Die Triangel Dirigent – Musiker – Publikum Teil 1
Gedanken zum Thema von Alexander Beer
Vor einiger Zeit habe ich insgesamt sieben Dirigent:innen die Frage gestellt: “Wie vereinbart man seine eigenen Vorstellungen als Dirigent:in und Künstler:in mit der Erwartungshaltung von Musiker:innen und Publikum?” Die Antworten sind so interessant und ausführlich, dass ich mich entschlossen habe, sie jeweils separat in einem Blog-Beitrag zu veröffentlichen. Den Anfang macht Alexander Beer (DE). Demnächst folgen die Antworten von Sandro Blank (CH), Annette Burkhardt (DE), Stefan Kiefer (DE), Michael Kummer (DE), Dietmar Rainer (IT, Südtirol) und Meinhard Windisch (IT, Südtirol).
Alexander Beer leitet ein Verbandsjugendblasorchester, die SAP Sinfonietta in Heidelberg und hat eine Dirigentenstelle an der Stuttgarter Musikschule. Dort führen drei Orchester der Vorstufen bis zum Sinfonischen Jugendblasorchester SJBO Stuttgart, mit dem er den 1. Platz beim Konzertwettbewerb im Deutschen Musikfest 2019 in Osnabrück in der Kategorie 4 gewonnen hat. Darüber hinaus ist er tätig als Dirigierdozent und war mehrere Jahre Lehrbeauftragter für Dirigieren an der Musikhochschule Trossingen und in Freiburg (hKDM).
Die Gedanken von Alexander Beer zum Thema:
Als Dirigentinnen und Dirigenten sind wir immer Führungspersönlichkeiten für unsere Orchester. In dieser Funktion ist es sehr wichtig, eine eigene Vorstellung und musikalische Ziele zu haben. Es wird von uns erwartet, zu motivieren und das Orchester in den Proben und bei Auftritten vorwärts zu bringen. Das gelingt meiner Meinung nach am besten, wenn man selbst von den Inhalten überzeugt ist.
Neben der eigenen Vorstellung, sollte man selbstverständlich auch die Vorstellungen des Orchesters oder die Erwartungshaltung des Publikums im Blick haben. Ich halte es allerdings für keine gute Idee, sich ausschließlich davon leiten zu lassen. Das richtige Maß ist wichtig. Leiterinnen und Leiter müssen immer Positionen und Interessen ausgleichen, auch beim Musizieren. Meine Empfehlung ist, musikalische Projekte zu entwickeln, bei denen eigene und andere Positionen eng beieinander liegen und dadurch wenig Ausgleich nötig ist. Liegen die grundsätzlichen Interessen eines Orchesters und der musikalischen Leitung weit auseinander, ist es vermutlich für beide Seiten am besten, sich ein anderes Orchester zu suchen.
Geht es um musikalische Ziele, ist man schnell beim Thema Programmgestaltung. Entscheidende Kriterien für die Stückauswahl sind neben den eigenen Vorlieben folgende Aspekte: die Besetzung des Orchesters, die Vorlieben des Orchesters, die Vorlieben des Publikums, der Konzertanlass, der Konzertort sowie der Schwierigkeitsgrad der Stücke. Erst wenn man sich sicher ist, dass eine Komposition passend ist, sollte man sich für eine Aufführung entscheiden.
Eine gängige Methode ist, ein technisch oder musikalisch schwieriges Stück zwischen anderen Werken »einzupacken«. Musizierende als auch Publikum lassen sich dann eher auf Experimente ein. Oft sind diese Stücke anschließend Thema des Pausengesprächs und man erinnert sich noch Monate später an ihre Aufführung. Kompositionen, die nach dem Prinzip »höher, schneller, weiter« funktionieren, finde ich weniger spannend als Werke, die einen hohen musikalischen Gehalt haben und mich beim ersten Höreindruck fesseln.
Außerdem führe ich gerne Klassiker der Blasorchesterliteratur auf. Die Aufnahmen von Frederick Fennell und Eugene Corporon oder die Repertoirebücher von Felix Hauswirth sind dafür wahre Fundgruben. Hier liegt ein Vorteil auf der Hand: Diese Werke sind bereits tausendfach aufgeführt worden und haben sich über Generationen bewährt. Das gelingt nur bei Kompositionen, die handwerklich gut komponiert wurden, die musikalisch-künstlerisch interessant sind und sowohl bei Dirigenten als auch Musikerinnen und Publikum ankommen. Eine Art natürlicher Auswahlprozess. Neuere Werke und Uraufführungen sind zwar ein wichtiges und spannendes Feld, im Vergleich zu den Klassikern aber schwerer einzuschätzen.
Denkt man alle diese Überlegungen zusammen, ist schnell klar, dass sich Erwartungshaltungen und eigene Vorstellungen am besten mit einer geschickten und gelungenen Programmgestaltung vereinbaren lassen und umfangreiche Literaturkenntnisse nötig sind.
März 2023
Alexander Beer
Ein herzliches Dankeschön an Alexander Beer für seine Antwort auf die Frage “Wie vereinbart man seine eigenen Vorstellungen als Dirigent:in und Künstler:in mit der Erwartungshaltung von Musiker:innen und Publikum?”
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Die im Beitrag erwähnten Repertoire-Bücher von Felix Hauswirth in Zusammenarbeit mit Markus Mauderer:
Hier die Links zu allen Dirigenten-Statements zum Thema “Wie vereinbart man seine eigenen Vorstellungen als Dirigent:in und Künstler:in mit der Erwartungshaltung von Musiker:innen und Publikum?”
Teil 1 Alexander Beer
Teil 2 Sandro Blank
Teil 3 Annette Burkhardt
Teil 4 Stefan Kiefer
Teil 5 Michael Kummer
Teil 6 Dietmar Rainer
Teil 7 Meinhard Windisch