Blasmusikaspekte: Vom Lob des Musikanten – Sinnerfülltes Amateurmusizieren

Ein Interview mit dem Dirigenten Norman Grüneberg

In der neuen Reihe “Blasmusikaspekte” werden im Interview mit jeweils einem Dirigenten / einer Dirigentin ein Teilbereich bzw. ein besonderer Aspekt der Blasmusik bzw. unseres Musikvereinswesen diskutiert. Alle Blasmusikblog-LeserInnen sind eingeladen, sich zum Thema und den Antworten im Kommentarfeld unter dem Beitrag zu äußern! Wir freuen uns auf einen regen Austausch.

Vorwort von Norman Grüneberg zum Interview:

“Wie alle Menschen betrachte auch ich die Welt um mich herum, den Familienkreis und das musikalische Leben aktuell durch die “Corona”-Brille.

Dadurch ändern sich auch Perspektiven, die es notwendig machen, zumindest einen ante-Zustand und aktuell einen peri-Zustand zu definieren. Die Möglichkeit eines post-Zustandes bedürfte prophetischer Fähigkeiten, die ich mir nicht anmaße.

Der ante-Zustand ist das ehedem entstandene Interview für die Zeitschrift Eurowins. Die Perpektiven des peri-Zustandes sind, wenn nötig, gesperrt gedruckt.”

Welchen Sinn und Zweck haben Blasorchester bzw. Musikvereine?

Norman Grüneberg: “Zuallererst einen musikausübenden Zweck: wir sollten uns das auch immer wieder klarmachen. Das instrumentale Amateurmusizieren steht seit 2016 auf der Liste der deutschen UNESCO Kommission für das Immaterielle Kulturerbe. Dann (und erst dann!) kommt ein sozialer Zweck: gemeinsames Musizieren führt zu gemeinschaftlichen Handlungen, es knüpft und verstärkt soziale Bindungen. Hier sollte man aber nicht Ursache und Wirkung verwechseln.

Wenn ich in diesen Wochen die nicht nur wirtschaftlich existenzielle Notwendigkeit der Musik durchdenke, bleibt der Grundgedanke. Die Notwendigkeit gemeinsamer Kulturausübung als menschenwürdige Seins-Bestätigung zu beschreiben, scheint hier nicht übertrieben.”

Wann hattest Du das letzte Mal „Spaß“ in der Probe? Und wann hatten Deine MusikerInnen im Symphonischen Blasorchester Leipzig das letzte Mal Spaß in der Probe?

Norman Grüneberg: “Ich habe an jeder Probe Spaß, in der unabhängig vom Repertoire neugierig, leistungsbereit und freudig musiziert wird. Im SBO Leipzig arbeiten wir gerade an einem Disney-Programm, ein langjähriger Wunsch von mir, der aus meiner Studienzeit in Schweden herrührt. Das bedeutet also, dass wir aktuell in nahezu jeder Probe große Gefühle und auch jede Menge Spaß haben im Disney-Universum.”

In wie fern schließen sich die Professionalisierung in der Blasorchesterszene und die reine Freizeitgestaltung mit Musik gegenseitig aus?

Norman Grüneberg: “Ich finde, überhaupt nicht. Gerade Orchester der unteren Leistungsstufen, in denen der Gedanke der “reinen Freizeitgestaltung” ja am höchsten ist, brauchten eigentlich die besten Dirigenten, vor allem in pädagogischer Hinsicht. Nicht um zu bekehren, sondern um bestmöglichen Umgang mit Musik zu ermöglichen. Die angesprochene Professionalisierung ist meiner Meinung nach keine neue Erscheinung. Dirigenten und Musikpädagogen wurden schon immer ausgebildet und haben den Weg auch ins Amateurmusizieren gefunden. Man muss das weder verordnen noch allzu vehement fordern – es ist eine natürliche Entwicklung, dass zusammenfindet, was zusammengehört. Ich vergleich ungern die Amateurmusik mit dem Amateursport aber hier wie dort ist professionelle Anleitung sinnvoll.

