Donnerstag, November 21, 2024
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Blasmusikaspekte: Zusammenarbeit von Musikschulen mit Musikvereinen

Ein Interview mit Ruth Suppiger

In der Reihe “Blasmusikaspekte” werden im Interview mit jeweils einem Dirigenten / einer Dirigentin ein Teilbereich bzw. ein besonderer Aspekt der Blasmusik bzw. unseres Musikvereinswesen diskutiert. Alle Blasmusikblog-LeserInnen sind eingeladen, sich zum Thema und den Antworten im Kommentarfeld unter dem Beitrag zu äußern! Wir freuen uns auf einen regen Austausch.

Vor einiger Zeit ist mir eine sehr interessante und hochaktuelle Masterarbeit von der Schweizer Musikpädagogin und Dirigentin Ruth Suppiger ins Postfach geflattert. Sie beleuchtet in Ihrer Masterarbeit “Konkurrenz, Koexistenz und Kooperation – Eine Untersuchung über die Zusammenarbeit von Musikschulen und Musikvereinen” die Zusammenarbeit nicht von der Musikvereins-Seite, sondern aus der Musikschul-Sicht. Sehr spannend! Und tatsächlich zeigt sie sehr wichtige Erkenntnisse und Defizite auf! Erkenntnisse und Defizite, die meiner Meinung nach nicht nur für die Schweiz, sondern auch auf Deutschland zutreffen.

Was hat Dich dazu bewogen, für Deine Masterarbeit das Thema „Konkurrenz, Koexistenz und Kooperation – Eine Untersuchung über die Zusammenarbeit von Musikschulen und Musikvereinen“ zu wählen?

Durch meine Arbeit als Dirigentin eines Jugendensembles befasse ich mich seit zehn Jahren mit der Nachwuchsförderung in der Blasmusikszene. Zu Beginn konnte ich noch keine Ausbildung vorweisen und dementsprechend schwierig war es, das Interesse der Musiklehrpersonen für das Ensemble zu wecken. Mittlerweile kenne ich als ausgebildete Klarinettenlehrerin und Dirigentin die Bedürfnisse beider Seiten und trotzdem ist das Pflegen einer Zusammenarbeit nicht nur einfach. Da die Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und Musikvereinen essenziell für die Nachwuchsgewinnung und somit den Fortbestand der Blasmusikkultur ist, habe ich mich in meiner Masterarbeit diesem Thema gewidmet.

Kurze Zusammenfassung – um was geht es in Deiner Masterarbeit genau?

Meine Masterarbeit dreht sich um die Frage, wie man die Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und Musikvereinen verbessern oder entstehen lassen kann. Mir war es wichtig, dass die Ergebnisse der Masterarbeit auch in der Praxis angewendet werden können. Natürlich wäre es schön, wenn man fixfertige Konzepte präsentieren könnte und ab sofort die Musikvereine vom Nachwuchs überrannt würden. Da jedoch die Situation von Ort zu Ort, von Musikschule zu Musikschule und von Musikverein zu Musikverein sehr unterschiedlich ist, existiert die perfekte Lösung nicht. Deshalb habe ich mittels meiner Arbeit Ideenkataloge für Musikschulleitende, Musiklehrpersonen, musikalische Leitungen und Musikvereine erstellt, die eine Zusammenarbeit vereinfachen können. Diese Ideenkataloge und das Fazit sind das Herzstück der Arbeit. Sie sind aus den Ergebnissen einer Umfrage unter Musiklehrpersonen und den Analysen von Zusammenarbeitsmodellen und einer erfolgreichen Kooperation entstanden.

Herrscht zwischen Musikschulen und Musikvereinen eine Konkurrenz-Situation? Warum?

Diese Frage kann nur situativ beantwortet werden. Von Konkurrenz muss gesprochen werden, sobald ein Angebot doppelt vorhanden ist. Bieten also ein Musikverein und eine Musikschule je ein eigenes Bläserensemble an, konkurrenzieren sie sich. Kann man beim Musikverein und in der Musikschule Saxofon lernen, konkurrenzieren sich Musikverein und Musikschule. Leider liegt der Fokus oftmals auf der Konkurrenzsituation, statt dass die Kooperation und die damit einhergehenden Möglichkeiten in den Mittelpunkt gestellt werden.

Warum hast Du Dich dazu entschieden, das Thema aus Sicht der Musiklehrpersonen zu untersuchen?

Diese Frage wurde mir an meiner Verteidigung der Masterarbeit ebenfalls gestellt. Zuerst habe ich die Frage umgedreht: Warum habe ich mich dazu entschieden, das Thema nicht aus Sicht der Musikvereine zu untersuchen?

