Das besondere Konzert: Maestra!
Konzert der Stadtkapelle Herrenberg mit Werken von Komponistinnen, unter der Leitung von Miriam Raspe
Maestro, eigentlich ein italienischer Ausdruck, hat sich eingebürgert als Ausdruck für einen berühmten Dirigenten oder Komponisten. Deutlich seltener hört und liest man die weibliche Form Maestra. Dass so wenige Dirigentinnen und Komponistinnen den Bekanntheitsgrad einer Maestra haben, zeigt: wir sind mit der Gleichstellung noch lange nicht am Ziel. Es gibt diese Frauen nämlich zur Genüge – nur sichtbar sind sie nicht, ebenso wie es Frauen in vielen anderen Bereichen an Sichtbarkeit und Repräsentation fehlt.
In der klassischen Musik gab es gefeierte Komponistinnen, beispielsweise Emilie Mayer, Zeitgenossin von Johannes Brahms, Robert Schumann und Felix Mendelssohn. In der Regel gerieten sie nach ihrem Tod aber in Vergessenheit und werden nun nach und nach wiederentdeckt und in Konzertprogramme von Sinfonieorchestern integriert.
Noch viel seltener werden Frauen von Blasorchestern aufgeführt. Die vergleichsweise junge Tradition der Blasmusik begründet sich in Militärkapellen und Musikvereinen – diese ließen teilweise erst in den 70er oder 80er Jahren überhaupt zum ersten Mal Frauen als Mitglieder zu. Bis heute sind im deutschsprachigen Raum Konzertprogramme, die Komponistinnen enthalten, eine absolute Ausnahme. Die Stadtkapelle Herrenberg möchte mit ihrem rein weiblichen Konzertprogramm ein Umdenken anstoßen und einen Beitrag leisten zur Sichtbarkeit von komponierenden Frauen.
In den USA, wo die Blasmusik-Szene seit Jahrzehnten das kulturelle Rückgrat der Städte und Gemeinden darstellt, haben sich deutlich mehr Frauen als Komponistinnen einen Namen machen können. Dies ist auch der Grund, weshalb es überwiegend Amerikanerinnen sind, deren Musik wir aufführen. Doch wie unterrepräsentiert selbst auf dem amerikanischen Blasorchester-Markt die Komponistinnen sind, zeigte sich bereits allzu deutlich darin, wie schwierig sich die Literatur-Recherche und Stückauswahl gestaltete.
Wenn die Musik gut gemacht ist, ist es zwar nicht hörbar, ob ein Stück von einer Frau oder einem Mann komponiert wurde. Jedoch präsentieren sich die Partituren dieses Adventskonzerts durchweg klangschön und durchdacht, sie spielen mit der stilistischen und klangfarblichen Vielfalt des Blasorchesters und behalten dennoch stets die technische Ausführbarkeit im Blick: kaum eine Sequenz, die nicht gut liegt in den verschiedenen Instrumenten. Dies zeugt von der großen Qualität, von dem Erfahrungsschatz und dem handwerklichen Geschick, womit sich die komponierenden Frauen hervorgetan haben, um sich einen Namen in der Männerdomäne Blasmusik zu machen.
Anne McGinty: Fanfare and Fantasy
Grad 3 | 5:45
Die amerikanische Komponistin Anne McGinty durfte dieses Jahr bereits ihren 80. Geburtstag feiern. Als Flötistin und Komponistin blickt sie auf ein bewegtes Leben zurück, unter anderem war sie die erste Frau, die im Jahr 2000 für die United States Army Band komponierte. Ihr Stück Fanfare and Fantasy aus dem Jahr 1985 greift ihre ein Jahr zuvor uraufgeführte Dedication Fanfare auf in einer längeren Version für sinfonisches Blasorchester. Dabei werden mit einer großen Bandbreite von Stilistik und Klangfarben die verschiedensten Facetten eines Blasorchesters präsentiert.
Bestellmöglichkeit: Fanfare and Fantasy
Melissa Flettner: Glory of the Villagers
Das Stück Glory of the Villagers ist kein ganz normales Stück, sondern eine Komposition aus den eigenen Reihen. Unsere Hornistin Melissa Flettner spielt seit Februar in der Stadtkapelle Herrenberg und ist 19 Jahre alt. Sie hat vor 2 Jahren die Anfänge für ihr erstes größeres Werk geschrieben. “Meine ersten Kompositionsversuche sind allerdings schon viel früher passiert. Da war ich wahrscheinlich so zwölf, dreizehn Jahre alt”, so Melissa. “Im Herbst 2023 hatte ich dann die Schnapsidee, meinen Dirigenten Thomas Scheiflinger aus dem Kreisjugendorchester Böblingen zu fragen, ob man ein Stück von mir aufführen könnte. Und jetzt, zwei Jahre später, hat es wirklich geklappt.” Und da das Werk von Melissa thematisch und musikalisch äußerst gut ins diesjährige Adventskonzert passt, kam schnell die Idee zustande, diesen Rahmen gleich für eine Zweitaufführung zu nutzen.
