Blasmusikaspekte: Konzertmoderation
Ein Interview mit Jürgen K. Groh
In der Reihe “Blasmusikaspekte” werden im Interview mit jeweils einer Persönlichkeit ein Teilbereich bzw. ein besonderer Aspekt der Blasmusik bzw. unseres Musikvereinswesen diskutiert. Alle Blasmusikblog-LeserInnen sind eingeladen, sich zum Thema und den Antworten im Kommentarfeld unter dem Beitrag zu äußern! Wir freuen uns auf einen regen Austausch.
Warum braucht ein Konzert überhaupt eine Konzertmoderation bzw. Ansage?
Diese Frage könnte zu einer äußerst facettenreichen Antwort führen, denn es gibt hier eine unendliche Skala zwischen zwei Positionen, nämlich:
- die Musik „spricht für sich selbst“ und darf deshalb auf gar keinen Fall vor ihrer Aufführung „zerredet“ werden. Jede Hörer:in soll aufgrund ihrer eigenen Lebensgeschichte sich auch ihre eigenen Emotionen im hier und jetzt gönnen dürfen und nicht auf irgendeine Art und Weise gelenkt werden
- je mehr jemand vor der Aufführung über die jeweilige Musik weiß, desto tiefgründiger und multidimensionaler wird der Reiz und die Freude daran
Wenn ich also schon viele Informationen über eine bestimmte Musik habe, bin ich in einer gewissen Art und Weise „voreingestellt“ und möglicherweise nicht mehr „wirklich offen“ dem gegenüber, was ich höre.
Andererseits kann diese Voreinstellung Bereiche in mir aktivieren, die sonst brach liegen würden.
Was nun?
Als aktiver Konzertmoderator neige ich, man mag es wohl ahnen, eher der zweiten Position zu, denn sonst würde ich ganz bewusst jede Art von Konzertmoderation ablehnen.
Nun, anscheinend bin ich also auch schon irgendwie „voreingestellt“.
Ich denke, gute Musik zu genießen ist etwas Wunderbares und viel über sie zu wissen, erhöht den Reiz und die Freude daran beträchtlich. Dieses Wissen kann man sich vor dem Konzert anlesen oder manchmal im Programmheft nachschlagen. Wenn es aber während des Konzerts gekonnt serviert wird, steigert es den Wert der Veranstaltung deutlich und macht sie erst richtig rund.
Welche drei Wörter beschreiben die optimale Konzertansage?
Situationsorientiert – Verständlich – Anregend
Wie wird eine Konzertansage für das Publikum spannend?
Indem etwas bereits Bekanntes mit einer geschmacklich wohldosierten Prise Neuem gemixt wird.
Wie sollte eine Konzertmoderation auf keinen Fall sein?
Wie ein abgelesener Wikipedia-Text.
Daten & Fakten: Wie viel darf, wie viel muß, wie viel kann? Und wie lang soll die Ansage eines Konzertstückes jeweils sein?
Es darf nur so viel gesagt werden, wie die Aufmerksamkeitsspanne lang ist und auf gar keinen Fall so viel, dass die Moderation zum Hauptpunkt des Konzerts wird.
Es muss nicht „alles“ gesagt werden, sondern im Wesentlichen das, was eine tiefere emotionale Beteiligung beim Hören des Musikstücks erzeugt. Um es übertrieben theatralisch zu formulieren: „hilfreiche Worte zur Erzeugung eines Gänsehauteffekts“.
Es kann also alles gesagt werden, was die emotionale Intensität steigert.
Bezüglich der zeitlichen Länge einer Moderation hängt es von der Situation im hier und jetzt ab, mit dem Gefühl der Moderator:in, ob die Zuhörer:innen „an den Lippen hängen“, dann kann es auch länger als drei Minuten sein, wobei drei Minuten ein Rahmen ist, um eine erste Orientierung zu bekommen. Zehn Minuten wären deutlich zu lang und 15 Sekunden zu kurz.
Konzertmoderation von der Begrüßung bis zur Verabschiedung: Wie sieht es mit der Dramaturgie aus?
Oft wird die Begrüßung bei Konzerten von offiziellen Vereinsvertreter:innen übernommen, denn das passt z.B. zur Rolle einer 1. Vorsitzenden, denn sie kennt die Ehrengäste und Zuhörer:innen persönlich und hat sie vielleicht auch mit einem Brief, per Telefon oder direkt eingeladen.
Und oft wird zuerst ein Musikstück gespielt und danach startet erst die Moderation.
Die Verabschiedung durch die Moderato:in sollte z.B. vor dem letzten, im Programm verzeichneten Musikstück gemacht werden, damit das Podium für die Zugabe allein dem Orchester mit Dirigent:in gehört. Denn die Musik steht an erster Stelle.
