Konzertberichterstattung in Tageszeitungen – Die Sicht der Redakteure

Ich freue mich sehr, dass ich für das Thema „Konzertberichterstattung in Tageszeitungen“ auch drei Redakteure gewinnen konnte, die sich zu diesem Thema äußern. Herzlichen Dank an Christine Engel, Daniel Gramespacher und Alexander Huber.

Alexander Huber

Alexander Huber
Alexander Huber, Badische Zeitung

Alexander Huber ist der Leiter der Lokalredaktionen Müllheim und Bad Krozingen der Badischen Zeitung.

Für den Blasmusikblog hat er bereits vor einiger Zeit einen Gastbeitrag zum Thema Pressearbeit für Vereine, Behörden, Schulen, Parteien, Kirchen und andere öffentliche Institutionen geschrieben.

„Hallo Frau Link,

vielen Dank für die Weiterleitung der Zuschrift Ihres Blog-Lesers. Die dort gestellten Fragen bzw. Anmerkungen sind durchaus berechtigt, mit der Frage einer anderen / besseren Berichterstattung von Musikvereinskonzerten beschäftige ich mich auch schon länger (ich glaube, wir haben uns da auch schon mal drüber unterhalten). Allerdings habe ich das Ei des Kolumbus noch nicht gefunden, denn es gibt diverse Aspekte zu beachten. Ich versuche, das mal stichpunktartig aufzudröseln.

Zunächst mal: Dass in den Artikeln Informationen stehen, „die komplett in Vorankündigungen schon enthalten waren“, stimmt zumindest für unsere Zeitung so nicht, zumal wir von den wenigsten Konzerten ausführliche Ankündigungen bekommen. Was stimmt, ist, dass viele Konzertberichte eine Art mehr oder weniger gelungene „Nacherzählung“ des Konzertprogramms sind. Was auch stimmt: Tatsächlich sind viele Berichte sehr positiv, mitunter sogar enthusiastisch.

Grundsätzlich gilt: Für eine qualitativ hochwertige Berichterstattung braucht es entsprechend fachkundige Autoren. Die sind aber nicht so dick gesät. Im Lokalteil einer Zeitung sind wir alle mehr oder weniger Generalisten, d. h. müssen / sollten über sehr viele Themen Bescheid wissen. Für eine tiefer gehende Konzertberichterstattung sind aber unter Umständen recht profunde Musikkenntnisse vonnöten, noch dazu in großer Breite. Erst recht, wenn auch Kritik angebracht werden soll. Denn die sollte schon Hand und Fuß haben, sonst ist das Ergebnis noch viel unbefriedigender als beim Weglassen von Kritik. Im Grunde müsste es wie bei den Sportvereinen spezialisierte Kollegen für die Musikvereine geben, die auch die „Szene“ kontinuierlich beobachten. Dafür fehlen uns aber definitiv die Ressourcen – allein im Markgräflerland haben wir eine Vielzahl an Musikvereinen zu „betreuen“.

Musikvereine bewegen sich – bei aller inzwischen festzustellenden Qualität – auf der Ebene der Amateure. Da wäre es kaum redlich, die gleichen Maßstäbe anzulegen wie bei den Profis. Was nicht heißt, dass alles in einer undifferenzierten Lobhudelei enden muss. Doch zu einer kritischen Analyse müsste dann auch noch genug Fingerspitzengefühl dazukommen, um das Engagement der Amateure nicht zu diskreditieren.

Wir haben in unserem Lokalteil, gerade wenn „Konzertsaison“ ist, eine große Fülle von Konzerten zu berücksichtigen. Jahreskonzerte versuchen wir (fast) immer zu besetzen. Warum? Für einen Musikverein ist das Jahreskonzert ein Höhepunkt, auf den die Musiker intensiv hingearbeitet haben. Eine entsprechende Berücksichtigung in der Zeitung „adelt“ für viele ein Stück weit dieses Bemühungen – das gilt übrigens auch für junge Leute. Ein Zeitungsbericht ist quasi ein Nachweis dafür, dass das musikalische Engagement öffentlich wahrgenommen wird.

