Blasmusikaspekte: Konzertprogrammgestaltung

Ein Interview mit Pietro Sarno über das Thema „Konzertprogrammgestaltung“

In der neuen Reihe “Blasmusikaspekte” werden im Interview mit jeweils einem Dirigenten / einer Dirigentin ein Teilbereich bzw. ein besonderer Aspekt der Blasmusik bzw unseres Musikvereinwesens diskutiert. Alle Blasmusikblog-LeserInnen sind eingeladen, sich zum Thema und den Antworten im Kommentarfeld unter dem Beitrag zu äußern! Wir freuen uns auf einen regen Austausch.

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Wie sieht für Dich ein gelungenes Konzertprogramm aus?

Pietro Sarno: „Ein Konzertprogramm muss für mich einen roten Faden bzw. eine gewisse Dramaturgie haben.

Mit dem vielbesagten roten Faden ist nicht unbedingt ein gewisses „Thema“ gemeint, mit dem man sich oft eher in der Auswahl einschränkt. Vielmehr ist damit gemeint, dass die Stücke in irgendeiner Art und Weise einen Bezug zueinander haben sollten. Das kann ein außermusikalisches Thema sein, welches musikalisch beschrieben wird, oder auch ein stilistischer, kompositorischer Zusammenhang, an dem man sich entlang hangelt.

Mit Dramaturgie meine ich, dass nicht alle Stücke in beliebiger Reihenfolge aneinandergereiht werden sollten. Es stellen sich die Fragen: hat mein Konzert eine Pause? Welches Stück platziere ich an die Eckpfeiler (also Beginn, Schluss, vor und nach der Pause)? Welche Stücke sind für den Hörer eher anspruchsvoll und welche eher zugänglicher? Setze ich die anspruchsvollen Stücke eher Richtung Ende des Konzertes und baue so eine große Spannung über das ganze Konzert auf oder setze ich die Highlights an den Anfang und entlaste somit den Hörer gegen Ende des Konzertes?

Ein perfektes Konzertprogramm gibt es nicht. Es ist mehr ein Kompromiss aus den vielen verschiedenen Antworten.“

Wie trifft man mit einem Konzertprogramm sowohl den Geschmack der Musiker als auch den des Publikums?

Pietro Sarno: „Vielleicht werde ich die Antwort noch finden, solange ich lebe! Aber Spaß bei Seite – dies ist eine essentielle Frage, die jeden Dirigenten ein Leben lang beschäftigt.

Man muss sich den Unterschied bewusst machen, dass man durch die Probenzeit mit den Musikern viel mehr Gelegenheit hat, seine Faszination für die Musik zu übertragen. Bei dem Publikum muss das bei dem einmaligen Hören im Konzert geschehen. Das ist sehr schwierig und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Es ist ebenso wichtig zu versuchen, sein Publikum vor der Auswahl der Literatur einzuschätzen: es ist ein Unterschied, ob ich ein Sommer-OpenAir-Konzert spiele oder im Konzertsaal einer Musikhochschule oder in einer Philharmonie. Die Literatur bietet glücklicherweise die Gelegenheit, diese Sparten mit qualitativ hochwertigen Kompositionen auszufüllen.

Ich denke, dass ich mein Leben lang experimentieren werde, diese Frage einmal beantworten zu können – ob es mir gelingt, weiß ich nicht.“

Wie gehst Du im Detail bei der Auswahl der Literatur für ein Konzert vor?

Pietro Sarno: „Bevor ich mich wirklich dazu entscheide, ein Stück in ein Programm auszuwählen, muss ich die Partitur gut kennen. Ich muss überzeugt von dem Stück sein und überzeugt davon, dass es das Orchester gerne spielt oder ich damit einen bestimmten pädagogischen Effekt herbeiführen kann. Ich nehme immer mehr Abstand von den Katalogen der Verlage. Man wird mittlerweile mit den Demo-CD’s bombadiert, die einem natürlich niemals annähernd den gleichen Eindruck verschaffen können, wie die Partitur.

