KomponistenSinfonischWerke

In Memoriam Pavel Staněk

Eben erreichte mich die Nachricht, dass der tschechische Komponist Pavel Staněk am Mittwoch, 5. März 2025, im Alter von 97 Jahren verstorben ist. Wir haben ihm viel schöne Musik, die vorwiegend im Rundel-Musikverlag erschienen ist, zu verdanken. Möge er in Frieden ruhen.

Im Jahr 2017 habe ich mit Pavel Staněk ein Interview geführt, das ich (unverzeihlicherweise) nie veröffentlicht habe. Den heutigen Tag möchte ich zum Anlass nehmen, dies nachzuholen.

Komponisten im Gespräch: 15 Fragen an Pavel Staněk

Wie alt waren Sie, als Sie Ihre ersten Versuche im Arrangieren bzw. Komponieren gestartet haben, welche waren Ihre allerersten Werke bzw. Kompositionsversuche und wie sind Sie überhaupt zum Komponieren gekommen?

“Soweit ich mich erinnern kann, habe ich mit fünfzehn Haydns Klaviersonaten für Geige und Gitarre arrangiert, um sie mit meiner Cousine spielen zu können. In diese Zeit fallen auch meine ersten Kompositionsversuche. Ich erinnere mich, dass ich für meine erste Liebe ein kleines Stück für Klavier komponiert habe und sie hat es dann gespielt – wie romantisch!”

Wie gehen Sie an eine neue Komposition heran? Was inspiriert Sie? Wie finden Sie den Anfang und die entsprechenden Motive und Themen?

“Ich habe meist kurze Pop-Stücke in einfachen Formen geschrieben, die Themen kamen von selbst, über das Komponieren habe ich nicht nachgedacht. Es war spontan und emotional. Erst später, als ich bemüht war, umfangreichere Kompositionen zu schreiben, habe ich auch den Verstand benutzt.”

Haben Sie Vorbilder, und wenn ja, warum sind dies Ihre Vorbilder? Wie beeinflussen  diese Vorbilder Ihr musikalisches Schaffen? Welches Werk / welche Werke der Musikgeschichte halten Sie für besonders gelungen und warum?

“Ich glaube, ich kenne viele Kompositionen aus der sinfonischen Weltliteratur, viele gefallen mir sehr, aber ich kann nicht sagen, dass sie für mich Vorbilder wären. Nachahmen ist unmöglich. Der Geschmack des Menschen ändert und entwickelt sich im Laufe der Jahre; was mich mit zwanzig begeisterte, ist mir heute fremd. In jedem Alter haben mich andere musikalische Richtungen fasziniert. Von Bach über Tschaikowski, Beethoven, Janáček, Richard Strauss (die Vielschichtigkeit seiner Partituren bewundere ich bis heute), Strawinsky, Martinů bis Aaron Copland.

All das spiele ich mir im Kopf vor und suche  – nach Messiaen, Stockhausen, Ligeti und Luigi Nono – keine weitere, neuere Musik, sondern kehre zum alten J. S. Bach zurück, dessen Kompositionen ich mit meinen fast 90 Jahren, und inzwischen vollkommen blind, zwar nicht spielen, aber ständig hören kann.

Was mich immer inspirierte, sind tschechische und mährische Volkslieder.”

Was ist Ihnen beim Schreiben einer Komposition besonders wichtig?

“Wichtig ist für mich, dass die Komposition bestimmte Emotionen ausdrückt und keine verbale Erklärung braucht. Die Musik soll für sich selbst sprechen.”

Warum schreiben Sie Kompositionen für Blasorchester? Was sind für Sie die großen Unterschiede beim Schreiben einer Komposition für Blasorchester im Gegensatz zu anderen Ensemblearten?

“Weil ich ernste Musik für Sinfonieorchester nicht schreiben kann. Liebhaber der Blasmusik sind weniger anspruchsvoll und unsere (bescheidene) Kunst schafft es, ihnen Freude zu machen.