Aus diesem Grund geht es in einer Lokalzeitung auch oft um das bloße „Stattfinden“. Das mag etwas oberflächlich klingen, sollte aber nicht unterschätzt werden. Die lokale Tageszeitung ist das einzige Medium, das ein vergleichsweise breites Bild darüber gibt, was in einem Dorf, einer Stadt, einer Region so stattfindet. Die Berichterstattung über die Konzerte der MV hat aus dieser Perspektive für uns nicht nur einen kulturellen, sondern auch einen gesellschaftlichen Aspekt, nicht zuletzt auch, weil in den MV wertvolle Jugendarbeit stattfindet.  Eine möglichst in die Tiefe gehende Berichterstattung wäre zwar auch aus unserer Sicht sehr wünschenswert, kann aber bei den gegebenen Ressourcen nicht „flächendeckend“ erfolgen.  

Aus dem bereits Gesagten lässt sich ableiten, dass „Weglassen“ keine Alternative ist – schon gar nicht selektiv. Abgesehen davon, dass wir manchmal schlicht und einfach keine Mitarbeiter für die Berichterstattung finden, gibt es aus unserer Sicht keinen Grund, weshalb wir einen MV berücksichtigen und einen anderen nicht. Das würden auch die Vereine wohl kaum akzeptieren. Heißt aber wieder, dass Quantität mitunter vor Qualität geht.

Ich beobachte zu diesem Thema auch ein wenig so eine Art von „Generationenkonflikt“ (wobei das letztlich nichts mit dem biologischen Alter zu tun hat) – wodurch auch wir als Zeitung ein wenig zwischen den Stühlen sitzen. Da gibt es die – immer noch sehr starke – Fraktion derer, für die das „Stattfinden“ oberste Priorität hat. Für die ist der Inhalt der Berichte mitunter eher zweitrangig. Wichtig ist, dass es einen Text gibt, den man ausschneiden und ans schwarze Brett des Vereins heften kann. Für diese Gruppe ist auch die Berichterstattung über Ehrungen sehr wichtig, die wiederum viele andere Leser als ermüdend empfinden, weshalb wir versuchen, die relativ knapp zu halten. Für mich persönlich sind diese Ehrungen bei Jahreskonzerten – vor allem, wenn sie noch schön länglich zelebriert werden – ein Graus. Ich gehe in ein Konzert, weil ich schöne Musik hören will und nicht um längliche Lobesreden, etc. zu lauschen. (Aus dem gleichen Grund finde ich auch manche Moderation zu ausufernd.) Andererseits verstehe ich aber, dass besondere Leistungen auch öffentlich gewürdigt sein wollen. Ein echtes Dilemma.

Gegenüber der oben erwähnten Gruppe beobachte ich aber gerade in letzter Zeit verstärkt den Wunsch nach einer differenzierteren, wertigeren Berichterstattung. Nicht ganz zu Unrecht empfinden auch (immer mehr?) Musiker die jetzige Berichterstattung als unbefriedigend. Mir sagte mal ein Dirigent: „Wenn die Artikel auch mal etwas kritischer wären, könnten wir uns über das Lob auch viel mehr freuen.“ Ein berechtigtes und eigentlich auch erfreuliches Anliegen. Aber, wie bereits ausgeführt, nicht eben einfach umzusetzen.

Für jede Idee, wie man die hier beschriebenen Dilemma auflösen könnte, wäre ich dankbar. Ein Ansatzpunkt für uns wäre z.B., die Vorberichterstattung auf Konzerte auszubauen. Da könnte man schon mal interessante Inhalte transportieren. Es gibt auch immer wieder Leser, die sagen: „Was nützen mir die Nachberichte, wo ich dann erfahre, was ich verpasst habe.“ Größere Vorberichte UND Konzertberichte würden dann aber den Rahmen endgültig sprengen. Viele Vereine wünschen aber den Nachbericht nach wie vor – von wegen „Leistungsnachweis“ und so (siehe oben).

Um bei dem Thema weiterzukommen, könnte vielleicht ein Ansatzpunkt mal sein, eine Art „runden Tisch“ zwischen Musikvereinen und Tageszeitung ins Leben zu rufen. Ich für meinen Teil wäre dazu sofort bereit. Einmal zum Thema Konzertberichterstattung, aber auch weil aus unserer Sicht wiederum, so manches beim Thema Öffentlichkeitsarbeit der Musikvereine noch verbesserungsbedürftig wäre.

Das sind mal ein paar erste Aspekte, das Thema ließe sich sicher noch deutlich weiter vertiefen.

Beste Grüße

Alexander Huber“

Daniel Gramespacher

Daniel Gramespacher
Daniel Gramespacher

Daniel Gramespacher (50) ist seit knapp 20 Jahren in Lörrach Regionalredakteur bei der Badischen Zeitung. Nebenbei schreibt er gelegentlich für Blasmusik-Fachzeitschriften. Seit mehr als 25 Jahren gehört er dem Vorstand der Stadtmusik Lörrach an, seit 2006 als Vorsitzender.

Herr Gramespacher schrieb mir auf meine Anfrage:

„Hallo Frau Link, 

hier wie versprochen ein paar Gedanken:

Aus journalistischer und Lesersicht ideal wäre ein Konzertbericht, der eine interessante Geschichte erzählt, bei dem der Leser etwas lernt, ohne dass der Text oberlehrerhaft wirkt, und eine Bewertung erhält auf der Basis von Fachwissen, das sich nicht in den Vordergrund drängt. 

Für eine realistischere Einschätzung ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, wer für wen worüber schreibt. 

Wer: In der Regel verfassen Konzertberichte in Lokalzeitungen freie Mitarbeiter,  die meist über keine journalistische und schon gar kein musikalische Ausbildung verfügen, sondern als Generalisten über fast alles schreiben. Eine musikwissenschaftlich oder blasmusikalisch gebildete Edelfeder ist die absolute Ausnahme. 

Für wen:  Die Leserschaft einer Lokalzeitung ist sehr heterogen. Im Sinne möglichst großer Verständlichkeit sollte der Autor wenig bis nichts voraussetzen, zumal die meisten Leser nicht bei dem Konzert waren. Eine Ansammlung von Fachbegriffen etc. ist deplatziert. Ein Tageszeitungsartikel kann und soll kein Jurybericht sein. Wer das erwartet, ist mit einem Wertungsspiel besser bedient. Die Zeiten, in denen z. B. pensionierte Gymnasiallehrer in Rezensionen ihre Bildung zur Schau tragen und sich von oben herab zum Kunstrichter aufspielen, sind längst vorbei. 

Worüber: Abgesehen von Auswahlorchestern und ambitionierten Vereinsorchestern mit durchdachten Programmkonzeptionen und anspruchsvollen Werken spielt das Gros der Musikvereine bei ihren Konzerten meist Kraut-und-Rüben-Programme mit unterhaltendem Charakter. Diese zu behandeln wie Ouvertüre, Solokonzert und Sinfonie eines klassischen Orchesterprogrammes, erscheint verfehlt. Wenn das Jahreskonzert der Trachtenkapelle Hintertupfingen (Name geändert) mit Superlativen etc. derart in den Himmel gehoben wird, dass sich jeder Wiener oder Berliner Philharmoniker schämen muss, dass er überhaupt noch zum Instrument greift, ist etwas schiefgelaufen. 

Als Journalist wie als Vereinsvorsitzender schätze ich Konzertberichte, die idealerweise mit einer möglichst lebendigen Geschichte (ggf. O-Töne, szenische Beschreibungen) vor allem jenen, die nicht dabei waren, den Charakter eines Abends vermittelt. Dabei sind die Fakten (etwa aus dem Programmheft oder der Moderation) wesentlich wichtiger als bemühte Bewertungen. Um mit einem konkreten Tipp zu schließen: wenig Adjektive und keine Superlative. 

Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter. 

Viele Grüße 

Daniel Gramespacher“ 

Christine Engel

Christine Engel
Christine Engel

Christine Engel, studierte Journalistik und Musikwissenschaften und arbeitete nach der Geburt ihrer beiden Kinder sechs Jahre als freie Journalistin. Seit zwei Jahren ist sie beim DVO-Verlag  fest angestellt. Die Klarinettistin spielte im Jugendblasorchester Marktoberdorf, vier Jahre beim Heeresmusikkorps in Ulm und zur Zeit in der Audi Bläserphilharmonie.

Hier ihre Sicht der Dinge:

„Ich glaube, behaupten zu können, blasmusikalisch journalistisch oder journalistisch blasmusikalisch vom Fach zu sein. Trotzdem schrieb ich in meiner Zeit, in der ich freiberuflich unter anderem für die Tageszeitung meiner Region unterwegs war, kaum über Musikvereinskonzerte. Das lag unter anderem daran, dass die Gegend Oberbayerns, in der ich seit 14 Jahre lebe, leider nicht so reich an Musikvereinen ist als beispielsweise Franken, das Allgäu oder Baden-Württemberg. Dafür umso reicher an Theatervereinen und Chöre, über deren Aufführungen (sowie über die Schulkonzerte der hiesigen sechs Gymnasien) ich öfter schrieb, wenn es um lokale Kultur ging. Und dort ist das Engagement  vergleichbar wie in Musikvereinen.

Der andere Grund, warum ich kaum Musikvereinskonzerte in meiner Tätigkeit als Journalistin besuchte, ist, dass ich nicht nur für den Lokal-, sondern hauptsächlich für den Kulturteil schrieb, der täglich ein, höchstens zwei, Seiten umfasst und auf dem Amateurkultur verständlicherweise kaum Platz findet.

Zunächst muss ich sagen: Da ich nie verantwortlicher Redakteur war, kann ich nicht sagen – nur vermuten oder annehmen – nach welchen Kriterien ausgesucht wird, über welches Konzert berichtet wird. Ich für mich bekam immer einen Anruf: „Frau Engel, haben Sie Zeit dort oder dort hinzugehen.“ Oder ich schlug etwas vor, dass ich dann meistens machen konnte.

Zunächst muss ich aber den Hauptgrund nennen, warum ich nicht mehr für die regionale Tageszeitung arbeite und warum es wahrscheinlich sehr schwierig ist, kompetente Berichterstatter zu finden. Michael Kummer hat es richtig erkannt: Man kann davon nicht leben.

Es ist natürlich immer eine gewisse Verhandlungssache, aber letztendlich wird es bei diesem Job immer so sein, dass man auf keinen wirklich guten Stundenlohn kommt. Um es konkret zu machen: Nimmt man die Zeilenhonorare, rechnet sie auf die Stunden um, in denen man beschäftigt ist (Anfahrt, am Konzert sein, den Text schreiben), zieht man seine Ausgaben  ab (Arbeitszimmer, PC, Internet etc., man ist ja schließlich selbstständig), kommt man auf einen Brutto-Stundenlohn von sieben bis neun Euro. Da hat man aber gut verhandelt. Da werden dann die Abgaben für die Künstlersozialversicherung, Einkommen- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag abgezogen. Dafür arbeitet kein selbständiger Elektriker, Bäcker oder Maschinenbauingenieur (der studiert hat, so wie ich).

Ich werde mich weigern, das Schreiben als Ehrenamt zu betreiben. Beziehungsweise über Musik ehrenamtlich zu schreiben, (Öffentlichkeitsarbeit, in Projekten in denen ich ehrenamtlich engagiert bin – Elternbeirat, Mutter-Kind-Gruppe etc. –  mache ich schon), da das mein Beruf ist, den ich gelernt habe und ich davon meinen Lebensunterhalt verdienen muss. Und wenn man es täte: Wo fängt man an, wo hört man auf? Nehmen wir das Beispiel des Elektrikers: Der wird auch nicht ehrenamtlich Stromkabel verlegen. Und wenn er es bei dem einen Freund machen würde, würden wahrscheinlich gleich die nächsten zehn Freunde  Schlange stehen.

Ich möchte hier aber nicht nur der Tageszeitung die Schuld an den geringen Zeilenhonoraren geben. Letztendlich ist es ja in der Gesellschaft so: Wer abonniert denn noch eine Tageszeitung? Für viele Menschen ist es selbstverständlich, dass es Informationen kostenlos gibt. Ein Produkt, das  sich aus Informationsbeschaffung und einer lesbaren Zusammenfassung zusammensetzt, entsteht für den Großteil der Gesellschaft mittlerweile offensichtlich aus Luft und Liebe und nicht aus Arbeit. Ähnlich wie Musik oder Kunst  – dafür möchten viele Menschen ja auch ungern bezahlen. 

Ich erlebte Beispiele, in denen ich von Menschen, über die ich schrieb, gefragt wurde, ob ich ihnen den Artikel kopieren oder zukommen lassen könne, denn sie hätten die Zeitung nicht abonniert. Meine Antwort war stets: „Ein Einzelexemplar kostet am Kiosk oder im Supermarkt 1,30 Euro. Das wird wohl drin sein, wenn man selbst drin ist.“

Kritiker von Konzerten von Profiorchester sind nicht selten Pensionäre wie Lehrer oder aus  geisteswissenschaftlichen Berufen, die das gerne für „ein Appel und ein Ei“ machen, da dann die Konzerte noch inkludiert sind. Ich bezweifele aber, dass diese Gruppe gerne auf Blasmusikvereinskonzerte geht.

Ich für meinen Teil werde aber auch nicht mehr als Kritikerin in ein Konzert gehen, das mich privat und persönlich interessiert. Da ich ganz massiv feststellen musste, dass ich ein Konzert, auf dem ich komplett privat und ohne „Hintergedanken“ bin, ganz anders genießen kann und ganz anders hinhöre und somit für mich persönlich viel mehr mitnehme. Dafür kaufe ich mir gerne eine Eintrittskarte.

Nochmal zurück zu den Zeilenhonoraren: Wegen oben genannter Gründe kann ich es dem ein oder anderen auch nicht verübeln, wenn er früher geht. Ich persönlich habe das einmal gemacht und bin vor schlechtem Gewissen fast umgekommen. Es war ein Schulkonzert und es zog sich endlos in die Länge. Ich hatte das Programm in der Hand und wusste schon, was ich schreiben wollte bzw. konnte. Denn da, wie auch bei anderen Schülerkonzerten, in denen Kinder solistisch auftreten, kann man fast nicht anders: entweder alle Namen oder keinen. Und dann ist der Text schon voll.

Wo wir beim Thema sind, wie eine Konzertkritik im Amateurbereich verfasst werden sollte. Ich habe mir da meine ganz eigenen individuellen Gedanken gemacht. Fest steht, man verfasst sie natürlich anders als eine Kritik eines Berufsorchester. In irgendeinem meiner Praktika sagte mir mal ein Kulturredakteur: Man kritisiert Amateure nicht negativ. Und da ich selbst Amateurmusikerin bin, weiß ich, dass man das nicht machen kann: Die Leistungen eines ehrenamtlichen Amateurmusiker negativ bewerten. Also, wenn er ein Solo spielt, das entweder ganz in die Hose geht oder nicht wirklich ausdrucksstark interpretiert wurde, das auch noch erwähnen. Nein, das muss nicht sein.

Was man sehr wohl machen kann: Die Leistung des Dirigenten beurteilen. Denn, so finde ich, das Orchester ist ja in irgendeiner Weise das Instrument des Dirigenten mit dem er ein Stück interpretiert und ihm seine Handschrift gibt. Wenn also beispielsweise der Trompetensatz viel zu laut spielt, damit die Hauptmelodie in den Flöten übertönt und deshalb das Werk nicht mehr den Intentionen des Komponisten entspricht, dann kann man das gerne kritisch anmerken, denn das hätte der Dirigent in den Griff bekommen müssen. Und heutzutage ist es, behaupte ich, so, dass viele Vereine einen Dirigenten haben, der ein Mindestmaß an Ausbildung hat und so einen Verein nicht mehr komplett ehrenamtlich führt (ich hoffe doch, dass das so ist).

Man kann auch das Gesamtpaket unter die Lupe nehmen, also die Gesamtinszenierung bewerten: Wie war das Konzept des Konzerts aufgebaut, wie haben die Stücke zueinander gepasst, wie war die Auswahl? Wie war die Gesamtstimmung? Wie ist das Orchester aufgetreten? Ich finde, wenn Chaos auf der Bühne herrscht und vielleicht noch während des Konzerts ein Bier getrunken wird, kann man das gerne negativ anmerken.

Was, ich finde, nicht hinein gehört, ist eine ellenlange Beschreibung der jeweiligen Werke. Fehl am Platz ist zudem: abstrakte Worthülsen und Phrasen, unter denen sich keiner etwas vorstellen kann und mit denen der Autor Feuilleton-Päpste wie Joachim Kaiser kopieren möchte.

Und jetzt kommt der Knackpunkt, wenn der Autor nicht will, dass sein Text „brutal verstümmelt“ wird: Er oder sie sollte seine Rezension in 2000, allerhöchstens 3000 Zeichen (inklusive Leerzeichen) verfassen. 

In meinem jetzigen Job redigiere ich Vereinstexte für zwei Blasmusikverbandsmagazine. Wir geben in einer Leitlinie an, wie lang der Text höchstens sein sollte. Viele Verfasser halten sich daran, aber nicht selten habe ich Texte mit 10.000 Zeichen auf dem Schreibtisch liegen. Da muss ich leider 80 Prozent kürzen. Zum Vergleich: Mit 10.000 Zeichen bekommt man wahrscheinlich eine ganze Seite in der FAZ voll. Aus den Skripten ist oft ersichtlich, dass der Autor die Texte auch an die jeweils örtliche Tageszeitung geschickt hat. Da würde ich immer gern Mäuschen in den jeweiligen Tageszeitungsredaktionen spielen, wie die dortigen Redakteure darauf reagieren.

