6 Fragen an Franco Hänle zu der Teilnahme an den Wettbewerben beim Musikfest Baden-Württemberg
Den Abschluß meiner kleinen Reihe „6 Fragen an…“, in der ich verschiedenen Dirigenten von teilnehmenden Orchestern an den Wettbewerben bzw. Wertungsspielen beim Musikfest Baden-Württemberg in Karlsruhe jeweils die gleichen Fragen gestellt habe, macht heute Franco Hänle. Herzlichen Dank an alle, die die Beiträge fleißig geteilt haben und an alle, die sich mir gegenüber so positiv geäußert haben. Vielleicht geht auch mein Wunsch noch in Erfüllung und der eine oder andere von Euch Lesern schreibt noch seine Meinung über Wertungsspiele und Wettbewerbe in das Kommentar-Feld unterhalb dieses Beitrags!
Nun kommt aber Franco Hänle zu Wort:
- Mit welchen Orchestern trittst Du in Karlsruhe an, welche Werke hast Du jeweils ausgesucht und warum hast Du diese Werke speziell für Deine Orchester ausgesucht?
In Karlsruhe trete ich mit zwei Orchestern an.
Als erstes mit der Stadtkapelle Ulm am Samstag Mittag beim Vorentscheid des Deutschen Orchesterwettbewerb / Konzertwettbewerb Kategorie 5. Als Pflichtstück haben wir uns für die „Suite voor Harmonieorchester“ von Bob Vos entschieden. Es hat eine zwar nicht alltägliche Tonsprache und erschließt sich nicht beim ersten Durchspielen, hat aber viele schöne Facetten die es gilt, fast archäologisch heraus zu arbeiten. Wir haben übrigens beide möglichen Pflichtstücke gekauft und jeweils eine Probe dafür investiert um noch besser beurteilen zu können, welches zum Orchester besser passt. Als Wahlstück habe ich mich für „Testament“ von David Maslanka entschieden. Ein Werk von einem der aktuell besten Komponisten für Blasorchester stand schon lange bei uns auf der „Wunschliste“, aber viele seiner Meilensteine sind sehr lange und umfangreich. „Testament“ von ihm ist nicht so bekannt und dauert auch nur gut 12 Minuten, also ideal für den Wettbewerb. Untypisch für ein Wertungsstück ist das Ende (zum letzten Thema Schluss einer Komposition). Für gewöhnlich hört man Wertungsstücke nach dem Prinzip „schneller – lauter – höher – und zum Schluss ein großer Schlussakkord“. Das Stück von Maslanka hat seinen klanglichen Zenit in der Mitte des Werkes, danach wird es immer kammermusikalischer und endet quasi im Nichts. Für das Orchester ist es eine große Herausforderung, diese Spannung bis zum Schluss zu halten – dabei wirkt es aber ergreifend und geht richtig unter die Haut.
Am späten Samstag Nachmittag trete ich dann noch mit dem Kreisverbandsjugendblasorchester Ulm / Alb-Donau (KVJBO) beim Wertungsspiel für Jugendorchester in der Kategorie 5 an. Die Ausgangsbasis ist hier eine völlig andere, ein Projektorchester, das nur 2x jährlich zusammen kommt und aus Jugendlichen besteht. Hier finde ich es am Wichtigsten, dass die Jugendlichen etwas mit der Musik die man spielt „anfangen“ können und man einen Funken der Begeisterung für die Musik auf die Musiker/innen übertragen kann. Als Pflichtwerk spielen wir „Almansa“ vom spanischen Komponisten Ferrer Ferran. Es kommt dem jugendlichen Temperament sehr entgegen und sie spielen das Werk mit großer Leidenschaft. Außerdem hat auch das Schlagwerk hier genügend Gelegenheit alle Facetten zeigen zu können. Als Wahlstück fiel die Entscheidung auf „El Camino Real“ von Alfred Reed, ein Meilenstein – den sicher alle kennen. Da ich denke, dass ein Vortrag beim Wertungsspiel ja im Prinzip mit dem Einspielstück ein kleines Konzert ist, mache ich gerne auch hier kleine Konzertprogramme, die zueinander passen. Wir spielen deshalb zum Einspielen einen spanischen Paso-Doble – und mit einem spanischen Pflichtstück und dann einem Wahlstück, das zwar von einem Amerikaner komponiert wurde, aber mit vielen spanischen Elementen (angelehnt an Bizets „Carmen“) versehen ist, geben wir so ein kleines Konzert mit „feuriger und temperamentvolle Musik aus/über Spanien“.
