Donnerstag, September 25, 2025
Musikleben

Jubiläumsinterview 9/10 zu 10 Jahren KSL und Blasmusikblog

Die Fragen stellt: Petra Springer

In den 10 Jahren, die der Blasmusikblog und meine Firma Kulturservice Link schon bestehen, habe ich vielen Persönlichkeiten Fragen gestellt. Sowohl für den Blasmusikblog in unzähligen Round-Up-Posts und Interviews als auch in meinen Workshops und Zukunftswerkstätten. Zu meinem Jubiläum drehe ich den Spieß um und lasse mir Fragen stellen.

Die Fragen in diesem neunten Interview stellt Petra Springer. Petra ist Dirigentin der Stadkapelle Bad Wurzach.

Petra: Wenn Du Deinem Ich vor 10 Jahren einen Brief schreiben könntest – was stünde darin, was würdest Du ihm mit auf den Weg geben? (Was hättest Du damals gern gewusst, was hätte Dich motiviert oder gewarnt?)

Alexandra: “In diesem Brief an mein früheres Ich würde ich mir folgendes mit auf den Weg geben:

  • Als Soloselbstständige hast Du keine Menschen im Büro um Dich. Stell Dich drauf ein, dass Dir vor Ort keine Personen zu einem Austausch zur Verfügung stehen. Richte Netzwerke mit ehrlichen, vertrauenswürdigen Personen ein, die Dir auf Fragen konstruktives Feedback geben. Homeoffice kann ganz schön einsam sein.
  • Nimm Dir nicht jede Kritik zu Herzen, sondern sondiere, welche Kritik wirklich fundiert ist, was Dich wirklich weiterbringt und verbessert. Wische Kritik aber nicht einfach so vom Tisch, sondern reflektiere, ob in der Kritik ein Kern der Wahrheit liegt oder ob sie von einer Position geäußert wurde, die weniger Background als Du selbst hat.
  • Lob und Anerkennung motivieren Dich weiterzumachen. Konstruktive Kritik und Selbstreflektion verbessern Dich. Sammle schriftliches Lob und Anerkennung an einem Ort und nimm diese Liste immer wieder vor, wenn Du gerade in einem tiefen Loch feststeckst.
  • Nimm Deine chaotische Arbeitsweise als kreatives Geschenk an und entwickle trotzdem Mechanismen, mit denen Du die ungeliebten Aufgaben in den Griff bekommst.
  • Denk daran, dass Du ein Mensch bist, der sich schnell für eine Idee so begeistert, dass Du sie sofort in die Tat umsetzt. Bedenke bei diesen schnellen Entscheidungen aber auch, dass etwas, das Du begonnen hast, auch durchgezogen werden muss.
  • In der Nacht kannst Du schlafen, die Probleme und Gedanken sind am nächsten Tag auch noch da.
  • Nicht alles, was Du in den nächsten 10 Jahren anpackst, wird ein Erfolg werden. Das macht aber nichts. Mut zu haben und die Erfahrung zu machen ist immer wichtiger.
  • Akzeptiere, dass Du nicht alle Ideen, die Du hast, umsetzen kannst. Und nicht alle Ideen, die Du hast, sind gleich gut.”

Petra: Was war in den letzten 10 Jahren der Moment, der Dich am meisten berührt hat – und der Moment, an dem Du kurz davor warst alles hinzuschmeißen? (Und was hat Dich dann doch weitermachen lassen?)