Nachdem ich aber hier nun über 9000 Zeichen geschrieben habe und Alexandra wahrscheinlich über meinen Text erschrickt, höre ich an dieser Stelle auf. Ich wünsche allen Musikvereinen und Blasorchestern eine weiterhin fruchtbare und engagierte Arbeit und wünsche allen eine konstruktive Kritik, mit der sie etwas anfangen können.

Übrigens: Eine Kritik/eine Rezension schreiben zu Können ist ein sich entwickelnder Prozess. Da lernt man nie aus. Denn mit jedem Konzert, das man sich anhört, wird man feinfühliger und sensibler und lernt für sich persönlich dazu.

Christine Engel”

Herzlichen Dank an Alexander Huber, Daniel Gramespacher und Christine Engel für ihre Beiträge.

Hier könnt Ihr übrigens – falls nicht schon geschehen – die Sicht der BlasmusikerInnen nachlesen.

Die Diskussion ist eröffnet! Schreibt gerne Eure Meinung zu diesem Thema weiter unten auf dieser Seite in das Kommentarfeld.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    2 thoughts on “Konzertberichterstattung in Tageszeitungen – Die Sicht der Redakteure

    • 1. Februar 2019 at 19:30
      Permalink

      Das Thema beschäftigt mich auch schon lange. Die Unterscheidung von Alexander Huber zwischen den Berichten, bei denen es um das bloße “Stattfinden” geht und differenzierten Konzertberichten finde ich richtig. Vielleicht liegt in dieser Unterscheidung ein Ansatz für die Lösung des beschriebenen Dilemmas.
      Beide Berichtarten haben ihre Berechtigung. Problematisch finde ich es, wenn bei Berichten, in denen es eigentlich nur um das “Stattfinden” geht, die musikalische Darbietung undifferenziert und überschwänglich gelobt und mit allerlei Superlativen bedacht wird. Das passiert leider allzu oft! Das ist dann meist völlig unglaubwürdig und schadet deshalb der Blasmusikszene und auch dem einzelnen Musikverein mehr als es nützt.
      Ich würde mir wünschen, dass zwischen den beiden genannten Arten von Berichterstattung klar unterschieden wird: Entweder es ist ein differenzierter Konzertbericht oder es ist ein „gesellschaftlicher Bericht“, in dem über das Ereignis berichtet wird, aber keine Aussagen über die musikalische Qualität gemacht werden. In einem differenzierten Konzertbericht darf dann gerne gelobt, aber auch mal kritisiert werden. Und da meine ich nicht das verpatzte Solo oder ein verkiekster Einsatz eines Musikers. Aber wenn Dinge wie Klangausgleich, Intonation oder Dynamik nicht passen, dann darf man das kritisieren. Berichte über Ehrungen sind in einem solchen Konzertbericht dann auch deplatziert. Wobei ich es überhaupt fragwürdig finde, ob Ehrungen in einem “Jahreskonzert” überhaupt stattfinden sollten (zumindest bei symphonischer Ausrichtung).
      Ich verstehe, dass diese differenzierte Art von Konzertberichten bei der Vielzahl an Musikvereinen und Konzerten schon rein aus Ressourcengründen an Grenzen stößt. Aber vielleicht möchten das ja auch gar nicht alle Musikvereine (und nicht bei jedem Konzert)? Vielleicht sind bei den Vereinen die Prioritäten unterschiedlich gesetzt?
      Die Idee von Herrn Huber einen „runden Tisch“ zwischen Musikvereinen und Tageszeitung ins Leben zu rufen, finde ich sehr gut. Da mein Verein im Gebiet der Lokalredaktion von Herrn Huber liegt, wäre ich dazu sofort bereit.

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      • 1. Februar 2019 at 19:40
        Permalink

        Hallo Joachim, danke für Deinen Beitrag! Vielleicht kann das der Verband organisieren. Wenn das nicht möglich ist, gib gerne Bescheid, dann kann ich mich darum kümmern. Grüße und bis bald, Alexandra

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