- Seit wann proben die Orchester die Wettbewerbs-Werke und wie bereitest Du die Orchester für den großen Auftritt in Karlsruhe vor?
Die Vorbereitung unterscheidet sich nicht groß vom Proben auf übliche Konzerte. Mit beiden Orchestern spielen wir die Stücke seit Anfang des Jahres. Wir nehmen dabei auch oftmals „Durchläufe“ im Probenraum oder bei vorangegangen Konzerten auf, so dass jeder die Möglichkeit hat, diese dann zu Hause mit seinen Noten nach zu hören. Interessant ist, dass viele Musiker bestätigen, dass es bei ihnen am Platz wirklich anders klingt bzw. sie das Gefühl hätten pünktlich zu spielen, es aber tatsächlich nicht stimmt. Diese Schärfung der Wahrnehmung ist ein wichtiger Prozess, denn entscheidend ist ja wirklich nur, was und wie es beim Zuhörer ankommt.
- Auf was legst Du bei der Probenarbeit zum Wettbewerb großen Wert/den größten Wert?
Auf der einen Seite proben wir genauso wie für die Jahreskonzerte, aber das Gefühl für ein Wettbewerb zu proben, steigert automatisch die Intensität bei allen (siehe Nr. 6), das ist das Beste daran. Darüber hinaus versuche ich, trotzdem eine gewissen Identität zu wahren und Mut zur eigenen Interpretation zu bewahren. Ich taktiere da nicht beispielsweise dass ich mir überlege, welcher Juror welche Stelle vielleicht gerne wie hören würde. Es muss einfach in sich musikalisch logisch, schlüssig und überzeugend sein. Aber ich erlaube mir auch „mehr zu machen, als in der Partitur steht“. Das hat aber auch mit meiner Einstellung zu Wettbewerben in der Musik zu tun.
- Die Entscheidung zur Teilnahme am Wettbewerb / an den Wertungsspielen: war große Überzeugungsarbeit bei den Orchestern notwendig, oder ist die Teilnahme eine Selbstverständlichkeit?
Hierzu musste ich bei keinem Orchester große Überzeugungsarbeit leisten. Für die Orchester gehört es einfach dazu, sich auch regelmäßig an Wertungsspielen und Wettbewerben zu beteiligen um sich einer fachlichen Beurteilung zu stellen.
- Welchen Stellenwert hat die Teilnahme am Wettbewerb / an den Wertungsspielen im Vereinsgeschehen?
Bei beiden Orchestern ist die Motivation natürlich für dieses Ereignis sehr hoch – man will sich ja auch so gut es geht präsentieren. Ich finde auch diese Tatsache eine der wichtigsten Gründe um hin zufahren bei solch einem Musikfest. Ein tolle Möglichkeit ist doch, dass man eben mal vor einem sehr bunt gemischten Publikum aus dem ganzen Bundesland und darüber hinaus ein kleines Konzert / Wettbewerb geben darf, sowie in der umgekehrten Perspektive, dass man so viele Orchester und kleine Konzerte an wenigen Tagen geballt hören kann. Aber ich versuche auch im Vorfeld allen Musikern bewusst zu machen, dass letzten Endes vom Punktergebnis nicht all zu viel abhängt. Den Erfolg messe ich eigentlich primär an der Vorbereitung auf den Wettbewerb, da kann ich jetzt schon beruhigt sagen, dass es sich gelohnt hat und die Musiker sehr viel in den letzten Wochen gelernt haben und weiter gekommen sind. Der zweite Baustein ist dann der Auftritt in Karlsruhe selbst, wobei ich direkt nach dem letzten Ton beim Wettbewerb aus eigener Perspektive beurteile, ob es „gut gelaufen“ ist – wenn das der Fall ist, dann ist es bereits „ein voller Erfolg“ für alle Beteiligten. Das Punkteergebnis nehmen wir dann natürlich mit Spannung, aber auch ein wenig mit Gelassenheit entgegen, da davon für uns nicht all zu viel abhängt nach dem Motto „war es ein erfolgreiches Jahr oder nicht….“.
