36 Erkenntnisse erfahrener Dirigent:innen: Was ich als Anfänger gerne gewusst hätte – Teil 2
Erfahrungen, Tipps und wertvolle Ratschläge für junge Dirigent:innen von Isabel Gonzales Villar, Klaus Gottschall und Evelyn Kessel
Nenne 3 Dinge, die Du als Anfänger im Dirigieren eines Blasorchesters bzw. eines Musikvereines gerne gewusst hättest,war die Aufgabe, die ich 12 verschiedenen Dirigent:innen aus Deutschland, der Schweiz und Südtirol gestellt habe. Im Hinterkopf hatte ich dabei, die Erfahrungen, die diese Dirigent:innen in ihrer Anfangszeit gemacht haben, können den jungen Dirigentinnen und Dirigenten, die noch am Anfang stehen, gerade erst ihre Dirigenten-Kurse absolviert haben und/oder gerade begonnen haben einen Musikverein zu dirigieren, nützlich sein.
Die Aufgabenstellung war etwas schwierig, deshalb habe ich sie wie folgt ergänzt: Bei der Fragestellung geht es darum, welche Fehler man beispielsweise gemacht hat, welche Erwartungen man hatte die nicht eingetroffen sind, welche Schwierigkeiten, mit denen man nicht gerechnet hat, usw…
Daraufhin habe ich 12 wirklich hervorragende Beiträge mit jeweils drei Dingen von den erfahrenen Dirigentinnen und Dirigenten erhalten, die alles beinhalten, was Anfänger tatsächlich wissen, lernen und beachten müssen. Mehr noch: Diejenigen, die Dirigierkurse und Dirigier-Workshops konzipieren erhalten jede Menge Informationen darüber, was in der Aus- und Fortbildung dringend fehlt – der Aus- und Fortbildungs-Wille der Dirigentinnen und Dirigenten vorausgesetzt…
Diese 12 Beiträge sind teilweise sehr lang und informationsreich, deshalb habe ich sie in vier Blasmusikblog-Beiträge nach Namensalphabet eingeteilt:
Teil 1: Andreas Büchel, Katarzyna Bolardt, René Esser
Teil 2: Isabel Gonzales Villar, Klaus Gottschall, Evelyn Kessel,
Teil 3: Sigisbert Mutschlechner, Andrea Kürten, Klaus Wachter,
Teil 4: Karin Wäfler, Philipp Zink, Tobias Zinser
Isabel Gonzales Villar
Dirigentin des Musikvereins Bad Rappenau (mit dem „Orchester & Projekt“ und „Ton &Co“ in Projektphasen), des Musikvereins Laufen (Stadtkapelle) und des Musikvereins Östringen (Symphonisches Blasorchester). Außerdem dirigiert Isabel das Alumni Sinfonieorchester der Carl Bosch Gymnasium und das Jugend Zupforchester von Baden Württemberg (dieses wird von Landesmusikrat organisiert).
Sehr interessante Frage. Ich habe angefangen, in Spanien meinen Heimatverein zu dirigieren, ohne vorher Dirigierunterricht gehabt zu haben. Natürlich hatte ich viele Dirigenten vor Augen gehabt; ich habe zu dieser Zeit noch Querflöte studiert und war in mehreren Sinfonieorchestern dabei. Aber zuschauen und selbst machen sind zwei verschiedene Dinge. Damals durfte ich nur bei einem oder zwei Konzerten dirigieren. Danach habe ich mein Querflöten-Masterstudium in Mannheim begonnen, und dort habe ich mehr als ein Jahr lang nicht mehr dirigiert. Deshalb hatte ich quasi zwei Anfänge und kann mich ziemlich gut an beide erinnern.
Ich würde diese Frage in drei Bereiche unterteilen: den technischen Bereich, den musikalischen Bereich und den sozialen Bereich.
Technischer Bereich
Zur Technik: Ich hätte gerne gewusst, dass mein vierter Schlag im 4/4-Takt immer zu kurz war. Es war unglaublich, welche Tempostabilität ich gewonnen habe, als ich angefangen habe, Dirigieren zu studieren und an den Grundlagen zu arbeiten. Plötzlich hatte ich das Orchester viel besser im Griff. Ich konnte natürlich accelerandi machen, aber nur dann und so, wie ich es wollte. Das hat einen sehr großen Unterschied gemacht. Danach kamen mehr und mehr technische Aspekte des Dirigierens dazu, aber das war für mich das erste, was in kurzer Zeit eine große Wirkung hatte. Und das Beste war, dass es geschah, ohne dass das Orchester es bemerkte. Ich sehe unseren Beruf als Dirigenten auch als Unterstützung für die Musiker, damit sie ihr Bestes leisten können. Dazu gehört diese Kenntnis, weil, wenn wir beim letzten Schlag des Taktes eilen, haben die Musiker oft keine Zeit, alle Noten, die in den Schlag gehören, zu spielen, und es kommt oft zu Problemen und Verkrampfungen – zwei Dinge, die wenig mit Musik zu tun haben sollten.
