Donnerstag, November 21, 2024
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Notruf Verein – Eine Aktion des BDB Bund Deutscher Blasmusikverbände

Ein Gastbeitrag von Martina Faller

Deutschland hat aktuell so viele Vereine wie nie zuvor. Doch während die Städte Zuwächse verzeichnen, hat im ländlichen Raum ein dramatisches Vereinssterben eingesetzt, das nun auch die Musikvereine erfasst. Veränderte Rahmenbedingungen haben viele Vereine so in Schieflage gebracht, dass sie ihr Vereinsschiff nicht mehr auf Kurs halten können und an den Problemen zerschellen. Dass das nicht sein muss, machen Beispiele von Vereinen deutlich, die rechtzeitig die Weichen stellten und sich mit viel Engagement über Wasser halten – allerdings weiterhin mit Kurs auf eine ungewisse Zukunft.

Erste Anzeichen gab es schon vor Jahren, nun aber häufen sich die Schlagzeilen: „Der Musikverein Buchheim ist nunmehr Geschichte“. „Das Ende einer Ära: Musikverein Jestetten löst sich nach 156 Jahren auf“. „Der letzte Vorhang schließt sich für die Feuerwehrmusik Haagen.“ „Der Musikverein Endenburg beschließt die Auflösung.“ „Die Stadtmusik Kandern stellt den Spielbetrieb ein.“ In der Blasmusikszene lösten diese Schlagzeilen Entsetzen und Schockwellen aus. Doch die Statistik bestätigt die Ahnung, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Fast unbemerkt und lange bemäntelt von relativ stabilen Gesamtmitgliederzahlen haben sich dort Zahlen eingeschlichen, die schwarz auf weiß und unmissverständlich dokumentieren: Das Vereinssterben in der Blasmusik hat begonnen. Davor gewarnt haben die Verantwortlichen im BDB schon lange, spätestens seit G8 und Ganztagsschule das Zeitfenster für die musikalische Ausbildung kleiner und die Luft für die Musikvereine dünner werden ließ. Dass diese Entwicklung aber eine solche Dynamik entwickeln und so viele Vereine mit in den Sog nehmen würde, war vor zwei Jahren noch nicht absehbar. Auf eine Umfrage hin, die Alexandra Link in ihrem Blasmusik-Blog veröffentlichte, gab es aus fast allen Verbänden Entwarnung. Sowohl im BDB wie auch im BVBW und im Bayrischen Blasmusikverband waren die Zahlen der Mitgliedsvereine zu der Zeit noch stabil. Lediglich aus Rheinland-Pfalz wurde damals schon eine rückläufige Tendenz gemeldet. Dort ging die Anzahl der Vereine innerhalb von zwei Jahren von 822 im Jahr 2014 auf 804 im Jahr 2016 zurück. Etwas unauffälliger zwar, aber unverkennbar, bildet sich dieser Trend auch in der BDB-Statistik ab. Ihr zufolge haben sich in den vergangenen zehn Jahren 23 Musikvereine im BDB aufgelöst. Das ist aber nur die Spitze des Eisberges. Würden die Vereine, die sich zu Spielgemeinschaften zusammengefunden haben, in diese Statistik Eingang finden, dann würde die Tendenz sehr viel deutlicher ausfallen.

Statistik BDB 2009 - 2018
Wohin der Trend geht, zeigt die blaue Linie. Während die Anzahl der Aktiven relativ stabil bleibt, ist die Anzahl der Vereine rückläufig.

Repräsentativ für ganz Deutschland ist dieser Trend indes nicht. Wie eine Studie von ZiviZ im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative „digital.engagiert“ von Amazon und Stifterverband feststellte, gibt es aktuell in Deutschland so viele eingetragene Vereine wie noch nie. Mehr als 600.000 waren es im Jahr 2017. Von einem allgemeinen Vereinssterben in Deutschland könne, laut dieser Studie, deshalb nicht die Rede sein. Allerdings verteilen sich die Vereine nicht gleichmäßig. Während die Anzahl der Vereine in den Städten Zuwächse verzeichnet – vor allem in den Bereichen Sport- und Freizeit, Katastrophen- und Naturschutz, Verbraucher- und wohlfahrtsstaatliche Interessen – nimmt sie im ländlichen Raum stark ab. 15.547 Vereine haben sich seit 2006 im ländlichen Raum aufgelöst. Betroffen sind hier vor allem die traditionellen und seit langem bestehenden Kulturvereine.

