Das besondere Konzert: Klangbad in der Kirche mit der Stadtmusik Lörrach
Ein Interview mit Daniel Gramespacher von der Stadtmusik Lörrach
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In der Reihe “Das besondere Konzert” stelle ich Euch Konzert-Konzepte vor, die vom “Üblichen” abweichen. Ein sehr experiementelles Konzert mit Lichteffekten führte die Stadtmusik Lörrach auf. Mit dem Vorstand Daniel Gramespacher von der Stadtmusik Lörrach habe ich dieses Interview geführt.
Wie seid Ihr auf die Idee gekommen, das Konzert „Klangbad in der Kirche“ vorzubereiten und durchzuführen?
Daniel: “Die Idee zum Klangbad hatte unser Dirigent Phillip Boyle. Er stammt aus Norwegen und ist von Hause aus Posaunist mit dem Schwerpunkt Barockposaune. Er lebt in Basel, wo er im Sommer 2023 an der Musikhochschule ein Masterstudium in Blasorchesterdirektion bei Professor Bjorn Sagstad abgeschlossen hat. Die Stadtmusik Lörrach leitet er seit 2022. Ursprünglich war das „Klangbad in der Kirche“ St. Maria in Weil am Rhein-Haltingen als ca. 20-minütiger Beitrag zur dritten Kulturnacht der Städte Lörrach und Weil am Rhein gedacht. Gefragt waren „außergewöhnliche“ Beiträge, um an einem Abend in je zwei Ortsteilen der beiden Städte mehrere Orte mit Musik, Gesang, Bildender Kunst, Theater etc. zu bespielen. Wir hätten das „Klangbad“ im Laufe des Abends mit Pausen ein- oder zweimal wiederholt, dazwischen wären Beiträge anderer zu hören/zu sehen gewesen. Mangels (geeigneter) Anmeldungen kam die Kulturnacht nicht zustande. Die Kulturämter der beiden Städte waren von unserem Konzept aber sehr angetan und fragten, ob wir es auch im Alternativprogramm „Kultur-Mai“ mit je zwei Einzelveranstaltungen in den beiden Städten umsetzen würden.
So wurde der 20-Minuten-Beitrag zu einem rund einstündigen Konzert weiterentwickelt. Wobei Konzert nicht ganz korrekt ist. Denn es gab kein Programm mit einer Abfolge von Titeln. Das „Klangbad in der Kirche“ war vielmehr ein rund einstündiges Raum-Klang-Erlebnis mit visueller Unterstützung. Ausgehend von den Klängen der Kirche selbst – ihrer Akustik, der Orgel und den Chorälen – ließen das Blasorchester der Stadtmusik, der Organist Willi Tittel und der Trompeter Bastien Rieser das Publikum in Klängen baden. Kern des Konzeptes war, die übliche Konzertanordnung – das Orchester auf der Bühne, davor das Publikum – aufzubrechen, indem das Orchester den gesamten Kirchenraum nutzt, und neben notierter Musik zu einem erheblichen Teil freie und gesteuerte Improvisationen zu integrieren. Angeregt durch unterschiedliche Systeme, etwa des amerikanischen Jazz- und Improvisationsmusikers Butch Morris, des New Yorker Komponisten Walter Thompson und des Norwegers Jostein Stalheim, sowie durch Impulse der beiden auf Neue Musik spezialisierten Posaunisten Stephen Menotti und Mike Svoboda, entwickelte Boyle ein eigenes System für das Klangbad, um die Orchesterimprovisationen mit Gesten zu steuern.
Zu Beginn spielte das Orchester ganz konventionell, sitzend im Chorraum, einen Choral, der allmählich in einen improvisierten Teil überging. Die Orgel nahm den Faden auf. Später gesellte sich im Kirchenraum der Jazztrompeter hinzu. Zwischenzeitlich trennte sich das Orchester in Holz- und Blechbläser und bewegte sich in den Kirchenraum. Für zwei Stücke begaben sich vier bzw. fünf Solisten aus dem Orchester auf die Empore. Am Ende stand das Orchester kreisförmig um die Kirchenbänke mit den Besuchern, Boyle dirigierte in der Mitte. All das wurde durch eine auf die Musik abgestimmte, ebenfalls improvisierte Beleuchtung bereichert.”
Warum habt Ihr dieses Konzert veranstaltet, welche Ziele habt Ihr damit verfolgt?
