Buch-Empfehlungen von DirigentInnen für DirigentInnen – Teil 1

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“Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune”. Dank diesem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe kann ich die Einleitung zu diesem Blogbeitrag sehr kurz halten.

In insgesamt zwei Teilen stellen 7 DirigentInnen jeweils ein Buch für DirigentInnen vor.

Frank L. Battisti, On becoming a Conductor

Empfohlen von Andreas Weller

Battisti, On becoming a conductor

“Bücher für Dirigenten gibt es wie Sand am Meer und gerade im deutschsprachigen Raum sind die „Klassiker“ allgegenwärtig und werden bei den Dirigierkursen als Literatur eingesetzt. Doch oftmals geht es sehr stark um technisch-handwerkliche Fähigkeiten. Doch getreu dem Motto, dass man Dirigieren zwar als Handwerk erlernen kann, jedoch auch eine charakterliche Eignung der Person gegeben sein sollte, lohnt sich ein Blick nach Amerika. Natürlich ist es evtl. etwas unbequemer ein englischsprachiges Buch zu lesen, aber ein Fachbuch liest man anders als einen Roman ja nicht mit fortlaufender Handlung von vorne nach hinten durch. Viel mehr dient es als Nachschlagewerk und Ideengeber. Frank L. Battisti, der Autor von On becoming a Conductor, ist Dozent für Wind Band Conducting am Konservatorium in New England. Er gliedert sein Buch in sieben Abschnitte mit insgesamt 21 Kapiteln, in denen er persönliche und charakterliche Eigenschaften eines Dirigenten, Hinweise zur Realisierung von Musik und zur Probengestaltung bei Amateur- und Profiorchestern und der Rolle des Dirigenten als Musiklehrer und -erzieher darstellt.

Natürlich ist das amerikanische Band-System nicht mit den europäischen Organisationsstrukturen der meisten Vereine vergleichbar. Dennoch fand ich diese neue Sicht auf Orchesterarbeit sehr spannend, da sich mit leichten Anpassungen sicherlich viele Dinge auch in deutschen Orchestern umsetzen lassen. Gerade die organisatorischen Hinweise zum Aufbau einer einzelnen Probe aber auch einer Probephase haben mir bei der Strukturierung der Orchesterarbeit sehr geholfen. Die einzelnen musikalischen Parameter eines Stückes wie Rhythmus, Intonation, Balance etc. Sind jedem Dirigenten geläufig. Aber wie ich diese im Laufe der Probephase gezielt vorantreibe und fokussiere unter in beschränkter Probezeit ein Stück effektiv vorantreibe war doch sehr informativ. Auch die Ausführungen zur Einstellung des Dirigenten zur Musik, dem Komponisten und der Realisierung des Werkes durch Umsetzung der Partitur waren sehr inspirierend.

Außerdem hat das Buch ein recht umfangreiches Literatur- und Quellenverzeichnis, sodass die Wunschliste zur Erweiterung meiner musikalischen Bibliothek weiterhin gut gefüllt bleibt.

Thomas Doss, Dimensionen der Ensembleleitung

Empfohlen von Christian Weng

Christian Weng
Christian Weng

Christian Wenig ist Schulleiter der Bläserschule Mindeltal und Dirigent der dortigen Ensembles. Im Allgäu-Schwäbischen Musikbund ist er als Bezirksdirigent des Bezirks 12-Günzburg tätig. Er dirigiere u.a. das Bezirksjugendorchester Günzburg und den BMV Jettingen. Darüber hinaus ist Christian Weng als Juror und Wertungsrichter unterwegs. https://www.christian-weng.de/