- Was spricht Deiner Meinung nach für, was spricht gegen eine Teilnahme an Wertungsspielen generell?
„Competitions are for horses, not artists“.
Dieses vom ungarischen Komponisten Bela Bartok stammende Zitat ist in der Musikwelt oftmals zu hören, wenn verschiedenste Meinungen zum Sinn von Musik-Wettbewerben und sogenannten „ künstlerischen Leistungsmessungen“ aufeinandertreffen. Die Kritik an Musikwettbewerben setzt meist daran an, dass Kunst und Musik nicht so einfach und objektiv messbar ist wie beispielsweise Sport (Ball im Netz = Tor). Vielleicht erfreut sich auch deshalb die eben genannte Ballsportart einer vielfach größeren Beliebtheit bei den Zuschauern als Wertungsspiele und Orchesterwettbewerbe, da es hier auch für den Nicht-Fachmann immer möglich ist, dem Spiel zu folgen. Sicherlich gibt es viele objektive Kriterien, die bei der Beurteilung eines Orchestervortrags eine Rolle spielen und an Hand derer erfahrene Juroren einen Orchestervortrag bestimmt gut einschätzen können.
Doch muss man sich doch eines fragen: Wettbewerbe und Wettspiele gibt es im Sport in allen Ligen von der untersten Amateurliga bis hin zum Profisport. Wieso gibt es das nicht bei den Berufsorchestern? Weshalb gibt es keine „Sinfonieorchester-WM“, an der die Berliner Philharmoniker gegen die Wiener Philharmoniker und das Chicago Symphony Orchestra antreten? Genau aus diesem Grunde, weil Wettbewerbe aus dem Sinn heraus von Verbänden geschaffen wurden, um Amateurmusiker zu motivieren, damit sie einen Grund haben, noch intensiver und besser zu Proben und um dadurch ihre musikalische Leistung zu steigern. Da die eben genannten großen Sinfonieorchester auf der einen Seite dieses pädagogische Element nicht benötigen und auf der anderen Seite deren Konzertaufführungen alle auf höchstem Niveau stattfinden und lediglich mit stilistischen Nuancen der Dirigenten divergieren, wäre auch hier eine Beurteilung in Form eines „Orchesterwettbewerbs“ einfach nicht möglich. Hier hat einfach die „Messbarkeit“ von Musik klare Grenzen.
Aus diesen Gründen heraus ist es von zentraler Bedeutung, dass ein Punkteergebnis eines Orchesters bei einem Wettbewerb niemals eines sein kann: Ein Indikator für „Leistung“, sowie beispielsweise die KW-Zahl eines PKW, sondern nur eine Momentaufnahme. Wollte man die Leistung eines Orchesters wahrhaft messen, müsste man sehr viele unterschiedlichste Faktoren mit einbeziehen: Wie viele Proben macht ein Orchester? Wie viele Auftritte im Jahr? Welchen kulturellen Beitrag leistet ein Orchester in seinem Dorf / Gemeinde / Stadt? Wie ist es dort vernetzt und anerkannt? Wie sehr engagiert es sich in musikalischer Bildung und fungiert als Bildungspartner in einer Region?
Schnell ist zu erkennen, dass hier die „ganzjährige Leistung“ eines Orchesters in Betracht gezogen werden müsste, um eine Vergleichbarkeit darzustellen.
