Samstag, Oktober 12, 2024
DirigentenPersönlichkeiten

Dirigent im Fokus: Frieder Reich

Nicht jeder hat das Glück in eine Musikerfamilie hineingewachsen und dadurch quasi wie von selbst zum Musiker geworden zu sein. Der in Freiburg lebende, gebürtig aus Calw stammende Frieder Reich (*1987), heute Trompeter, Pädagoge und Dirigent, hatte dieses Glück. Wenn beide Elternteile Kirchenmusiker sind und man sechs Geschwister hat, die ebenso allesamt Musik machen, erscheint einem die eigene Kindheit wohl wie eine einzige musikalische Früherziehung. Das Selbstverständnis von Musik und des „Musiker seins“ wird einem dann von der ersten Lebensminute an mitgegeben.

Frieder ReichTrotz „Vorbelastung“ oder besser gesagt der Vorteile, die ein musikalisches Elternhaus bietet, stand auch für Frieder Reich zunächst eine professionelle Ausbildung am Anfang seiner Musiker-Karriere.

Frieder Reich studierte an der Musikhochschule Freiburg zunächst Schulmusik und etwas später parallel dazu den künstlerisch-pädagogischen Bachelorstudiengang Trompete. In dessen Rahmen studierte er auch ein Jahr am Real Conservatorio de Música Madrid. Danach kehrte er für seinen Master mit künstlerisch-pädagogischem Profil an die Musikhochschule in Freiburg zurück. Seit Abschluss des Masters lebt er freischaffend in Freiburg mit den Schwerpunkten des eigenen Spiels, der Unterrichtstätigkeit (Blechbläser) und der Ensembleleitung. Stellenangebote hatte er schon einige, darunter durchaus lukrative, lehnte diese jedoch zu Gunsten seines Wunsches, frei sein zu können und eigene Projekte zu starten, letztlich ab.

Frieder Reich ist als Ensembleleiter von Haus aus im Posaunenchor-Bereich tätig, als Trompeter vor allem im Sinfonieorchester und im Blasorchester. Bei seiner Ausbildung zum Dirigenten spielten sowohl sein Vater als auch sein älterer Bruder, selbst professioneller Dirigent, eine große Rolle. Dirigierunterricht war Bestandteil seines Schulmusikstudiums. Geprägt haben ihn außerdem der Landesposaunenwart Hans-Ulrich Nonnenmann (Stuttgart), Stefan Halder (MHS Trossingen), Prof. Anthony Plog und Michael Stecher (beide MHS Freiburg). „Das meiste jedoch (in der Ausbildung zum Dirigenten) geschieht im eigenen Tun: Jede Probe ist eigener Unterricht. Dazu braucht es ein großes Reflexionsvermögen und den Anspruch, sich für jede Probe etwas Anderes bzw. Neues vorzunehmen“, so Frieder Reich. „Gerade in Bezug auf das Sprachverhalten als Dirigent kann man nicht auslernen.“

Lange Zeit war Gustavo Dudamel als Dirigent eines seiner Vorbilder. Insbesondere aufgrund der wunderbaren Geschichte des „El Sistema“, einem Sozialprojekt zur Musikalisierung von Kindern und Jugendlichen aller Schichten in Venezuela, bei dem sich Gustavo Dudamel, selbst ein Kind des Sistema, als Dirigent des Jugendorchesters einsetzt und engagiert. Seit einiger Zeit ist Frieder Reich jedoch eher auf Reduktion und Effizienz beim Dirigieren bedacht. Hierbei lohnt es sich, so Frieder Reich, Dirigenten wie Mariss Jansons (Symphonieorchester des BR) zu beobachten.

Frieder ReichObwohl er längst seinen Master in der Tasche hat, bildet sich Frieder Reich beständig weiter. Wenn ihn eine Person inspiriert, kontaktiert er sie und versucht, viele Informationen und eventuell auch einige Unterrichtsstunden zu bekommen. Er tauscht sich sehr ausführlich mit Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen aus und lernt von ihnen. Ja, auch von seinen Schülern, in jeder Unterrichststunde. Auch Meisterkurse über Youtube sind für ihn eine Bereicherung seines Wissens. Außerdem holt er aus Youtube-Interviews mit Sportlern, Trainern, Schauspielern – Parallelwelten, in denen es auch um Einsatz, Disziplin, hohe Leistungsbereitschaft, Auftritte, körperliches wie mentales Training, Management und dergleichen geht – Inspiration für seine Arbeit. Diese Art hat Frieder Reich von seinem ehemaligen Trompeten-Professor Anthony Plog abgeschaut: sich von Bereichen beeinflussen zu lassen, die nichts mit Musik zu tun haben und daher so viel mit Musik zu tun haben…

