Sonntag, September 8, 2024
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Komponisten im Gespräch: Nelson Jesus

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Der Portugiese Nelson Jesus (*1986) gehört zu der jungen Generation Komponisten, die in den Startlöchern stehen, die Konzertprogramme der Blasorchester international zu erobern. Kürzlich habe ich ein Interview mit ihm geführt. In diesem könnt Ihr den Komponisten und seine Werke etwas kennen lernen.

Wie alt warst Du, als Du Deine ersten Versuche im Arrangieren bzw. Komponieren gestartet hast, welches waren Deine allerersten Werke bzw. Komponierversuche und wie bist Du überhaupt zum Komponieren gekommen?

Nelson Jesus Manuskript

Nelson Jesus: “Meine ersten Skizzen waren Arrangements. Ich weiß genau, dass es Chet Bakers My Funny Valentine und einige Milongas von Piazzolla waren. Bald darauf folgten einige Arrangements für Saxophonquartett und -ensemble, und im Alter von 14 Jahren habe ich meinen ersten Marsch für ein Blasorchester fertiggestellt, dessen Partitur komplett mit Tinte handgeschrieben und mit Schnur zusammengebunden war, die ich immer noch bei mir habe.”

Wie gehst Du an eine neue Komposition heran? Was inspiriert Dich? Wie findest Du den Anfang und die entsprechenden Motive und Themen?

Nelson Jesus: “Ich beginne immer mit einigen leeren Blättern Papier oder Notenlinien und Bleistift. Meistens arbeite ich an mehreren Stücken gleichzeitig, in verschiedenen Stadien. Nur wenn ich eines fertig stelle, um es abzuliefern, arbeite ich nur an einem Werk. Ich arbeite an meinen Werken wie an einem Puzzle, ich entwickle meine Ideen und arbeite an den Übergängen zwischen den verschiedenen Puzzleteilen. Die Inspiration ist bei jedem Werk anders, aber ich wende immer die “Beethoven”-Technik an: „Wenn Sie nicht weiterkommen, machen Sie einen Spaziergang!“”

Nelson Jesus Manuskript

Hast Du Vorbilder und wenn ja, warum sind dies Deine Vorbilder? Wie beeinflussen diese Vorbilder Dein musikalisches Schaffen? Welches Werk / welche Werke der Musikgeschichte halten Sie für besonders gelungen und warum?

Nelson Jesus: “Früher hatte ich mehr, und am Anfang habe ich immer versucht, Partituren von Stücken mit ähnlichen Ideen oder Orchestrierungen des Werks auf meinem Tisch zu hören und zu suchen. Heutzutage mache ich das Gegenteil. Ich kann zum Beispiel ein Modell oder eine Idee für ein Blasorchesterstück in einer Partitur für Streichtrio finden… In der Musikgeschichte begeistern mich immer die Werke aus dem frühen 20. Jahrhundert. Von Strawinsky bis Bartok, Debussy bis Holst… So viele…”

Was ist Dir beim Schreiben einer Komposition besonders wichtig?

Nelson Jesus: “Ich brauche einfach Zeit dafür. Es ist mir sogar egal, ob ich Ruhe habe oder nicht, weil ich früher viel in Cafés und außerhalb meines Studios gearbeitet habe.”

Warum schreibst Du Kompositionen für Blasorchester? Was sind für Dich die großen Unterschiede beim Schreiben einer Komposition für Blasorchester im Gegensatz zu anderen Ensemblearten?

Nelson Jesus: “Ich habe wirklich in der Welt der Blasorchester angefangen, also war es für mich ganz natürlich, dass meine ersten Versuche für dieses Medium und für die klassischen Formen der Blasorchester, Märsche, Konzertmärsche…, waren.
Die meisten Leute denken, dass ich nur für Blasorchester komponiere, aber ich habe Solo-, Kammermusik-, Opern-, Kammer- und Symphonieorchesterstücke, die aber nur einmal bei der Uraufführung gespielt werden. Ich möchte aber versuchen, als Komponist zu leben und die Blasorchester kaufen und spielen meine Musik oft oder geben sie in Auftrag. Für mich ist die Herangehensweise, die Arbeitsmethode bei allen Kompositionen gleich. Bleistift, ein paar Notensysteme und leeres Papier und das Klavier, keine Unterschiede, was die Besetzung des Ensembles betrifft.”

