Montag, September 16, 2024
DirigentenFührung

36 Erkenntnisse erfahrener Dirigent:innen: Was ich als Anfänger gerne gewusst hätte – Teil 1

Erfahrungen, Tipps und wertvolle Ratschläge für junge Dirigent:innen von Andreas Büchel, Katarzyna Bolardt und René Esser.

Nenne 3 Dinge, die Du als Anfänger im Dirigieren eines Blasorchesters bzw. eines Musikvereines gerne gewusst hättest,war die Aufgabe, die ich 12 verschiedenen Dirigent:innen aus Deutschland, der Schweiz und Südtirol gestellt habe. Im Hinterkopf hatte ich dabei, die Erfahrungen, die diese Dirigent:innen in ihrer Anfangszeit gemacht haben, können den jungen Dirigentinnen und Dirigenten, die noch am Anfang stehen, gerade erst ihre Dirigenten-Kurse absolviert haben und/oder gerade begonnen haben einen Musikverein zu dirigieren, nützlich sein.

Die Aufgabenstellung war etwas schwierig, deshalb habe ich sie wie folgt ergänzt: Bei der Fragestellung geht es darum, welche Fehler man beispielsweise gemacht hat, welche Erwartungen man hatte die nicht eingetroffen sind, welche Schwierigkeiten, mit denen man nicht gerechnet hat, usw…

Daraufhin habe ich 12 wirklich hervorragende Beiträge mit jeweils drei Dingen von den erfahrenen Dirigentinnen und Dirigenten erhalten, die alles beinhalten, was Anfänger tatsächlich wissen, lernen und beachten müssen. Mehr noch: Diejenigen, die Dirigierkurse und Dirigier-Workshops konzipieren erhalten jede Menge Informationen darüber, was in der Aus- und Fortbildung dringend fehlt – der Aus- und Fortbildungs-Wille der Dirigentinnen und Dirigenten vorausgesetzt…

Diese 12 Beiträge sind teilweise sehr lang und informationsreich, deshalb habe ich sie in vier Blasmusikblog-Beiträge nach Namensalphabet eingeteilt:

Teil 1: Andreas Büchel, Katarzyna Bolardt, René Esser
Teil 2: Isabel Gonzales Villar, Klaus Gottschall, Evelyn Kessel,
Teil 3: Sigisbert Mutschlechner, Andrea Kürten, Klaus Wachter,
Teil 4: Karin Wäfler, Philipp Zink, Tobias Zinser

Andreas Büchel

Andreas Büchel
Andreas Büchel

Dirigent des Blasorchesters der Arnsberger Bürgerschützen e.V. und der Jugendkapelle Höingen.

Ohne Vorbereitung geht gar nichts!

Ein Orchester merkt sofort, ob man vorbereitet für eine Probe ist oder nicht. Kann man als leistungsorientierter Musiker in einem Blasorchester die ein oder andere Probe noch mit Erfahrung anstatt Übung bestreiten, ist dies als Dirigent nicht möglich. Das genaue Studieren der Partitur ist die Basis für die daraus zu entwickelnde musikalische Idee. Die Partitur sollte natürlich auch auf technische Schwierigkeiten untersucht werden, um eventuell Probleme vorherzusehen und Lösungsstrategien hierfür zu entwickeln. Dies ist umso wichtiger, da der Faktor Nervosität nicht wirklich vorhergesehen werden kann. Je weniger Erfahrung, desto mehr Nervosität vor der Gruppe. Diese kann dazu beitragen, dass der geplante Probenpfad verlassen wird.

Lösungsansätze für alle diese Herausforderungen sind:

  • Leite so oft wie möglich eine musikalische Gruppe
  • Kenne die Partitur besser als jeder Andere
  • Habe vor dem ersten Ton des Orchesters eine musikalische Idee

Mir war bewusst, dass eine gewisse Vorbereitung von Nöten sein muss. Der Stellenwert dieser Vorbereitung bei der musikalischen Arbeit war mir allerdings nicht bewusst.

Maria Callas bringt es gut auf den Punkt:

„Ich bereite mich auf jede Probe so vor, als wäre es eine Hochzeit“

Die Macht der linken Hand!

In der C3-Ausbildung wurde viel Wert auf eine saubere Schlagtechnik als Basis für die dirigatische Handwerksarbeit gelegt. Die Basis des Dirigierhandwerks ist elementar wichtig und so sicherlich nicht zu vernachlässigen. Auch als Musiker habe ich vor allen Dingen immer auf einen „deutlichen Schlag 1“ geachtet und mich von der Mimik und Gestik des Dirigenten unbewusst beeinflussen lassen. Aber genau das ist es, was die Musik zum Leben erweckt, sich unterbewusst vom Dirigenten durch seine Gestik und Mimik musikalisch leiten zu lassen. Neben der linken Hand ist es die gesamte Körpersprache und nicht nur die Mimik, welche maßgeblich dazu beitragen kann, außergewöhnlich gute Musik mit dem Orchester gemeinsam zu erzeugen. Die Entwicklung des musikalischen Dirigates ist der Weg, der aus meiner Sicht nie komplett abgeschlossen ist. Je mehr man weiß umso mehr merkt man was man nicht weiß.

Orchestermusik ist ein Teamsport, unterschätze nicht den Wohlfühlfaktor

Harmoniert der Dirigent mit den Orchestermusikern, kann etwas sehr Besonderes entstehen.
Das meine ich nicht nur im musikalischen Sinne, sondern auch im Sinne der sozialen Gruppe.
Die meisten Dirigenten im deutschsprachigen Raum üben ihre Tätigkeit in ihrer Freizeit aus.
Natürlich ist der Dirigent dafür mitverantwortlich, dass die Musiker sich wohlfühlen und im besten Fall für jede Probe brennen. Es sollte aber nicht unterschätzt werden, dass auch der Dirigent ein vollwertiges Mitglied der sozialen Gruppe sein sollte. Ist dies nicht der Fall, birgt dies die Gefahr, dass der Wohlfühlfaktor für den Dirigenten abhanden kommt, und dies vom Orchester auch wahrgenommen wird. Wie eben schon erwähnt ist der Wohlfühlfaktor des Amateurdirigenten ebenso wichtig wie die Anerkennung für die geleistete musikalische Arbeit!

Katarzyna Bolardt

Katarzyna Bolardt
Katarzyna Bolardt

Dirigentin des Musikvereins Harmonie Thalwil, der Musikgesellschaft Hirzel und Musikgesellschaft Steinen (alle 2. Klasse/Mittelstufe)

Mein Studium in Blasorchesterleitung hat mich in allem Meritorischen sehr gut vorbereitet. Vor diesem Studium habe ich in einem Höchstklasse-Orchester regelmäßig gespielt (spiele dort bis jetzt) und meine Vorstellungen über Dirigentenarbeit basierten hauptsächlich auf dieser Erfahrung. Mein erster Verein war eine 3. Klasse Harmonie.

Programmwahl ist schwieriger, begrenzter und komplizierter als erwartet.

Das Problem allein hat mich nicht überrascht, aber dessen Ausmaß. Ich habe mir vorgestellt, dass neben dem Spieler-Niveau, die Grenzen hauptsächlich in der Akustik des Konzertraums, Charakter des Konzerts und eventuell in der Besetzung (aber es gibt ja Aushilfen…) liegen.