Ich habe mir über die Jahre angewöhnt, in ein Notizbuch alle Werke einzutragen, die mir irgendwo begegnen (also z.B. bei anderen Konzerten, in Artikeln oder Aufnahmen) und die mir bis zu dem Zeitpunkt unbekannt waren. Dies ist mittlerweile eine Ansammlung von unzähligen Stücken. Wenn ich ein Programm erstelle, ist es meist ein Prozess von mehreren Tagen oder Wochen. Ich werfe immer wieder Blicke in das Notizbuch und allmählich stellt sich das Programm in meinem Kopf zusammen. Vor den Computer setzen und innerhalb kurzer Zeit ein Programm erstellen, kann ich leider nicht…“

Transkriptionen / Bearbeitungen versus Originalwerke: wie stehst Du zu diesem Thema?

Pietro Sarno: „Grundsätzlich ziehe ich Originalkompositionen immer den Transkriptionen vor. Transkriptionen stellen immer einen Kompromiss in der Besetzung dar und verändern die Originalmusik manchmal so sehr, dass sich der Wert der Aufführung in Frage stellt.

Manchmal hingegen, kann eine gute Transkriptionen ein sehr hohen pädagogischen Wert haben: möchte ich z.B. an der vielfältigen Stilistik meines Orchesters arbeiten oder eine besondere (z.B. klassische) Tonsprache meinem Orchester nahe bringen, eignen sich dazu oft Transkriptionen z.B. einer Verdi- oder Rossini-Ouvertüre.

Oftmals werden Transkriptionen genommen und einfach mit den gewöhnlichen Gepflogenheiten des Blasorchesters gespielt. Immer wieder fällt mir das bei Strauß-Walzern auf. Es ist wichtig, sich als Dirigent mit den Originalwerken und ihrer Stilistik auseinandergesetzt zu haben. Schließlich hat z.B. Johann Strauß seine Walzer nicht ohne Grund für Sinfonieorchester komponiert. Lässt es die Transkription zu, die Stilistik beizubehalten und bin ich als Dirigent in der Lage, dieses mit meinem Orchester herauszuarbeiten, hat die Darbietung einer solchen Transkription einen hohen Wert.“

Wie bringst Du für Dich selbst eine Ordnung in die Flut der Neuerscheinungen, die jedes Jahr über die Dirigenten hereinbricht? Wie selektierst und wie archivierst Du?

Pietro Sarno: „Hier kommt wieder mein schon besagtes Notizbuch ins Spiel. Auch hier ist es so, dass ich mich nicht explizit hinsetze und mir sage, dass ich mir jetzt neue Literatur suche und anhöre. Sondern eher ist es so, dass man im Austausch mit anderen Dirigenten und Komponisten die Neuerscheinungen aufschnappt. Man entwickelt mit der Zeit eh einen Pool von „Lieblingskomponisten“ bei denen man sich auf dem Laufenden hält.“

Wie lange benötigst Du für die Auswahl der Literatur für ein Konzert?

Pietro Sarno: „Mehrere Tage, manchmal Wochen! Es ist natürlich nicht so, dass ich mir dann 24 Stunden den Kopf zerbreche, sondern es ist mehr eine Ideensammlung im Kopf, die ein bisschen Zeit braucht. Wenn es schneller gehen muss, geht es natürlich auch schneller, aber ich versuche immer, den Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung so lange hinauszuzögern wie möglich. Ich entwickle immer relativ schnell Favoriten, aber dann streiche ich oft Stücke oder wechsele sie aus oder ändere die Reihenfolge etc…

Es ist aber auch schon vorgekommen, dass ich noch viele Wochen Zeit hatte mit der Entscheidung, und beim ersten intensiven Beschäftigen mit dem Projekt ist mir das Programm quasi zugeflogen. Die Frage ist also nicht ganz deutlich zu beantworten.“

Wann ist für Dich eine Komposition besonders gelungen und was macht generell eine gute Komposition aus?