Auch jetzt dürfen wir bei aller Freude an überhaupt irgendeinem gemeinsamen musikalischen Tun den Anspruch unserer kulturellen Gemeinschaft nicht hintanstellen. Jede Challenge stärkt das Gefühl, in dem Verein, dem Orchester oder dem Chor aus einem Wert an sich heraus tätig zu sein, der gleichzeitig einen qualitativen Anspruch nicht nur an sich selbst hat. Aber niveauvolles Musizieren bleibt unser Hauptziel.”

„Das ist schließlich nur mein Hobby“ – wie begegnest Du diesem Satz eines „durchschnittlichen“ Amateurmusikers und wie bringst Du ihn trotzdem zum Üben?

Norman Grüneberg: “Im neuen Leipziger Gewandhaus befindet sich an der Orgelempore das stilisierte Seneca-Wort RES SEVERA VERUM GAUDIUM – grob übersetzt “Die wahre Freude ist eine ernste Sache”. Was dem ersten bürgerlichen Orchester Deutschlands seit mehr als 200 Jahren als Wahlspruch dient, kann einem Amateurmusiker nur recht und billig sein. Gärtnern ist auch ein schönes Hobby – wenn man es aber nicht richtig anstellt, erfrieren die Rosen, geht der Wein ein oder der Rasen verbrennt…”

In wie fern fördern Wettbewerbe und Wertungsspiele den sozialen Zusammenhalt im Orchester, wo siehst Du die Gefahren für die Gemeinschaft und wie kann aus Wettbewerben und Wertungsspielen Motivation für die Zukunft gezogen werden?

Norman Grüneberg: “In großen Abständen können Wettbewerbe für die Motivation eines Orchesters sinnvoll sein, die Teilnahme sollte aber wohlüberlegt, gründlich und langfristig vorbereitet sein. Im Großen und Ganzen stehe ich dem musikalischen Wettbewerbswesen allerdings kritisch gegenüber. Allzu sportiv ausgetragene, regelmäßige Veranstaltungen dieser Art lehne ich sogar aus tiefster Überzeugung ab – sie bilden meiner Meinung nach das innere Wesen der Musik als zeitlose Wesensäußerung nicht ab.

Wann wurde das deutlicher als momentan? Leistung immer und auf hohem Niveau, aber intrinsisch motiviert durch den Dienst an der Musik, nicht die Aussicht auf einen Pokal oder das wissen, sich als der Sieger bezeichnen zu können. Was im Sport wesensimmanent ist, sieht man vom Aspekt der reinen Gesundheitserhaltung ab, gebührt der Kunst nicht. Nicht, weil sie besser sei als der Sport, sondern anders. Welche langweilige Welt, in der die besten Errungenschaften der Menschheit – die Kunst und der Sport gehören dazu – als gleichartig begriffen werden oder gar ökonomisch bewertet sind.

Musik pädagogisch zu bewerten ist gleichwohl ein notwendiger und sinnvoller Ansatz. So stellt die regelmäßige Teilnahme an Wertungsspielen ein probates Mittel der kontinuierlichen Orchesterarbeit. Sie sollten auch nomenklatorisch streng von Wettbewerben getrennt werden und auch der Grundgedanke ist ein anderer: ein Wertungsspiel kann man beispielsweise nicht gewinnen aber mit einem Wertungsspiel kann man nur gewinnen.”

Worin siehst Du allgemein gesehen die Ziele eines Amateur-Blasorchesters bzw. eines Musikvereins und in wie fern lassen sich diese Ziele mit den Zielen eines Dirigenten vereinbaren?

Norman Grüneberg: “Ich unterscheide bei einer solchen Zieldefinition nicht innerhalb der verschiedenen Besetzungsformen. Natürlich weiß ich, dass gerade die Blasmusik in einem anderen Umfeld als beispielsweise die Chor- oder Orchestermusik entstanden ist. Dennoch glaube ich, dass Gott sei Dank diese systemischen Trennungen allmählich überwunden sind. Ich betrachte es also gewissermaßen als ein demokratisches Grundrecht, sich die Art und Weise der Ausübung eines Hobbys individuell auswählen zu können. Das gilt für beide “Seiten” – eine Dirigentin kann sich entsprechend ihrer Ziele ein Orchester wählen so wie ein Musiker in einem Orchester spielen kann, das seinen Vorstellungen entspricht.