Welchen Stellenwert hat die Blasmusik in Deinem Leben?

Nelson Jesus: “Ich habe mit der Musik angefangen, weil ich Asthmatiker bin und der Arzt meinen Eltern sagte, ich solle Tennis spielen, schwimmen oder ein Blasinstrument spielen. Die Wahl fiel auf Musik, die mich lehrte, wie man atmet. Das war sehr wichtig. Außerdem konnte ich durch Blasmusik (in einem Blasorchester) leichter Freunde finden. Und schließlich ermöglichte es mir die Blasmusik, meinen Lebensunterhalt als Musiker zu verdienen.”

Auftragskompositionen bringen Einschränkungen im Schwierigkeitsgrad, in der Besetzung und in der Länge mit sich. Wie gehst Du damit um? Wie wirst Du dem Auftraggeber gerecht und bleibst doch Du selbst in der Komposition?

Nelson Jesus: “Es ist schwierig, wenn mich jemand auf einen Auftrag anspricht und über ein anderes Stück von mir spricht, denn ich mag es nicht, mich so sehr zu wiederholen. Meine Hauptaufgabe ist es, das zu verkaufen, was ich will, oder zumindest einen Kompromiss mit dem Auftraggeber zu finden.  Was Beschränkungen angeht, so mag ich alle Arten von ihnen. Und ich mag es, eine Frist zu bekommen. Beschränkungen sind für mich ein Impuls für Kreativität.”

Welches Deiner Werke hat für Dich persönlich die größte Bedeutung und warum?

Nelson Jesus: “El Mar y las campanas, Op. 28. Es ist ein Stück für Sopranstimme und Klavier und ich habe bei der Arbeit daran sehr viel gelernt. Für mich war es eine große Herausforderung, denn ich hatte schon immer einen starken Sinn für Orchestrierung und Angst vor dem Klavier. Ich spiele überhaupt nicht Klavier. Ich habe es nie gelernt! Deshalb habe ich bei diesem Stück, mehr als bei den anderen zuvor mit mehr Vorsicht jede Note, jede Stelle genau überlegt. Wenn ich für Stimmen und Kammermusik arbeite, lerne ich wirklich mehr über mein Handwerk.
Es war auch eine meiner besten Uraufführungen bisher, weil ich nur zwei Interpreten brauchte. Die meisten meiner Stücke werden recht interessant aufgeführt, aber mit der Uraufführung habe ich kein Glück.
Später habe ich dann eine Version für Gesang und Blasorchester gemacht.”

Welches war Dein erstes erfolgreiches Werk? Welche Deiner Werke sind bisher am erfolgreichsten und wie erklärst Du Dir deren Erfolg?

Nelson Jesus: “Mein erstes erfolgreiches Werk war mein Bass Drum Concertino. Ich schrieb es während meiner autodidaktischen Phase und gewann einen internationalen Preis (den größten, den ich bisher gewonnen habe). Mit diesem Preis und der damit verbundenen Verantwortung begann ich, Komposition bei einem Privatlehrer zu studieren und später an einer Hochschule.
Weitere erfolgreiche Stücke sind Porto de Saudades und Sinfonietta n.1 – Galaica. Beide werden regelmäßig in Europa aufgeführt und das erste Stück sogar weltweit. Es ist ein Stück, das ich ein bisschen leid bin, weil viele Leute denken, dass es mein einziges oder bestes Stück ist, aber das ist es nicht. Danach habe ich über 60 Stücke geschrieben und ich kann den Erfolg nur durch die professionelle Aufnahme erklären. Die Leute im Osten wollen nur aufgenommene Stücke aufführen. Das ist eine Tatsache!”

Über welches Thema würdest Du nie eine Komposition schreiben wollen und warum nicht?