Musikalischer Bereich
Und damit sind wir beim musikalischen Bereich. In diesem Bereich hätte ich gerne gewusst, dass vieles mit wenigen Worten erklärt werden kann. Am Anfang habe ich viel zu viel gesprochen und in langen Sätzen. Natürlich soll man sagen, was man zu sagen hat, aber am besten so kurz wie möglich, damit die Musiker die Idee aufnehmen und umsetzen können. Ich versuche jetzt immer, minimalistisch zu bleiben bei meinen Ansagen. Weniger ist mehr.
Sozialer Bereich
Zuletzt, aber definitiv nicht weniger wichtig, ist der menschliche oder soziale Aspekt. Ich habe immer gewusst, dass ein Orchester einen sozialen Aspekt hat, der gepflegt werden muss, aber ich wusste nicht, wie das umzusetzen ist. Die Balance ist schwierig zu halten; man muss nett sein, aber nicht zu nett. Es muss akzeptiert werden, dass wir kritisiert werden, obwohl wir uns alle Mühe der Welt geben. Aber auch wir dürfen Fehler machen. Ich habe gemerkt, dass es am besten wirkt, wenn ich nicht versuche, zu nett oder zu irgendetwas zu sein. Ich versuche jetzt einfach, ich selbst zu sein – mit viel Respekt vor den Musikern, aber auch mit viel Respekt vor der Musik. Genauso versuche ich das den Musikern zu vermitteln. Ich bin in erster Linie für die Musik da, und dafür muss ich manchmal Entscheidungen treffen, die vielleicht nicht allen gefallen. Das Wichtigste für mich ist, konsequent zu sein, fair zu meiner Meinung zu stehen und eine Persönlichkeit zu entwickeln, die als Beispiel für die Musiker dienen soll. Am besten ist es, immer mit einem guten Beispiel voranzugehen. Das hilft oft im Kontakt mit den Musikern und auch dabei, mich nicht in meiner Entwicklung als Dirigentin zu verlieren.
Klaus Gottschall
Dirigent der Marktkapelle Rennertshofen (Oberstufenorchester).
Rückblickend auf meine Anfänge als Dirigent eines Blasorchesters fallen mir mehr Dinge ein, die bei der Ausbildung nicht vermittelt werden. Aber ich möchte mich auf drei Hauptkriterien hier beschränken. Diese wären: Umgang mit der Motivation der Musiker:innen; Minderbesetzung bei wichtigen Auftritten; Dirigent will mehr als die Kapelle.
Umgang mit der Motivation der Musiker:innen
Ich glaube jeder Dirigent und auch jede Dirigentin kennt das Problem, nach einem Konzert, einem Jubiläum oder sonst einem Ereignis, auf das lange hingearbeitet wurde, entsteht ein „Motivationsloch“. Als junger Dirigent ist man leider auf solch eine Begebenheit nicht vorbereitet. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen. Als ich vor über 25 Jahren die Dirigierkurse des MON (Musikbund Ober-und Niederbayern) besucht habe, lag der Ausbildungsinhalt natürlich auf den dirigierpraktischen und musiktheoretischen Anforderungen. Probenpädagogik war natürlich auch dabei, aber konnte aus Zeitgründen nicht so vertieft werden. Nach Ende meiner Ausbildung übernahm ich einen Musikverein, mit dem ich kurze Zeit später ein Bezirksmusikfest ausrichten durfte. Die Vorbereitungen liefen sehr gut, auch das Fest war ein großer Erfolg. Allerdings fiel das ganze Orchester, danach in ein tiefes Loch. Einige hörten auf zu Musizieren, andere glänzten durch Abwesenheit bei den Proben. Den übrig geblieben verging der Spaß, da in den Proben immer mehr Stimmen fehlten.
Als Dirigent hinterfragte ich meine Arbeit, meine Stückauswahl, mein pädagogisches Handeln, konnte aber den „Fehler im System“ nicht finden.
