Kevin Houben – Ein belgisches Doppel-Talent
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Es gibt musikalische Ereignisse und Erlebnisse, die mir ein Leben lang in bester Erinnerung bleiben werden. Dazu gehört beispielsweise die Uraufführung von Sinfonica Hungarica von Jan Van der Roost unter seiner Leitung in Budapest im Jahr 2000. Im zweiten Konzertteil wurde The Lord of the Rings von Johan de Meij unter dessen Leitung und mit einem Schauspieler, der aus dem Buch rezitiert hat, aufgeführt. Dann ein Doppelkonzert des Gebirgsmusikkorps der Bundeswehr Garmisch-Partenkirchen und der Militärmusik Tirol beim Bayerischen Landesmusikfest 2005, die mit beeindruckenden 16 Hornisten gemeinsam die Alpina Fanfare von Franco Cesarini gespielt haben. Und dazu gehört auch das Werk Procession to Calvary von Kevin Houben, das mich im Jahr 2009 bei meinem ersten Besuch eines WMC in Kerkrade geflashed hat. Die Harmonie van Peer spielte damals unter der Leitung von Alex Schillings. Seither bin ich Fan der Musik von Kevin Houben; deshalb möchte ich ihn Euch heute näher bringen.
Bei Kevin Houben kann man in der Tat von einem doppelt begabten Menschen sprechen. Eben schon genannte Harmonie van Peer – vielleicht das beste Vereinsorchester in Belgien (ich habe noch nicht alle gehört…) – steht seit 2015 unter seiner Leitung. Der wohl größte Erfolg dieser Verbindung Harmonie van Peer und Kevin Houben ist der Sieg im Jahr 2016 beim Certamen International in Valencia. Mit sagenhaften 392,5 Punkten von 400 glänzten die Belgier bei diesem internationalen, auf höchstem Niveau abgehaltenen, anerkannten Wettbewerb in Spanien.
Kevin ist ein Bürger Peers und wurde dort auch 1977 geboren. Seine Instrumente sind Klavier und Trompete. Beide Instrumente studierte er am berühmten Lemmensinstitut in Leuven, Belgien. Außerdem hat er jeweils einen Master in Hafabra- und Orchesterdirektion. Zusätzlich studierte er noch Komposition bei Jan Van der Roost und Luc Van Hove. Neben seiner Harmonie van Peer dirigiert er projektbezogen Blasorchester und Sinfonieorchester im In- und Ausland. Seine Werke werden mittlerweile weltweit, hauptsächlich in Europa, USA, Australien und Japan sowohl von Profi- als auch Amateurorchestern aufgeführt.
Eines seiner frühen Blasorchesterwerke, Arcana, gehört in Deutschland zu seinen meist gespielten Werken. Nachdem Kevin es im Jahr 2004 komponiert hat, wurde es bereits in den Jahren 2006/2007 Pflichtstück in den Bayerischen Musikverbänden (Höchststufe). Das Fanfareorchester Sint-Jozefs-Gilde aus Mol-Sluis (Belgien) gab ihm im Jahr 2000, damals 23 Jahre alt, mit einem großen Vertrauensvorschuss den Auftrag im Rahmen des 110-jährigen Jubiläums des Vereins. Die Geschichte dieses Vereins ist Inhalt des Werkes. Arcana ist der Plural des lateinischen Wortes arcanum, was auf Deutsch „Geheimnis“ bedeutet. Kevin gewann mit diesem Werk beim zweiten internationalen Kompositionswettbewerb sowohl den Preis Kulturzentrums Comines-Warneton (Region in Belgien), sowie den SABAM-Preis. (Die SABAM ist die belgische GEMA). Einen weiteren Preis hat übrigens die Brass-Band-Fassung von Arcana gewonnen, beim Kompositionswettbewerb der EBBA in Belfast…
Ein weiteres Werk, das in Deutschland oft gespielt und aufgeführt wird ist Call of the Clans. Da es einerseits im Schwierigkeitsgrad 3 gehalten ist und mit den schottischen Klängen den Geschmack vieler Musikerinnen und Musiker trifft, ist Call of the Clans eine gute Empfehlung für sehr viele Orchester.
