Schwierigkeitsgrad von Blasorchesterwerken – Orientierung für Dirigenten

Die Frage: “In wie weit orientierst Du Dich bei der Auswahl von Blasorchesterwerken am Schwierigkeitsgrad?” beantworten in diesem Beitrag die Dirigenten Markus Frieß, Jakob Scherzinger, Christian Steinlein und Wolfgang Wetzel.

Markus FriessMarkus Frieß, Klarinettist, Instrumentallehrer und Dirigent, u. a. der Trachtenkapelle Hartheim und dem Musikverein Wendlingen antwortet:

“Als Dirigent lege ich persönlich großen Wert darauf, Orchester die auf unterschiedlichen Leistungsniveaus musizieren, gleichzeitig in einem Wochenablauf zu betreuen.
Das hilft mir den musikalischen Boden unter meinen Füßen ständig wertzuschätzen (Grad 1-3) und gleichzeitig Orchester mit hohen musikalischen Ansprüchen (Grad 4-5) seriös und versiert zum gewünschten Ziel zu bringen.

Zum Beispiel:

Mo:  „Jugendorchester mit ca. 9 Musikern“ (ca. 8-16 Jahre) (Grad 2-3, FLEX)
Di:   „Orchester mit ca. 20 Musikern“ (ca. 12-50 Jahre) (Grad 1-2)
Mi:   „Orchester mit ca. 30 Musikern“ (ca. 8-80 Jahre) (Grad 2)
Do: „Jugendorchester mit ca. 25 Musikern“ (ca. 9-16 Jahre) (Grad 1-2)
Do: „Orchester mit ca. 50 Musikern“ (ca. 12-70 Jahre) (Grad 3-4)
Fr: „Orchester mit ca. 60 Musikern“ (ca. 12-70 Jahre) (Grad 4-5-(6))

Um diesen musikalischen, pädagogischen und psychologischen Herausforderungen gerecht zu werden, muss man unter anderem in der Lage sein für alle Orchester die passenden Noten zu finden.

Dafür nehme ich bei Stücken die ich noch nicht kenne gerne die Schwierigkeitsgrad-Empfehlungen der Verlage oder der Literaturkommissionen zu Hilfe. Allerdings sind diese mit Vorsicht zu genießen, denn Schwierigkeitsgrade sind nicht immer eindeutig.

Nehmen wir zum Beispiel mal das Stück „Lord Tullamore“ von Carl Wittrock von dem ich einige Einstufungen gefunden habe:

HeBu: Grad 4
BDB-Selbstwahlliste: Grad 4
Österreichische Selbstwahlliste: Stufe C
Schweizer Wettstückliste: Klasse 2
Rundel Musikverlag: Mittel/Oberstufe
Alle Noten: mittel

Wie man sieht gibt es verschiedene Bezeichnungen von Schwierigkeitsgraden aus denen sich auf den ersten Blick keine eindeutigen Gemeinsamkeiten ableiten lassen.

Nun gibt es wohl Annäherungswerte mit denen man Brücken über die verschiedenen Bezeichnungen schlagen kann wie etwa

„Grad 1“ ist gleich wie „Stufe A“ oder „Anfängerstufe“ oder „Klasse 5“
„Grad 2“ ist gleich wie „Stufe B“ oder „Unterstufe“ oder „Klasse 4“
„Grad 3“ ist gleich wie „Stufe C“ oder „Mittelstufe“ oder „Klasse 3“
„Grad 4“ ist gleich wie „Stufe D“ oder „Oberstufe“ oder „Klasse 2“
„Grad 5“ ist gleich wie „Stufe E“ oder „Höchstsufe“ oder „Klasse 1“

und sicher gibt es auch gewisse Ähnlichkeiten, aber von einer wirklichen Einigkeit kann man noch nicht sprechen, obwohl ich glaube dass diese „Einheitlichkeit“ von Schwierigkeitsgraden durchaus auf Anklang stoßen würde. Im Moment ist es meiner Meinung nach jedoch noch nicht soweit.
Deshalb sollte man die Schwierigkeitsgradempfehlungen mit Bedacht verwenden.”