Glory of the Villagers erzählt, wie der Titel schon erahnen lässt, die Geschichte eines kleinen Dorfes. Wir befinden uns in der Zeit des Mittelalters, in der kleinere Schlachten Teil der Normalität waren. Die Kämpferinnen und Kämpfer des Dorfes kehren zurück aus der gewonnen Schlacht und feiern das ausgiebig. Doch nicht alles läuft gut, denn plötzlich kommt es zu einem weiteren Kampf: Ein aufmüpfiger Dorfbewohner möchte die aktuelle Anführerin stürzen. Wie der Kampf ausgeht, erfährt man am Ende des Stückes anhand des musikalischen Motivs – ob die Anführerin wohl gewinnt?
Julie Giroux: Crown of Thorns
Grad 4 | 7:00
Geboren 1961 in Massachusetts, USA, darf Julie Giroux unter anderem John Williams zu ihren Lehrern zählen. Ihre erste Komposition veröffentlichte sie im Alter von neun Jahren. Die äußerst vielseitige Komponistin schrieb und arrangierte ebenso für namhafte Pop-Größen und Fernsehserien wie für Sinfonieorchester und unzählige weitere Besetzungen. Mehrere hohe Auszeichnungen wurden ihr in den USA zuerkannt und sie war 2021 die erste Frau, von der ein Werk im Rahmen der Amtseinführungszeremonie eines US-Präsidenten aufgeführt wurde.
Crown of Thorns, also Dornenkrone, ist ein musikalischer Kreuzweg mit folgenden Stationen: das letzte Abendmahl, der Verrat Jesu durch Judas, die Verurteilung durch Pontius Pilatus, der Gang mit dem Kreuz auf der Schulter, der Tod am Kreuz und die Auferstehung. Von Beginn an drücken schwermütige Klänge aus, dass es kein Entkommen gibt und der Abschied naht. Wie eine tickende Uhr übernimmt das Schlagwerk einen pochenden Rhythmus: die Zeit läuft ab für Jesus, es geht unausweichlich der Kreuzigung entgegen und schrille Holzbläser-Klänge symbolisieren die Verspottung und die Qualen, die Jesus auf dem Weg erdulden muss. Nach seinem Tod am Kreuz symbolisieren drei Glockenschläge die drei Tage, die zur Auferstehung vergehen. Dieses Wunder und der damit verbundene Triumph wird in epischen Klängen hörbar gemacht.
Bestellmöglichkeit: Crown of Thorns
Frida Kern: Vier Stücke für Bläserquintett op. 25
II. Lento – III. Moderato
Nachdem es letztes Jahr im Adventskonzert einen Blechbläser-Kammermusikbeitrag gab, wird es dieses Jahr Kammermusik einer Bläserquintett-Besetzung geben. Diese Besetzung besteht aus den Instrumenten Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott. Aus den vier Stücken für Bläserquintett von Frida Kern werden zwei Sätze zu hören sein.
Frida Kern war eine österreichische Komponistin und Dirigentin, die im 20. Jahrhundert lebte. Sehr spät, erst mit 32, nahm sie ihr Musikstudium in Wien auf. Sie gründete eine Damenkapelle, mit der sie auf Tourneen ging, war als Dozentin an der Universität Wien tätig und hatte auch sonst Erfolg mit ihrem umfangreichen Schaffen – dennoch war Frida Kern unzufrieden: Sie fühlte sich zunehmend „als Frau“ zurückgesetzt, und so erzählte sie immer wieder gern, dass ein Verleger (oder Dirigent) geäußert habe: „Ehe ich etwas von einer Frau produziere, nehme ich lieber ein – wenn auch schwächeres – Werk von einem Mann.“ Ein solches Beispiel von Ungleichbehandlung offenbart den Grund, warum Komponistinnen eine so lange Zeit nahezu unsichtbar waren im Konzertbetrieb jeglicher Art.
Bestellmöglichkeit: Vier Stücke für Bläserquintett op. 25
Carol Brittin Chambers: Bright Light in the World
Grad 4-5 | 6:00
Nicht nur konzertante Blasmusik, auch Show-Bearbeitungen für amerikanische Marching Bands sind eine Spezialität von Carol Brittin Chambers, die in Texas lebt und vielfach als Dozentin tätig ist. Der Kompositionsauftrag für Bright Light in the World stammt aus Iowa und ist einer viel zu jung verstorbenen Musikerin des städtischen Schulblasorchesters von Iowa City gewidmet, sie wurde nur 17 Jahre alt. Zeitlebens galt sie als eine den Menschen zugewandte Frohnatur, als das „helle Licht in der Welt“, wie sich der Titel des Werks übersetzen lässt. Eröffnet wird das Werk mit einem Zitat der Hymne „Ye are the light of the World“, dessen Liedtext die Christen, die das Licht der Welt seien, dazu ermuntert, dieses Licht brennen zu lassen. Es folgt ein lebhafter, rhythmischer Teil, der sich zunehmend verdüstert und steigert zu einem verzweifelten, lauten Ausbruch des gesamten Orchesters – über die Todesursache des Mädchens informiert die Komponistin nicht, doch gibt das Werk selbst Spielraum für Interpretation. Im Anschluss folgt als ein Ruhepol ein Zitat des Anfangs, bevor die lebhaften Rhythmen zurückkehren und in einen majestätischen und tröstlichen Abschluss übergehen.