Mit dem Vereinssterben gehen Identität und gesellschaftlicher Zusammenhalt verloren

Diese Zahl ist dramatisch. Geht doch mit jedem Vereinssterben eine lange, ortsprägende und identitätsstiftende Tradition zu Ende. Was diese Zahlen und was das Sterben eines Musikvereins im Einzelfall bedeutet, weiß jeder, der selbst von Kindesbeinen an in einem Musikverein musiziert hat. Für Karl Steiert etwa vom Musikverein Buchheim bedeutete die Auflösung des Musikvereins Buchheim schlicht den „Weltuntergang“. 66 Jahre lang war er Mitglied im Buchheimer Musikverein, einem Musikverein mit 124-jähriger Tradition und Geschichte. Seine Anregung, den Verein bestehen zu lassen, auch wenn die derzeitige Besetzung zu schwach sei, um Musik machen zu können, fand bei der Mitgliederversammlung kein Gehör. Zuletzt bestand der Musikverein Buchheim noch aus acht Aktiven.

Um die Spielfähigkeit bis zuletzt zu erhalten, hat Dirigent Tobias Zipfel regelmäßig die Noten umgeschrieben. Auch für die Dörfer und Gemeinden bedeutet die Auflösung von Musikvereinen und Blasmusikkapellen einen großen Verlust. Dort war es selbstverständlich, dass die Blaskapelle kirchliche und gesellschaftliche Anlässe – von der ersten Heiligen Kommunion bis zum Volkstrauertag – musikalisch umrahmte und das kulturelle Leben mit Konzerten und Veranstaltungen bereicherte.

Mit dem Sterben eines Musikvereins bricht deshalb im ländlichen Raum auch ein Stück Lebensqualität weg und das oft in Regionen, in denen es wenig andere Freizeitangebote gibt. Das ist umso dramatischer, da die Vereine, laut des ZiviZ Survey 2017, gerade auf dem Lande oft die einzigen Strukturen seien, die gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren.

Die Ursachen für das Vereinssterben in der Blasmusik sind vielfältig: Nachwuchsprobleme, Besetzungsschwierigkeiten und sinkende Mitgliederzahlen sind die Probleme, die am häufigsten genannt werden. Für Thomas Forsthuber vom Musikverein Endenburg gaben sie den Ausschlag zur Auflösung des Vereins. Seit 2016 ist das Orchester nicht mehr aufgetreten. „Wenn jedes Instrument nur einmal besetzt ist, ist es schwierig, ein oder zwei Stunden Musik zu machen und aufzutreten“, gab er im Vorfeld der Vereinsauflösung im Dezember 2018 im Interview mit der Badischen Zeitung zu Protokoll. „Wir sind jetzt nur noch 15 Musiker und haben mit 400 Einwohnern […] ein relativ kleines Einzugsgebiet. […] An diesen Rahmenbedingungen wird sich nichts ändern.“

Vielfältige Ursachen, aber überall die gleichen Probleme

Helga Lauterbach, Vorsitzende des Musikvereins Jestetten, führt ähnliche Gründe an: „Seit langer Zeit sind Auftritte nur mit Aushilfen möglich und es ist keine Besserung in Sicht“, äußerte sie im Interview mit der Badischen Zeitung. Trompeten und Saxophone fehlten ganz und insgesamt bestünde der Musikverein Jestetten zum Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses nur noch aus 14 Musikern. Auch Michael Kanzinger, letzter Vorsitzender der Feuerwehrmusik Haagen, nennt die schwache Besetzung des Orchesters als ausschlaggebenden Grund für die Auflösung des Vereins. Vor allem der Bass und das Schlagzeug fehlten. Schon lange musste das fehlende Schlagzeug durch einen Computer ersetzt und alle Noten mussten auf die Besetzung des Orchesters umgeschrieben werden. Alles habe die Feuerwehrmusik versucht, um die Situation und die Besetzung zu verbessern. Doch weder die Kooperation mit der Schule und die eigene Nachwuchsarbeit noch die Aufrufe und Werbeflyer hätten gefruchtet.