Inhaltsübersicht

Dimensionen der Ensembleleitung

Thomas Doss (*1966) zeigt in Dimensionen der Ensembleleitung einen ganzheitlichen Zugang zum Themenfeld Dirigieren auf. In seinem Vorgehen folgt er bei der Kapitelnummerierung der Sonatensatzform und stellt nach einer kurzen Einleitung (Intrada und Ouverture) in der Exposition grundlegende Begriffe und Schlagmuster vor. Zusätzlich thematisiert Doss zahlreiche praktische Themenfelder, wie Handhaltung, Einsätze, Tonführung, Auftakte, Tempo & Metrik, Unabhängigkeitsübungen, Fermaten, und vieles mehr.
Im Kapitel Durchführung bietet er anschließend zahlreiche Übungen und Beispiele an, die praktisch durchgeführt und erprobt werden können. Durch die vielfältigen Aufgabentypen  und zahlreichen Möglichkeiten verschiedene Stile und Gestaltungsmöglichkeiten in kurzen – zumeist zwei- bis vierzeiligen – Übungen kennenzulernen, motiviert das Werk fast „Workbook-artig“  zum Weitermachen und Ausprobieren. Dabei stuft Doss selbst vorab die Übungen in verschiedene Schwierigkeitsstufen ein, um je nach Erfahrungslevel der Übenden positive Einstiegserlebnisse zu ermöglichen. Dadurch ist das Werk Dimensionen der Ensembleleitung für jede Art der Zugangsweise und Kenntnisstand geeignet. Sei es in Kursen/Workshops, im Gruppenunterricht oder der intensiven Beschäftigung im Einzelunterricht.
In der Coda schließt Doss sein Werk mit dem Hinweis, dass das vorliegende Werk eine Hilfestellung sei, „sich das technische Rüstzeug der Schlagtechnik sowie die Dirigiertechnik in ihrer Vielschichtigkeit anzueignen, ohne letztendlich die Entwicklung eines persönlichen Dirigierstils zu unterdrücken.“ (Doss 2009, S. 110)

Mehrdimensionalität als Konzept

Musik selbst existiert nur mehrdimensional. Die verschiedenen Dimensionen des Musizierens sind immer voneinander abhängig und ermöglichen dem Musiker eine emotionale Beeinflussung des Hörers. (Tempo/Zeit, Rhythmus/Harmonik, Dynamik/Klang, Emotionen)

Daher muss auch die Dirigiertechnik mehrdimensional sein, es „synergieren Phänomene wie Atem, Klangvorstellung, Mimik und Gestik zu einem funktionierenden, suggestiven Werkzeug“. (Doss 2009, S. 7)

Für mich ist an diesem Werk der vielschichtige, ganzheitliche Zugang besonders. Bereits im Titel ist erkennbar, dass es sich bei diesem Text nicht um einen klassischen Ratgeber zu Schlagtechnik oder Analyse handelt. Vielmehr geht es Doss darum, bewusst zu machen, um was es beim Zugang zum Themenfeld Dirigieren oft zu wenig geht: Vermittlungsprozesse, Kommunikation und Empathie

„Es sollte letztendlich nur um Eines gehen: gute Musik zu machen und Freude an der Musik zu vermitteln – wer berührt, hat Recht!“ (Doss 2009, S. 6)

Persönlichkeitskreis
Persönlichkeitskreis mit freundlicher Genehmigung ©Mitropa Musik AG

Dabei sollte aber keinesfalls das technische Rüstzeug fehlen, das als Grundlage für eine dirigentische Tätigkeit unbedingt notwendig ist. Dies vermittelt er in Übungen und Erklärungen in den Kapiteln Exposition und Durchführung.

Auch die kommunikativen Aspekte zwischen Dirigent und Musiker, sowie verschiedene Einflussfaktoren auf Wahrnehmung und Erleben greift Doss auf. Zahlreiche Hinweise auf die Gegenseitigkeit und Emotionalität des Musizierens lassen den*die Leser*in an diesen Gedankengängen teilhaben. So zum Beispiel auf Seite 9:

Mensch und Musik brauchen Emotionen.

Ein kleines Lächeln und ein offenes Gesicht sind besser als eine ewig versteinerte Miene.

Hinter jedem Pult sitzt ein Mensch, nicht nur ein Instrument.

Ein Spieler gibt nicht das, was er muss, sondern das, was er geben will. Dafür muss ich ihm auch etwas geben: Verstand, Aufmerksamkeit, Herz.

So logisch diese Impulse einzeln und in Ruhe betrachtet klingen, so oft werden sie im „Probenstress“ vergessen/vernachlässigt. Durch gezielte Vorbereitung nicht nur im musikalischen, sondern vor allem auch im mentalen Bereich, kann dieser Stress und eventuell daraus resultierende Negativerfahrungen vermieden werden.

Praktische Übungen

Metrische Übung Seite 43
Metrische Übung Seite 43. Mit freundlicher Genehmigung Mitropa Musik AG

Die praktischen Übungsangebote sind ebenso mehrdimensional, wie die vorhergehenden Überlegungen. Sie bestehen aus rhythmischen Übungen (die zugleich oft der Unabhängigkeitsverbesserung dienen), Übungen zu verschiedenen Einsätzen der beiden Hände,  Auftakt- und Dynamikübungen, komplexen Etüden und vielem mehr.
Die Fermaten- und Vortragsübungen in der Durchführung erinnern an die bekannten Kuijpers Etüden und bieten die Möglichkeit, auf kleinem Raum vielen dirigierpraktischen Problemstellungen zu begegnen und sich verschiedene Lösungsstrategien auszudenken. So kann ein spielerischer Zugang zu komplexen Herausforderungen gefunden werden.

Neben diesen technischen Übungen verweist Doss immer wieder darauf, dass erst die praktische Tätigkeit eine Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Dirigieren abrundet:

„Die Arbeit mit einem Ensemble macht den Lernprozess erst komplett! Aus diesem Grund sollte von Anfang an jede Gelegenheit zur Arbeit mit einem Ensemble genutzt werden.“ (Doss 2009, S. 7)

Übung Seite 90
Übung Seite 90. Mit freundlicher Genehmigung ©Mitropa Musik AG

Schlussbemerkung

Die Dimensionen der Ensembleleitung von Thomas Doss eignen sich sehr gut für einen umfassenden Einblick in die verschiedenen Gedankengänge und Übungen auf dem Weg zum Dirigieren. Durch die nach Schwierigkeitsgrad aufbereiteten Übungen und die Impulse zum emotional/kommunikativen Wirkungsfeld rund um das Thema Dirigieren, ist für jede Erfahrungsstufe ein geeigneter Zugang möglich. So nutze auch ich im Unterricht – egal ob in Workshops oder im Einzelunterricht – immer wieder gerne dieses Werk.

 „Oberstes Ziel eines Dirigenten sollte immer sein, sein Ensemble so weit vorzubereiten, dass es nicht mehr dirigiert werden muss. Sobald das Ensemble dieses Stadium erreicht hat, muss er es nur mehr zum Musizieren inspirieren.“ (Doss 2009, S. 6)

Nikolaus Harnoncourt, Musik als Klangrede

Wege zu einem neuen Musikverständnis

Empfohlen von Michael Schönstein

Michael Schönstein
Michael Schönstein

Michael Schönstein ist Dirigent der Orchestergemeinschaft Seepark in Freiburg. Zur Zeit absolviert er den Privatstudiengang Metafoor an der BDB-Musikakademie in Staufen bei Alex Schillings. Beim BDB – Bund Deutscher Blasmusikverbände – ist er Pressebeauftragter.

