Das symphonische Blasorchester: Neues Phänomen der Blasmusik?

Ein Gastbeitrag von Dr. phil. David Gasche, Senior Scientist an der Kunstuniversität Graz, Leiter der Pannonischen Forschungsstelle (Institut 12 Oberschützen)

 

David Gasche„Die Bläserphilharmonie Oberallgäu wird gegründet (…) (Es) soll ein neues, großes sinfonisches Blasorchester aus der Taufe gehoben werden.“* Dieser Beitrag (Eurowinds, 6/2018) hat mich neugierig gemacht und hat mein Interesse an diesen ziemlich neuen Begriffen der Blasmusik geweckt. Heute wird oft über symphonisches (oder sinfonisches) Blasorchester geschrieben und spekuliert. Und zur gleichen Zeit wird viel gespielt. Blasorchester werden zu symphonischen Blasorchestern erweitert oder neue Orchester werden einfach gegründet. Die Komponisten bemühen sich eine ganze Reihe von Literatur zu liefern.

Aber was ist eigentlich ein symphonisches Blasorchester? Was wäre der Unterschied zu einem „traditionellen“ Blasorchester? Ziel ist hiermit nicht, einen Erklärungsbegriff einzuführen, sondern mehr eine kurze Überlegung über ein neues Phänomen der Blasmusik. Es handelt sich um ein sehr interessantes, aktuelles und umfangreiches Thema mit vielen offenen Fragen. Seit einigen Jahren werden die Termini verwendet und zur selben Zeit versucht die Blasmusikforschung sich damit zu befassen. Es ist trotzdem noch schwer eine klare Definition zu finden.

Der erste Schritt, um einen Überblick zu bekommen, ist eine Internetsuche auszuführen, aber interessanterweise fehlen grundlegende Informationen über die Begriffe (außer einige Zeilen in Wikipedia). Im Gegensatz gibt es eine große Zahl an Webseiten und Homepages. Diese Tendenz findet sich auch bei der Fachliteratur. Sie berichtet ausführlich u. a. über die Gründungen, die Entwicklungen, die Anlässe wie Konzerte oder Wettbewerbe und umfasst Interviews, aber sie behandelt nicht direkt diese Frage. Ausgangspunkt und Basis sind dann Musiklexika und wissenschaftliche Ressourcen, aber sie machen keine Angaben zu diesem Punkt. Wo liegt das „Problem“, falls es ein Problem wäre? Einerseits geht es um eine neue Art von Musik, die sich weiterentwickelt. Es ist schwierig in diesem sich ständig verändernden Kontext die Begriffe genau zu erklären. Andererseits bleibt die Kombination zwischen „Blasorchester“ und „symphonisch“ ungewöhnlich für die traditionelle Musikwissenschaft. Die beiden Termini sind ganz verschieden und deshalb noch nicht miteinander vermischt Außerdem verweist die Idee „symphonisch“ auf eine ganze Wertordnung, die an der Kunstmusik verbunden ist. Oft wird „symphonisch“ als Qualitätsbegriff betrachtet.

Der Unterschied zwischen einem Blasorchester und einem symphonischen Blasorchester liegt aber nicht nur in der Besetzung, dem Repertoire oder den Anlässen. Vielleicht ist es ein deutsches Pendant von Symphonic Wind Band (Concert Band)? Eine Erweiterung der Besetzung? Eine Weiterentwicklung der zeitgenössischen Blasmusik? Oder ist es ein Prestigegrund? Alle Theorien sind zumutbar. Eine Sache steht aber fest: Das Sinfonieorchester gilt als Vorbild für das Repertoire, die Besetzung, die Funktionsweisen oder die Konzerthaltung. Folgende Qualitätsstandards sind auch damit gemeint: Klangkörper, Klangfarbe, Intonation, Artikulation, Phrasierung, Übergangsdynamik, Balance, etc. Selbst der Dirigent der Bläserphilharmonie Oberallgäu spricht über „symphonische“ Besonderheiten wie Haltung der Musiker, Registerproben oder Registerführer.