Ich habe mich mit dem Blasorchester im Rahmen meines Militärdienstes vertraut gemacht, als ich als Dirigent zur Musikkorps der Burgwache abkommandiert wurde. Dort habe ich die Struktur und die Möglichkeiten des Blasorchesters kennengelernt; ich begann, dafür sinfonische Literatur zu instrumentieren und meine ersten Kompositionen zu schreiben. Die Musik der Burgwache bestand aus 60 Profimusikern, so dass ich mir keine Beschränkungen auferlegen musste. Erst in späteren Jahren, als ich als Gastdirigent von Laienorchestern eingeladen wurde und deren Möglichkeiten kennen lernte, habe ich einfachere Kompositionen geschrieben. Bei anderen Genres gibt es für mich keine Beschränkungen.”

Welchen Stellenwert hat die Blasmusik in Ihrem Leben?

“Ich habe eine lange Zeit meines Lebens als Dirigent und Komponist von Blasmusik gelebt. Es hat mir Spaß gemacht, es war für mich eine Freude und ich habe in dieser Lebensperiode viele Kompositionen für Blasorchester geschrieben.”

Auftragskompositionen bringen Einschränkungen im Schwierigkeitsgrad, in der Besetzung und in der Länge mit sich. Wie gehen Sie damit um? Wie werden Sie ihrem Auftraggeber gerecht und bleiben doch Sie selbst in der Komposition?

“Im Auftrag schreibe ich ungern, ich habe so nur wenige Kompositionen geschrieben. Ich bin dann bemüht, den Wünschen des Auftraggebers zu entsprechen. In meinem Leben hatte ich das Glück, dass ich auf Aufträge nicht existenziell angewiesen war. Die meisten Kompositionen sind spontan, aus innerem Bedürfnis entstanden, ich habe nur mir zur Freude geschrieben.

In die Kategorie der Auftragskompositionen gehört auch Musik zu Fernsehserien, mehreren Hörspielen und Theateraufführungen. Diese Arbeit hat mir Spaß gemacht, ich konnte ein paar Regisseure kennen lernen, ging zu Theaterproben, um genau die Situation zu sehen, zu der meine Musik gehört, und habe es sogar geschafft, beim Herumrennen zwischen den Schauspielern in den Orchestergraben zu fallen und mich auf Notenständer aufzuspießen. Ich kam mit zwei gebrochenen Rippen davon…

Weniger im Auftrag als eher aus Freundschaft habe ich das Angebot eines Dichters angenommen, Musik zum Libretto seiner Operette zu schreiben. Das Kunstwerkchen war zwei Spielzeiten in Pilsen auf dem Plan. Und da wird eben der Unterschied zwischen dem Geschmack des Publikums und dem des Komponisten sichtbar. Dem Publikum hat es gefallen, der Autor war mit seiner Arbeit nicht zufrieden. Aber dann kam sowieso die „Wende“, das Land wurde überflutet mit Jesus Christ Superstars, Cats etc., und nach unserem Operettchen kräht zu Recht kein Hahn mehr. Es ist verdient in der Versenkung der Geschichte verschwunden. Gott sei Dank! Man darf sich ja nicht zu ernst nehmen.”

Welches Ihrer Werke hat für Sie persönlich die größte Bedeutung und warum?

“Wie gesagt, mit den Jahren ändert sich der Geschmack. Ich stelle fest, dass mich einige Kompositionen, die ich vor dreißig Jahren geschrieben habe, mehr ansprechen als manche aus der letzten Zeit. Auf so eine Frage kann man keine eindeutige Antwort geben.”

Welches war Ihr erstes erfolgreiches Werk? Welche Ihrer Werke sind bisher am erfolgreichsten und wie erklären Sie sich deren Erfolg?

