Dienstag, Juli 29, 2025
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Warum Dirigieren mehr ist als Taktstock und Podium

31 Dirigent:innen erzählen, was sie an ihrem Job lieben

Es gibt Berufe, die kann man lernen. Und es gibt Berufungen, die trägt man im Herzen. Dirigentin oder Dirigent eines Blasorchesters zu sein, ist beides – Handwerk und Herzblut. Es ist ein Weg, der technisches Können mit musikalischer Vision verbindet, ein Weg, der Menschen zusammenführt und aus vielen Stimmen ein gemeinsames Ganzes formt.

Während der Veranstaltung „Spotlight Conducting“ in Bozen (siehe Beitrag: Spotlight Conducting in Bozen) habe ich einen Vortrag mit dem Titel „Der/die Dirigent:in als Schlüsselfigur eines erfolgreichen Blasorchesters“ gehalten. Begonnen habe ich mit einer Kartenabfrage unter den Anwesenden. Sie sollten ihre persönliche Antwort auf die Frage „Was gefällt Dir an Deinem Dirigent:innen-Job?“ aufschreiben.

Die Antworten der 31 Dirigent:innen, die beim Vortrag anwesend waren, zeigen eindrucksvoll: Dirigieren ist weit mehr als Taktschlagen. Es ist Leidenschaft, Lebensschule, künstlerischer Ausdruck und menschliches Miteinander in einem.

Im Folgenden habe ich die vielfältigen Antworten thematisch zusammengefasst. Außerdem habe ich jeweils exemplarisch Zitate aus den Antworten hinzugefügt.

Menschen leiten – Musik erleben

Eine der häufigsten Antworten, die ich auf die Frage „Was gefällt Dir an Deinem Dirigent:innen-Job?“ bekommen habe: die Arbeit mit Menschen. Dirigent:innen stehen nicht einfach nur vorne und geben Einsätze – sie begleiten Persönlichkeiten, führen Charaktere zusammen, bauen Brücken zwischen Generationen und Lebenswelten.

„Arbeit mit Menschen – verschiedenen Charakteren. Etwas zusammen erreichen.“
„Menschen führen. Musik – Emotionen.“
„Freundschaften pflegen. Für andere eine Hilfe sein. Junge Musiker fördern.“

Gerade in der sinfonischen Blasmusik treffen ambitionierte Laien, junge Talente, erfahrene Musiker:innen und Idealist:innen aufeinander – mit ganz unterschiedlichen Motivationen. Hier entsteht ein Raum, in dem Leitung auch Begleitung bedeutet, in dem Entwicklung nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich stattfindet.

Musik als Erlebnis – nicht als Produkt

Viele Dirigent:innen sprechen davon, wie besonders es ist, Musik gemeinsam entstehen zu lassen – von der ersten Probe bis zum Gänsehautmoment beim Konzert. Dieser Weg ist oft lang, mühsam, emotional – aber er ist es wert.

„Von der Probenarbeit zum Ziel (=Konzert). Gänsehautmomente erzeugen.“
„Wenn durch mich vor meinen Augen das Orchester besser wird. Dann meine Methodik fruchtet.“
„Emotionen durch Blasmusik spürbar machen. Gemeinsam für eine Sache brennen.“

Blasmusik – vor allem sinfonische – ist nichts, was man „nur so“ macht. Sie fordert Hingabe, Disziplin, aber vor allem: eine Vision. Dirigent:innen sind Gestalter:innen dieser Vision. Sie formen Klang, interpretieren Werke, geben einer Partitur Leben und machen Emotionen für Publikum und Mitwirkende hör- und fühlbar.

Führung mit Feingefühl – und Freude

In einer Welt, in der „Führung“ oft mit Macht oder Kontrolle gleichgesetzt wird, zeigt sich im Orchester ein anderes Bild: Führen durch Vertrauen, Begeisterung und Kompetenz. Dirigieren heißt nicht dominieren, sondern inspirieren.

„Menschen zu Musik begeistern. Inspiration. Freundschaft. Energie freisetzen.“
„Die Freude zur Musik weitergeben. Musiker weiterbilden. Aus schwierigen Situationen wachsen.“
„Proben mit motivierten Musikern. Erfolgreiche und zielführende Proben.“

Dirigent:innen motivieren, strukturieren, erkennen Potenziale, vermitteln zwischen Notentext und musikalischem Ausdruck – und das oft nebenberuflich, nach Feierabend, ehrenamtlich. Der Lohn? Ein begeistertes Orchester. Ein bewegtes Publikum. Ein erfüllter Mensch.

Probenarbeit: Ort des Wachsens

Viele unterschätzen, wie sehr Dirigent:innen die Probenarbeit lieben – nicht nur das Konzert ist Höhepunkt, sondern auch der Weg dorthin. Das Proben ist der Raum für Kreativität, für gemeinsames Tüfteln, für Entwicklung – musikalisch wie menschlich.

„Das Tüfteln und Proben. Partituren studieren und Musik neu entdecken.“
„Sich musikalisch entfalten. Kreativ sein. Menschen begeistern.“
„Eine Gruppe weiterentwickeln. Teil eines Entwicklungsprozesses sein.“

Hier zeigt sich, wie sehr Dirigieren auch Pädagogik ist – nicht im belehrenden Sinne, sondern im besten Sinn von „begleitendem Lehren“. Gute Dirigent:innen schaffen eine Atmosphäre, in der das ganze Orchester wachsen kann – musikalisch und persönlich.

Emotionen, Energie, Erfüllung

Blasmusik lebt von Emotionen – und Dirigieren heißt: diese Emotionen freisetzen, steuern, zulassen. Der Beruf ist nicht nur technisch, sondern zutiefst emotional – und genau das empfinden viele als erfüllend.