Bei der Themensuche durfte ich einige Masterarbeiten von ehemaligen Studierenden lesen, die sich ebenfalls mit der Zusammenarbeit von Musikschulen und Musikvereinen beschäftigt hatten. Dabei ist mir aufgefallen, dass immer die Musikvereine ins Zentrum gestellt und befragt wurden. Selten kamen Musiklehrpersonen zu Wort. In meinem Arbeitsalltag erlebe ich es aber so, dass die Instrumentallehrpersonen als einzige mit allen Beteiligten im Austausch stehen. Sie und die musikalischen Leitungen sorgen dafür, dass die Schülerinnen und Schüler erfolgreich in einem Ensemble mitspielen.

Da eine gewisse Anzahl Seiten vorgegeben war, musste ich mich auch in der Dimension der Untersuchung beschränken und ich beschloss, mich auf die Praxis und somit die Musiklehrpersonen zu fokussieren. Schlussendlich ist so der Ideenkatalog für Musikvereine der spannendste und ausführlichste geworden!

An der Verteidigung kamen die Experten und ich übrigens zum Schluss, dass der Vollständigkeit halber irgendwann die Arbeit „Konkurrenz, Koexistenz und Kooperation – Teil 2“ folgen müsste.

Welche Vorurteile in der Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und Musikvereinen stehen im Raum, denen es zu begegnen gilt?

Von Seiten der Musikvereine hört man oft, dass Musiklehrpersonen gar nicht wollen, dass ihre Schülerinnen und Schüler in einem Musikverein spielen und nicht an einer Zusammenarbeit interessiert sind. Die Auswertung der Umfrage zeigt aber deutlich, dass die Musiklehrpersonen bestrebt sind, die Schülerinnen und Schüler fürs (Bläser-)Ensemblespiel zu begeistern, da sie wissen, dass sich dies positiv auf die Motivation auswirken kann.

Die Umfrage unter den Musiklehrpersonen deckte auch Vorurteile gegenüber der Musikvereine auf. 44% der befragten Musiklehrpersonen empfinden die Vereinsstrukturen und -traditionen als nicht zeitgemäß. Kritisiert wurden zudem oft die gespielte Literatur, die für Jugendliche nicht attraktiv sei. Welche Literatur für wen attraktiv ist, ist eine andere Geschichte, aber die Annahme, dass die Musikvereine nur eine Stilrichtung verfolgen, zeigt auf, dass es die Musikvereine noch nicht geschafft haben, ihre musikalische Vielseitigkeit einem breiteren Publikum zu präsentieren.

Wie bist Du bei Deiner Masterarbeit strukturell vorgegangen und was war Dir besonders wichtig?

Von Anfang an klar war, dass ich eine Umfrage unter Musiklehrpersonen machen wollte. Um diese möglichst breit zu streuen, habe ich alle deutschsprachigen Musikschulen des Verbandes Schweizer Musikschulen angeschrieben. Zudem habe ich die Social-Media-Kanäle genutzt und konnte so 429 Antworten generieren. Mir war es wichtig, dass auch Lehrpersonen an der Umfrage teilnehmen, die nicht in der Blasmusikszene aufgewachsen oder unterwegs sind. Das ist mir dadurch gelungen.

Durch die Auswertung der Umfrage wurde mir bewusst, wie viele verschiedene Konzepte gelebt werden und dass ich gerne ein gut funktionierendes Modell (Jugendmusik Kreuzlingen) beleuchten möchte.

All die gesammelten Erkenntnisse habe in den Ideenkatalogen zusammengefasst und die Masterarbeit mit einem Fazit abgerundet.

Welches waren für Dich persönlich die erstaunlichsten Ergebnisse bzw. Erkenntnisse Deiner Umfrage bei Musikschullehrern?

Die grundsätzlich positive Einstellung zur Blasmusikszene der Musiklehrpersonen hat mich überrascht. Von 429 Lehrpersonen möchten nur zwei Personen nicht mit einem Musikverein zusammenarbeiten. Das ist doch fantastisch!

Welche Deiner Annahmen vor Deiner Untersuchung haben sich bestätigt?

Die Wichtigkeit der Kommunikation kam in allen Gesprächen und Antworten zur Sprache. Die Kommunikation ist ein Punkt, den man stetig pflegen muss.