“Wenn Sie Kompositionen für Blasorchester meinen, dann war die erste wohl die Polonaise, die ab und zu von tschechischen Orchestern bis heute gespielt wird. Im Bereich der Blasmusik ist wahrscheinlich Adagio e Presto con fuoco am erfolgreichsten, dessen Presto zwar etwas schwieriger ist, aber gut gespielt kann es ziemlich wirksam sein.

Beliebt sind heute einige leichtere Kompositionen wie der Sankt-Thomas-Choral, Amen (in Tschechien auch die Ballade und die Mährischen Impressionen) – Kompositionen, die melodisch, unkompliziert, leicht spielbar sind und vielleicht deshalb öfter ins Repertoire genommen werden.

Aus anderen Genres sind es Drei Sätze für Viola und Klavier, das Konzert für Tuba (ursprünglich für Sinfonieorchester und erst später für Blasorchester instrumentiert). Auch einige Bläserquintette werden öfter gespielt und die zwei Messen (Missa Lyrica, Missa Simplicis), die in Tschechien mehrmals im Jahr aufgeführt werden.”

Über welches Thema würden Sie nie eine Komposition schreiben wollen und warum nicht?

“Mit Ausnahme von Kolumbus – die Große Seefahrt 1492 – habe ich nie „Programm-Musik “ geschrieben. Ich habe kein Bedürfnis, irgendwelche Geschichten oder Ideen zu vertonen.”

Komponieren versus Arrangieren: wo liegen in der Tätigkeit die Gemeinsamkeiten und wo die größten Unterschiede? In welchem Bereich liegen Ihre Vorlieben?

“Wenn ich komponiere, instrumentiere ich gleichzeitig. Das Arrangieren ist eine ganz andere Arbeit, die ich meist im Auftrag mache. Natürlich komponiere ich lieber.

In letzter Zeit arrangiere ich tschechische Volkslieder, für Chor und auch für Gitarre. Ich schicke es dann an verschiedene Chöre und Musikschulen.”

Außerhalb Ihrer Kompositionen: welchen musikalischen und welchen außermusikalischen Tätigkeiten gehen oder gingen Sie in Ihrem Berufsleben nach? Und außerhalb der Musik: wie gestalten Sie am liebsten Ihre Freizeit?

“Was die musikalische Tätigkeit anbelangt, habe ich mein ganzes Leben lang als Dirigent gearbeitet und das Komponieren war mein Hobby, ich saß in internationalen Jurys und wurde von Orchestern zum Dirigieren meiner Kompositionen eingeladen. Ich hatte auch viele außermusikalische Aktivitäten: habe Hunde trainiert, an Wettkämpfen im Segeln teilgenommen, fotografiert, bin Rad gefahren, in Bergen gewandert…”

Was macht Sie in Ihrem Leben besonders glücklich und zufrieden?

“Harmonisches Zusammenleben in der Familie. Gut verrichtete Arbeit, ob eine gelungene Rundfunkaufnahme oder gut gemähter Rasen.”

Was lieben Sie an der Blasorchesterszene und was würden Sie gerne verändern, wenn Sie für einen Tag das Sagen hätten? Wie sehen Sie die Zukunft der Blasorchester und Musikvereine?

“Die Welt der Blasmusik war in einer Lebensperiode Teil meines Schicksals, ich war sogar mehrere Jahre lang Präsident der Gesellschaft für Blasmusik der Tschechischen Republik, und damals strebte ich an, dass tschechische Orchester nicht nur das traditionelle tschechische Repertoire wie die Märsche von Kmoch usw. spielen, sondern dass sie ihre Aufmerksamkeit auch anspruchsvolleren ausländischen Kompositionen widmen, zu denen sie in der kommunistischen Zeit kaum Zugang hatten. Ich habe mit einem 60-köpfigen Laienorchester die Festliche Ouvertüre, op. 96, von Schostakowitsch einstudiert und in die Tschechische Republik Kompositionen von Alfred Reed (Armenische Tänze), Philip Sparke (The Year of The Dragon) und andere gebracht.