Pietro Sarno: „Eine wirklich gute Komposition ist es für mich dann, wenn ich beim Lesen der Partitur und beim Musizieren eine Intention des Komponisten entdecken kann. Das Stück muss eine Aussage haben, die mich ergreift und die ich versuche, wiederzugeben. Manchmal hat man das Gefühl, dass bestimmte Stücke nur geschrieben sind, um bestimmte Erwartungen zu befriedigen oder z.B. einen bestimmten Schwierigkeitsgrad zu erreichen. Das geht meines Erachtens völlig an der Musik vorbei und ist für mich dann nicht reizvoll.“

Welche Empfehlung gibst Du Kollegen, die von Ihnen wissen möchten, wie ein Konzertprogramm am besten zusammengestellt wird?

Pietro Sarno: „Ich würde die Tipps nennen, die unter der ersten Frage nach dem gelungenen Konzertprogramm genannt sind. Die Beantwortung der Fragen ist dann bei jedem Dirigenten unterschiedlich und es gibt kein richtig oder falsch. Wenn ich ein Konzertprogramm sehe, kann ich anderer Meinung sein, aber dann ist es nicht grundsätzlich schlecht. Solange es durchdacht ist, ist es gut, auch wenn ich es anders gemacht hätte – ist es willkürlich zusammengesetzt, sollte man es hinterfragen.“

Welches war Dein bisher erfolgreichstes Konzertprogramm und was hat dieses zu einem Erfolg gemacht?

Pietro Sarno: „Das erfolgreichste Konzertprogramm war das Konzert im November 2013 mit dem Blasorchester der Musikhochschule Detmold. Wir haben dort folgendes Programm gespielt:

Thiemo Kraas: Arcus – A Day Dream
Alfred Reed: Concerto for Trumpets and Winds
Johan de Meij: Symphony Nr. 1 “The Lord of the Rings”

Das Orchester bestand aus Studenten der Musikhochschule Detmold und hatte sich nach einigen Jahren Pause wieder neu zusammengesetzt. Das erste Stück Arcus von Thiemo Kraas war das Eröffnungswerk und als Hommage und Dank an Thiemo gerichtet, der zuvor dieses Orchester geleitet hat. Mit dem Trompetenkonzert von Alfred Reed konnten wir einen Solisten der Musikhochschule präsentieren, der sowohl den klassischen als auch den Jazzstudiengang für Trompete absolvierte und somit perfekt für dieses Stück war, welches beide Genres abdeckt.

Die Herr der Ringe-Sinfonie wählte ich aus, weil sie zum Einen einen Meilenstein der Blasorchesterkompositionen darstellt und sich zum Anderen sehr großer Beliebtheit und Bekanntheit erfreut. Wir hatten die besondere Situation, dass viele Studenten im Blasorchester groß geworden sind, aber durch das Studium nicht regelmäßig dort spielen können und andere Studenten, die bis dahin noch nie im Blasorchester gespielt hatten. Genau so war es bei dem Publikum. Es bestand zum einen aus Blasorchester-Fans und zu anderen aus völligen Neulingen. Mit diesem Programm haben wir es geschafft, eine gute Mischung aus klassischen Formen und niveauvollen Blasorchesterkompositionen zu finden, die ein möglichst breites Publikum ansprechen.“

Was wünschst Du Dir einerseits von den Komponisten und andererseits von den Verlagen für die Zukunft?

Pietro Sarno: „Ich würde mir wünschen, dass jeder Komponist bei wirklich seiner Musik bleibt und dadurch einzigartig ist. Ich weiß, dass es durch teilweise sehr fragwürdige Erwartungen an Auftragskompositionen schwierig ist, nicht im Mainstream zu landen. Aber immer das „Andere“ ist interessant!“

Wie stehst Du zum Thema „Visualisierung“ im Konzert? Reicht die Musik allein immer aus?