Jakob ScherzingerJakob Scherzinger, Oboist, Musikpädagoge und Dirigent der Stadtmusik Lenzkirch und der Winzerkapelle Jechtigen antwortet:

“Die Schwierigkeitsgrade dienen mir zur groben Orientierung und bilden ein gutes Instrument, um die Fülle an Literatur etwas einzugrenzen. Da sich die Einstufungen der Schwierigkeitsgrade bei Verlagen oder in diversen Literaturlisten allerdings oft unterscheiden, schaue ich immer auch in die Partitur, bevor ich ein Stück für meine Orchester auswähle. Sich nur am Schwierigkeitsgrad in der Auswahl von Werken zu orientieren, halt ich für nicht sinnvoll, da man vielmehr die Besetzung und die Fähigkeiten der einzelnen Musiker im Orchester in der Auswahl berücksichtigen sollte. Dafür benötigt man bei der Recherche zwar etwas mehr Zeit, aber das Ergebnis spricht dann meist für sich…”

Christian SteinleinChristian Steinlein, Posaunist, Instrumentallehrer, Dozent und Dirigent u. a. beim Musikverein Gurtweil, dem Kreisblasorchester Würzburg und demnächst der Schwarzwaldkapelle Münstertal antwortet:

“Das Thema “Schwierigkeitsgrad” bei Blasorchesterwerken ist in meinen Augen nicht zu unterschätzen. Zum einen ist der richtige Umgang damit sicherlich nicht einfach, da es kein eindeutiges und wahrhaftiges Rezept dafür gibt. Zum anderen finde ich es schwierig, ein gesundes Maß an Bedeutung zu finden, welches man ihm zukommen lässt. Meiner Meinung nach sollte man dem Ganzen kritisch gegenüber stehen, es nicht überbewerten, aber auch nicht komplett außer Acht lassen.

Die Frage, auf die der Schwierigkeitsgrad eines Werkes ja die Antwort sein soll, lautet logischerweise: Ist die Literatur durch mein Ensemble/ Orchester realisier- und umsetzbar? Hier entstehen bereits die ersten Schwierigkeiten bei der Einschätzung der Angaben. Jedes Blasorchester hat eine andere Besetzung, unterschiedliche Stärken und Schwächen, eben ganz unterschiedliche Voraussetzungen. Das kann man unmöglich bei der Einstufung eines Werkes berücksichtigen. Dabei darf man auch nicht außer Acht lassen, dass innerhalb der jeweiligen Schwierigkeitsgrade immer große Leistungsbereiche abgedeckt werden. Es gibt jeweils ein breites Feld zwischen dem unteren und oberen Rand einer Leistungsstufe. Eines muss also von Vornherein klar sein: Die endgültige Antwort auf die Frage der Realisierbarkeit kann nur das Studium der Partitur liefern und keine Kategorie- oder Zahlenangabe.

Nun aber zur Praxis: Bevor ich mir als Dirigent die Frage nach der Orientierung am Schwierigkeitsgrad bei der Literaturauswahl stelle, ist eine andere für mich erst mal wichtiger: Wie finde ich überhaupt meine Literatur?

Werde ich durch Empfehlungen von Bekannten, durch das Studium von Konzertprogramme anderer Orchester, oder durch das Stöbern durch die eigenen Partituren auf interessante Werke aufmerksam, dann ist der angegebene Schwierigkeitsgrad für mich nur zweitrangig von Bedeutung. In der Regel habe ich dann ja schon div. Kenntnisse über das Werk. Ich weiß auch, ob es musikalisch interessant für mich ist. Die Spielbarkeit für mein Orchester in Bezug auf die ausschlaggebenden Faktoren muss ich ja sowieso mit Hilfe der Partitur prüfen.

Durchforste ich aber das Onlineangebot der Verlage oder die Internetseiten bekannter und unbekannter Komponisten, oder klicke ich mich auf Youtube von einem Video zum nächsten, gehe ich also online “bummeln”, sind mir meine Fundstücke in der Regel nur wenig oder gar nicht bekannt. Hier hilft mir die Angabe des Schwierigkeitsgrades durchaus beim ersten Überblick für die Machbarkeit des Werkes. Bei der immens großen Menge des Angebotes ist das durchaus sehr sinnvoll.