Heute weiß ich wo der Fehler lag. Nach den Strapazen des Musikfestes, wurde im Verein beschlossen, es wieder langsam angehen zu lassen. Dadurch wurden andere Aktivitäten der Musiker in den Vordergrund gerückt, und das Musizieren im Verein verlor seinen Stellenwert. Mittlerweile plane ich das nächste Event bevor eines abgeschlossen ist, und ich berichte immer wieder bei den Proben davon. Dies hält die Spannung aufrecht, und das Orchester bleibt neugierig was als nächstes kommt.
Ich weiß nicht, ob solche Dinge im Rahmen einer Dirigentenausbildung vermittelt werden sollen, ich wäre damals dankbar gewesen, was in so einer Situation das angebrachte Mittel gewesen wäre.
Minderbesetzung bei wichtigen Auftritten
Als Dirigent eines großen Orchesters kommt dieses Problem nicht oft zu tragen, aber die Dirigenten eher kleinerer Kapellen können sicher ein Lied davon singen. Es steht ein wichtiger Auftritt an, und nach und nach melden sich die Musiker ab. Sei es aus Krankheit, Terminüberschneidungen, Null Bock oder auch beliebt: „…wenn mein Freund/Freundin nicht kommt, komme ich auch nicht…“
Gründe für eine Abwesenheit gibt es zuhauf. Der Punkt mit der Motivation spielt hier auch mit rein, aber wenn es nun so weit ist, braucht es einen guten Plan B, oder C, oder D….
Auch hier wäre ich als junger Dirigent froh gewesen die ein oder andere Hilfestellung zu bekommen und hätte gerne gewusst wie man damit umgeht.
Ich habe den Fehler gemacht und mir die fehlenden Stimmen angeeignet. (Anmerk. ich bin Blechbläser, Tenorhorn/Posaune, daher ist es mir nicht allzu schwer gefallen die Blechecke zu lernen.) Meine Musiker hatten das schnell heraus, dass ich als Dirigent natürlich die fehlenden Stimmen, zumindest im Blech, kompensieren kann. Dadurch ging natürlich das Leiten der Kapelle unter und die Qualität wurde beeinträchtigt.
Die Idee aus den Auftritten eine Art „Pflichtveranstaltung“ zu machen ging gründlich schief.
In meiner derzeitigen Dirigentenstelle spiele ich nur äußerst selten selbst, und nur dann, wenn meine Stellvertreterin am Pult steht. Die Option, der Dirigent macht das dann schon irgendwie, gibt es nicht. Die Verantwortung habe ich ins Register abgegeben, das für eine ordentliche Besetzung zuständig ist.
Dirigent will mehr als die Kapelle
Als junger Dirigent, direkt nach der Ausbildung, ist man hochmotiviert, hatte ein tolles Lehrgangsorchester (das teilweise besser spielte als das Orchester daheim). Man hat tolle Stücke erarbeitet, ist im „sinfonischen Blasorchester Sound Rausch“. Die Realität daheim sieht meist ganz anders aus. Man hat weder die Besetzung noch das Instrumentarium, und auch eine Truppe, die lieber Polka und Märsche spielen, als das „moderne Zeug“.
Genau diese Situation hatte ich bei einer Dirigentenstelle. Ich konnte meine Musiker soweit motivieren, dass jährlich ein Konzert und die Teilnahme am Wertungsspiel gegeben war. Mehr war da nicht drin. Zum Ende meiner Amtszeit wurde mir gesagt, „wir wollen ja nur eine Dorfkapelle sein“. Dies ist natürlich für einen jungen Dirigenten das, was er nicht hören möchte. Die Vorstellung von gut gemachter Blasmusik gingen hier weit auseinander. Ich glaubte damals, dass die Zukunft in der konzertanten Musik liegt, und traditionelle Blasmusik wenig Zukunft hat. Aber ich wurde eines Besseren belehrt. Durch die Blasmusikszene ging der sprichwörtliche „RUCK“ und traditionelle Blasmusik wurde enorm aufgewertet.
Im Nachhinein weiß ich nun, dass das gefällt, was man bereits kennt. Wer mit Polka und Co. aufgewachsen ist, findet auch seine Freude daran. Wer als junger Mensch mit einem erweiterten musikalischen Spektrum als nur T-S-D-T (Tonika-Subdominante-Dominante-Tonika) in Berührung gekommen ist, der findet auch kompliziertere musikalischen Strukturen schön und interessant. Dies darf nicht als Abwertung der traditionellen Blasmusik verstanden werden. Schön ist das was gefällt.
Heute versuche ich meine Konzerte und auch meine Stückauswahl so zu treffen, dass gefällige Stücke dabei sind, aber auch experimentelle Werke zur Aufführung kommen. Meine Erfahrung daraus ist, die gefälligen sorgen für gute Stimmung, aber die experimentellen bleiben in Erinnerung.