Aus meinen eigenen Erfahrungen sind Wertungsspiele und Wettbewerbe wirklich ein gutes Medium, um intensiv und zielorientiert zu Proben. Ich freue mich dass es sie gibt und nehme deshalb regelmäßig mit meinen Orchestern daran teil. Doch das Wichtigste bei einer Teilnahme ist immer „der gesunde Umgang“ mit einem Ergebnis und die Fähigkeit, dieses auch Relativieren zu können. Sowohl bei einem Ergebnis, das nicht den eigenen Erwartungen entspricht, dieses nicht als „Dämpfer“ zu empfinden sowie bei einem außerordentlich guten Ergebnis, nicht den Boden zu verlieren. Denn auch wenn sich beispielsweise der betreffende Wettbewerb des Bundesmusikrates „Deutscher Orchesterwettbewerb“ nennt, so kann er niemals eines ermitteln: „Das beste Orchester Deutschlands“. Denn dazu müssten auch alle existierenden Orchester der Bundesrepublik verpflichtend daran teilnehmen.
Insofern wünsche ich allen Orchestern und Dirigenten beim Landesmusikfest in Karlsruhe gutes Gelingen bei den Vorträgen, eine inspirierende Zeit und allen vor allem eines: FAIR PLAY!
Herzlichen Dank, Franco, für die ausführliche Beantwortung der Fragen. Für Karlsruhe wünsche ich Dir und Deinen Orchestern ein sehr gutes Gelingen und viel Erfolg!
Über Franco Hänle:
Franco Hänle (*1983) sammelte schon früh erste Erfahrungen als Dirigent und übernahm mit Erhalt des Führerscheins direkt mit 18 Jahren sein erstes Orchester, damals die Stadtkapelle Dachau. Sein erstes Musikstudium absolvierte er an der Musikhochschule in Augsburg mit dem Diplom zum Musiklehrer mit Hauptfach Schlagwerk. Parallel dazu studierte er dort auch Blasorchesterleitung bei Prof. Maurice Hamers. Es folgte darauf das Studium „Orchestermusik / künstlerische Ausbildung“ an der Musikhochschule Trossingen (bei Prof. Franz Lang), welches er im Jahr 2010 abschloss. Darauf folgten Jahre mit vielen Beschäftigungen als Orchesteraushilfe u.a. bei den Münchner Philharmonikern, den Nürnberger Symphonikern, dem Staatsorchester Stuttgart, dem Rundfunkblasorchester Leipzig und weiteren renommierten Orchestern. Ab 2012 belegte er dann noch den Studiengang Blasorchesterdirektion bei Felix Hauswirth an der Musikhochschule in Basel, den er im Sommer 2014 mit Auszeichnung abschließen konnte.
Wertvolle Impulse erhielt er darüber hinaus bei internationalen Meisterkursen (u.a. bei Pierre Kuijpers, Douglas Bostock, Alex Schillings, Alberto Roque, u.v.m.). Er absolvierte erfolgreich die Weiterbildung für Juroren der CISM und ist regelmäßig als Juror bei Wertungsspielen im Einsatz. Weiterhin bearbeitet er immer wieder Werke für Blasorchester, es stehen für 2015 bereits weitere Veröffentlichungen bei Ruh Musik und Baton Music in Reichweite. Franco Hänle dirigiert derzeit die Stadtkapelle Ulm, die Stadtkapelle Illertissen sowie das Kreisverbandsjugendblasorchester Ulm / Alb-Donau (KVJBO). In Kürze tritt er eine neue Stelle als Chefdirigent des Bundespolizeiorchesters in Hannover als Elternzeitvertretung bis zum Jahresende an und freut sich sehr auf die künftige Arbeit mit einem Berufs-Blasorchester.
Wie ist Eure Einstellung zu Wettbewerben bzw. Wertungsspielen für Blasorchester? Warum nehmt Ihr regelmäßig teil? Bzw. warum nehmt ihr nicht teil oder grundsätzlich nicht teil? Teilt uns Eure Meinung unten im Kommentarfeld mit! Herzlichen Dank!
Pingback: 6 Fragen an… Die Ergebnisse der befragten Dirigenten | Blasmusik