Nelson Jesus: “Darüber habe ich nie gelehrt, aber ich hatte bereits drei Zensuren in meinen Werken. Das hat mich nur angespornt, weiter zu arbeiten.
Einmal ging es um Sex, einmal um korrupte Politiker und einmal um häusliche Gewalt…”

Komponieren versus Arrangieren: wo liegen in der Tätigkeit die Gemeinsamkeiten und wo die größten Unterschiede? In welchem Bereich liegen Deine Vorlieben?

Nelson Jesus: “Komponieren. Ich mag es überhaupt nicht, zu arrangieren.”

Außerhalb Deiner Kompositionen: welchen musikalischen und welchen außermusikalischen Tätigkeiten gehst oder gingst Du in Deinem Berufsleben nach? Und außerhalb der Musik: wie gestaltest Du am liebsten Deine Freizeit?

Nelson Jesus: “Ich habe nur in der Musik gearbeitet. Ich habe bereits Saxophonunterricht gegeben, aber ich habe mich auf das Komponieren konzentriert, weil die Lehrer heutzutage nicht mehr unterrichten, sondern nur noch eine Art Babysitter sind. Ich war bereits professioneller Saxophonist in einer Militärkapelle, aber auch hier habe ich mich auf die Komposition konzentriert und diesen Job aufgegeben, der mich musikalisch nicht weitergebracht hat.
Außerhalb der Musik spiele ich mit meiner Frau Tennis, und ich liebe es zu kochen. Von traditioneller Küche bis hin zu Gerichten aus anderen Kulturen. Ich reise auch so oft ich kann.”

Was macht Dich in Deinem Leben besonders glücklich und zufrieden?

Nelson Jesus: “Reisen mit meiner Frau, Kochen mit meiner Familie.”

Was liebst Du an der Blasorchesterszene und was würdest Du gerne verändern, wenn Du für einen Tag das Sagen hättest? Wie siehst Du die Zukunft der Blasorchester und Musikvereine?

Nelson Jesus: “Ich wäre die schlechteste Person, die an der Spitze stehen könnte. Ich bin wirklich kein politischer Mensch. Ich bin zu direkt, wenn ich mit Leuten rede, und kann meine Ideen nicht durchsetzen.
Blasorchester spielen Musik, die von den Lebenden ausgeht, also ist zu erwarten, dass sie die Orchester der Zukunft sind. Ich glaube, dass die Blasorchester in den Gemeinden gesünder sind als je zuvor, und sie müssen sich in Verbänden zusammenschließen, um voneinander zu lernen.”

„Denn wenn es Kunst ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie keine Kunst“: Wie stehst Du zu diesem Zitat von Arnold Schönberg?

Nelson Jesus: “Ich betrachte mich nicht als Künstler. Nur als Kunsthandwerker. Ich will die Welt nicht mit meiner Musik verändern. Kunst braucht den Beweis der Zeit, es ist nicht unsere Generation, die die Musik unserer Zeit betrachten und katalogisieren wird.”

Vor welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen stehst Du momentan als junger Komponist?

Nelson Jesus: “Ich habe den Stempel, ein Blasmusikkomponist für die Orchesterwelt zu sein, und den Stempel, ein schwieriger Orchesterkomponist für die Blasmusikwelt zu sein. Ich kümmere mich überhaupt nicht um diese Art von Etiketten, aber ich weiß, dass ich diese Art von “Problemen” umschiffen muss, um in bestimmten Sälen programmiert zu werden.”

Was wünscht Du Dir als junger Komponist von den Dirigent:innen und Blasorchestern einerseits und von den Verlagen und Noten-Vertrieben andererseits?

Nelson Jesus: “Ich würde mir wünschen, dass Verleger, Dirigenten und Komponisten an Hochschulen und Schulen über den Beruf sprechen. Die meisten Lehrer wissen nicht einmal, wie man mit Musik Geld verdienen kann. Wenn die Verleger sich nicht klarer positionieren, werden die meisten Komponisten die Vorteile der neuen Social-Media-Plattformen nutzen.”

Welche Rolle könnten Blasmusikverbände in der Unterstützung von jungen Komponisten spielen?