Alexandra: “Es gab in den letzten 10 Jahren viele Momente, die mich berührt haben. Dazu gehören sicherlich die vielen Signale nach Zukunftswerkstätten und Workshops von Teilnehmer:innen, dass ich dazu beitragen konnte, neue Entwicklungen in den Blasorchestern anzustoßen und Positives zu bewirken. Es freut mich auch immer wieder, wenn sich Musikvereine bei mir melden und nach einer Zukunftswerkstatt fragen, weil ein anderer Musikverein, der schon eine mit mir durchgeführt hat, mich empfohlen hat. Es berührt mich immer wieder, dass auch noch fünf Jahre nach dem letzten IBK Leute zu mir kommen und mir sagen, wie wertvoll sie diese Veranstaltung für die Blasorchesterszene fanden. Besondere Blasorchesterkonzerte, die ich in dieser Zeit erleben durfte, berührten und berühren mich. Es ist für mich niemals selbstverständlich und gerade deshalb berührt es mich immer sehr, wenn ich von den Komponisten meist uneingeschränkte Unterstützung bekomme. Sowohl wenn ich Informationen für Repertoirebeiträge auf dem Blasmusikblog brauche als auch wenn ich Veranstaltungen organisiere. Aber der Moment, der mich am meisten berührt hat, ist noch gar nicht so lange her. Den erlebte ich nach dem Konzert des Sinfonischen Blasorchesters Tirol während der Innsbrucker Promenadenkonzerte. Eine öffentliche Wertschätzung meiner Arbeit – das hat mich völlig überrascht! Genaueres steht im Beitrag Österreich – Was für ein Blasmusikland!

Hinschmeißen wollte ich in den vergangenen 10 Jahren niemals. Auch nicht, wenn es mit den monatlichen Einkünften mal eng wurde. Aber Konzeptänderungen waren doch öfter mal nötig.

Anfangs gehörte es zum Profil des Kulturservice Link Workshops und Auftragskompositionen an Komponisten zu vermitteln. Ich habe da mit tollen Komponisten zusammengearbeitet, aber funktioniert hat es leider nicht. Der Markt war für mich nicht in dem Maße da, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Vom Blasmusikblog kann ich selbstverständlich nicht leben. Aber eine gewisse Monetarisierung war ursprünglich geplant. Noch jetzt, nach 10 Jahren, wird mein Angebot für Banner-Werbung und Sponsored Posts kaum angenommen – obwohl ich mittlerweile eine riesengroße Reichweite habe.

Mit dem ersten Corona-Lockdown wurde mein komplettes Angebot an Workshops zunächst obsolet. Von jetzt auf gleich fiel der größte Teil meiner Einnahmen weg. Monatelang. Dank einer Corona-Hilfe für Selbstständige konnte ich einigermaßen überleben, ohne mich nach einem neuen bezahlten Job umsehen zu müssen. Die vielen Online-Angebote, die ich nach einer kurzen Depri-Phase dann durchgeführt habe, brachten mir Lob und Anerkennung, ich habe viel gelernt und konnte extrem viele gute Kontakte knüpfen, die auch heute noch sehr wertvoll für mich sind. Aber ich habe schnell gemerkt, dass diese Online-Angebote nur wenig zu meinem Lebensunterhalt beitragen.

Vom Blasmusik-Insider-Club hab ich mir sehr viel versprochen: Eine Plattform, auf dem sich Blasmusiker austauschen können und auf der Fortbildungsveranstaltungen stattfinden können. Es gab einen wöchentlichen Vereinsmanagement-Tipp und einen wöchentlichen Repertoire-Tipp. Ein bis zwei Online-Veranstaltungen habe ich pro Woche organisiert. Darunter Gespräche mit Komponisten oder die Talk-Shows zu bestimmten Themen mit mehreren Personen. Ich hatte die Creme de la Creme der internationalen Blasmusikszene zu Gast. Ich habe auch Online-Seminare mit meinen Themen oder von anderen Dozenten angeboten. Leider konnte dieses Angebot und Konzept nicht genügend Blasmusiker:innen überzeugen.

Petra: Welche drei Klischees (Vorurteile) über Blasmusik möchtest Du endgültig beerdigen – und welche überraschenden Wahrheiten würdest Du stattdessen ausgraben?