„Musik gestalten. Emotionen spürbar machen. Freude schenken.“
„Ästhetik des Dirigierens. Musik neu entdecken.“
„Applaus. Gänsehaut. Begeisterung.“

Dirigent:innen sind Katalysatoren von Emotionen – manchmal explizit, oft subtil. Und wenn am Ende eines Konzerts Musiker:innen erschöpft und glücklich von ihren Plätzen aufstehen und das Publikum jubelt, dann weiß man: Es hat sich gelohnt.

Leitung ist Gestaltung – und Verantwortung

Ein Punkt, der oft mit Stolz genannt wird, ist die Möglichkeit zur künstlerischen Gestaltung. Wer dirigiert, entscheidet mit über das musikalische Profil eines Orchesters, prägt Klangbild, Literaturauswahl, musikalische Schwerpunkte – oft auch über Jahre hinweg.

„Den musikalischen Plan gestalten. Literaturwahl. Verantwortung übernehmen.“
„Musikalische Werke interpretieren – von 0 bis konzertreif.“
„Neue Wege gehen – musikalisch und organisatorisch.“

Das ist nicht nur ein kreatives Privileg, sondern auch eine Verantwortung – gegenüber dem Verein, dem Publikum, der Musik. Dirigent:innen tragen diese Verantwortung bewusst und mit Leidenschaft.

Dirigieren ist keine Einbahnstraße – sondern Begegnung

Was alle Aussagen gemeinsam haben: Dirigieren ist zutiefst zwischenmenschlich. Es geht nicht nur um den perfekten Rhythmus, sondern um Beziehung, Austausch, Kommunikation.

„Soziale Komponente. Kollegialität. Gemeinschaft.“
„Freie Zeit mit Musikern sinnvoll gestalten.“
„Freundschaften knüpfen. Gemeinsam wachsen.“

Ein Orchester ist mehr als die Summe seiner Noten – es ist eine lebendige Gemeinschaft. Und Dirigent:innen stehen mittendrin: als Motivator:innen, Moderator:innen, manchmal auch als Mediator:innen.

Fazit: Dirigieren ist ein Geschenk – und eine Lebensaufgabe

Wer all diese Stimmen liest, spürt: Der Job der Dirigentin oder des Dirigenten ist herausfordernd – ja. Aber vor allem ist er erfüllend, bedeutungsvoll und bereichernd. In kaum einem anderen Feld verbinden sich Musik, Pädagogik, Psychologie, Leadership und Emotion so intensiv wie hier.

Und vielleicht ist genau das das Schönste: Dass man als Dirigent:in nicht nur Musik macht, sondern Menschen bewegt.

Du bist Dirigentin oder Dirigent und hast ähnliche Gedanken? Dann schreib sie unter diesem Beitrag in das Kommentarfeld! Ich möchte gerne noch mehr Stimmen sichtbar machen – denn unsere Blasmusik-Welt braucht genau diese Begeisterung, diese Hingabe, diese Leidenschaft.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    3 thoughts on “Warum Dirigieren mehr ist als Taktstock und Podium

    • Hallo Alexandra,
      Toller Bericht – danke dafür!
      Ja, es stimmt – Dirigent zu sein ist etwas schönes – meistens. Gerade die Probenarbeit ist etwas spannendes, wenn aus einem Noten & Klangchaos der ersten Probe, das Stück wird das im Konzert erklingt. Für mich ist ein Konzert immer die Belohnung für die Energie, die man investiert hat.

      Was allerdings schwieriger geworden ist, ist die Menschenführung und die Koordination der individuellen Vorstellungen und Befindlichkeiten jedes einzelnen.
      Diese erschweren oft die musikalische Arbeit und sind sicher der Grund warum es aktuell schwierig ist, Dirigenten zu finden. Da muss in vielen Orchestern ein umdenken stattfinden. Dirigenten sind Musiker, keine Sozialarbeiter.
      Aber Dirigent zu sein ist trotzdem etwas tolles und diesen Weg einzuschlagen war für mich eine richtige Endscheidung.
      Liebe Grüße Gottfried Hummel

      Antwort
      • Herzlichen Dank, lieber Gottfried! Ja, so nehme ich das auch wahr. Momentan habe ich das Gefühl, es braucht etwas Motivation, damit Dirigentinnen und Dirigenten – vor allem die jungen – sich auch dazu entscheiden, einen Musikverein zu übernehmen. Deshalb dieser Beitrag. Einen ähnlichen Beitrag habe ich hier schon einmal veröffentlicht: https://blasmusikblog.com/10-motivations-happen-fuer-dirigentinnen/
        Liebe Grüße in den Schwarzwald,
        Alexandra

        Antwort
    • Hallo Alexandra, das Schönste am Dirigieren war immer zu sehen und natürlich zu hören, wie dein Orchester von Probe zu Probe besser wird-Intonation, Anstoss, Töne gemeinsam aushalten, rhythmische Verbesserungen, Dynamik…man musste immer weniger erklären mit der Zeit! Dann natürlich die Stückeauswahl! Wie gern und oft war ich bei dir bei De Haske-oder bei Veronika Gruber (Advance Music) und habe mich auf die Partituren gestürzt..klasse! Dann die Konzerte! Das hat schon Spaß gemacht! Aber…die Vereinsmeierei, das Fehlen von Musikern in der Probe und sogar bei den Konzerten..schade! Aber! Ich wünsche allen Dirigentenkollegen -und natürlich Kolleginnen-den Spaß und die Freude, die ich 25 Jahre hatte!!

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