Nelson Jesus: “Sie sollten die Stücke der jungen Komponisten in musikalischen Workshops aufführen lassen und sie mit Profi-Musikern proben lassen. Diese Art von Arbeit sollte mit professionellen Musikern stattfinden, um die Werke, aber auch das Wissen zu vermitteln. Es ist besser, einige Entwürfe oder Teile eines unvollständigen Stücks bei einer kommentierten Probe zu hören als ein schlecht orchestriertes Stück bei einem Konzert.”

Warum, denkst Du, können sich gerade Deine Werke am Markt durchsetzen? Was zeichnet Deine Werke aus?

Nelson Jesus: “Was meine Musik außerhalb meines Landes erfolgreicher macht, ist das, was meine Musik in meinem eigenen Land weniger erfolgreich macht. Ich erkläre es ein bisschen besser. Wenn ich eine Art von Volksmusik verwende, direkt oder inspiriert, wird meine Musik in meinem Land als Klischee wahrgenommen, selbst wenn sie von ihrer besten Seite ist. Diese Art von Geschmack hat immer einen großen Sinn für Originalität außerhalb der Grenzen. Eine andere Sache, die meine Arbeit charakterisiert, ist, dass ich mich nicht um diese Art von Musik-Ebenen und Etiketten kümmere. Musik ist Musik, ich kümmere mich nicht um diese Art von Kommerz, Bildung und darum, dass die dritte Klarinette einfacher sein muss als die zweite. Meine Musik ist freier in dieser Art des Denkens.”

Wie schätzt Du die Zukunft für gedruckte Blasorchesternoten ein? Welche Chancen und welche Risiken birgt die zunehmende Digitalisierung?

Nelson Jesus: “Ich bin gegen die Digitalisierung, in allen Belangen. Ich mag den Geruch und das Gefühl von Papier. Ich kann ein Buch oder eine Partitur nicht von einem digitalen Gerät aus spielen oder studieren. Ich habe meine Musik immer in Papierform verkauft. Dieses Jahr beginne ich aus Kostengründen mit einem Hybridformat. Aber ich hoffe, dass die Digitalisierung ein wenig aufhören kann, das kann ein Trend sein und mehr nicht.”

Nelson Jesus
Nelson Jesus

Vita Nelson Jesus

Obwohl ich keinen musikalischen Hintergrund in meiner Familie hatte, begann ich wie so viele andere in den Sinfonischen Blasorchestern, mit dem Saxophon und sogar einer großen Trommel.

Vielleicht begann hier meine Welt der Komposition, denn mein Instrument – die Trommel – gab nicht viele Töne vor, und ich musste nach anderen suchen, die mit mir harmonierten. Das ist ein großartiges Beispiel für ein praktisches Studium des Kontrapunkts! Ich habe dann Saxophon bei den besten Lehrern gelernt und studiert, die ich finden konnte. Ich danke Ihnen!

Das Komponieren ging weiter, ich kopierte zunächst Partituren (von Hand), korrigierte und veränderte die Orchestrierung von Stücken anderer Komponisten, machte Arrangements und kleine Stücke im Auftrag von Kollegen und Freunden.

Nach Jahren mit Werken in der Schublade und frustrierten Versuchen, sie in einer gewissen Qualität und mit dem richtigen Solfeggio zu hören, gab mir die Anerkennung durch einen ersten Kompositionspreis etwas Ermutigung, Motivation und Verantwortung, weiter zu komponieren. Außerdem konnte ich dadurch etwas Geld in Unterricht und Notenmaterial investieren. Und ja, ich bin einer dieser verdammten Komponisten, die gerne für ihre Musik (Arbeit) bezahlt werden.

Ich schreibe hauptsächlich für Bläser, weil ich von dort meine Aufträge bekomme und es einfacher ist, meine Stücke auf der Bühne zu sehen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich bereits 19 Jahre alt war, als ich zum ersten Mal ein Sinfonieorchester live hörte. Das ist keine Schande, das ist eine Tatsache. Aber ich kümmere mich nicht um Etiketten und schreibe für fast alles. Sogar Blockflötenkonzerte.

Zum Glück gebe ich nicht auf und habe das Glück, mit der richtigen Motivation und den richtigen Leuten ein Leben in dieser fantastischen Welt der Musik zu führen.

Außerdem liebe ich es zu kochen (essen) und ich liebe Hunde und Esel!

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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