Randnotiz: Diskussionen über “die Blasmusik”

Zwei Erlebnisse bzw. Ereignisse haben mich dazu bewogen, diesen Beitrag zu schreiben.

Vor einigen Wochen hat mich eine Dame kontaktiert, die eine Arbeit über das Thema, welche Auswirkungen Blasmusikfestivals auf die Entwicklung der Blasmusikszene haben, schreibt. Untersuchen wollte sie das am Beispiel „Woodstock der Blasmusik“. Sie hatte von diesem Festival gehört und erfahren, wie begeistert die Festival-Besucher jedes Jahr sind. Während dem Zoom-Meeting hat sich herausgestellt, dass sie noch nie bei Woodstock war und dass sie selbst in keinem Blasorchester spielt. Sie sprach im Interview mit mir immer über „die Blasmusik“. Erkennen konnte ich, dass in ihrer Erfahrungswelt „die Blasmusik“ jene Ensembles sind, die bei Woodstock auftreten bzw. „die Blasmusik“ die Art von Literatur ist, die diese Ensembles auf den Woodstock-Bühnen spielen. (Eine interessante Frage, die sich daraus ergibt, ist: Wie sehen “Außenstehende” die Blasmusik? Dieser Frage muss ich jedoch ein anderes Mal nachgehen.)

Das zweite Erlebnis ist eigentlich kein Erlebnis, sondern eher etwas, das ich im Internet verfolgt und beobachtet habe. Es geht um die Innsbrucker Promenadenkonzerte. Erstmalig stand bei den Innsbrucker Promenadenkonzerten ein Konzert von Ernst Hutter & die Egerländer Musikanten auf dem Programm. Man muss dabei wissen, dass die Innsbrucker Promenadenkonzerte in den Jahren zuvor eigentlich eher den großen Sinfonischen Blasorchestern vorbehalten war. Auf der Website sind folgende Worte des Gründers des Festivals, Alois Schöpf, zu lesen: „Die Innsbrucker Promenadenkonzerte können auf die Tradition der abendlichen Serenaden verweisen, bei denen bereits in der Zeit der Wiener Klassik die beliebtesten Stücke der Kunst- und Unterhaltungsmusik in Bläserfassungen einem flanierenden Publikum präsentiert wurden. Fortgesetzt wurde diese Tradition von den Orchestern der altösterreichischen Militärmusik, die zahlreiche eigene, am Kanon der Klassik orientierte Werke beisteuerte. All diese Errungenschaften einer künstlerisch herausragenden österreichischen Bläsermusik setzen die Innsbrucker Promenadenkonzerte auf höchstem Niveau in zeitgemäßer Form fort.“ Eine Art „Vermächtnis“ also, mit dem ein Auftritt einer Blaskapelle mit traditioneller Blasmusik – Polka, Walzer, Marsch – wohl nicht zu vereinbaren ist. Jedenfalls lässt ein Blogbeitrag auf dem Blog von Alois Schöpf darauf schließen. Er beschwert sich bitterlich über dieses Hutter-Konzert, greift die professionellen Musiker des Ensembles an und die Zuschauer (es saßen wohl viele aus der Blasmusik-Szene im Publikum) gleich mit. Verfolgt gerne in Facebook, welche Diskussionsausmaße dieser Blogbeitrag annahm und in welcher Weise diskutiert wurde. Logisch, dass sich viele „auf den Schlips getreten“ gefühlt haben. Was ich erkennen konnte: Verhärtete Fronten zwischen den Liebhabern der Sinfonischen Blasmusik und der traditionellen Blasmusik.

Schaut Euch das Programm der Innsbrucker Promenadenkonzert im Juli 2021 einmal an: https://www.promenadenkonzerte.at/de/programm-tickets/programm-tickets/8-0.html Konzerte von Sinfonieorchester und Kammerorchester stehen hier gleichberechtigt neben Konzerten von großen Sinfonischen Blasorchestern, Brass Bands, Bläserensembles, einer Big-Band, eines Jazz-Ensembles und eben der Blaskapelle von Ernst Hutter. Zunächst einmal aus meiner Sicht: Hut ab, so ein vielfältiges Programm aufzustellen in Pandemie-Zeiten, wo viele potenzielle Orchester und Ensembles einfach nicht zur Verfügung standen (die Gründe sind bekannt). Und zweitens aus meiner Sicht: klasse, eigentlich fast alle Ensemblearten mit Bläsern berücksichtigt. Keine Scheuklappen. Gleichberechtigt. Noch dazu auf einer Bühne, deren Standort viele Zuhörer anzieht, die sonst vielleicht noch nie richtig gute Blasmusik gehört haben. Einziges Kriterium für die Auswahl der Ensembles: Hohes Niveau / Top Qualität.

„Woodstock der Blasmusik“ – ohne Frage ein grandioses Festival. Mit Liebe zum Detail veranstaltet. Aber die Formationen, die dort auftreten, zielen klar auf die Liebhaber der traditionellen und unterhaltenden Blasmusik ab. Ein großes Sinfonisches Blasorchester mit konzertantem Programm wäre dort völlig fehl am Platz. Eine Öffnung für diese Art von Musik würde bei den Festival-Besuchern sicherlich auch nicht gut ankommen. Die Absicht des Publikums ist, zu fetziger Musik zu feiern und nicht auf Stühlen toller Musik andächtig zu lauschen. Anders in Innsbruck. Und an dieser Stelle nochmals meinen Respekt an Bernhard Schlögl, den künstlerischen Leiter. Er hat mit seiner ersten Ausgabe der Innsbrucker Promenadenkonzert gleich eine eigene Visitenkarte abgegeben, die mir sehr gut gefällt. Denn ist es nicht so: Eine Menschheit – viele Sprachen, Dialekte und Kulturen. Eine Blasmusik – viele Ensembleformen, Stile und Kulturen.

Die Dame, mit der Masterarbeit wäre gut bedient gewesen, den Monat Juli in Innsbruck zu verbringen. Dort hätte sie die Chance gehabt zu sehen und zu erleben, was Blasmusik ist. Sie hätte eine große Bandbreite an Blas- und Bläsermusik erlebt. In meinen Augen wären die Innsbrucker Promenadenkonzerte das vielseitigere Beispiel gewesen, um zu untersuchen, welche Auswirkungen ein Blasmusikfestival auf die Blasmusikszene hat.

Was die Diskussionen über „die Blasmusik“ anbetrifft, habe ich drei große Wünsche:

  1. Wir sollten differenzierter über „die Blasmusik“ diskutieren. Es gibt die verschiedenen Stilrichtungen sinfonisch, unterhaltend und traditionell und jede Menge Mischungen davon. Und es gibt verschiedene Ensemble-Arten, von der kleinen Blaskapelle über die Brass Band, Big Band bis hin zum großen Sinfonischen Blasorchester mit sämtlichen Übergangs- und Mischformen. Alle haben ihre Berechtigung und ihre Liebhaber. (Dass meine große Liebe das Sinfonische Blasorchester und Originalwerke für diese Ensembleart ist/sind, wissen meine Leser.)
  2. Alle Ensemblearten mit Bläsern sollten für die Sache an einem Strang ziehen. Jeder Bläser, jede Bläserin entscheidet sich für eine Stilrichtung und Ensembleart (bzw. mehreren und Mischungen davon). Ein Gegeneinander tut der gesamten Szene nicht gut. Ein Miteinander in Vielfalt dagegen sehr! Außerdem ein gesunder Qualitätsanspruch. Schlecht oder ohne Seele und Herz gespielte Musik tut uns und dem Publikum nicht gut und sorgt dafür, dass die gesamte Blasmusik in der Öffentlichkeit über einen Kamm geschert wird (Stichwort “Bier und Bratwurst”).
  3. Die Amateurmusikszene, die Semi-Professionellen und Professionellen können voneinander profitieren und lernen und tun das auch, wo es Blasmusiker:innen mit offenen Augen, Ohren und Herzen gibt. Mein Wunsch ist, dass die Zusammenarbeit hier noch mehr intensiviert wird.

Es gibt noch einen privaten, persönlichen, vierten Wunsch von mir: Wenn das Programm der Innsbrucker Promenadenkonzerte im Juli 2022 genau so vielfältig wird, wie unter erschwerten Bedingungen im Juli 2021, würde ich den kommenden Juli gerne komplett in Innsbruck verbringen, jeden Tag das Konzert besuchen und Euch von der Vielfalt der Blas- und Bläsermusik täglich berichten (auch vom Polka-Konzert!). Wie sagte mein Vater immer: „wünschen darfst Du Dir alles“. Vielleicht findet sich ja ein Sponsor 😉

Leider sind manche Blasmusiker:innen sehr einseitig orientiert. Sie kennen die ganze Bandbreite der Blasmusik gar nicht. Oder lehnen bestimmte Bereiche aus Prinzip ab. Wie wenig Ahnung manche in unserer Szene über Repertoire, Genres, Titel und Komponisten haben, habe ich im Beitrag Blasmusiker und die Blasmusikliteratur schon einmal bemängelt. Schade. Wenn wir unsere Blasmusik-Szene voranbringen möchten, wenn wir in der Gesellschaft mit einem positiven Image dastehen möchten, dann sollten die verschiedenen Bereiche doch neugierig aufeinander sein und sich vor allen Dingen respektieren.

In diesem Sinne,

Eure Alexandra

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    3 thoughts on “Randnotiz: Diskussionen über “die Blasmusik”

    • 22. August 2021 at 9:15
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      Danke für den tollen Beitrag und den Aufruf zur gegenseitigen Wertschätzung. Wie schön wäre es doch, wenn man sich nicht nur innerhalb der Blasmusikszene schätzen würde, sondern wenn auch die ganze Blasmusikszene diese Wertschätzung von Seiten der “echten Symphonieorchesterszene” genießen würde und nicht nur als amateurhaft belächelt würde. Leider beruhen auch meiner Meinung nach viele Einschätzungen auf Unkenntnis oder unreflektierter Weitergabe von (Vor-) Urteilen.

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    • 22. August 2021 at 19:12
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      Hallo Alex,
      ja, “die Blasmusik” ist schon etwas “Besonderes”. Erst gestern konnte ich es live auf einem Konzert mit meinem Musikzug erleben, als eine Zuhörerin zwischen zwei Stücken um eine Visitenkarte bat. Sie würde meine “Blaskappelle” gerne für ein Firmenjubiläum buchen, sie hat ja gar nicht gewusst, was wir für tolle Musik spielen können. Also nicht nur unter uns Musikern “herrscht” eine gewisse Uneinigkeit, was Blasmusik eigentlich alles ist – auch in der Bevölkerung wird Blasmusik sehr oft mit “Uffta Uffta” quasi abgetan. Schade eigentlich. Doch um so mehr freut es (sicherlich nicht nur) mich, dass man das Publikum selbst mit einfachen, modernen Titeln musikalisch überzeugen kann, dass wir eben nicht “nur Blasmusik” machen (können).

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    • Pingback: Alois Schöpf: Wie kann einem diese Musik nur gefallen? - vontutenundblasen...

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