Freie Rede oder abgelesene Sätze?
Die spontane Antwort ist: Freie Rede!
Doch das ist für viele keine „Wohlfühlzone“. Darauf kommt es aber an: auf das „sich wohlfühlen beim Moderieren“! Das ist schnell daher geschrieben und mir ist sehr bewusst, dass das alles andere als leicht ist, und schon gar nicht auf Kommando geht, wie z.B.: „Fühl Dich wohl beim Moderieren!“ Es ist aber ein erstrebenswertes Ziel, weil nur dadurch die Emotionen der Zuhörer:innen von der Moderator:in intensiv gespürt werden können und eine flexible Reaktion z.B. auf das gerade gespielte Musikstück möglich ist.
Der erste Schritt als Moderator:in kann aber durchaus mit festen Karteikarten und gut lesbaren und ausformulierten geschriebenen Texten bestehen, d.h. die ersten Moderationen können sogar vorgelesen werden. Denn selbst langjährige Fernsehprofis wie z.B. Thomas Gottschalk jetzt gerade bei der Jubiläumssendung von „Wetten dass…?, verwenden schön gestylte Karteikarten und moderieren nicht vollständig auswendig.
Denn vergessen sie nicht: allein und ohne Verteidigungsmöglichkeit irgendwo auf offenem Gelände zu stehen und gleichzeitig von einer großen Menge „angestarrt“ zu werden…in solchen Situationen war in den heißen Savannen Afrikas die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, gleich angegriffen und verspeist zu werden.
Deshalb hatten unsere Vorfahren, diejenigen, die überlebten, für solche Situationen eine Angstreaktion entwickelt. Die Verdrahtung unseres Gehirns – dessen Geschichte Jahrtausende älter ist als die Geschichte der Konzertmoderation – macht es unmöglich, sich nicht zu fürchten, wenn man sich in der scheinbar schlimmsten taktischen Situation befindet, in der man überhaupt sein kann. Diese Verdrahtung ist so fundamental, dass sie sich in den ältesten Teilen unseres Gehirns befindet, über die wir nahezu keine Kontrolle haben.
Deshalb braucht es bis zur „freien Rede“ nicht nur viel Vorbereitung sondern auch Übung, Übung, Übung.
Man kann dann bei nachfolgenden Moderationen Schritt für Schritt z.B. nur eines von vielen Konzertstücken nur mit Stichworten auf dem Zettel moderieren usw.
Aber Vorsicht!
Bei geschriebenen Moderationen geschieht es oft, dass man literarisch, also „zum Lesen“ schreibt. Und das ist nicht das, was Redenschreiber:innen machen! Die schreiben nicht zum Lesen, sondern zum Reden. Ein riesiger Unterschied!
Wie bereitest Du Dich auf die Konzertansage vor?
Ich bekomme das Konzertprogramm einige Wochen vorher und beginne dann mit der Recherche zu den einzelnen Kompositionen, schaue mir vorhandene Partituren an, höre mir die Komposition auf einem Tonträger bzw. im Internet an, und gehe mindestens in eine Live-Probe des Orchesters. Die Vorbereitung einer Moderation ist am zeitaufwendigsten und dauert oft viele Stunden und manchmal sogar Tage. Das wird oft nicht wahrgenommen, denn viele glauben: „Der weiß das halt, er ist ja der Moderator.“
Welche Informationsquellen verwendest Du für Deine Konzertansagen?
Wie erwartet: das Internet. Dort gibt es einen „ersten Treffer“ und von dort aus kann man sich „weiterhangeln“ oder, um die Sprache dieses Mediums zu verwenden, den Links folgen.
Aber selbstverständlich auch Partituren, Tonaufnahmen, Bücher, Zeitschriften und die Dirigentin bzw. den Dirigenten der Komposition… oder Orchestermusiker:innen und manchmal auch den Komponisten.
Wie triffst Du in der Konzertansage den richtigen Ton?
Ich versuche, nur Konzertmoderationen zu machen, wo meine „Art und Weise“ passt. Ich bin z.B. für Schlagerfestivals oder Stimmungsveranstaltungen nicht so geeignet, weil mir da die spontanen witzigen Eingebungen fehlen und ich auch nicht der Typ bin, um eine große Gruppe von Menschen zum lustigen Schunkeln zu bewegen.
Deshalb mache ich solche Veranstaltungen erst gar nicht, sortiere also im Vorfeld aus. Den „richtigen Ton“ treffe ich wahrscheinlich nicht immer zu 100%, aber wenn es der überwiegenden Mehrheit gefällt, bin ich zufrieden.