Die Rahmenbedingungen verschärfen die Situation der Vereine

Befindet sich die Blasmusik, wie Michael Kanzinger meint, also tatsächlich in einer Strukturkrise? Von der Hand zu weisen ist das nicht. Vielerorts setzen der gesellschaftliche Wandel, Ganztagsschule und Veränderungen im Freizeitverhalten den Musikvereinen zu, vielerorts beklagen Musikvereine unterschiedliche Probleme, rückläufige Aktivenzahlen und fehlendes Engagement. Manchmal sind diese Probleme aber auch hausgemacht. Wer sich jahrelang nicht um den Nachwuchs kümmert, darf sich nicht beschweren, wenn er irgendwann keinen mehr hat. Schließlich dauert es fünf bis sieben Jahre, bis die Jugendlichen im Aktivenorchester mitspielen können. Dennoch ist die Situation für die Vereine insgesamt schwieriger geworden. „Schwierig“ und „nicht einfach“ sind denn auch die Adjektive, die in den Gesprächen mit Vereinsverantwortlichen derzeit am häufigsten fallen. Auch Daniel Gramespacher, Vorsitzender der Stadtmusik Lörrach, weiß um die Probleme der Musikvereine und bekommt sie auch im eigenen Verein schon zu spüren. „Wir stehen zwar mit 50 Aktiven noch ganz gut da, trotzdem ist es nicht einfach“, betont er. Für Konzerte ist die Stadtmusik ebenfalls bereits auf Aushilfen angewiesen; das Publikum kommt angesichts der großen Konkurrenz im Dreiländereck auch nicht selbstverständlich zu jeder Vorstellung und vom eigenen Nachwuchs kommt kaum etwas im Orchester an. „Wir nutzen alle Kanäle, um unsere Nachwuchsarbeit zu fördern, subventionieren den Instrumentalunterricht und bemühen uns um Bläserklassen — oft fehlen uns aber einfach die Kapazitäten“, sagt Gramespacher. Und wenn dann noch die Bürokratie mit monströsen Verordnungen wie der „DSGVO“ zuschlägt, dann muss man sich, laut Daniel Gramespacher, „nicht wundern, wenn auch der Gutwilligste sich weigert, noch ein Vorstandsamt zu übernehmen“. Gramespacher nimmt in dieser Hinsicht genauso wenig ein Blatt vor den Mund wie im Hinblick auf die Veränderungen im Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen. In der Digitalisierung und der damit einhergehenden möglichen Verwahrlosung und Vereinsamung von Kindern und Jugendlichen beim Umgang mit Handys, Tablets und PCs sieht er den Hauptfeind im Kampf um den Nachwuchs. So wie viele Vereine bemüht sich nun auch die Stadtmusik Lörrach verstärkt um Zugezogene, Ehemalige und erwachsene Neu- und Wiedereinsteiger. „Viele Interessierte stoßen über die Homepage auf die Stadtmusik und etliche sind inzwischen geblieben, weil ihnen Dirigent und Literatur zusagten“, berichtet Gramespacher.

An dieser Äußerung von Daniel Gramespacher sind gleich zwei Aspekte bemerkenswert. Indem die Stadtmusik Lörrach ihren Internetauftritt dazu nutzt, Mitglieder zu gewinnen, setzt sie das um, was die eingangs zitierte Studie der „Zivilgesellschaft in Zahlen“ des Bertelsmann-Verlages empfiehlt: Die Vereine auf dem Land sollen sich digitalisieren. Nicht nur, weil sich die Vereinsarbeit durch digitale Mitgliederverwaltung, Kommunikation per E-Mail, Online-Banking, die Digitalisierung der Notenarchive etc. vereinfachen lässt, sondern weil Vereine eine Webpräsenz auch nutzen können, um online um Mitglieder oder Spenden zu werben. Zum anderen ist das Setzen auf erwachsene Neu- und Wiedereinsteiger eine Strategie, die nicht nur in Lörrach Früchte trägt, sondern sich auch allgemein in der Statistik abbildet. Während nämlich die Mitgliederzahlen im Bereich der unter 18-Jährigen rückläufig sind, legen die Zahlen in der Altersgruppe der über 18-Jährigen zu. „Wenn wir diese Zugänge nicht hätten, dann sähe es bei uns düsterer aus, denn aus dem eigenen Nachwuchs kommt zu wenig im Orchester an.“ Aktuell sieht Gramespacher die Stadtmusik Lörrach nicht in akuter Gefahr – nach dem Motto „Wehret den Anfängen“ möchte er die Probleme aber lieber früher als zu spät beim Namen nennen, unter anderem auch deshalb, weil er nicht möchte, dass andere Vereine „in den Abgrund stürzen“. „Das Problem ist doch, dass niemand gerne darüber redet, wenn es in seinem Verein nicht gut läuft. Das hält jeder gerne unter der Decke!“, so Gramespacher, und im Nachhinein ärgert er sich, dass er nicht früher vehementer aufgetreten ist: „Es ist wichtig, rechtzeitig die Weichen zu stellen und neue Wege einzuschlagen“.