Wenn ich nun also auf diese Hilfe zurückgreife, sind mir aber weitere Gedanken sehr wichtig:

Nicht alle Stufenangaben kann man untereinander in Relation setzen oder vergleichen. Ich muss wissen, wer diese Einstufung vorgenommen hat. Von welchen Tonumfängen ging derjenige z.B. als Basis seiner Bewertung aus? War es ein Verlagsvertreter, und wenn ja, welcher? War es der Komponist selbst, und wenn ja, welcher? Hat man die Repertoireliste eines Blasmusikverbandes vor sich liegen? Wurde also von einem ganzen Gremium geprüft? In welchem Verband fand das statt? Denn nicht allerorts hat man die gleichen Voraussetzungen, bzw. Verhältnisse. Selbiges gilt natürlich auch für das jeweilige Land, in dem eingestuft wurde. In der Schweiz hat man z.B. ganz andere Gegebenheiten und Bezeichnungen als in Deutschland. In Österreich ist dann wieder alles anders, etc.

Ein Werk kann demnach je nach Nation, Komponist, Verleger oder Verband ganz unterschiedlich eingestuft worden sein. Um die jeweiligen Angaben richtig einschätzen zu können, braucht man also ein gewisses Maß an Erfahrung und Wissen.

Ein weiterer Faktor ist für mich außerdem die Stilrichtung / das Genre des ausgewählten Werkes. Habe ich ein Orchester, das vornehmlich Unterhaltungsmusik spielt und dessen Mitglieder sehr erfahren im Umgang mit Jazz sind, kann ich ihnen in diesem Genre u.U. einen höheren Schwierigkeitsgrad zutrauen, als z.B. bei einer klassischen Ouvertüre. Habe ich ein Orchester, das eher aus der sinfonischen Richtung kommt, kann es durchaus sein, dass ich bei Arrangements von Count Basie-Titeln dafür kleinere Brötchen backen muss.

Als Fazit kann ich sagen: Ich orientiere mich sehr wohl in bestimmten Fällen bei der Auswahl meiner Literatur am angegebenen Schwierigkeitsgrad, aber nicht immer. Wenn ich es tue, versuche ich das allerdings unter Berücksichtigung der oben genannten Faktoren. Und die endgültige Entscheidung, ob ein Werk gespielt werden kann, liefert ausschließlich die Partitur.”

Wolfgang WetzelWolfgang Wetzel, Instrumentallehrer und Verbandsdirigent im Markgräfler Musikverband antwortet:

“Für eine grobe Vorauswahl von möglichen Werken hilft mir der Schwierigkeitsgrad sicherlich etwas.
Aber da die Angaben zum Schwierigkeitsgrad von Verlag zu Verlag teilweise sehr unterschiedlich sind, ist seine Aussagekraft nur bedingt hilfreich.
Eine weitere Auswahl kann nur durch das Studium der Partitur oder Einzelstimmen erfolgen. Nur hier sehe ich genau was in den einzelnen Stimmen gefordert ist und welche Fähigkeiten im Zusammenspiel erforderlich sind.
Löblich bei einigen Verlagen besonders im Bereich der Jugendorchsterliteratur sind Angaben in der Partitur oder den Stimmen zum Tonumfang, Griffen oder Rhythmen.
Besonders im Bereich von Jugendorchestern ist die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitglieder im Orchester teilweise sehr weit auseinander. Hier hilft der Schwierigkeitsgrad dann überhaupt nicht. Ich muss jede Stimme anschauen um zu entscheiden ob das Stück spielbar ist.”
 
Im nächsten Teil dieser Artikelserie erhaltet Ihr die Antworten zu der Frage “Nach welchen Kriterien legst Du den Schwierigkeitsgrad für ein Werk fest und welche Vorgaben hast Du dafür von Deinem Verlag?”, die ich an die Komponisten Thomas Asanger, Mario Bürki, Jacob de Haan, Hubert Hoche und Thiemo Kraas gestellt habe.
 

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Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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