Eines der wichtigen Konzepte, das immer wieder vorkommt, ist die Klangideologie. Der Klang ist entscheidend und diese Klangphilosophie ist eng mit dem symphonischen Blasorchester gebunden. Musiker, Dirigenten und Komponisten versuchen einen idealen (Blas)Klang, einen überzeugenden homogenen Klangkörper – vergleichbar mit dem Sinfonieorchester – zu erreichen. Ziel ist, einen eigenen „Blasorchesterklang“ zu erzeugen. Eine andere Abgrenzung zu anderen Blasorchestern ist eine erweiterte Besetzung. Man verwendet sogar häufig den Terminus „Philharmonie“. Das symphonische Blasorchester bietet wahrscheinlich eine vielseitige Besetzung und verwendet gelegentlich Streicher, Klavier, Harfe und Kontrabass und teilweise Trompete statt Flügelhorn, Waldhorn statt Althorn, Euphonium statt Tenorhorn usw. Die Holzinstrumente würden den Streicherklang „imitieren“, um einen bestimmten (Blas)Klangcharakter zu bilden. Der Dirigent muss selbst einige Blasinstrumente sehr gut beherrschen und die anderen Instrumente verstehen. Das Repertoire, unabhängig davon, ob Amateure, Studierende oder Profis musizieren, besteht aus Originalkompositionen, die speziell für diesen Klangkörper komponiert wurden. Dazu kommt das wichtige Grundkonzept symphonisch als chorisch, wo die Stimmen nicht nur verdoppelt sind. Jedes Instrument hat eine gut festgelegte Rolle. Ein weiterer Punkt in diesen Zusammenhang: Eine richtige symphonische Blasmusikliteratur für den Konzertgebrauch. Werke für den Konzertsaal im Gegensatz zur Unterhaltungs- oder Funktionsmusik. Die Idee scheint attraktiv zu sein und mehrere Orchester spielen in der Tat fast nur Originalstücke wie Symphonien für Bläser. Aber es stellt sich nun die Frage, ob Arrangements oder Transkriptionen noch zur symphonischen Blasmusik gehören? Das vorgegebene Ziel des neuen gegründeten Orchesters Oberallgäu fasst die allgemeine Situation zusammen: „Die Literatur soll sich aus sinfonischen Originalwerken und Werken der gehobenen Unterhaltungsmusik zusammensetzen.“ Das Qualitätsniveau muss ebenfalls als wichtiger Faktor berücksichtigt werden. Ich möchte nochmal einige Sätze des Beitrags zitieren: „Mit dem neuen Orchester soll ein Fortbildungssystem mit besonderen Dozenten etabliert werden. (…) Es bietet sich hiermit die Chance, in einem Projektorchester der Höchststufe zu spielen. (…) Und so dem Amateur das Erlebnis geben, neben Musikerprofis zu sitzen und zu lernen“. Besonders interessant sind Kommentare wie „eine Chance bieten, um Höchststufe zu spielen“ oder „sitzen und lernen“. Diese beinhalten vielleicht im Hintergrund eine negative Wertung der anderen Blasorchester, die nicht die gleichen Fähigkeiten oder Qualitäten entwickelt würden. In diesem Fall müssen die Amateure aus den Erfahrungen der Profimusiker lernen, damit ein harmonisches Zusammenspiel entsteht. Diese Zusammenarbeit hat natürlich viele Vorteile. Der Dirigent der Bläserphilharmonie Oberallgäu schloss selbst mit der Aussage ab: „Erst dann – als Belohnung – starten wir in den Gesamtklang des großen Orchesters.“ Die Gedanken von Fortbildung, Höchststufe oder Musikerprofis finden sich auch grundsätzlich in anderen symphonischen Blasorchestern. Man beobachtet bereits eine erhebliche Verbesserung des musikalischen Niveaus und sogar eine Professionalisierung der symphonischen Blasorchester. Die Musiker müssen sich immer öfter bewerben und vor einer Jury, die aus Dozenten und erfahrenen Profis besteht, ein Probespiel spielen und gewinnen. Eine eher ungewöhnliche Praxis in den „nicht“ symphonischen Blasorchestern. Es ist auch bemerkenswert, dass das symphonische Orchester im heutigen Kontext versucht, anerkannt zu werden. Zahlreiche Konzerte werden veranstaltet und im Zug dessen ist die Zahl der Uraufführungen zeitgenössischer Autoren steil angestiegen. Viele Orchester sind mit Reisen, Tourneen und Teilnahmen an Wettbewerben sehr aktiv, was Enthusiasmus für die „symphonische“ Blasmusik hervorruft. Ein letztes Merkmal betrifft vielleicht die Konzerthaltung. Zuerst nur die Kleidung: Keine Dirndl und Lederhose mehr, sondern Frack und Konzertkleidung. Viele symphonische Blasorchester spielten außerdem bei öffentlichen Aufführungen in den besten Konzertsälen, was eine gewisse Trennung zwischen Publikum und Musiker schafft.