Vieles könnte sich an der Blasmusik ändern, aber nicht über Nacht, selbst wenn man die Macht dazu hätte. Alles reift, entwickelt sich, und das braucht Zeit. Und meine Vorstellungen, was sich ändern sollte, können auf Vorstellungen von Menschen stoßen, die die Musik aktiv betreiben. Also…ich weiß nicht.

Ich glaube allerdings, dass die Blasorchester vorzugsweise originäre, direkt für Blasorchester geschriebene Kompositionen spielen sollten. Heutige Dirigenten bevorzugen Transkriptionen von Musicalmelodien und Popmusik. Das sehe ich ein bisschen als  Degradierung des Blasorchesters, als Nichtnutzung seiner Möglichkeiten – aber was kann man machen? Es macht ihnen Spaß, wegnehmen kann man es ihnen nicht. Und dann – ich lebe nicht mehr mit diesen Problemen, ich schreibe heute eine andere Musik und so habe ich nicht das Recht, mich irgendwie einzumischen.”

„Denn wenn es Kunst ist, ist sie nicht für alle, und wenn sie für alle ist, ist sie keine Kunst“: Wie stehen Sie zu diesem Zitat von Arnold Schönberg?

“Das Zitat von Herrn Schönberg gilt vielleicht für seine Musik. Ich glaube, dass man auch unter dem, was „für alle“ ist, manches findet, was man als Kunst bezeichnen kann.”

Pavel Staněk, Januar 2017

Auswahl seiner Werke

Die große Seefahrt 1492 – Grad 4 | 11:20
Amen – Grad 3+| 3:49
St. Thomas-Choral – Grad 3+| 4:17
Moravian Impressions – Three Pictures for Band – Grad 4|
Fantasia Boemica – Grad 4 | 6:04
New Friends – Grad 3+ |
Czech Folk Dance Suite – Grad 4+ | 8:13


Vita Pavel Staněk

Komponist Pavel Staněk (1927) begann nach Abschluß des Prager Konservatoriums (Kontrabaß,1946-51) seine Laufbahn 1950 im Staatlichen Lieder- und Tanzensemble, zuerst als Kontrabassist und nach einem Jahr als Chorleiter. 1954 wechselt er als Dirigent zum Musikkorps des Innenministeriums (heute Orchester der Burgwache), wo er erstmals einem großen Blasorchester vorstand. 1961 trat er für zwei Jahre als Dirigent am Musiktheater „Na Fidlovačce“ an und gleichzeitig war er Chorleiter und Dirigent des Chors und Orchesters des Schwermaschinenwerks „CKD Praha“. Eine grundsätzliche Wende in seiner bisherigen Karriere stellte 1963 der Wechsel zum Sender Ostrava des damaligen Tschechoslowakischen Rundfunks dar, wo er in der Funktion des Chefdirigenten beim Rundfunkorchester Ostrava bis zu seiner Pensionierung 1990 blieb. Im Rundfunk bekam er Gelegenheit, sich mit der Tätigkeit eines Musikregisseurs, Dramaturgen, Arrangeurs und Komponisten näher vertraut zu machen. Häufig gastierte er bei verschiedenen nordmährischen Blasorchestern (Krnov, Jeseník, Vítkovák, Hrabůvka, Kopřivnice) und auch in Österreich und Deutschland. Staněks Kompositionsstil schöpft aus mehreren Quellen: böhmische und mährische Folklore, moderne Musik, ernste Musik der Gegenwart, einschließlich experimenteller Musik, aber auch Musik früherer Epochen. All diese Einflüsse hat er in seinem Schaffen zu seinem persönlichen Stil verschmolzen. Dessen Grundlage sind ausdrucksvolle Melodik, die Bereicherung traditioneller Harmonie um moderne Elemente, einschließlich Jazz und Pop sowie farbiger Instrumentierung, in der seine hervorragende Kenntnis des orchestralen Apparats vorzüglich zum Ausdruck kommt.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert