Gemeinsam neu starten – Perspektiven für Musikvereine nach der Pandemie!?

Eine Tagung des Forschungsprojekts MOkuB entwickelt Impulse für die Amateurmusik

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Wolfgang Lessing, Musikhochschule Freiburg

Wolfgang Lessing
Prof. Dr. Wolfgang Lessing

Erstens kam es anders und zweitens als man dachte…

Als Thade Buchborn und Wolfgang Lessing Ende 2019 den Projektantrag „Musikvereine als Orte kultureller Bildung“ (MOkuB) für die Förderlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen“ konzipierten, planten sie für 2021 eine mehrtägige Präsenzveranstaltung, bei der zahlreiche  AkteurInnen der regionalen und überregionalen Musikvereinsszene in den Räumen der Freiburger Musikhochschule zusammenkommen sollten, um sich, begleitet von viel Musik und unter dem aufmerksamen Blick der einschlägigen Verbände, über gemeinsame Ziele und Probleme auszutauschen. Ein besonderer Fokus sollte auf der Frage liegen, welche Rolle den Musikhochschulen bei der Weiterentwicklung der Musikvereinsszene zukommen könnte; war es doch (und ist es noch immer) auffallend, dass die deutschen Musikhochschulen zwar einerseits regelmäßig von fähigen NachwuchsbläserInnen profitieren, die ihre entscheidende musikalische Sozialisation im Musikverein erhalten haben, andererseits aber bislang – im Unterschied etwa zur Situation in Ländern wie Österreich, den Niederlanden oder Spanien – wenig Initiative zeigen, aktiv jene besonderen Kompetenzen in ihren Curricula zu fördern, derer die Leitung von Musikvereinen zweifelsohne bedarf.

So war es geplant. Doch dann kam, wie überall, Corona.

Schnell zeigte sich, dass die Pandemie nicht nur die unmittelbare Forschungspraxis von MOkuB beeinflusste (Gruppendiskussionen mit AkteurInnen mussten abgesagt werden, ein Live-Kontakt mit der Alltagspraxis der Musikvereine erwies sich als schwierig bis unmöglich), sondern auch neue Forschungsfragen aufwarf. War es im Forschungsantrag noch allgemein um die Frage gegangen, wie ländliche Musikvereine mit geänderten demografischen Rahmenbedingungen, zunehmender Digitalisierung und der Forderung nach Teilhabegerechtigkeit umgehen, so zeigte sich nun, dass die Frage, ob sich die AkteurInnen angesichts der Pandemie als handlungsfähig und zukunftsorientiert oder hingegen als hilfos und rückwärtsgewandt erleben, eine Mächtigkeit gewann, die es notwendig machte, den Umgang der Musikvereine mit Covid 19 zu einer eigenständigen Forschungsfrage zu erheben. So kam es, dass sich vor die ursprüngliche Absicht, mit der geplanten Tagung zur Vernetzung der AkteurInnen und Institutionen beizutragen, die Frage schob, ob und wie den Musikvereinen ein Neustart nach der Pandemie gelingen kann. Unter dem Titel „Gemeinsam neu starten – Perspektiven für Musikvereine nach der Pandemie!?“ konzipierten die beiden Projektleiter und vor allem die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Verena Bons und Hanna Borchert eine Online-Tagung, bei der sich über 70 angemeldete TeilnehmerInnen vom 11.-14.11.2021 drei Tage lang intensiv über ihre gegenwärtigen Erfahrungen austauschen konnten. Dieser Austausch wurde durch MitarbeiterInnen des Kompetenznetzwerks „Neustart Amateurmusik“ des Bundesmusikverbands Chor & Orchester (BMCO) begleitet, die in mehreren Workshops Impulse für neue Konzertformate, digitales Proben und innovative Strategien zur Mitgliedergewinnung setzten.