“Der österreichische Dirigent Nikolaus Harnoncourt (*1929 – † 2016) beschreibt in seinem Buch Musik als Klangrede die Ideen und Prinzipien der von ihm realisierten Art zu Musizieren. Er legt dabei seinen Fokus deutlich auf die moderne Interpretation der alten Musik und deren Meisterwerke. Dabei hinterfragt er sinntreffend die notwendigen Einflussfaktoren für eine stilsichere oder eben neu betrachtete Aufführungspraxis der Musik. Harnoncourt stellt das gegenwärtige Musikleben intensiv auf den Prüfstand: Er mahnt vor kultureller Leere und empfiehlt die Rückbesinnung auf verstehendes Hören. Er will den Leser verstehen lassen bzw. ihn dazu anleiten, sich mit der Alten Musik, ihrer Spielweise und ihren Instrumenten auseinander zu setzen. Denn genau darin, sieht Harnoncourt ein großes Füllhorn an Impulsen für die heutige Musikpraxis. Das Buch Musik als Klangrede wird beschrieben als “Sammlung von Aufsätzen, Vorträgen und Vorlesungen”, was sich für den Leser aber durch den sehr flüssigen Schreibstil und die fortlaufenden Zusammenhänge keinesfalls wie eine Sammlung erlebt. Es macht sehr viel Spaß das Buch zu lesen und diese Betrachtungs-Reise mit zu verfolgen.

die Ideen und Prinzipien der von ihm realisierten Art zu Musizieren. Er legt dabei seinen Fokus deutlich auf die moderne Interpretation der alten Musik und deren Meisterwerke. Dabei hinterfragt er sinntreffend die notwendigen Einflussfaktoren für eine stilsichere oder eben neu betrachtete Aufführungspraxis der Musik.Harnoncourt stellt das gegenwärtige Musikleben intensiv auf den Prüfstand: Er mahnt vor kultureller Leere und empfiehlt die Rückbesinnung auf verstehendes Hören. Er will den Leser verstehen lassen bzw. ihn dazu anleiten, sich mit der Alten Musik, ihrer Spielweise und ihren Instrumenten auseinander zu setzen. Denn genau darin, sieht Harnoncourt ein großes Füllhorn an Impulsen für die heutige Musikpraxis. Das Buch Musik als Klangrede wird beschrieben als “Sammlung von Aufsätzen, Vorträgen und Vorlesungen”, was sich für den Leser aber durch den sehr flüssigen Schreibstil und die fortlaufenden Zusammenhänge keinesfalls wie eine Sammlung erlebt. Es macht sehr viel Spaß das Buch zu lesen und diese Betrachtungs-Reise mit zu verfolgen.

Zitat aus dem Buch:

„So befinden wir uns heute also in einer nahezu ausweglosen Lage, wenn wir noch immer an die verändernde Kraft und Macht der Musik glauben und sehen müssen, daß die allgemeine geistige Situation unserer Zeit die Musik von ihrer zentralen Position an den Rand gedrängt hat – vom Bewegenden zum Hübschen. Wir können uns aber damit nicht abfinden, ja, wenn ich sehen müßte, daß das die unwiderrufliche Situation unserer Kunst ist, würde ich sofort aufhören, Musik zu machen.“

Erschienen: 1. Januar 2001

Rezension: Michael Schönstein (www.michael-schoenstein.com)

Herzlichen Dank an Andreas Weller, Christian Weng und Michael Schönstein für ihre Beiträge. Im zweiten Teil werden Sonja Schleich, Sven Drui, Peter Pfeiffer und Rafael Camartin ihre favorisierten Bücher für DirigentInnen vorstellen.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    2 thoughts on “Buch-Empfehlungen von DirigentInnen für DirigentInnen – Teil 1

    • 24. Februar 2019 at 20:58
      Permalink

      In seiner Musiklehre „Die Musikkunde neu denken“ greift Michael Stecher zwar auf viel bestehende Literatur zurück; seine Darstellung der Zusammenhänge sind aber äußerst lesenswert und kann ich jedem Dirigenten empfehlen!

      Reply
      • 25. Februar 2019 at 9:41
        Permalink

        Hallo Dorian, vielen Dank für Deine Anregung! Viele Grüße Alexandra

        Reply

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