In der 2. und 3. Klasse ist die Literaturauswahl eher groß und unterschiedlich in der Qualität. In der Schweiz wählt der Dirigent das Programm nicht allein, sondern zusammen mit Musikkommission (ca. fünf Vereinsmitglieder und mit eigenem Präsidium). Vor meiner Tätigkeit als Dirigentin hatte ich nie die Gelegenheit in so einem Gremium zu arbeiten. Während der Dirigentenausbildung lernte ich Kriterien für gute Stückwahl, wie z.B. Form, Instrumentation, kompositorische Techniken (was nicht bedeutet, dass es um „trockene“ Musik geht, die kein Spaß beim Spielen oder Zuhören macht). Für viele Vereine (vor allem in den tieferen Klassen) sind diese Kriterien nicht so wichtig, wodurch die Arbeit mit der Musikkommission schwieriger ist als ich erwartet habe. Besetzungsprobleme sind ein sehr großer Faktor, der die Stückwahl einschränkt. Es fehlen vor allem Schlagzeugspieler, Oboe, Fagott, tiefe Bläser, und nicht selten mangeln auch andere Register. Aushelfersuche ist mühsam und nicht immer erfolgreich, u.a. aus finanziellen Gründen. Probleme treten auch bei Konzert-Lokalitäten auf. Die Bühne ist oft zu klein und es gibt oft zu wenig Platz, vor allem für die Schlagzeuginstrumente. Selbst wenn genug Musiker vorhanden sind, ist es nicht immer möglich, neben dem Drumset, auch Röhrenglocken, drei Malletinstrumente, großer Tam Tam, drei bis vier Kesselpauken und große Trommel auf der Bühne, z. B. in der Kirche, aufzustellen. Nicht selten muss ich auf etwas verzichten.

Pädagogische Fähigkeiten spielen eine große Rolle

Manchmal habe ich den Satz gehört: „Ich bin kein Lehrer, ich bin ein Dirigent“.  Das ist möglich, wenn wir ein Berufsorchester, oder vielleicht Höchstklasseorchester leiten. Auf meinen Proben bin ich zumindest zur Hälfte Musiklehrerin (oft bis ca. zwei Wochen vor dem Konzert). Ich muss nicht nur den musikalischen Text kontrollieren, sondern auch diverse Übungsweisen zeigen, Tipps geben und mit den Musikanten üben.
Natürlich muss ich die Spieler auch motivieren, sie fördern, dabei mit sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten umgehen und angemessene Rückmeldungen geben.
Selbst das Einspielen, besonders bei den 2. – 4. Klasse Vereinen, muss mehr Bildungselemente beinhalten. Zum Glück habe ich eine pädagogische Natur und mein früheres instrumental-pädagogisches Studium ist hier sehr hilfreich.

Bewerbungsgespräche

Die Bewerbungsgespräche sind bei den Musikvereinen sehr spezifisch und jedes Mal einzigartig. Besonders schwierig war für mich allein Gespräch ohne Probedirigat und mit einem Orchester, das ich noch nie hören konnte. Die Fragen um meine Ziele und Pläne mit einem Verein, den ich nur von der Homepage kenne, waren nicht einfach. Auch die Konfrontation mit der skeptischen Einstellung gegenüber professionellen Musikerinnen (das hat mich am Anfang sehr überrascht), gegenüber mir als Person ausländischer Herkunft und manchmal als Frau – dafür brauchte ich Erfahrung. Bei meinen ersten zwei Vereinen, bei denen ich gewählt wurde, hatte ich zuerst ein Probedirigat, dann das Gespräch.

René Esser

René Esser
René Esser

Dirigent der Bergmannskapelle Alt-Haselünne e.V., des Musikvereins Velen 1900 e.V. und Das Emslandorchester der Musikschule des Emslandes.

Deine Aura steht mehr im Fokus, als du weisst

Mit welcher Körperspannung und welchem emotionalen Ausdruck leitest du etwas optimaler deine ersten Schritte als Dirigentin; zwischenzeitlich ist viel passiert; an der Landesmusikakademie Heek, in Trossingen, in Schladming und Straßburg hörte ich als angehender Dirigent immer wieder die gleichen Tipps; „Stehe, Atme, sei Klar in deiner Gestik und kreativ in deiner Mimik“. 
Zu Beginn, sichtbar bei jedem, jeder Dirigentin, spüren wir die Macht und Verantwortung, und vor allem das Vertrauen, das das Ensemble in dich steckt, unter Umständen als schweres Kreuz. Mit der Zeit, und unserer Entwicklung werden wir besser, aber eigentlich sind wir immer auf dem Weg – unsere nonverbale Sprache zu entwickeln.