Frieder Reich dirigiert zur Zeit den Musikverein Umkirch (bei Freiburg, Blasmusikverband Kaiserstuhl-Tuniberg) und den Musikverein Schliengen (Markgräfler Musikverband). Ein Sommerprojekt mit Open-Air-Konzert führt er momentan mit der Schwarzwaldkapelle Münstertal (Markgräfler Musikverband) durch. Zwar sind diese drei Blasorchester sehr unterschiedlich, sie zeichnen sich doch alle drei durch eine gewisse Leistungsbereitschaft aus – jedes auf seinem Niveau. Und das ist wichtig für Frieder Reich. Der Musikverein Umkirch ist im Vergleich zu Schliengen und Obermünstertal „beschaulicher“, gerade auch was die Literatur und den aktuellen Stand des Orchesters angeht. Gleichzeitig ebnete gerade der Musikverein Umkirch seinen Weg in die Leitung von Blasorchestern, der früher eher von der Leitung von Kammerensembles und innerhalb der Posaunenarbeit geprägt war. Den absoluten Fokus auf das rein Musikalische sowie eine enorme Bereitschaft voran zu kommen und damit auch einen höheren Anspruch an den Dirigenten erlebt Frieder Reich derzeit in Münstertal.

An der Blasmusikszene schätzt Frieder Reich sehr den Umgang der MusikerInnen miteinander – sie stellt für ihn stets auch Identifikation und eine besondere Art des Miteinanders auch außerhalb der tatsächlich erklingenden Töne dar. Frieder Reich ist überzeugt, dass ein Dirigent nie gänzlich ein Teil davon wird, ein wenig hinein zu schnuppern erfüllt ihn jedoch mit großer Freude.

Die Arbeit mit Amateurmusikern hat für Frieder Reich einen zentralen Stellenwert. Während er als Trompeter fast ausschließlich mit Profimusikern musiziert, steht er neben der seltenen Arbeit mit Musikstudierenden stets vor Amateuren. Und er bedauert dies in keinster Weise. Er hat keinen Plan, einmal mit Profis zu arbeiten, ganz im Gegenteil! Durch seinen Kontakt mit Profimusikern erlebt er mitunter, wie „gesättigt“ und nicht mehr plastisch diese sein können. Es geht Frieder Reich darum, Musik erfahrbar zu machen, wobei er der Nährboden für das Wachsen und Gedeihen der Musikerinnen und Musiker sein möchte. „Amateurmusiker bedürfen dessen und dies meine ich im unbedingt positiven Sinne. Wenn mir dies gelingt, bin ich auch meinerseits erfüllt, unabhängig vom Niveau, auf welchem sich eine Veränderung einstellt und ebenso unabhängig von einer etwaigen Messbarkeit des Weiterkommens“ so Frieder Reich.

Frieder ReichAls studierter Trompeter kommt Frieder Reich aus dem Bereich des Sinfonieorchesters. Daher ist sein Anspruch an ein Blasorchester im Prinzip auch die Sinfonische Blasmusik, die er als gleichwertig zu großen sinfonischen Werken sieht. Jedoch kennt und respektiert er auch die große und wichtige Tradition der Musikvereine. Er ist immer wieder neu beeindruckt wie die Musikvereine bezüglich Zusammenhalt und Identifikation von jung bis alt gelebt werden und wie diese von der jeweiligen Gemeinde anerkannt und getragen werden. Daher gehört es für ihn dazu, auch Traditionelles wie Märsche und Polkas zu musizieren und auch gut einzustudieren, denn so haben diese Stilrichtungen ein absolut berechtigtes Dasein.