Ein sehr schwieriges Thema hat er im bereits oben genannten Werk Procession to Calvary vertont: Den Kreuzweg Jesu Christi. Vor Augen hatte er dabei ein sehr berühmtes Bild des Renaissance-Malers Pieter Brueghel (der Ältere), dessen Wurzeln vermutlich – man weiß es nicht 100%ig genau – in der Stadt Peer liegen.
Das Bild „Die Kreuztragung Christi“ aus dem Jahr 1564 zeigt in vielen einzelnen Szenen den letzten Weg Jesu Christi auf den Calvarienberg. Es hängt heute im Kunsthistorischen Museum in Wien.
Kevin Houben gibt in seiner musikalischen Interpretation des Kunstwerks zunächst einen Überblick über das Gemälde. Danach folgt die Entdeckung vieler individueller Szenen. Die musikalische Übersetzung der Buchstaben im Namen Brueghel dient als rhythmisches und melodisches Leitmotiv, während das religiöse Thema in einem Kyrie aus dem gregorianischen Requiem Missa pro defunctis („Messe für die Verstorbenen“) repräsentiert wird. Das Kyrie erscheint mehrere Male als Gegenthema, Hauptthema und Begleitungsthema in verschiedenen Harmonisierungen. Im Schlussteil symbolisieren die sieben Schläge auf den Amboss die Kreuzigung Christi.
Zu Kevin Houbens Meisterwerken (im Grad 6) gehört auch The Lost Labyrinth. Die Geschichte des Auffindens dieses Labyrinths, das nahe der Pyramide in Hawara / Ägypten liegt ist sehr spektakulär.
Nach ersten Entdeckungen von Teilen der Pyramide im Jahr 1839 wurde in den Jahren 1842 bis 1846 bei einer Expedition unter der Federführung von Karl Richard Lepsius eine Dokumentation der Ruinen angefertigt. Er identifizierte auch Überreste eines Labyrinths. Seine Versuche, in das Innere der Pyramide vorzudringen, blieben erfolglos. Ab 1888 führte der englische Archäologe Flinders Petrie umfangreiche Grabungen in Hawara durch. Da der britische Archäologe Flinders Petrie 1888 feststellte, dass vom Labyrinth jenseits der Fundamente nichts mehr übrig sei, seien keine weiteren archäologischen Forschungen durchgeführt worden.
Der flämische Cross-Over-Künstler Louis De Cordier stellte Anfang dieses Jahrhunderts, nachdem im Jahr 2000 belgische Wissenschaftlerinnen der Katholischen Universität in Leuven/Belgien das Gebiet um die Pyramide kartografiert hatten, die Hypothese auf, dass die Fundamente von Petrie das Dach des Labyrinths sein könnten und dass die Struktur unter dem Sand liegen müsse. Louis De Cordier suchte eine enge Zusammenarbeit mit der Universität Gent und finanzierte ein Scan-Projekt in Hawara.
Ein Team von zwanzig Geophysikern hat im Frühjahr 2008 zwei große Zonen mit bis zu fünfzehn Metern Tiefe mit sechs verschiedenen Techniken gescannt. Grundwasser wurde bereits in einer Tiefe von vier Metern gefunden. Ein Meter tiefer liegt das Dach von Petrie. Und darunter das gitterförmige Muster eines riesigen Gebäudes, das sich über mehrere Hektar erstreckt. Es umfasst Hunderte von Räumen von fünf mal fünf Metern, so wie Zellen. Die hohe Dichte der Wände deutet auf Granit hin.
Es wurde auch festgestellt, dass das Labyrinth in einem Winkel zwischen 20 und 25 Grad gegenüber der Pyramide steht, genau wie einst vom altägyptischen Philosophen Herodot beschrieben. Die erhoffte archäologische Fortsetzung der Geschichte ist ein Abstieg in das Labyrinth. Es kann jedoch Jahre dauern, bevor ins Labyrinth hinabgestiegen werden kann, da Tonnen von Sand auf den archäologischen Funde untersucht werden müssen. Aber die Ausgrabungen sind nun in vollem Gange, so dass das Labyrinth tatsächlich in einigen Jahren besichtigt werden kann.