Schlussbemerkung: Der Begriff als reines Etikett genügt nicht. Ein Blasorchester muss bestimmte Kriterien wie u. a. die Klangideologie, die Besetzung, das Repertoire, die Funktionsweisen, das Qualitätsniveau, die Konzertaufführungen oder die Konzerthaltung erfüllen. Man darf auch nicht übersehen, dass der Begriff meist ein Versuch ist, die Lücke zur Musik der Sinfonieorchester zu schließen. Eine „vermutliche“ Verbindung zwischen Kunst- (Sinfonieorchester) und Darbietungsmusik (Blasorchester). Und auch eine Prestige-Frage, um die Blasmusik auf ein konzertantes Niveau zu heben und sie von der unterhaltenden Blasmusik zu unterscheiden. Das symphonische Blasorchester ist sicher ein aufregendes Thema, das ein Medium des 21. Jahrhunderts darstellt, um die Blasmusik zu verbreiten. Debatte und Diskussionen werden wahrscheinlich weiterhin offen bleiben. Eine Folge davon ist allerdings, dass unsere Kenntnis wächst und umfassender wird.

* Art. Bläserphilharmonie Oberallgäu wird gegründet, in: Eurowinds, Ausgabe 6/2018 (November/Dezember), S. 67

Dieser Beitrag erschien zuerst im Mitteilungsblatt der IGEB.

Logo Kunstuni GrazÜber Dr. phil. David Gasche

David Gasche, Musikwissenschaftler und Klarinettist, ist in Le Mans (Frankreich) 1981 geboren. Er begann seine musikalischen Studien in Bayonne und setzte sie am Konservatorium und Universität der Stadt Tours fort. Er kam 2004 Wien, um seine Doktorarbeit in Musikwissenschaft (2009) und sein künstlerisches Diplom-Hauptfach Klarinette (2011) abzuschließen. Mehrere Artikel und Beiträge bei internationalen Kongressen stellen seine Forschungsschwerpunkte dar, die auf der Wiener Harmoniemusik des 18. und 19. Jahrhunderts liegen. Der Fritz-Thelen-Preis 2012 von IGEB belohnte diesbezüglich seine Forschung. Musikalische Tätigkeiten nehmen auch einen hohen Anteil ein. David Gasche ist zurzeit Senior Scientist an der Kunstuniversität Graz, Leiter der Pannonischen Forschungsstelle (Institut 12 Oberschützen), Chorleiter und arbeitet als Kunstvermittler für die Sammlung alter Musikinstrumente Wien.

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Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    3 thoughts on “Das symphonische Blasorchester: Neues Phänomen der Blasmusik?

    • 11. Dezember 2018 at 1:29
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      Ich finde dass es Grundsätzlich ein symphonisches Blasorchester schon gut beschreibt, der Punkt “Klang” wird auch erwähnt. Für meinen Geschmack würde ich da etwas tiefer bohren: “symphonisch” bedeutet (für mich) so viel wie “Sinnerfüllt”. Jeder Ton in einem Werk wird von jedem Musiker in seiner bestimmten Akkordfunktion erkannt und musiziert. Das Bewusstsein dafür wird im symphonischen Blasorchester gelehrt und vertieft und so entsteht der ganz individuelle Klang des Orchesters. Ganz Gleich ob da ein (für Blasorchester) besonders Instrument besetzt ist oder nicht. Am besten geeignet ist dafür sicher eine Originalkomposition, ich bin aber der festen Überzeugung, dass auch andere Werke dadurch “symphonisch” klingen können.
      Und genau das erwähnte Verständnis eines jeden Musikers hebt das symphonische Blasorchester von einem nicht symphonischen Blasorchester ab.
      Symphonische Blasorchester klingeln viel emotionaler und leidenschaftlicher als nicht symphonische, weil der Individuelle Klang solche Effekte wie Dynamik, speziell Creschendo, um ein Vielfaches verstärkt.

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      • 11. Dezember 2018 at 8:55
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        Herzlichen Dank für Deine Gedanken zum Thema, Sonja! Viele Grüße Alexandra

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    • 11. Dezember 2018 at 11:12
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      Ich finde den Beitrag inhaltlich und sprachlich flach. Würde mir da von einem Wissenschaftler mehr erwarten. Abgesehen davon bezieht sich der Autor ständig auf Definitionen aus dem bekannten Blasmusiklexikon von Armin und Wolfgang Suppan ohne diese Quelle auch zu zitieren. Das ist nicht nur wissenschaftlich unredlich sondern auch menschlich fragwürdig, weil ich mich nicht mit fremden Federn schmücke.

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