Diese konkreten und alltagsnahen Fragestellungen wurden begleitet von wissenschaftlichen Inputs, die sich z.B. mit Motivationsstrukturen in Musikvereinen oder mit der Frage nach den impliziten handlungsleitenden Wissensbeständen der AkteurInnen beschäftigten und unabhängig voneinander die Tatsache beleuchteten, dass die Aspekte der Gemeinschaft und der Geselligkeit in den Musikvereinen als ernst zu nehmenden Faktoren neben die „eigentliche“ musikalische Arbeit treten. Dass gerade diese Aspekte durch die Pandemie zurückgedrängt werden, stellt, darüber waren sich alle TeilnehmerInnen einig, den Neustart der Musikvereine vor besondere Probleme, wenngleich es eine Reihe ermutigender Praxisbeispiele gab, die zeigten, dass ein aktiver und kreativer Umgang mit den Herausforderungen während der Pandemie bei einigen Musikvereinen zu Lösungen und Innovationen geführt hat, die vielleicht auch ohne die Pandemie irgendwann einmal fällig geworden wären. Hier erscheint Corona vor allem beschleunigend gewirkt zu haben. Die Frage, von welchen handlungsleitenden Faktoren dieser Mut zur Innovation abhängig ist bzw. welche Faktoren ihn behindern, ist – so viel ließ sich im Anschluss resümieren – bislang noch offen. Ihre Beantwortung dürfte ohne eine noch tiefere Innensicht in die Handlungspraxis der AkteurInnen kaum zu bewerkstelligen sein. Auch die musikalische Umrahmung der Tagung war auf innovative Ideen angewiesen: Mit einem „Wohnzimmerkonzert“ des Duos „Tantenorhorn“ und einem Online-Konzert, das die „Stadtkapelle Lahr“ zusammen mit dem Freiburger „Ensemble Aventure“ unter der Leitung von Nicholas Reed im Wolfgang-Hoffmann-Saal präsentierte, waren zwei Konzertformate zu erleben, die es ohne Corona wohl nicht gegeben hätte und die – wer weiß? – die Pandemie vielleicht überdauern werden.

Wolfgang Lessing

Vita Prof. Dr. Wolfgang Lessing

Ausbildung

  • Wolfgang Lessing (geb. 1964) studierte Violoncello, Schulmusik, Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft in Frankfurt und Berlin. Zu seinen künstlerischen Lehrern zählten u.a. Gerhard Mantel und Josef Schwab.
  • 1992 Konzertexamen an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin.
  • 1996 wurde er mit einer Arbeit über die Hindemithrezeption Th.W. Adornos in Frankfurt/Main promoviert.

Künstlerischer Werdegang

  • Nach Lehraufträgen für Violoncello, Musikwissenschaft und Formenlehre an der Musikhochschule Frankfurt und einigen Jahren im Schuldienst wurde er 2002 zum Professor für Musikpädagogik/Allgemeine Instrumentaldidaktik an die Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden berufen.
  • Im Jahre 2004 gründete er das “Forschungsinstitut für Musikalisches Lehren und Lernen” an der Dresdner Musikhochschule.
  • Vielfältige Publikationen und Forschungsprojekte zu folgenden Themenbereichen: Üben, Musiklernen in Institutionen,  historische und systematische Studien zum Begriff der Instrumentaltechnik, Psychologische Grundlagen des Musizierens, Didaktik zeitgenössischer Musik im Instrumentalunterricht, Aufgaben und Zielsetzungen instrumentalpädagogischer Arbeit. Aktuell arbeitet er an einem Drittmittelprojekt zum Thema “Die Dimension des Künstlerischen in Schülerkompositionsprojekten.”
  • als Cellist des “Ensemble Phorminx” zahlreiche Konzerte im In- und Ausland, Rundfunkproduktionen, CD-Veröffentlichungen (u.a.  “Preis der deutschen Schallplattenkritik”, Darmstädter Musikpreis (2011)), Konzertreihen des Ensembles in Tübingen und Darmstadt.
  • seit 2015 ist er Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Lehrenden musikpädagogischer Studiengänge in Deutschland (ALMS) sowie Sprecher des Ausschusses “Künstlerisch-pädagogische Studiengänge” bei der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen
  • 2018 wurde er auf eine Professur für Musikpädagogik (Instrumental- und Gesangspädagogik) an die Freiburger Musikhochschule berufen.

Beitragsbild: Musikhochschule Freiburg, ©Alexander Becher

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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