Vom althergebrachten Verdikt der Orchestererziehung hin zu einem dirigentengewollten Ziel oder gar mehreren Zielen halte ich daher wenig. Die Welt ist groß genug, um mit Gleichgesinnten ein Hobby ausüben zu können.”

„Die MusikerInnen sind zufrieden, wenn der Dirigent zufrieden ist“ – Wie stehst Du zu dieser Aussage?

Norman Grüneberg: “Das ist ein typischer Satz der autoritären Dirigentenschule. Ich bin immer wieder erstaunt und mitunter sogar befremdet, wie junge Menschen sich diese Form der Unterordnung wünschen können, bei denen eigene Interessen und Bedürfnisse nichts oder wenig gelten. Das möchte ich ausdrücklich für den Amateurbereich verstanden wissen und das hat auch nichts mit dem Interpretationsrecht des Dirigenten zu tun. In der Berufsmusik ist die Machtverteilung unter Berücksichtigung aller gewerkschaftlichen Musikerrechte natürlich klar.”

Welchen Einfluss hat die Programmauswahl auf die Zufriedenheit der Musikerinnen und Musiker im Orchester oder anders gefragt, wann machen Blasorchesterwerke besonders viel Spaß?

Norman Grüneberg: “Ein Orchester besteht im Idealfall aus unterschiedlichen Typen, die ein harmonisches Ganzes entstehen lassen. Insofern gibt es da auch verschiedene Ansichten. Ich stelle meine Konzertideen immer 1-2 Jahre im Voraus den Stimmführern vor, die dann in den Registern und Satzgruppen besprochen werden. Wie im Berufsleben müssen gar nicht so sehr die Musikerinnen von Konzepten überzeugt werden, sondern Vorstände – insbesondere Schatzmeister.”

Unterfordern, fordern, überfordern: Was ist bei der Literaturauswahl angebracht, was nicht?

Norman Grüneberg: “Hier würde ich ironiefrei ein Loblied der Mitte anstimmen: Unterforderung kann zu Langeweile führen, gewöhnliche Forderung zu Stagnation und Überforderung zu Frustration. In einem gesunden Maß dosiert – gerade auch in Konzertprogrammen – führt wohl ein Mittelweg am besten zum Ziel.”

Wann ist für Dich ein Konzertprogramm gelungen bzw. wann sprichst Du selbst von einem durchweg erfolgreichen Konzert?

Norman Grüneberg: “Wenn eine spannende, auch unterhaltsame Geschichte erzählt wird, gewissermaßen ein roter Faden erkennbar oder darstellbar ist. Das muss keine belletristische Show sein und mitunter findet man auch über das Material zur Idee.

Erfolgreich ist ein Konzert für mich, wenn absolute Spielfreude auf der einen Seite der Bühne und  weitgehender Hörgenuss auf der anderen Seite stattfindet.

Und das sollte auch in einer Post-Coronawelt mit weniger aber noch intensiverem Publikum möglich sein.”

Wie sehen dies die MusikerInnen in Deinem Orchester?

Norman Grüneberg: “Orchesterführung besteht auch in der Kunst, die Musiker Dinge tun und spielen zu lassen, von denen sie bis dahin noch nicht einmal wussten, dass sie sie mögen oder ablehnen können.”

Worin siehst Du den Sinn in sogenannten „pädagogischen“ Werken für Blasorchester? Wann ist ein Werk für die Entwicklung des Orchesters wirklich wertvoll?

Norman Grüneberg: “Mitunter habe ich – wie in der allgemeinen Pädagogik – den Eindruck, dass alle paar Jahre jemand Neues auf einen scheinbar umwälzenden Gedanken komt, der aber bei näherer Betrachtung nur eine Neudefinition bewährter Modelle mit individueller Schwerpunktgewichtung ist. In der Schulpädagogik tun wir das seit Jahrhunderten mit immer neuen Interpretationen des Grundgedanken Pestalozzis. In der Musik ist das nicht anders. Insofern stehe ich sog. “edukativer Musik” bei Weilen kritisch gegenüber. Es mag konservativ klingen aber es gibt kaum einen Aspekt, den man bei einem Bach-Choral, einer Gabrieli-Canzone oder irgendeiner tänzerischen Renaissancemusik nicht “üben” könnte.”