Daniel: “Für die Stadtmusik war es selbstverständlich, sich nach den ersten beiden Ausgaben auch an der dritten Kulturnacht der Städte Lörrach und Weil am Rhein zu beteiligen. Nachdem diese nicht zustande kam, wollten wir unser Konzept nicht einfach beerdigen.”
Wer war am Konzert beteiligt?
Daniel: “Neben der Stadtmusik Lörrach waren der Trompeter Bastien Rieser und der Organist Wilhelm Tittel beteiligt sowie der Lichttechniker Benedikt Schopferer von der Firma Siwo Veranstaltungstechnik. Tittel unterrichtet Musik an einem Gymnasium und ist als Organist vor allem in Lörrach tätig. Rieser ist Trompeter, Arrangeur und Komponist mit Schwerpunkt Jazz (www.bastienrieser.com).”
Wie sah das genaue Programm aus? Welche Musik wurde gespielt?
Daniel: “Ein Programm im herkömmlichen Sinne gab es nicht. Das Publikum musste anders als üblich ohne Programmblatt mit Komponisten und Werktiteln auskommen. Es wechselten sich gesteuerte Improvisationen (über Gesten des Dirigenten sowie Hinweise auf einem vierteiligen Ablaufplan) des Orchesters mit Improvisationen des Organisten und des Jazztrompeters ab. Integriert waren Abschnitte, in denen die Stadtmusik Musik nach Noten spielte: Midwinter der jungen Norwegerin Ingebjorg Vilhelmsen, Cherubic Hymn for Ukraine von Yakiv Yatsynevych, arrangiert von John Philip Hannevik , die Choräle Nr. 20, 24 und 31 aus dem Heft 120 Hymns for Band, zusammengestellt von Ray Steadman-Allen, sowie zum Abschluss Lux aurumque von Eric Whitacre.”
Wie habt Ihr das Publikum eingebunden?
Daniel: “Außer dem Titel „Klangbad in der Kirche“ und den Akteuren wusste das Publikum nicht wirklich, was es erwarten würde. Es ließ sich erfreulicherweise zahlreich – die Kirche war nicht proppenvoll, aber gut besucht – auf die Überraschung ein. Nach unserem Eindruck führte das zu einer sehr großen Aufmerksamkeit – für die Klänge, für die Bewegungen sowie für die Lichteffekte.”
Wie habt Ihr das Konzert organisiert? Wer war an der Organisation beteiligt?
Daniel: “Das Kulturamt der Stadt Weil am Rhein hat uns sehr unterstützt. Einer unserer Musiker, der in Haltingen wohnt, kümmerte sich um die Absprachen mit der Pfarrei St. Maria bezüglich Kirche und deren Singkreis, der den Umtrunk organisierte, der sich dem Klangbad anschloss. Dieser Umtrunk – glücklicherweise bei schönem Wetter weitgehend im Freien – erwies sich als ein wichtiges Element zum Gelingen des Abends, ermöglichte er doch den direkten Austausch zwischen Zuhörern und Akteuren in stimmungsvoller Atmosphäre.”
Wie sahen die Proben für das Konzert aus?
Daniel: “Aller Anfang ist schwer, sagt man. Das gilt vor allem, wenn man wie wir mit gesteuerten Improvisationen völliges Neuland betritt. Auch Phillip Boyle hatte damit nicht sehr viel Erfahrung. Das Konzept entstand während der Probenphase nach und nach. Und der Weg – das ist zuzugeben – war nicht reibungslos. Vor allem irritierte, dass zu Beginn der ohnehin nicht allzu vielen Proben nicht klar war, wohin der Weg führen sollte. Es wurde vieles ausprobiert, manches, was passte, beibehalten, anderes, was nicht funktionierte, verworfen. Erst relativ kurz vor dem Konzert stand der Ablaufplan für das rund einstündige Klangbad. Doch selbst nach der Generalprobe, der einzigen in der Kirche und mit den beiden Solisten, wurden noch Elemente gestrafft und gestrichen, um den Zeitrahmen einzuhalten. Bis zuletzt war die Ungewissheit groß, ob das Experiment gelingen würde, ob sich Zuhörer in nennenswerter Zahl darauf einlassen und ob wir überzeugend musizieren würden.”
Wie sahen die äußeren Rahmenbedingungen beim Konzert aus?
Daniel: “Das Raum-Klang-Erlebnis lebte unter anderem vom Raum, der Kirche mit ihrer Architektur und ihrer Akustik. Ein wichtiges Element für das Gesamterlebnis war auch die auf die Musik abgestimmte Beleuchtung des Raumes, die ohne Probe erst während der Aufführung selbst entstand.”