Fazit, es wäre sicher wünschenswert, wenn sich die Dirigentenausbildung auch mit den alltäglichen Dingen befassen würde, die einem Dirigenten im Laienmusizieren so widerfahren. Sicher gibt es nicht die allumfassende Problemlösung, aber der Austausch unter den Dirigentinnen und Dirigenten bringt einem vielleicht eine neue Sichtweise und dadurch auch eine Lösung.
Evelyn Kessel
Dirigentin des Musikvereins Oberderdingen
Im Jahr 2015 habe ich pünktlich zu meinem Studiumstart im Fach Blasorchesterleitung an der Musikhochschule Mannheim meinen ersten eigenen Verein übernommen. Es war der Musikverein Maximiliansau in der Pfalz und ich habe mich dort sehr willkommen und gesehen gefühlt – obwohl ich Anfängerin war, mich recht unsicher gefühlt habe und erst noch meinen Weg finden musste. Das Orchester hat mir aber viel Spielraum gegeben und ich durfte viel ausprobieren.
Nun, einige Jahre und einige Erfahrungen später, habe ich ein klares Bild von den Dingen, die ich über die Jahre gelernt und erfahren habe. Hier sind meine Top 3 der Dinge, die ich gerne als Anfängerin im Dirigieren eines Musikvereins früher gewusst hätte.
Vertragsbedingungen
Ein wichtiger Fehler, der mich bei Schwangerschaft und Krankheit mehrfach eingeholt hat: Man sollte darauf achten, genaue Vertragsbedingungen festzusetzen, wie die Situation bei Urlaub, Krankheit und in Konsequenz daraus mit Vertretungen aussieht.
Die meisten Verträge sind Standard-Honorarverträge, in denen leider viele Dinge nicht geregelt sind, die man in normalen Arbeitsverträgen sonst finden würde.
Gibt es Urlaubstage, die der Dirigent nehmen darf? Oder ist ein Verreisen nur in der Sommerpause möglich? Wie sieht es aus mit berufsbezogenen Fortbildungen, wegen denen die Probenleitung oder ein Auftritt nicht machbar sind? Schließlich kommen Schulungen und Fortbildungen in direkter Weise dem Orchester zugute, wenn der Dirigent Up to Date bleibt und neue Techniken und Wege erarbeiten will.
Wie sind Krankheitsausfälle geregelt? Gibt es einen Vizedirigenten, der die Probe oder den Auftritt übernimmt oder gibt es einen externen Dirigenten, der in der Lage ist einzuspringen, notfalls auch kurzfristig? All diese Fragen sollten unbedingt im Vertrag mit festgehalten werden.
Dabei ist es auch wichtig, die steuerrechtliche Seite nicht zu vergessen: Wird die Vertretung vom Verein vergütet? Manche Vereine erwarten, dass die Aushilfe vom Dirigenten selbst bezahlt wird. Für jeden, der als freischaffender Musiker arbeitet und damit in der Künstlersozialkasse angemeldet ist, sollte diese Regelung keine Option sein und dies auch vehement beim Verein vertreten. (In diesem Fall müsste man der Aushilfe eine Rechnung schreiben und muss dies auch als Abzug vom eigenen Honorar sinnvoll dem Finanzamt darlegen können.) Hier sollte definitiv ein Steuerberater hinzugezogen werden.
Leider habe ich oft die Erfahrung gemacht, dass die Musikvereine wenig bis gar kein Verständnis dafür haben, dass für uns Dirigenten dies kein Hobby, sondern Arbeit ist und man dementsprechend ein selbstständiger Dienstleister, mit all seinen steuerrechtlichen Vor- und Nachteilen ist.
Querulanten & Konflikte
Eine Schwierigkeit, die mich zwar nicht überrascht, aber ordentlich gefordert hat und ich auch bis heute noch schwierig finde: Querulanten!
Als junge Dirigentin mit wenig Erfahrung habe ich mich oft in einer Situation wieder gefunden, in der manche Musiker (zumeist ältere Männer ab 50) im Orchester nicht viel Vertrauen in mein Fachwissen hatten. Besonders als Frau bin ich oft auf Skepsis und Vorurteile gestoßen. Manch einer hat mich dann auch in den Proben absichtlich provoziert und versucht meine Autorität vor dem Orchester zu untergraben. Diese Situationen waren unheimlich schwierig für mich, vor allem da ich am Anfang meiner Dirigententätigkeit noch sehr oft unsicher war und mir viele Gedanken darüber gemacht habe, wie ich vor dem Orchester wirke und wie ich bei den Musikern ankomme. Zum Beispiel wurden Entscheidungen in der Stückauswahl offen kritisiert, oder schlichtweg meine Herangehensweise in der Probenarbeit. Solch offene Kritik hat mich dann oft noch mehr verunsichert. Während man vor einem Orchester steht, wird man nun mal von den Musikern ständig beobachtet. Gerade in Konfliktsituationen wird sehr genau zugeschaut, wie man als Dirigent reagiert und mit solchen aneckenden Musikern umgeht und ob man unsachlich angebrachter Kritik und Versuchen, die Autorität in Frage zu stellen, Raum gibt oder nicht.