Bestellmöglichkeit: Bright Light in the World
Nicole Piunno: Resound
Grad ? | 5:00
Die amerikanische Komponistin Nicole Piunno, Absolventin der Michigan State University, sieht ihre Musik als Ausdruck von Lebensrealitäten. Speziell Gegensätze und wie diese miteinander verwoben sind, drückt sie durch ihre Kompositionen aus – Licht und Schatten, Vergangenheit und Gegenwart, Chaos und Ordnung, Gefangenschaft und Freiheit, Leben und Tod sind die Gegensatzpaare, die sich, durch harmonische Wendungen und Kontrapunkte ausgedrückt, in ihrer Musik wiederfinden.
Das Stück Resound – zu Deutsch etwa Neuklang, oder Wiederklang – enthält außerdem noch einiges an motivisch-thematischer Arbeit. Aus mehreren musikalischen Elementen wird das Werk fortlaufend weiterentwickelt: eine absteigende Bass-Linie, mehrere rhythmische Motive, die später melodisch aufgegriffen werden sowie kurze, schnelle Läufe, aus denen später kleinere Motive abgespalten werden. Diese kleinen Veränderungen, verbunden mit einem Pulsieren, das sich durch das ganze Stück zieht, erinnern an die Technik der Minimal Music. Dieser Musikstil basiert ebenfalls auf sich meditativ wiederholenden Mustern, die immer wieder leicht abgewandelt erscheinen. Und so entstehen Stück für Stück neue Klänge aus einer einzigen Keimzelle.
Bestellmöglichkeit: Resound
Julie Giroux: Hark! Those Jingle Bells are smoking
Grad 4 | 4:07
Zum Abschluss des Adventskonzerts wird die gefeierte und umtriebige Komponistin Julie Giroux noch einmal zu hören sein. Eine ganze Reihe von Weihnachtslieder-Bearbeitungen stammen aus ihrer Feder, dabei kommen die traditionellen und altbekannten Melodien häufig in einem jazzigen Gewand daher. So auch bei dieser raffinierten Collage aus Felix Mendelssohns „Hark! The Herald Angels Sing“ und dem Klassiker „Jingle Bells“. Ein feierlicher Eröffnungsteil über die Melodie Mendelssohns weicht einer zurückgelehnten Swing-Fassung der Strophenmelodie von Jingle Bells, auf die schließlich ein voller Bigband-Sound folgt. So lässig kann die Weihnachtszeit klingen!
Bestellmöglichkeit: Hark! Those Jingle Bells are smokin’

Informationen zum Konzert im Advent der Stadtkapelle Herrenberg unter der Leitung von Miriam Raspe

Sonntag, 7. Dezember 2025, 18 Uhr, Stiftskirche Herrenberg (Kirchgasse 7, 71083 Herrenberg)
Der Musikverein Stadtkapelle Herrenberg e.V. lädt am zweiten Advent zu einem besonderen musikalischen Abend in der Stiftskirche ein. Unter dem Motto “Maestra!” stehen ausschließlich Werke von Komponistinnen auf dem Programm. Damit rückt das diesjährige “Konzert im Advent” gezielt weibliche Musikschaffende in den Fokus, die sowohl in der klassischen Musik als auch in der sinfonischen Blasmusik nach wie vor unterrepräsentiert sind.
Trotz ihrer oft herausragenden Kompositionen agieren viele Frauen in der Musikgeschichte im Schatten ihrer männlichen Kollegen – ihre Werke bleiben eher unbekannt oder werden selten aufgeführt. Mit diesem Konzert setzt die Stadtkapelle Herrenberg ein bewusstes Zeichen für mehr Sichtbarkeit, Anerkennung und Gleichberechtigung von Frauen in der Musik. Das Orchester versteht das Projekt als Motivation, Musik neu zu entdecken, Perspektiven zu erweitern und einen Beitrag zur Vielfalt im kulturellen Leben zu leisten. Ein besonderes Highlight des Konzertabends ist die Aufführung des Werks “Glory of the Villagers” von Melissa Flettner, Hornistin der Stadtkapelle.
Die passende Ergänzung bildet schließlich das Rahmenprogramm des Bezirksarbeitskreises Frauen im evangelischen Kirchenbezirk Herrenberg. Die Gruppe wird ihre Arbeit im Foyer vorstellen und lädt zum Austausch über Gleichstellung und Frauenförderung ein. Freuen Sie sich auf ein besinnliches Adventskonzert voller musikalischer Entdeckungen.