Pietro Sarno: „Grundsätzlich reicht die Musik aus, ja! Es gibt natürlich spezielle Konzertformate (wie Filmmusikkonzerte), bei der eine Visualisierung ihren speziellen Effekt erzielt – sofern die Musik genau dafür komponiert wurde.

Wir werden allerdings heutzutage den ganzen Tag durch die leicht zugänglichen Medien mit Bildern und Geräuschen bombardiert. Die Fähigkeit des reinen Zuhörens geht den Menschen immer mehr verloren. Ich finde, dass wir als Musiker einen Auftrag haben, dieses den Menschen wieder näher zu bringen: einfach mal zur Ruhe kommen, zuhören, und im Kopf die eigenen Bilder entstehen lassen.“

Thema „Zugabe“: was eignet sich, was ist angemessen und welche Literatur ist geeignet dafür?

Pietro Sarno: „Bei der Auswahl der Zugabe stelle ich mir immer die Frage: was soll im Kopf eines Konzertbesuchers in dem Moment vor sich gehen, wenn er den Konzertsaal verlässt: Soll er erheitert und einen Ohrwurm pfeifend hinausgehen? Soll er tief beeindruckt von einer besonders virtuosen Darbietung sein? Oder soll er nachdenklich seine Heimreise antreten?

Alles hat seine Berechtigung und ist für verschiedene Konzertprogramme wichtig. Dabei vergesse ich nie: kurz und knackig!“

Verrätst Du uns Deine persönliche „Bucket-List“ der Werke, die Du bisher noch nicht aufführen konnten, aber auf jeden Fall einmal aufführen möchtest?

Pietro Sarno: „Möglichst alle Bläser-Werke von Igor Stravinsky!“

Vita Pietro Sarno

Pietro Sarno
Pietro Sarno

Pietro Sarno wurde 1986 in Marsberg geboren. Bereits mit jungen Jahren erhielt er professionellen Unterricht in Schlagzeug und Posaune, sowie studienvorbereitend in den Fächern Klavier, Gesang und Musiktheorie.

Nachdem er 2005 sein Abitur ablegte und anschließend seinen Wehrdienst im Heeresmusikkorps 2 in Kassel leistete, begann er 2007 das Studium der Schulmusik an der Hochschule für Musik Detmold mit dem Hauptfach Posaune. Seine Lehrer Prof. David Bruchez und Shawn Grocott prägten ihn ebenso wie der Unterricht im Fach Ensembleleitung bei Prof. Harder, der Unterricht im Fach Orchesterleitung bei Prof. Karl-Heinz Bloemecke, sowie GMD Prof. Florian Ludwig.

Entscheidende Impulse für seine dirigentische Arbeit erhielt er während seines Studiums der Blasorchesterleitung bei Prof. Thomas Doss in Bozen/Italien, welches er im Oktober 2015 mit Auszeichnung „cum laude“ abschloss. Während dieser Zeit wirkte er als dessen dirigentischer Assistent und belegte Meisterkurse bei Markus Theinert, Philip Sparke und Jan Van der Roost.

Von 2010-2016 war Pietro Sarno 1. Dirigent des Blasorchesters Brilon.

Im Oktober 2015 gewann er den 2. Preis des internationalen Dirigentenwettbewerbes „con brio“ in Innsbruck.

Pietro Sarno ist derzeit Musikdirektor des Stadtorchester Friedrichshafen, Chefdirigent der Audi-Bläserphilharmonie und leitet verschiedene Projektorchester. Sein Operndebüt als musikalischer Leiter gibt er im April 2019 mit Donizettis L’Elisir d’amore im Musiktheater Friedrichshafen.

Seit Oktober 2018 studiert Pietro Sarno den Masterstudiengang Orchesterdirigieren an der Hochschule für Musik und darstellenden Kunst Stuttgart bei Prof. Rasmus Baumann.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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