburger Jugendblasorchesters“ im Musikverein Haslach ebneten. Deshalb gilt heute an erster Stelle mein besonderer Dank dem langjährigen Dirigenten Hans Gillhaus und dem damaligen Vorsitzenden Walter Deuter.“
Karlheinz Thoman spricht also von „wagemutigen Männern“ und zu diesen zählte auch er selbst. Und auch Karl Scherzinger, der langjährige Vorstand war damals schon mit von der Partie. Die offizielle Gründungsversammlung des 1. Freiburger Jugendblasorchesters fand im Jahr 1974 statt.
Die Idee, quasi „von ganz unten“ mit einem Jugendblasorchester den Neustart zu wagen, stammt von Hans Gillhaus (*1935 †2020), der im Jahre 1961 eine Musikinstrumentenwerkstatt in der Freiburger Konradstraße 6 gründete, die im Jahr 1973 in den Freiburger Stadtteil Haslach in die Markgrafenstraße 93 zog und somit direkt vor Ort war. Dort ist die Musik Gillhaus GmbH immer noch ansässig.
Die „Ära Hans Gillhaus“ – die mit einer einjährigen Unterbrechung von Anfang der 70er Jahre bis 1985 dauerte – war geprägt von einem rasanten Aufstieg und stetiger Qualitätsverbesserung. Und ab der „Ära“ Hans Gillhaus müssen wir nun nicht mehr auf die schriftlichen Quellen zurückgreifen, sondern können diejenigen zu Wort kommen lassen, die die Geschichte des heutigen Freiburger Blasorchesters erlebt haben.
Doch zuvor noch ein paar wenige Fakten: Sehr schnell wurde das 1. Freiburger Jugendblasorchester unter der Leitung von Hans Gillhaus zum führenden Blasorchester in der ganzen Region. Dies wird besonders deutlich im Jahr 1981: Zum ersten Mal nahm das Orchester am World Music Contest in Kerkrade, Niederlande, dem auch damals schon bedeutendsten Wettbewerb für Blasorchester, teil.
Weitere Teilnahmen am World Music Contest WMC in Kerkrade: 1985, 1993 und 2017. Bei den Bundesmusikfesten bzw. nahm das Orchester 1989 in Trier, 2001 in Friedrichshafen und 2007 in Würzburg teil. Über viele weitere Wettbewerbe kann aus den letzten 50 Jahren berichtet werden. So zum Beispiel im Oberbadischen Blasmusikverband in den Jahren 1992 und 2010 und beim Deutschen Orchesterwettbewerb 2012.
Konzertreisen gehören ohne Zweifel zu den Highlights der Vereinsgeschichte: Padua (1980 und 2003), Görlitz (1992), Rumänien (1996), Vöcklabruck (1999), Innsbruck (2010). Von zahllosen Konzerten in Freiburg können wir berichten. Zu den Highlights zählen die Konzerthaus-Konzerte, beispielsweise das Konzert der Freiburger Musikvereine (1998, Dirigent Walter Ifrim), die beiden Gala-Konzerte mit dem Gastdirigenten Johan de Meij (2004 mit Jürgen Burmeister und 2006 mit Stefan Grefig), die Aufführung des Musicals „Zaad van Satan“ von Bert Appermont unter Mitwirkung von Chor und Solisten der „Academy of Stage Arts Frankfurt“ (2009, mit Dirigent Stefan Grefig), das Konzert „Queen Symphony“ unter Mitwirkung mehrerer Chöre (2011, Stefan Grefig), das Galakonzert mit der Aufführung von „Chakra“ von Maurice Hamers und der „Rhapsodie in Blue“ (2013, Stefan Grefig), „Verfilmt. Vertont. Verzaubert (2015), Klangbilder (2017, Johannes Stert) und schließlich das „HEARoes – Helden im Ohr“ Konzert im Jahr 2018 (Stefan Grefig). Diese Konzerte stehen stellvertretend für viele sinfonische und unterhaltende Konzert in Freiburg, der Region und darüber hinaus.
Da viele Musiker:innen über Jahre hinweg im damaligen 1. Freiburger Jugendblasorchester spielten und viele natürlicherweise über das Jugendalter hinausgewachsen waren, entschlossen sich die damaligen Verantwortlichen im Jahr 1986 zur Gründung des Freiburger Blasorchesters, zunächst mit dem Zusatz „im Musikverein Haslach e. V.“. Fortan gab es ein Jugendblasorchester sowie ein Erwachsenen-Blasorchester, wie eben genannt, das Freiburger Blasorchester. Im Jahr 1999 konnte sogar ein Kinderblasorchester zusätzlich gegründet werden. Im Jahr 2012 schließlich erfolgte die Umbenennung in Freiburger Blasorchester e. V..
Die Absätze der zweiten Hälfte unserer Geschichte lesen sich wie Daten und Fakten. Dieser Text über die mehr als 100-jährige Geschichte begann jedoch mit dem Satz: „Historie lebt dann, wenn Menschen, die dabei waren, ihre Geschichte erzählen.“ Und deshalb lassen wir nun Wolfgang Schruba zu Wort kommen, der seit 50 Jahre aktiv – zunächst im Musikverein Haslach, dem 1. Freiburger Jugendblasorchester und schließlich Freiburger Blasorchester – nahezu ununterbrochen musiziert:
Wolfgang Schruba: „Mein erster Kontakt mit Blasmusik war 1972 als mein Schulkamerad Michael Ortlieb mir den Musikverein Haslach schmackhaft machte. Er hatte angefangen Trompete zu spielen und das wollte ich auch. Also bekam ich Trompetenunterricht bei Herrn Meusert, Berufsmusiker am Theater Freiburg. Einige Zeit später nahm mich Herr Gillhaus, damaliger Dirigent, zur Seite und meinte: ‚Deine Lippen sind eher für Tenorhorn geeignet‘. Ich nahm seinen väterlichen Rat an und wechselte zum Tenorhorn.
Die erste Reise, an die ich mich erinnern kann, ging mit dem Musikverein Haslach nach Besançon, bei der ich zum Füllen des Orchesters mitfahren durfte. War recht anstrengend, da ich nicht spielen konnte, aber die ganze Zeit so tun musste als ob.
Der erste echte Auftritt war in der Aula der Vigeliusschule. Unsere Stücke waren unter anderem ‚Der Hahn ist tot‘ und ‚Es war eine Mutter‘.
Dirigent war, wie schon erwähnt, Hans Gillhaus. Obwohl er kein studierter Musiker war, hatte er immer den richtigen Blickkontakt bei dem einen oder anderen falschen Ton hergestellt.
Im Laufe der Zeit sind einige Dirigenten gekommen und gegangen. Die Highlights waren: Hans Gillhaus, Piero Hadjikakou, Walter Ifrim, Stefan Grefig bis zum aktuellen Dirigenten Miguel Etchegoncelay.
Musikalische Höhepunkte waren unter anderem Extreme Make Over und Zaad van Satan, bei dem sich der Zusammenhalt des Orchesters gezeigt hat, und viele andere.
Besondere Freude hat mir auch der Austausch mit unserem Partnerorchester auf Norderney unter der Leitung von Reino Mester bereitet. Bis zur Corona-Pause habe ich das Jugendblasorchester regelmäßig nach Norderney begleitet.
Familiär hat die Musik mein Leben dahingehend beeinflusst, dass ich im Orchester meine spätere Frau kennengelernt habe. Unser Sohn Robin hat Trompete gespielt, die er leider in der Zwischenzeit an den Nagel gehängt hat. Marvin spielt immer noch bzw. wieder Percussion im FBO.
Die Sache mit der Motivation ist so eine Sache. Corona hat einiges an Motivation gekostet, wie so manche Dirigenten auch. Aber selbst wenn man sich nach einem langen Arbeitstag zur Probe überwinden muss, kommt der Spaß beim Spielen von ganz alleine.
So bin ich seit 1972, mit Unterbrechungen durch Bundeswehr und Ausbildung, dabei und damit ein halbes Jahrhundert im Orchester.
Ich freue mich auch weiterhin dabei zu sein und auf das nächste Konzert im Konzerthaus.“
Das Freiburger Blasorchester feiert seine Ursprünge und Geschichte mit dem Jahr100Konzert im Konzerthaus Freiburg. Alle Informationen dazu:
Jahr100Konzert des Freiburger Blasorchesters im Konzerthaus Freiburg
Dieses Konzert-Projekt wird im Rahmen des bundesweiten Programms NEUSTART AMATEURMUSIK gefördert.
Seit ein paar Jahren bin ich Teil des Freiburger Blasorchesters. “Mein” Flötenregister beim Jahr100Konzert:
Toller Bericht, Alex!
Dankeschön 🙂
Ein wirklich sehr schöner Bericht. Erinnert mich sehr stark an unseren Verein, der 1910 gegründet wurde und sich im Laufe der verschiedenen Jahrzehnte immer wieder neu erfinden musste. Vielen Dank für die vielen schönen Einblicke.
Herzlichen Dank, Kevin!
Viele Grüße
Alexandra