Der Moderator: schmückendes Beiwerk oder Teil eines Konzert-Konzepts?
Als Konzertmoderator empfinde ich mich nicht als schmückendes Beiwerk, sondern als Teil des Konzert-Konzepts, denn man könnte die Moderation ja auch einfach ganz weglassen.
Bei Kompositionen mit Erzähler ist ein Moderator natürlich ganz klar Teil des Konzert-Konzepts, auf jeden Fall dann, wenn er auch in der Rolle des Erzählers auftritt.
Eines ist aber immer ganz wichtig! Die Rolle des Moderators tritt deutlich hinter der Rolle der Dirigent:in und des Orchesters zurücktritt, denn die Moderator:in rollt nur den roten Teppich aus, für die Hauptakteure des Konzerts.
Körperhaltung und Ausstrahlung: Was sind Deine besten Tipps?
Das Thema „Bühnenpräsenz“ und „Charisma“ füllt einige Bücherregale und ist z.B. für Theaterschauspieler:innen ein wesentliches Element ihrer Kunst.
Als Konzertmoderator:in sollte man allerdings nicht zuviel Raum einnehmen, da man nicht der Hauptdarsteller eines Stückes ist sondern eine helfende Hand. Trotz allem steht man auf der Bühne und spricht… ganz allein in einem Raum von vielleicht 500 Menschen.
Deshalb ist eine gerade und aufrechte Haltung wichtig, um seiner Rolle als Herold und damit sozusagen seiner Rolle als Ausrufer und Bote zu entsprechen. Dafür gibt es bewährte Übungen wie Hakenübung (stellen Sie sich vor, ein Kran würde sie an einem Haken auf ihrem Kopf nach oben ziehen) oder Korbübung (stellen Sie sich vor, sie würden einen Obstkorb auf dem Kopf balancieren).
Auch sollte man den Zuschauer:innen in die Augen schauen und langsam und verständlich Artikulieren.
Welche Empfehlungen kannst Du Personen geben, die vor ihrer ersten Konzertansage stehen?
Drei Empfehlungen: Vorbereiten – Vorbereiten – Vorbereiten!
Die Absicht sollte sein, den Stoff so gut zu kennen, dass man sich mit ihm wohlfühlt. Das Ziel soll Selbstvertrauen sein, nicht Perfektion. Wenn die Angst, eine schlechte Moderation zu machen, größer ist, als die, sich ein paar Stunden vorzubereiten und zu üben, ist man für die Vorbereitung und das Üben wie von selbst ausreichend motiviert. Der »innere Schweinehund« ist schon deshalb ganz zahm und fügsam geworden. Ein ganzes Universum aus Ängsten und Fehlern verschwindet nämlich ganz einfach, wenn man sich auf seine Vorbereitung verlassen kann
Mein Credo ist: »Es gibt jedesmal vier Versionen einer Moderation:
- diejenige, die Sie gehalten haben
- diejenige, die Sie vorbereitet haben
- diejenige, die laut Publikum gehalten wurde
- diejenige, die Sie im Nachhinein gern gehalten hätten
Wie siehst Du selbst Deine Rolle als Ansager / Moderator von Konzerten? Was ist Dein Selbstverständnis?
Der Moderator rollt den roten Teppich aus, macht neugierig auf die nächste Komposition und schafft mit Worten eine positiv knisternde Atmosphäre.
Vita Jürgen K. Groh
Jürgen K. Groh wurde 1958 in Offenbach a.M. geboren, machte mit 22 Jahren die C-Schein Prüfungen bei Wolfgang Suppan, war Teilnehmer des B-Kurses in Trossingen bei u.a. Felix Hauswirth und Michael Stecher und hat eine musikalische Studienarbeit in Darmstadt mit dem Titel „Computerimprovisation mit Markoffketten und kognitiven Algorithmen“ und eine Masterarbeit zum Master of Arts in Kaiserslautern mit dem Titel „Gruppenorientierte ermöglichungsdidaktische Einführung in die Jazzimprovisation für klassisch ausgebildete erwachsene Musiker/innen“, geschrieben.
Er ist Vizepräsident der Deutschen WASBE Sektion und Autor für verschiedene Fachzeitschriften. Seit mehr als 25 Jahren ist er Dirigent (Jugendorchester/Konzertorchester) im Bereich der Bläsermusik, spielt in einer Jazz-Big-Band Saxofon und Flöte und ist ein gefragter Moderator für Chor-, Big-Band- und Bläserkonzerte. Er schrieb auch die sechsteilige CLARINO Artikelserie „Kunst oder Handwerk? – Konzepte zur Musikvermittlung und Konzertpädagogik“.
Mehr Infos: www.juergenkgroh.de
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