Alexandra: “Da muss ich gar nicht lange nachdenken…

1.„Blasmusik, Bier und Bratwurst gehören zusammen“

Ein Klischee, das allerdings der Wahrheit entspricht. Nicht überraschend und es muss auch nicht ausgegraben werden. Zumindest arbeitet ein großer Teil der Musikvereine bzw. Blaskapellen an diesem Image. Mit großer Sorge sehe ich die immer größer werdende Menge an So-Me-Filmchen in denen Musikvereine für ihre Veranstaltungen werben und alle Darsteller gefüllte Biergläser oder Bierflaschen in der Hand haben. Diese Kurzvideos könnten genauso gut Bierwerbung sein. Zumindest sagen sie ganz klar aus: Bier und Blasmusik gehören zusammen. Der Beitrag, für den ich die meiste Kritik seit Bestehen des Blasmusikblogs bekommen habe, ist: Randnotiz: Alkohol und Blasmusik. Tragisch ist das für die Musikvereine bzw. Blasorchester, die eine seriöse Jugendarbeit machen möchten. Außerdem für die, die eher konzertant unterwegs sind. Denn da das öffentliche Bild der Blasmusik überwiegend mit Bierseligkeit und Umtata assoziiert wird ist eine differenzierte Darstellung der unterschiedlichen Blasmusik-Formen gar nicht mehr möglich. Die überraschende Wahrheit: Wir müssen noch viel klarer die Unterschiede in der Öffentlichkeit darstellen. Es gibt eben unterschiedliche Arten von Blasmusik. Sie haben alle ihre Berechtigung. Keine Art ist mehr wert als die andere. Es gibt nur unterschiedliche Vorlieben. Eine große Aufgabe. Ich arbeite seit 10 Jahren und mehr daran.

2.„Die Komponisten stehen unter der Knute der Verlage – und diese sind nur auf Profit aus“

Wo dieser Unsinn herkommt, habe ich noch nie verstanden. Gute Komponisten schreiben was sie wollen. Einschränkungen kommen von den Auftraggebern, die natürlich den Schwierigkeitsgrad und die Länge, meist das Genre des Auftragwerks angeben und meist auch noch Vorstellungen davon haben, was bzw. welches Thema das Werk haben soll. Ich schätze mal, dass der meist geäußerte Wunsch der Auftraggeber ist: „Vertone unsere Vereinsgeschichte…“, „Vertone eine Legende oder eine Sage aus unserer Gegend oder eine historische Geschichte“. Wir sollten Jacob de Haan fragen, wie oft er schon den Auftrag bekommen hat: „Bitte ein Werk wie Oregon“ oder „Bitte ein Werk wie Concerto d’amore“…

Eine gute Verleger-Komponisten-Kooperation kann sehr fruchtbar für beide Seiten sein. Besonders wenn der Verlag über eine hervorragende Redaktion verfügt. Zum Thema „Profit“ kann ich nur sagen: Als ich noch beim Verlag war, war ich sehr froh, am Monatsende ein Gehalt ausgezahlt bekommen zu haben. Und das galt auch für alle meine Kolleginnen und Kollegen.

3.„Die jungen Musiker:innen wollen nur Pop- und Filmmusik spielen“

Wenn ich in Workshops frage, wie wir die jungen Musiker:innen in unseren Jugendkapellen bzw. Blasorchestern halten können, kommt meist (u. a.) die Antwort: „Wir müssen moderne Literatur spielen.“ Nun, was ist moderne Literatur? In der Wissenschaft von vielen: „Pop- und Filmmusik“. So spielen nun denn auch die meisten Jugendorchester Arrangements aus diesen Genres. Meiner Meinung nach können wir die jungen Musiker:innen auch mit originalen, zeitgenössischen Kompositionen begeistern. Vielleicht auch mal mit einer Polka. Denn, wenn ich in den Zukunftswerkstätten die Musiker:innen frage: „Was ist das besondere an Deinem Musikverein?“, dann antworten die meisten: „Die Vielfalt des Repertoires, das wir spielen.“ Warum soll das nicht für die jungen Musiker gelten?”

Petra: Wenn Du einen eigenen Marsch schreiben würdest – wie hieße er? Und wie würdest Du Dich in der Partitur selbst verewigen? (Piccolo-Solo? Paukenschlag? Taktwechsel?)