Bei der Programmauswahl orientiert sich Frieder Reich immer zuerst an der aktuellen Lage im Orchester. Wie ist die Besetzung, an was für eine Stimmung und an welches Niveau muss bzw. kann man anknüpfen, was würde dem Orchester nun gut tun bzw. es eher bremsen oder auch ganz einfach: wie sah das letzte Konzertprogramm samt Motto aus, welcher Stil überwog und sollte nun überwiegen? Kann man Neues und Experimentelles wagen? Letztlich muss das Konzertprogramm für ihn eine stimmige Mischung sein, welche an einem Abend Ausführende wie Zuhörende vereinnahmen kann. Das kann ein Stück mit Solo-Part für einen Instrumentalisten oder auch Sänger sein, eine mehrsätzige Suite, ein interessantes Arrangement einer Komposition aus einer fernen Epoche oder original fremden Besetzung. Und für eine gelingende Probenarbeit müssen sich Anspruch und der schlichte Spaß am Musizieren die Waage halten, sprich: Unter- und Überforderung vermeiden, Forderung jedoch auf jeden Fall.

Gefragt nach Komponisten, die er immer wieder auf seine Programme setzt, nennt Frieder Reich Namen wie Johan de Meij, Jan Van der Roost, Satoshi Yagisawa, Philip Sparke und José Alberto Pina. Bei diesen Komponisten, so Frieder Reich, kann man schon davon ausgehen, dass die Kompositionen oder Arrangements höheren Ansprüchen genügen. Und daran orientiert er sich erst einmal.

Inspirationen für Konzertprogramme holt sich Frieder Reich über Tätigkeiten als Dozent auf Kursen oder bei anderen Klangkörpern. Natürlich hält er sich auch immer auf dem Laufenden, was die Musikverlage Neues bieten. Außerdem ist Youtube für ihn eine gute Plattform beim Kennenlernen neuer Literatur.

Sowohl Originalliteratur als auch Transkriptionen / Bearbeitungen für Blasorchester haben für Frieder Reich seine ganz besonderen Reize. Natürlich findet er es super, eine gelungene Originalkomposition zu musizieren, insbesondere, wenn man davon ausgehen kann, dass der Komponist in diesem Bereich sehr erfahren ist. Bei Arrangements muss man seiner Meinung nach als Dirigent aufpassen. Man sollte zunächst über die Partitur schauen, vor allem in Bezug auf die Lagen, in welchen die jeweiligen Instrumente gesetzt sind. Sind diese typisch oder eher untypisch? Handelt es sich um eine vom Klangergebnis her realistische Partitur, garantiert sie beispielsweise, dass die natürlicher Weise lauteren Instrumente (Blech, Saxofone und Schlagwerk) die leiseren (restliche Holzbläser) nicht einfach überdecken? Wie ist der Umgang mit den Begleitstimmen, haben sie auch einen Anspruch und etwas Interessantes „zu sagen“ oder sind sie eher „aus der Not heraus“ geboren? Und nicht zuletzt: Gibt es das Original überhaupt her, von einem Blasorchester musiziert zu werden? Wobei dies abhängig von der Klasse des Arrangeurs seiner Meinung nach im Grunde immer möglich ist.

Der Proben-Alltag in Musikvereinen sieht manchmal nicht gerade professionell und zuverlässig aus. Wie jeder Dirigent hat auch Frieder Reich von Zeit zu Zeit mit schlechtem Probenbesuch, unpünktlichem Probenbeginn und Unzuverlässigkeit zu tun. Hierzu eine ausführliche Antwort von Frieder Reich:

„Ich versuche meist einen alternativen und mitunter überraschenden Weg zu gehen. Nonverbal ist da ganz viel möglich; viele Dirigenten merken nicht, dass sie durch ihre Art zu proben und insbesondere durch ihr Sprachverhalten vor der Gruppe solche Undiszipliniertheiten erst initiieren.

Einerseits muss ich meinen Ärger darüber im Moment der Probenarbeit zurückhalten, es bekämen ja nur diejenigen ab, die doch in Erwartung einer Probe da sitzen. Diese müsste ich in diesem Moment ja eher loben, hier ist mein Grundsatz: Diejenigen, die da sind, haben meine volle Aufmerksamkeit und die an diesem Abend beste Probenarbeit verdient. Das ist der Anspruch, welchen die Professionalität von mir verlangt.