Wenn schwierige Konfliktsituationen auftreten, ist die wichtigste Einschätzung, ob die Kritik gerechtfertigt ist oder nicht. Wenn sie es nicht ist, muss man behutsam, aber bestimmt seine Entscheidung bekräftigen und sich nicht verunsichern lassen, denn das ist oft das Ziel von Querulanten. Wenn sie jedoch gerechtfertigt ist, bin ich ein großer Verfechter davon, auch mal offen zugeben zu dürfen und müssen, dass man falsch lag. Auch dies gehört zum Dirigentensein meiner Meinung nach dazu und ist wichtig, um authentisch und vertrauenswürdig zu sein. Langfristig ist es aber das Ziel, den Querulanten den Wind aus den Segeln zu nehmen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Dies erreicht man am besten, indem man authentisch und menschlich die Führung übernimmt und fachlich gute Arbeit abliefert.
Studium versus Praxis
Das, was man im Studium lernt, hat nicht viel mit der tatsächlichen Praxis im Musikverein zu tun. Die meisten Anfänger oder Studenten machen ihre ersten Erfahrungen mit Mittelstufen- oder Jugendorchestern und haben damit einen hohen pädagogischen Anteil an der Probenarbeit.
So sind zum Beispiel viele Orchester und kleine Vereine noch gewohnt, einen ganzen Takt vorgezählt zu bekommen, bevor das Stück losgeht. Das ist nicht unbedingt mit dem vereinbar, was man im Studium oder in anderen qualitativen Ausbildungsstätten beigebracht bekommt. Selbstverständlich sollte man, wann immer möglich, nur einen Auftaktschlag vor dem Stück dirigieren, aber gerade wenn man neu vor dem Orchester steht und das Orchester eine jahrelange davon abweichende Praxis hatte, dauert die Umstellung auf das neue Einzählen seine Zeit. Hier ist es aber wichtig nicht nachzugeben und seinen Weg durchzusetzen. Auch die Literatur, die man im Studium kennenlernt, ist oftmals für kleine und schlechter besetzte Orchester wenig geeignet. Hier dürfte man meiner Meinung nach an deutschen Hochschulen einiges nachholen, um die Studenten eben nicht nur auf ideal besetzte und leistungsstarke Orchester im Ober-/Höchststufenbereich vorzubereiten. Meiner Meinung nach ganz im Gegenteil: Besonders in den schlechteren und kleineren Vereinen werden händeringend Dirigenten gesucht, die entsprechend pädagogisch geschult sind, um das Orchester weiter aufzubauen und wachsen zu lassen. Und darauf sollte auch der Fokus in der Ausbildung liegen. Eine gute pädagogische Probenarbeit, die sich zum Ziel gesetzt hat, eben nicht Stücke lediglich durchzuspielen, sondern dem Orchester musikalisches Wissen und Fertigkeiten vermitteln möchte, um so auf lange Sicht die Qualität nachhaltig zu verbessern, ist deutlich schwieriger vorzubereiten und zu planen. Viele Dirigenten haben da den Vorteil, dass sie auch ein Instrument unterrichten, aber im Orchester muss die Pädagogik an viele und sehr unterschiedliche Menschen (Geschlecht, Alter, Kenntnisstand, Instrument, etc.) adressiert sein. Das setzt viel Experimentierfreudigkeit voraus und sollte bei jungen Dirigenten im Fokus ihrer Dirigiertätigkeit stehen, um so die fachlichen Kompetenzen auszubauen und ein wahrer Gewinn für den Musikverein sein zu können.
Die vier Teile dieser Round-Up-Serie zum Thema „Was ich als Anfänger gerne gewusst hätte“ im Überblick:
Teil 1: Andreas Büchel, Katarzyna Bolardt, René Esser
Teil 2: Isabel Gonzales Villar, Klaus Gottschall, Evelyn Kessel
Teil 3: Sigisbert Mutschlechner, Andrea Kürten, Klaus Wachter
Teil 4: Karin Wäfler, Philipp Zink, Tobias Zinser