Zudem hat sich ebenfalls gezeigt, dass es für Musiklehrpersonen entscheidend ist, wer die Leitung des Ensembles innehat. Fachwissen und -können, Begeisterungsfähigkeit, Empathie, Offenheit, Ausdauer und Geduld sind nur einige von vielen Eigenschaften, die man als musikalische Leitung mitbringen muss. Eine fundierte und umfassende Ausbildung im musikpädagogischen Bereich, die eigene Weiterbildung und eine intensive Literaturrecherche sind die zentralen Inhalte einer schülerzentrierten Arbeit als musikalische Leitung. Nur mit diesen Parametern kann eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Musiklehrpersonen und Musikschulleitungen auf Augenhöhe geführt werden.

Was sind für die Musikschullehrer die gravierendsten Gründe, ihren SchülerInnen das Spielen in einer Harmonie/Brass Band nicht zu empfehlen?

Die meistgenannten Gründe (63%) sind inkompetente musikalische Leitungen und demotivierende musikalische Leitungen. Die Musiklehrpersonen möchten ihre Schülerinnen und Schüler in guten Händen wissen.

Ein ebenfalls ausschlaggebender Punkt ist das musikalische Niveau des Ensembles. Damit sind beide Richtungen gemeint: während bei einigen Ensembles die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler zu hoch sind, sind sie bei anderen zu tief.  

Deutlich weniger wurden folgende Gründe genannt: der Ruf des Ensembles, die Organisation des Ensembles, der Probentag, die aussermusikalischen Aktivitäten des Ensembles und konkurrenzierende Angebote.

Umgekehrt: Aus welchen Gründen empfehlen die Musikschullehrer das Spielen in einer Harmonie/Brass Band?

Ganz allgemein gesprochen, sehen die Musiklehrpersonen das Ensemblespiel als Teil der musikalischen Ausbildung. Zudem kann sich das Spielen in einer größeren Gruppe positiv auf die intrinsische Motivation auswirken.

Und konkret auf ein Ensemble bezogen: Musiklehrpersonen werben für Ensembles mit motivierenden und kompetenten musikalischen Leitungen, die ein für die Schülerinnen und Schüler passendes musikalisches Niveau haben. Der persönliche Kontakt zwischen Lehrpersonen und musikalischer Leitung kann sich zudem positiv auf die Zusammenarbeit auswirken.

Welche Verbesserungsvorschläge in der Zusammenarbeit gibst Du Musikvereinen und Musikschulen und aus welchen Gründen? Wie kann eine optimale Zusammenarbeit gelingen?

Kommunikation und Kontakt stehen über allem. Es ist wichtig, dass Musikschulleitungen das Ensembleangebot außerhalb der Musikschule kennen und nicht nur einfach davon wissen. Umgekehrt muss ein Musikverein Interesse an der Arbeit der Musikschule zeigen und beispielsweise Schülerkonzerte besuchen oder das Fachwissen der Musiklehrpersonen für Registerproben nutzen.

Leistungsvereinbarungen zu treffen ist ein wichtiger Bestandteil der Basis einer Zusammenarbeit. Diese Vereinbarungen müssen regelmäßig besprochen und angepasst werden.

Zudem empfiehlt es sich, alle möglichen Synergien zu nutzen. Das kann von Manpower beim Bühnenaufstellen über gemeinsames Nutzen von Räumlichkeiten bis zum gemeinsamen Anschaffen von neuen Perkussionsinstrumenten gehen.

Welche grundsätzlichen Empfehlungen gibst Du Musiklehrpersonen für die Zusammenarbeit mit den Blasorchestern (Harmonie/Brass Band)?

Musiklehrpersonen helfen nur schon, in dem sie Interesse bekunden. Auf die Schülerinnen und Schüler bezogen bedeutet dies, dass sie die Schülerinnen und Schüler an eine Schnupperprobe begleiten, Hilfestellungen beim Erarbeiten der Ensembleliteratur anbieten oder Konzerte der Schülerinnen und Schüler besuchen. Das Ensemblespiel muss wie Musiktheorie Teil der musikalischen Ausbildung sein und vorgelebt werden.

Interesse dem Musikverein gegenüber zu bekunden heißt, Anfragen für Registerproben oder Stellvertretungen zu übernehmen, Konzerte zu besuchen und den Kontakt zur musikalischen Leitung zu halten.

Welche grundsätzlichen Empfehlungen gibst Du Musikvereinen und Dirigentinnen und Dirigenten für die Zusammenarbeit mit den Musiklehrpersonen?