Den Anfängen wehren und rechtzeitig die Weichen stellen

Denn bekannt werden die Probleme oft erst, wenn es zu spät ist. „Die Nachricht von der Auflösung der Stadtmusik Kandern hat im Verband für Entsetzen gesorgt“, berichtet er. Seitdem versucht der Verband über die Bezirksvorsitzenden näher an den Vereinen dran zu sein. Bei den Bezirksversammlungen wurde deshalb eigens der Tagesordnungspunkt „Neues aus den Vereinen“ installiert, um Vereinsvorsitzende zu ermuntern, sich über Probleme auszutauschen. Vom Austausch bis zur gegenseitigen Unterstützung ist es dann nicht mehr so weit, Gramespacher weiß das aus eigener Erfahrung. Er hat längst den Kontakt zu den Vereinen aus den benachbarten Stadtteilen gesucht und in den vergangenen Jahren immer wieder gemeinsame Projekte angestoßen, etwa für Besuche in den Partnerstädten von Lörrach. „Die Projekte sind immer gut gelaufen. Die Musiker haben die Erfahrung gemacht, dass die anderen auch okay sind“, erzählt Gramespacher. „Das hat die Offenheit, das Miteinander und den Zusammenhalt der Vereine stark befördert. Es fällt seither viel leichter, sich gegenseitig auszuhelfen.“ Die Vorsitzenden der Vereine treffen sich nun regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr, um die Kooperation fortzuführen und auszubauen. Für Daniel Gramespacher ist das der einzig gangbare Weg in die Zukunft. Dafür schaut er sich unter anderen auch nach solchen Vereinen um, die ihm Beispiel geben und einen möglichen Weg zur Rettung des Vereins aufzeigen können.

Lörracher Projektblasorchester
Gemeinsame Projekte der Stadtmusik Lörrach mit anderen Vereinen haben das Miteinander und den Zusammenhalt untereinander stark gefördert – so auch der Auftritt des Orchesters 2018 in Chester.

Nicht weit von Lörrach etwa gibt es die Gemeinde Malsburg-Marzell. Jeder der beiden Ortsteile verfügte lange Jahre über einen eigenen Musikverein, bis auch hier die Probleme sichtbar wurden und beide begannen, mit jeweils um die 20 Aktive um die Spielfähigkeit zu kämpfen. Und weil man sich ohnehin schon gegenseitig aushalf, lag eine Kooperation für beide Seiten nahe.

Zusammenschluss anstatt Fusion: Aus zwei Vereinen wird eine Gemeinschaft – Das Beispiel Musikverein Edelweiß Malsburg-Marzell

Musikvereine Malsburg und Marzell
Vor über 15 Jahren haben sich die beiden Musikvereine aus Malsburg und Marzell bereits zusammengschlossen. Die Probleme, die damals zum Zusammenschluss führten, holen den Musikverein heute wieder ein.