Andererseits sagen solche Undiszipliniertheiten doch etwas über meine Probenarbeit aus: Im Grunde ist diese nicht so gut, dass die MusikerInnen Lust haben, einen pünktlichen Probenbeginn zu garantieren oder nicht ansprechend genug, um an jenem Abend nicht ohne Weiteres einem anderen Hobby nachzugehen oder sich frei zu nehmen. Nur selten äußere ich mich ganz konkret gegenüber dem Ensemble dazu und dann auch erst am Ende einer Probe mit dem Wunsch, es doch ab der kommenden Probe anders zu gestalten. Bei „Härtefällen“ muss ich auf die Betroffene/den Betroffenen persönlich zu gehen und die Sache klären. Und auch da: alles hat seine Gründe und ich muss erst einmal zuhören können anstatt einfach draufzuhauen und dies oder jenes einzufordern.“

Bei der Zusammenarbeit mit den Vorstandschaften eines Musikvereins sind Frieder Reich besonders eine große Offenheit, eine hohe Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit wichtig. Außerdem ist ein reger Austausch untereinander unerlässlich. Beide Seiten – Dirigent und Vorstandschaft – sollten glücklich sein, den jeweilig anderen zu haben. In der Vorstandschaft müssen die Aufgaben klar verteilt sein. Besonders günstig empfindet es Frieder Reich, wenn sich Aufgabenfeld des jeweiligen Vorstandsmitglieds und Beruf ergänzen. Ob eines der Vorstandsmitglieder Nicht-Musiker sein sollte, wird oft diskutiert. Für Frieder Reich ist es in einer gut funktionierenden Vorstandschaft sicherlich kein Nachteil einen außermusikalischen „Draufblick“ einholen zu können.

In der Gesamt-Organisation des Musikvereins sind für ihn die Aufgaben eines Dirigenten zunächst klar definiert. Es bleibt dabei aber immer die Frage, wie „nahe“ ein Dirigent den MusikerInnen kommen soll, ist er doch letztlich immer nur eine „angemietete Kraft“.

Die Vereine, in denen er dirigiert, sind gut strukturiert. Das schätzt Frieder Reich und er sieht es als Zeichen des Respekts, dass man als Dirigent in diese Strukturen nicht einfach so „hineinpfuscht“. Diesen Respekt fordert er andererseits auch von der Vereinsführung ein. Alles, was das musikalische Niveau direkt beeinflusst, sollte mit dem Dirigenten besprochen werden. Dazu gehören insbesondere die Felder Jugendarbeit, Art und Anzahl der Auftritte sowie die Konzertprogramme. Über eine ständige und gute Mischung der Kommunikation zwischen Dirigent und gut funktionierende Vorstandschaft kann sich Frieder Reich in allen seinen drei momentanen Blasorchestern freuen.

Professionelle Ausbilder von der Grundstufe an sind für Frieder Reich ein „Muss“, nicht nur in der Blasorchesterszene. Für die Musikerinnen und Musiker ist es notwendig, das eigene Instrument zu beherrschen, um darauf aufbauend Musik machen zu können. „Nur wer sich um die Technik des Fahrrad Fahrens keine Gedanken mehr machen muss, kann auf einer Tour die Landschaft genießen, vielleicht sogar freihändig (auswendig) fahren und andere Verkehrsteilnehmer wahrnehmen und berücksichtigen…“ vergleicht Frieder Reich. Von den Blasmusikverbänden fordert Frieder Reich, dass sie sich um die Pflege und Weiterbildung der Musikvereine kümmern. Dabei gibt es gute Ansätze, vieles läuft für ihn aber suboptimal, sodass sich einzelne Vereine trotz Mitgliedschaft faktisch aus einem Verband zurückziehen. Insbesondere eine höhere Angebotsdichte bezüglich der Fortbildung im Jugendbereich und dem Austausch zwischen den Musikvereinen wäre für ihn wünschenswert.

Alles in allem empfindet es Frieder Reich als Segen, tagtäglich so vielseitig musikalisch tätig und wirksam sein zu können und er schätzt besonders die lieben und inspirierenden Menschen, die er dadurch kennen lernen darf.

Musik ist sein Leben, nicht nur gemessen an der enormen Stundenzahl, welche durch das Tun von sowie des Nachdenkens über Musik gefüllt ist, sondern auch in Anbetracht dessen, was Musik in ihm auslöst, ihn verändert.

So ist es klar, dass eine außermusikalische Freizeit bei Frieder Reich praktisch nicht vorhanden ist. Und wenn doch? „In dieser knappen Freizeit geht’s mit den Jungs einen heben, es läuft Fußball oder die Natur vereinnahmt mich durch spazieren gehen oder joggen.“ Alles ganz normal also. Oder er macht auch dann Musik…

www.friederreich.de

 

 

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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