Kevin Houben kam durch den Künstler Louis De Cordier, den er persönlich kennt, zu diesem Thema und wurde durch ihn inspiriert. Er spürt in seinem Werk der beharrlichen Forschung und Suche nach dem Labyrinth nach. Für die musikalische Darstellung der Vergangenheit nutzte er den Psalm 51 „Miserere mei, Deus, secundum magnam mistericordiam tuam“, den Gregorio Allegri vermutlich in den 1630er Jahren à capella vertont hat. Gesungen wird der Psalm im Werk von einer Sopranistin.
https://www.youtube.com/watch?v=-nckfLS6FO4
Das nächste Werk von Kevin, das ich Euch vorstellen möchte, Lake of the Moon (Grad4), ist nicht ganz so schwierig wie Procession to Calvary und The Lost Labyrinth. Die Story hinter dem Werk ist jedoch genau so spannend. Es geht nicht um eventuelle Seen auf dem Mond, sondern um den mittlerweile nahezu ausgetrockneten Texcoco-See im Süden des Tals von Mexiko. Auf weiten Teilen dieses Geländes des ehemaligen Salzsees liegt heute Mexico City. Zur Stadtgründung besagt eine uralte Legende, dass die Azteken ihre ursprüngliche Heimat verlassen haben um einen Platz für einen Neustart zu finden. Ihr Gott Huitzilopochtli sagte ihnen, dass sie nach einem Kaktus Ausschau halten müssen, auf dem ein Adler sitzt, der eine Schlange verschlingt. Sie fanden diesen Kaktus mit dem Adler auf einer kleinen Insel im Texcoco-See.
Dominiert wird die spannende und streckenweise aufregende Musik von Fragmenten südamerikanischer Rhythmen. Die Gefahren der Völkerwanderung werden in der Musik mit bedrohlichen Klängen wiedergegeben. Der letzte Abschnitt reflektiert die Freude der Azteken, als sie ihr Ziel endlich erreicht hatten. Die Legende mit dem Adler, der den Azteken den richtigen Siedlungsplatz auf ihrer Völkerwanderung gezeigt hat, ist heute übrigens in der Flagge Mexicos zu sehen.
Historisch und spannend ist auch die Geschichte, die sich hinter Kevin Houbens Konzertsuite A Viking’s Tale verbirgt. Zu Grunde dieser Suite liegt das Musical „Gelmel, het land van mijn dromen“ (Gelmel, das Land meiner Träume), das Kevin Houben zum 800-jährigen Jubiläums der belgischen Stadt Hoogstraten geschrieben hat. Am Musical-Projekt, das im Jahr 2010 uraufgeführt wurde, arbeiteten insgesamt über 300 Freiwillige mit.
Und das ist die Geschichte: Gelmel war ein Wikinger. Ende des 9. Jahrhunderts segelte er mit seinen Mannen immer wieder die Küste entlang, bis nach Ginhoven (im heutigen Belgien), wo er regelmäßig strandete und die Umgebung plünderte. Eines Tages kam er mit seinen Schiffen zurück. Bei seiner Ankunft kamen mit ihm jedoch keine Räuber und Plünderer von den Schiffen, sondern Frauen und Kinder. Er wollte sich in Ginhoven niederlassen. Der Graf stimmte zu und Gelmel wurde zum Herrn von Zondereigen ernannt. Gelmel ließ eine „Motte“ (= Erdhügel) aufwerfen. Auf dieser Motte wurde eine Burg mit Burggraben errichtet. Am Fuß wurde ein Turm aus Holz mit Palisaden gesetzt. Der Hof um die Motte war auch von einer Holzwand umgeben. Ein Burggraben lief auch darum herum. Die Untergebenen von Gelmel lebten innerhalb dieser Palisaden.