Die Ergebnisse der Umfrage unter den Musiklehrpersonen zeigt deutlich auf, wie wichtig der persönliche Kontakt zwischen Lehrperson und musikalischer Leitung ist. Zudem möchten Musiklehrpersonen ihre Schülerinnen und Schüler in guten Händen wissen und präferieren deshalb Dirigentinnen und Dirigenten, die musikpädagogisch ausgebildet, motiviert und motivierend sind.

Musiklehrpersonen sind oft nicht sicher, welche Anforderungen das Ensemble an ihre Schülerinnen und Schüler stellt. Mit Notenbeispielen oder dem Angebot, das Niveau der Noten den jeweiligen Schülern anzupassen, wäre eine große Unsicherheit schnell geklärt.

Der Musikverein kann den Kontakt zu den Musiklehrpersonen fördern, indem man diese regelmäßig zum Aushelfen anfragt, für Registerproben engagiert oder als Solistin oder Solist einlädt. Die Musiklehrpersonen schätzen es, wenn Interesse an ihrer Arbeit bekundet wird und eigene oder Schülerkonzerte besucht werden.

Aus welchen Gründen ist die Zusammenarbeit der Blasorchester mit den Musikschulen „der Königsweg“ für deren Zukunft?

Ob das Hauptproblem des fehlenden Nachwuchses im Blasmusikwesen an mangelnder Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und Musikvereinen liegt, hatte ich bereits vor Beginn der Arbeit an der Masterarbeit angezweifelt. Die durch die Umfrage gewonnene positive Erkenntnis über das große und vielseitige Engagement der Lehrpersonen für ihre Schülerinnen und Schüler und die Blasmusikszene, bestätigte meine Zweifel. Der dominierende Grund für den fehlenden Nachwuchs liegt in der heutigen Gesellschaft mit dem grossen Angebot an Freizeitbeschäftigungen, der Schnelllebigkeit und der fehlenden Bereitschaft, sich zu verpflichten. Die Musikvereine können die Gesellschaft nicht ändern. Aber sie können sich und ihr Image verändern. Das ist unerlässlich, wenn sie glaubwürdig als Teil des Kulturwesens wahrgenommen werden wollen. Man muss sich Gedanken über Vereinsstruktur, Traditionen und Ansehen in der Gesellschaft machen. Das ist ein schmerzhafter, aber wichtiger Prozess, um erfolgreich in die Zukunft zu gehen.

Die Zusammenarbeit von Musikschulen und Musikvereinen dient dazu, dem Abwärtstrend entgegenzuwirken. Dass laut Umfrage 49% aller Schülerinnen und Schüler nicht in einem Bläserensemble spielen, klingt einerseits beunruhigend, andererseits heißt das auch, dass die Möglichkeit besteht, diesen Abwärtstrend zu stoppen oder gar zu drehen. Deshalb gilt es, Konkurrenzangebote abzubauen, eine unbeteiligte Koexistenz zu vermeiden und die Kooperation zu stärken. Zusammen sind die Ressourcen vielseitiger und der Auftritt gegen außen stärker.

Du hast die Untersuchung für die Schweiz durchgeführt. Lassen sich die Ergebnisse auch auf andere Länder Europas mit ähnlichen Strukturen wie z. B. Deutschland und Österreich übertragen?

Ich kenne die Strukturen in Deutschland und Österreich zu ungenügend, als dass ich mir herausnehmen würde, diese Frage verallgemeinernd mit Ja zu beantworten. Die Masterarbeit bietet aber ganz bestimmt gute Gedankenanstöße und Ideen für alle Personen, die im Blasmusik- oder Musikschulwesen tätig sind.

Vita Ruth Suppiger

Ruth Suppiger studierte Klarinette an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK und schloss ihren Master in Musikpädagogik 2016 mit Auszeichnung ab. Neben der Klarinette interessierte sie sich schon früh fürs Dirigieren. Sie besuchte Dirigierunterricht bei Toni Scholl, Iwan Wassilewski und Monika Schütz und nimmt regelmässig an Meisterkursen (u.a. José Rafael Pascual Vilaplana und Toni Scholl) teil. 2017 begann Ruth Suppiger das Masterstudium in Blasorchesterleitung bei Jean-Claude Kolly an der Haute Ecole de Musique Lausanne HEMU, welches sie im Herbst 2020 abschliessen wird.

Ruth Suppiger arbeitet als Klarinettenlehrerin am Konservatorium Winterthur und der Jugendmusikschule Winterthur und Umgebung. Sie dirigiert den Musikverein Helvetia Marthalen, den Musikverein Kradolf-Schönenberg und die Jungbläser Turbenthal und ist Mitglied der Musikkommission des Sinfonischen Blasorchesters Aulos.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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