Alexandra: “Zunächst einmal: Ich würde mir niemals ohne Musikstudium und dem entsprechend erlernten Komponier-Handwerk anmaßen, etwas komponieren zu wollen. Es gibt schon genug Pseudo-Komponisten – meist in der traditionellen Blasmusik. Aber wenn ich einen Kompositionsauftrag für einen Marsch an einen Komponisten meiner Wahl geben würde, dann wäre das mein „Prompt“ also mein „Briefing“:

„Schreib mir bitte einen Marsch in der üblichen Länge und der typischen Struktur in einer witzigen, lässigen und lebhaften Art. Der Schwierigkeitsgrad darf zwischen 4 und 5 liegen. Sorge in jedem der Marsch-Bestandteile jeweils für eine überraschende Wendung – egal welcher Art. Bringe trotz beschränktem Genre „Marsch“ eine klangliche Tiefe in die Musik, in der auch die zweiten und dritten Stimmen Spaß an der Musik haben. Und gerne zeige ich im Trio mit der Piccolo persönlich „den Vogel“. Den Titel würde ich mir dann überlegen, wenn der Marsch fertig ist.“

Petra: Worin besteht für Dich persönlich die „Zukunft der Blasmusik“ – und welche Rolle möchtest Du selbst in dieser Zukunft spielen?

Alexandra: “Tja, dann schau ich mal in die Glaskugel und überlege, welches die Entwicklung der Blasmusik sein wird, was die Chancen und auch die Herausforderungen künftig sein werden. Du und Dein Team haben ja schon ein Zukunftsbild der Stadtkapelle Bad Wurzach gezeichnet (hier lesen: Unser Blasorchester im Jahr 2035: Stadtkapelle Bad Wurzach). Herzlichen Dank dafür.

Ich teile meine Antwort mal auf in a) was ich mir für die Zukunft der Blasmusikszene wünsche, b) was ich befürchte und c) wie ich den Musikvereinen helfen kann, die sich das wünschen.

  1. Für die Blasmusik allgemein und die Musikvereine im speziellen wünsche ich mir für jeden Verein noch viel mehr motivierte und idealistische Musiker:innen, die erkennen, dass die Zukunft des Musikvereins direkt mit dem Engagement der Menschen, der Steigerung der Qualität in Musik, dem Vereinsmanagement und dem sozialen Miteinander sowie einer umfassenden Jugendarbeit und einer permanenten positiven Außendarstellung zusammenhängt. Dafür braucht es nicht nur eine große Liebe zur Blasmusik, sondern auch den Mut, alte Zöpfe abzuschneiden, neue Konzepte auszuprobieren und das Vereinsmanagement teambasiert aufzubauen.
  2. Ich befürchte, dass unsere Lebensumstände nicht Musikvereins-freundlicher werden. Die großen Herausforderungen sind der hart umkämpfte Freizeitmarkt, zunehmende Belastungen (finanziell und beruflich bzw. schulisch) und ein spürbarer Rückzug in „die eigenen vier Wände“ mit einer zunehmenden Ich-Bezogenheit – einhergehend mit der weitreichenden Digitalisierung. Diese Umstände sollen uns jedoch nicht daran hindern, engagiert voranzugehen und immer weiterzumachen!
  3. Wenn Musikvereine frische Portionen Motivation und Energie, neuen Input und Ideen sowie einen Blick von außerhalb ihrer Bubble wünschen und brauchen und außerdem zur Selbstreflektion bereit sind, kann ich gerne unterstützen. Es ist immer unglaublich und für mich ein Phänomen, was eine Zukunftswerkstatt mit allen Musikerinnen und Musiker des Musikvereins bewirkt und lostritt… In diese Zukunftswerkstätten lege ich immer mein ganzes Herzblut, weil es mir ein großes Anliegen ist, dass die Blasmusikszene wächst und gedeiht.

Petra: Wann machen wir den nächsten IBK :):):)

Alexandra: “Noch hast Du mich nicht so weit, liebe Petra. Aber wer weiß… Und wenn, dann nur mit Dir, meine Beste!”

Herzlichen Dank liebe Petra für die tollen Fragen!

Übersicht über die 10 Interviews:

1/10 Fragen von Roman Gruber
2/10 Fragen von Klaus Härtel
3/10 Fragen von Sandra Settele
4/10 Fragen von Mark Baumgartner
5/10 Fragen von Stephan Niederegger
6/10 Fragen von Ralf Eckert
7/10 Fragen von Andreas Kleinhenz
8/10 Fragen von Henning Klingemann
9/10 Fragen von Petra Springer
10/10 Fragen von Helmut Schmid

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Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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