Die Bewohner von Ginhoven und Zondereigen blieben nach der Errichtung der Burg vor weiteren Raubzügen anderer Wikinger fortan verschont. Der Preis der Sicherheit durch Gelmels Burg war für die Bauern jedoch hoch. Sie mussten ihre Freiheit aufgeben. Der Einfluss von Gelmel wuchs. Mit Erfolg zwang er Beatrijs, die Tochter des Herrn von Breda, zu einer Heirat. Der Lord van Weelde war auf Gelmel eifersüchtig und forderte ihn zum Kampf heraus. Gelmel gewann die Schlacht und tötete den Lord van Weelde.
Gelmel ging darauf ins Heilige Land und kehrte nicht zu seiner Frau zurück. Sie blieb in Breda einsam und wartete auf ihren Ehemann. Aber sie hörte nie mehr von ihm.
A Viking’s Tale ist im Schwierigkeitsgrad 4 gehalten und ist in etwa 14 Minuten lang. Ein zentrales Werk für ein Konzert eines Oberstufen-Orchesters also. Und hier könnt Ihr diese musikalische Legende anhören:
Wer nun denkt, Kevin Houben kann nur große, schwierige Werke mit tiefgründigen Geschichten schreiben, hat weit gefehlt. Weiter oben im Text habe ich Call of the Clans erwähnt, unterhaltsam geschrieben im Schwierigkeitsgrad 3. Aber es geht noch einfacher. Eine ganze Reihe von Jugendblasorchester-Werken hat er mittlerweile komponiert. Beispielsweise den Marsch der Murmeltiere (March of the Marmots, Grad 1, vierstimmig variabel) oder Hippo Hop (Grad 2, fünfstimmig variabel), in dem ein Nashorn zu tanzen versucht. In El Toro Amoroso (Grad 1,5, vierstimmig variabel mit optionalem Klavier) geht es um die Abenteuer eines verliebten Stiers. Da alle in der Instrumentierung variabel gehalten sind, eignen sich diese Stücke insbesonders für Jugendkapellen mit unvollständiger Besetzung.
Extra erwähnen möchte ich den Flamingo Rock, der mit kleinen, interessanten Herausforderungen für die jungen MusikerInnen gespickt ist, sowohl in rhythmischer als auch melodischer Hinsicht:
In diesen eher pädagogischen Werken geht es Kevin Houben darum, die Lust am Musizieren zu wecken und zu stärken. Die jungen MusikerInnen sollen mit dieser Musik in erster Linie Spaß haben.
Die Kompositionen von Kevin Houben sind alle professionell eingespielt. Die oben gezeigten Youtube-Videos zeigen exzellente Orchester, für alle, die jedoch gerne ihre Blasorchester-CD-Sammlung um die Werke Kevin Houbens ergänzen möchten, seien die beiden CDs Forgotten World – The Concert Band Music of Kevin Houben und Procession to Calvary – The Music of Kevin Houben empfohlen. Auf diesen CDs sind die bisher wichtigsten Werke von Kevin eingespielt.
Ich selbst bin sehr gespannt, was wir in Zukunft von Kevin Houben noch alles erwarten dürfen. Während Arcana noch sehr von seinem ehemaligen Lehrer Jan Van der Roost inspiriert klingt, hat er mit seinen Folgewerken doch gezeigt, dass er einen ganz eigenen Weg in seinen Kompositionen eingeschlagen hat. Besonders die großen Werke haben das gewisse Etwas, das man wohl den ganz eigenen Stil eines Komponisten nennt. Die Musik seiner großen Werke ist vielleicht manchmal etwas komplex, meiner Meinung nach jedoch lohnt es sich auf jeden Fall, sich damit auseinander zu setzen. Ich bin eindeutig für mehr Kevin Houben auf den Konzertprogrammen der großen Sinfonischen Blasorchester in Deutschland und anderswo. Ich bin sehr sicher, dass ich in Zukunft noch das ein oder andere Mal von seiner Musik beeindruckt sein werde.
©Beitragsbild: Bart Tilmans
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