Bereits 2002 entschieden sich die beiden Vereine mit klarem Votum für einen Zusammenschluss. „Wir haben uns von der ebenfalls fusionierten Trachtenkapelle Häg-Ehrsberg Rat eingeholt, uns vom Verband beraten lassen und einen Juristen hinzugezogen“, erinnert sich der Vorsitzende Rolf Dreher. Das Ergebnis der Beratungen macht es schwierig, von einer echten Fusion zu sprechen. Formal gesehen haben nämlich bis heute beide Vereine Bestand. „Wir haben den älteren Verein, und das war in unserem Fall der Musikverein Malsburg, als Hauptverein weiterlaufen lassen und den Musikverein Marzell mit einer Satzungsänderung zum Förderverein umgewidmet“, sagt Rolf Dreher. Nur eine einzige Musikerin hat der Verein bei diesem Prozess verloren, alle anderen sind den Schritt mitgegangen. Dass auch Abstriche in Kauf genommen werden mussten, verstand sich von selbst. „Am Anfang haben wir jedes Jahr in jedem Ortsteil noch ein Konzert gespielt, schnell aber gemerkt, dass das musikalisch keinen Sinn macht. Inzwischen wechseln wir ab“, gibt Dreher Einblick in den Vereinsalltag. Das Publikum macht diesen jährlichen Wechsel zwar nur teilweise mit, das Orchester jedoch ist längst zu einer Einheit zusammengewachsen. „Ich kenne es fast schon nicht mehr anders“, weiß Dreher. Im Rückblick war der Zusammenschluss für die Musikvereine Malsburg und Marzell der „einzig richtige Schritt“, wie Rolf Dreher betont, „sonst gäbe es beide Vereine heute nicht mehr“. Die Probleme sind indes auch für den zusammengeschlossenen Verein dieselben geblieben. Trotz einer Bläserklasse, die als Dauerkooperation mit der Grundschule seit zehn Jahren gut funktioniert, ist es mit dem Nachwuchs schwierig: „Man muss unheimlich viel investieren und trotzdem kommt fast nichts dabei heraus!“, ist seine aktuelle Bestandsaufnahme. Der Zusammenschluss hat die Vereine zwar vor dem Sterben bewahrt und über 15 Jahre ihr Bestehen gerettet, die Zukunft jedoch bleibt ungewiss.

Eigenständig unterm gemeinsamen Dach: Das Beispiel Orchestergemeinschaft Seepark

Etwa zur selben Zeit wie die Musikvereine Malsburg und Marzell stellten zwei Vereine im Freiburger Westen bei nahezu identischen Voraussetzungen ähnliche Überlegungen an: Die Musikvereine Mooswald und Betzenhausen-Bischofslinde agierten schon eine Zeitlang an der Grenze der Spielbarkeit und waren auf der Suche nach Konzepten zur Zukunftssicherung. Als der Dirigent von Betzenhausen-Bischofslinde ankündigte, den Taktstock niederzulegen, wurde die Chance genutzt, über einen Zusammenschluss zu beraten. „Die Chemie stimmte und das ‚Schlüssel-Schloss-Prinzip‘ funktionierte“, erinnert sich Michael Kott. Die Orchester ergänzten sich und allein die Tatsache, endlich eine musikalische Stärke zu haben, die es erlaubte, Stücke zu spielen, die bislang aufgrund der lückenhaften Besetzung nicht möglich waren, brachte die Zweifler zum Verstummen. Eine große Diskussion löste jedoch die Frage aus, ob die Vereine fusionieren sollten. Letztlich gaben finanzielle Überlegungen den Ausschlag für das Festhalten an der Eigenständigkeit der Vereine. So liefen die Vereinsgeschehen ab 2001 zunächst ganz normal unter dem Namen „Spielgemeinschaft“ weiter: Jeder Verein organisierte weiterhin auf eigene Rechnung seine Basare und Feste und jeder Verein betrieb für sich die Ausbildung. Nur die beiden Konzerte bestritten sie unter wechselnder Federführung gemeinsam. Und genau das war der Knackpunkt, der das Finanzamt auf den Plan rief: „Wenn zwei Vereine gemeinsam Konzerte veranstalten, dann ist das eine ‚Gesellschaft bürgerlichen Rechts‘“, informiert Kott. Also gründeten die beiden Vereine eine GbR mit Gesellschaftsvertrag und eigener Geschäftsordnung, eigener Buchhaltung und eigenen Finanzen und gaben ihr den Namen „Orchestergemeinschaft Seepark (OGS)“. Unter dem Dach der neuen Orchestergemeinschaft Seepark gab es – vereint unter dem gemeinsamen Wappen – fortan drei Einrichtungen: den Musikverein Mooswald, den Musikverein Betzenhausen-Bischofslinde und die GbR. „Im Innenverhältnis macht das natürlich deutlich mehr Arbeit“, weiß Michael Kott. Als Finanzverantwortlicher muss er drei Barkassen führen, sechs Konten verwalten und doppelt so viele Bilanzen und Buchhaltungen erstellen. Für die Außendarstellung und die Entwicklung des Orchesters indes war die Gründung der Orchestergemeinschaft, wie Michael Kott betont, „die beste Entscheidung, die man treffen konnte“. 2005 haben die Vereine ihre Nachwuchsarbeit zusammengelegt, eine gemeinsames Jugendorchester und eine Musikschule für die Ausbildung des musikalischen Nachwuchses gegründet. Derzeit hat die Orchestergemeinschaft über vierzig Nachwuchsmusiker in Ausbildung, darunter sieben Erwachsene, die über die Initiative „30 +“ gewonnen werden konnten. „Wir sind auf einem guten Weg“, freut sich Michael Kott. Heute ist das Hauptorchester der OGS ein Oberstufenorchester mit rund 50 Musikern und zwei regelmäßig ausverkaufen Gala-Konzerten im Jahr. Von den Musikern, die sich 2001 zusammengeschlossen haben, sind heute, wie Kott berichtet, noch 12 übrig. Alle anderen, darunter über 30 Prozent Studenten, sind neu. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht – das ist eine Erfolgsmeldung. Die Orchestergemeinschaft hat es geschafft, ihre Attraktivität zu steigern, neue Musiker anzuziehen und mit einer größeren Anzahl von Musikern eine höhere Leistungsstufe und damit mehr Spaß an der Musik zu erreichen.