Du bist in der Musik, wenn du ihre Augen erreichst

Das blosse Ablesen und Kontrollieren der musikalischen Phrasen scheint uns als Anfänger sicherer zu sein als der Blick in die Runde. Und so gehen wir dem Papier, der Partitur auf den Leim und lernen zuallererst das `Starren in die Partitur und versuchsweise Fuchteln und Dirigieren“. Wir sollten Anfängerinnen mehr die Partituren wegnehmen – und schon wäre unser Geist mehr in der Musik, die unser Ensemble uns anbietet. Es gibt soviel zu entdecken, fragende Augen zu erreichen und Einsätze gemeinsam vorzubereiten.

Aus einem Esel lässt sich schwer ein Rennpferd machen

Begeisternde Arrangements, die `der Nachbarverein´vielleicht auch schon spielt, werden gekauft und da sie viel Geld kosten, müssen sie auch gespielt werden, manchmal zum Leidwesen des Werkes und der Ohren. Die richtige Auswahl treffen ist uns zu Anfang nicht leicht; vom Olymp des Lehrgangsorchesters kommend, versucht man das grandiose Werk, welches man verstanden hat und scheitert in der Ebene des Unterstufenorchesters; zu schwer – wenig Motivation bei den Musikerinnen und unter Umständen trotzdem Aufführung nach langen, harten Proben.

Sie wollen nur spielen…

Zu erkennen, dass die Musikerinnen allwöchentlich ein bisschen musikalische Abwechslung in ihr Leben bringen möchten, die Gemeinschaft des Musikvereins genießen und ihre Freundschaften dort pflegen war für mich als Musiker, der aus dem Jazz kommt, tatsächlich verwirrend, da ich den musikalischen Focus von Üben, Proben und Aufführen natürlich an allererster Stelle für mich begriff.
Genaues Hinschauen, ist dies eine musikalische Kameradschaft, die sich trifft und `den Moment geniessen möchte´oder ein Ensemble, welches sich für Wertungsspiele, sinfonische Blasmusik der Mittel- und Oberstufe interessiert, ist m.E. einer der wichtigsten Punkte, über die wir Beginner am Taktstock uns wenig Gedanken machen. Es wäre so einfach, wenn wir unseren Anspruch an die Musikerinnen mit ihren Interessen abgleichen.

Insgesamt lohnt sich der Sprung ins kalte Wasser trotzdem; die musikalische Gestaltungsmöglichkeit ist doch enorm als Dirigentin. Wir sollten mehr jungen, richtig jungen Musikerinnen die Möglichkeit geben, mit 13, 14 Jahren bereits Erfahrungen am Pult zu machen und ihnen einen Vorsprung ermöglichen – je früher der Beginn, umso weniger heiß ist der Stuhl in der weitern Ausbildung und im Alltag.

Die vier Teile dieser Round-Up-Serie zum Thema „Was ich als Anfänger gerne gewusst hätte“ im Überblick:

Teil 1: Andreas Büchel, Katarzyna Bolardt, René Esser
Teil 2: Isabel Gonzales Villar, Klaus Gottschall, Evelyn Kessel
Teil 3: Sigisbert Mutschlechner, Andrea Kürten, Klaus Wachter
Teil 4: Karin Wäfler, Philipp Zink, Tobias Zinser

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    2 thoughts on “36 Erkenntnisse erfahrener Dirigent:innen: Was ich als Anfänger gerne gewusst hätte – Teil 1

    • Hallo Alexandra, mal wieder ein sehr interessantes Thema mit guten Infos für die Blasmusik-Basis.
      Freu mich schon auf die weiteren Artikel.
      Danke und viele Grüße
      Norbert

      Antwort
      • Dankeschön lieber Norbert. Prima, wenn die Beiträge nützlich sind. Viele Grüße, Alexandra

        Antwort

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