Wie gestaltest Du den Anfang und die Einspielphase einer Probe und welchen Einfluss haben die ersten 15 Minuten auf den weiteren Verlauf der Probe?

Norman Grüneberg: “Das hängt von der Art des Orchesters und der Zieldefinition der Probe bzw. der aktuellen Phase ab, in der man sich bei der jeweiligen Orchesterarbeit befindet. Bei fortgeschrittenen Orchestern delegiere ich das Einspielen in die individuelle Vorbereitungszeit und beginne die Arbeit am Repertoire sofort. Bei anderen Ensembles versuche in, Notwendigkeiten der zu probenden Werke in eine Einspielphase zu integrieren – es gibt da aber kein Geheimrezept oder gar eine universelle Herangehensweise.

Basics sind immer wieder wichtig, können aber an nahezu jeder Stelle der Probenliteratur bearbeitet werden.”

In Schwaben heißt es „Nichts gesagt ist genug gelobt“. Wie sagt man in Sachsen?

Norman Grüneberg: “Nicht gemeckert ist gelobt genug.

Oder: Das war kein Lob, sondern eine Feststellung.

Der Deutsche scheint es generell gerne grummelig zu mögen, vielleicht rührt daher unsere Vorliebe für den bassfundierten romantischen Ton ;o)”

„Der Applaus ist der Lohn für das Orchester“ – wann fühlen sich Deine MusikerInnen besonders belohnt, und wann Du selbst?

Norman Grüneberg: “Das reicht vom mit den Tränen kämpfenden Großmütterchen bis zum anerkennenden Schulterklopfen von Kollegen.

Ich selbst bin immer dann zufrieden, wenn ich das Gefühl habe, dass mithilfe des Kopfes aber vor allem mit dem Herzen musiziert worden ist und der musikalische Grundgedanke gewahrt blieb. Insofern bin ich lieber der ehrliche Musikant als der effekthaschende Musiker.”

Vita Norman Grüneberg

Norman Grüneberg ©Ludwig Angehöfer
Norman Grüneberg (©Ludwig Angehöfer)

Der gebürtige Zwickauer erhielt bereits mit 7 Jahren ersten Unterricht am Klavier. An der heimischen Musikschule im Erzgebirge wurde er in den Fächern Euphonium, Posaune und Harmonielehre unterrichtet. Seit früher Jugend musizierte er im sinfonischen Blasorchester seiner Heimatstadt Thum. Außerdem war er Gründungsmitglied des Jungen Bläserphilharmonie Sachsen.

Ersten Dirigierunterricht erhielt der junge Musiker von Heiko Schulze (Bläserakademie Sachsen) und Jochen Wehner (Sächsische Bläserphilharmonie/Rundfunk-Blasorchester Leipzig).Nach dem Abitur studierte er Musik und Geschichte für das Gymnasiallehramt an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Dort gründete er die erfolgreiche Universitätsbigband und Kammermusikensembles. Zeitgleich nahm er ein Studium an der Musikhochschule Malmö/Schweden auf, wo er Blasorchesterleitung bei Andreas Hanson (Marines Musikkar) und Hakan Hardenberger, Euphonium bei Leif Bengtson und Tonsatz bei Lars Flink studierte. Zahlreiche Workshops und Meisterkurse, u.a. bei Herbert Blomstedt (Kopenhagen), Johann Mösenbichler (Linz), Walter Ratzek (Berlin),  Peter Vierneisel (Potsdam), Jiggs Whigham (Köln) und Nils Landgren (Malmö) prägten sein musikalisches Wirken.

Norman Grüneberg ist tätig als Leiter von Blasorchestern und Jazzensembles. So führte er u.a. das von ihm seit 2013 geleitete Symphonische Blasorchester Leipzig im Internationalen Blasorchester Wettbewerb Prag 2017 in die Spitzengruppe des Festivals. Außerdem gibt er sein Wissen in Workshops und Orchesterschulungen weiter.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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