Welches waren für Euch die größten Herausforderungen bei der Organisation des Konzerts?
Daniel: “Organisatorisch war das Klangbad dank einer guten Kooperation mit den Partnern Kulturamt, Kirchengemeinde und Singkreis der Pfarrei keine besondere Herausforderung. Die große Herausforderung lag darin, sich auf völlig fremdes musikalisches Terrain zu begeben und zu vertrauen, dass am Ende etwas Gutes herauskommt.”
Wie habt Ihr das Konzert beworben?
Daniel: “Die Kulturämter haben den Kultur-Mai und damit auch unser Klangbad mit Plakaten, Broschüren und übers Internet beworben. Wir selbst nutzten ergänzend unsere üblichen Kanäle: Homepage, Facebook, Instagram, E-Mail, WhatsApp etc.”
Was hat Euch das Konzert gekostet, wie habt Ihr es finanziert und wie sah der Ertrag aus?
Daniel: “Kosten sind uns keine entstanden – außer den Choralheften 120 Hymns, die aber auch bei anderer Gelegenheit eingesetzt werden können. Die übrigen Stücke waren bei uns im Repertoire bzw. Archiv. Die beiden Solisten sowie der Lichttechniker wurden vom Kulturamt Weil am Rhein bezahlt, ebenso die Gema. Überdies erhielten wir vom Kulturamt Weil am Rhein eine pauschale Aufwandsentschädigung.”
Was waren Eure besonderen Highlights während dem Konzert?
Daniel: “Absolut beeindruckend war für uns die Reaktion des Publikums am Ende des Klangbades. Das hatten wir uns nicht einmal erträumt.”
Wie waren die Reaktionen des Publikums?
Daniel: “Nach dem Verklingen von Lux aurumque von Eric Whitacre, dem Erlöschen der Scheinwerfer und der Pultleuchten herrschte in der dunklen Kirche einen Moment lang absolute Stille. Dann applaudierte das Publikum heftig und langanhaltend – und es erhob sich von den Plätzen. Damit hätten wir niemals gerechnet. Was für den einzelnen Musiker, die einzelne Musikerin höchst ungewohnt war, fügte sich im Zusammenspiel aller Elemente – Kirchenraum, Beleuchtung, Orgel, Solotrompete und Orchester – offenkundig zu einem beeindruckenden Ganzen.”
Welche direkten Auswirkungen hatte das Konzert?
Daniel: “Die Kulturamtsleiter der beiden Städte und der Weiler Oberbürgermeister zeigten sich beim anschließenden Umtrunk begeistert über die ungewöhnliche Erfahrung, bewunderten unseren Mut, solch ein Experiment zu wagen. Alle Reaktionen von Zuhörern, die uns erreichten, waren sehr positiv. Ebenso die Presseberichte. Noch Wochen später war das Klangbad Gesprächsthema in der Kirchengemeinde in Haltingen.”
Würdet Ihr wieder so ein Konzert veranstalten? Oder habt Ihr schon Ideen für neue Konzepte?
Daniel: “Ein Klangbad in dieser Form wird es wohl so schnell nicht mehr geben. Es war eine einmalige, besondere Aktion. Die Stadtmusik Lörrach will aber weiterhin auch innovative Konzepte entwickeln und umsetzen. Wie diese aussehen, lässt sich noch nicht sagen.”
Welche speziellen Tipps habt Ihr für Musikvereine / Blasorchester, die noch nie ein Konzert mit besonderen Aspekten veranstaltet haben, aber gerne eins veranstalten möchten?
Daniel: “Neues, das zeigte sich bei uns, verunsichert leicht. Und nicht alle Orchestermitglieder sind gleichermaßen experimentierfreudig. Ein wesentlicher Faktor ist daher die Kommunikation nach innen. Damit möglichst alle MusikerInnen mitziehen, müssen sie frühzeitig wissen, worum es geht. Da hatten wir zugebenermaßen Luft nach oben. Manchen war zu lange nicht klar, wohin die Reise gehen könnte und was sie sich unter dem Klangbad konkret vorzustellen haben. Ohne Vertrauen in den Dirigenten/die Dirigentin und die Vereinsverantwortlichen geht es natürlich nicht.”
Herzlichen Dank, lieber Daniel Gramespacher, für die Beantwortung der Fragen!