Gemeinsam zu neuen Synergieeffekten

Ein Selbstläufer ist der Erfolg trotzdem nie. „Man muss immer am Ball bleiben und sich ständig neu erfinden“, weiß Michael Kott. Die Orchestergemeinschaft Seepark ist in dieser Hinsicht ein Vorzeigeverein, der sich nie auf dem Erreichten ausruht, sondern sich mit innovativen Konzepten wie dem „Emplacement“, dem „Konzept 30 plus“ sowie innovativen Marketingkonzepten und Vorstandsseminaren stetig weiterentwickelt. Vor allem aber stellt sie in ihrer nunmehr über 17-jährigen Geschichte immer wieder unter Beweis, wie viele Synergieeffekte es gibt, wenn man gemeinsam an einem Strang zieht.

Beide Beispiele — die Orchestergemeinschaft Seepark genauso wie der Musikverein Edelweiß Malsburg-Marzell – haben schon vor Jahren mit unterschiedlichen Strategien vorgemacht, dass es Möglichkeiten gibt, Vereine vor der Auflösung zu bewahren oder ihnen gar zu neuer Blüte zu verhelfen.

BDB-Vize-Präsident Helmut Steinmann jedenfalls fordert die Vereine auf, die Flinte nicht zu schnell ins Korn zu werfen, sondern den Spielbetrieb und damit die Chance auf einen Aufschwung aufrechtzuerhalten. „Die Erfahrung und der Blick in die Historie lehren, dass mancher schon verloren geglaubte Verein wieder zu neuer Stärke gefunden hat.“ Daniel Gramespacher jedenfalls hat mit der Orchestergemeinschaft Seepark bereits Kontakt aufgenommen, um sich Rat zu holen und sich darauf vorzubereiten, einen neuen Weg einzuschlagen. Und was die Stadtmusik Kandern anbelangt, scheint sich ein altes Sprichwort zu bewahrheiten: „Totgesagte leben länger“. Ein neuer Vorsitzender ist gefunden, rund zwanzig Musiker wollen wieder zu den Instrumenten greifen und den Spielbetrieb trotz schwieriger Finanzen zum Volkstrauertag 2019 wieder aufnehmen. Schließlich ist, wie Altbürgermeister Bernhard Winterhalter in der ausschlaggebenden Sitzung bekundete, „weitermachen das Entscheidende“.

Martina Faller

Dieser Beitrag von Martina Faller erschien in der BDB-Verbandszeitschrift “Die Blasmusik”, Ausgabe März 2019.

Notruf Verein BDB

Der BDB – Bund Deutscher Blasmusikverbände hat mittlerweile eine eigene Website “Notruf Verein” eingerichtet, auf der sich verbandsangehörige Musikvereine sehr einfach mit ihren Sorgen direkt an die richtigen Ansprechpartner innerhalb des BDBs wenden und Hilfe erhalten können.

Ein herzliches Dankeschön an Martina Faller für diesen Gastbeitrag! Vielen Dank auch an die Verantwortlichen der Fachzeitschrift Die Blasmusik, in der dieser Beitrag zuerst erschienen ist, dass ich ihn hier im Blasmusikblog veröffentlichen darf.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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