Das besondere Konzert: Flucht – Gemeinschaft – Toleranz
„Flucht – Gemeinschaft – Toleranz“ – Kirchenkonzert des Musikvereins Freiburg-Opfingen in der Bergkirche
Ein Beitrag auf Grundlage der Konzertansage von Daniela Evers.
„Flucht – Gemeinschaft – Toleranz“ – einen weiten Bogen hat sich der Musikverein Freiburg-Opfingen bei seinem Kirchenkonzert vorgenommen – und doch aus aktuellem Anlass ein Thema gewählt, das uns alle derzeit hautnah berührt und viele für selbstverständlich gehaltene Dinge plötzlich in Frage stellt.
Der aktuelle Anlass?
Dieses Konzert hätte eigentlich kein Kirchenkonzert werden sollen. Doch in der Festhalle, in der die Konzerte des Musikvereins immer stattfinden, wurde Ende September kurzfristig Flüchtlingen Unterkunft gegeben. Ein neuer Konzertort, ein neues Konzept und ein neues Programm mußten schnellstens gefunden werden. Der Ort war schnell gefunden: die Bergkirche in Opfingen. Das Konzept folgte: Flucht, Gemeinschaft, Toleranz sollten symbolisiert und thematisiert werden. Der Dirigent Martin Jegle suchte mit viel Feingefühl Werke aus, die mit diesen Themen vereinbar sind und zudem die drei Weltreligionen wiederspiegeln.
Die Begegnung mit Fremdem, mit neuen Kulturen und Menschen, mit ganz anderen Geschichten fordern heraus. Fordern uns heraus und fordern die Menschen heraus, die mit ihrem persönlichen Schicksal zu uns kommen und oft noch auf dem Weg in eine für sie völlig ungewisse Zukunft sind.
Doch wie wir schon oft erleben konnten, hilft die Musik. Denn – das konnten die Zuhörer im Laufe des Konzertes erfahren – Musik kann Brücken schlagen, wo Worte fehlen und Erfahrungen spürbar machen, die eigentlich nicht zu beschreiben sind.
Dies zeigten die beiden ersten Stücke des Konzerts Rise of the firebird und Beyond the Higher Skies.
Stephen Reineke beschrieb in Rise of the Firebird den altägyptischen Mythos vom Phönix aus der Asche. Ein Vogel, der sein Leben in einem Flammenmeer beschließt, dort jedoch aus der Asche aufsteigt und ein völlig neues Leben beginnt. Sinnbildlich stand dieses Stück im Konzert für die Fluchtsituation vieler Menschen, die ihre gesamte Existenz, oftmals ihre Familie und Freunde hinter sich lassen und aufbrechen müssen in ein neues, unsicheres Leben. Oft buchstäblich aus Asche und Trümmern der kriegszerstörten Heimat machen sie sich auf – neben der Trauer um das Zurückgelassene stehen Hoffnung, stehen Mut und der verzweifelte Versuch sich eine neue Existenz zu schaffen. Viele Flüchtlinge sind monatelang unterwegs, abhängig allein von Glück, von Menschen die ihnen weiterhelfen, gestoppt von Zäunen, Mauern und Stacheldraht und leider viel zu häufig auch verletzt oder getötet durch Hunger, Gewalt oder Unglücke.
Beyond the higher Skies von Robert Sheldon, das zweite Werk des Abends, spiegelt die Mischung aus Angst, Verzweiflung, Hoffnung und Zuversicht – denn auf der Flucht steht über allem der weite Himmel. Dem Zug der Wolken folgend suchen die Flüchtlinge an ihm jeden Tag auf das Neue ein Zeichen für Hoffnung und sie suchen die Zuversicht auf ein Ankommen an einem Ort der helfenden Hände, die sich ihnen entgegenstrecken für einen Neuanfang.
Musik ist eine Begleiterin der Kulturen und gleichzeitig wie ein Schwamm, der Gefühle, Geschichten und Erlebtes aufsaugen und als überall verstandene Melodie wiedergeben kann.
Jüdische Musiker, Klezmorim, die oft fahrende Musiker zur Begleitung von Hochzeitsfeiern waren, haben durch die Jahrtausende der wechselhaften und opferreichen Geschichte des jüdischen Volkes Einflüsse verschiedenster Kulturen, Völker und Regionen aufgenommen und verarbeitet. Ihre Tradition, die Musik nicht niederzuschreiben, sondern allein als gehörte Musik an die nächste Generation weiterzugeben, hätte in der grausamen Vernichtungszeit der Shoa beinahe auch zu einem Erlöschen der Klezmermusik geführt. Doch aus den wenigen erhaltenen Überlieferungen haben seit den 60er Jahren Komponisten weltweit neue Melodien geschaffen und die Tradition der weltlichen jüdischen Musik wieder zum Leben erweckt.
Für das Judentum stand an diesem Abend Rikudim von Jan Van der Roost. Jan Van der Roost gibt uns mit Rikudim die Gelegenheit, heute und hier sich über die Musik mit der jahrtausendealten Kultur der Juden zu verbinden. Denn wer sich mit Neuem und zunächst Fremdartigem und Ungewohntem befasst, gewinnt immer etwas hinzu – ein Mehr an Erfahrung, eine Erweiterung des Horizonts und eine Ahnung, wie weit und vielfältig unsere Welt sein kann.
Rikudim, ein Werk mit uns unvertrauten und exotisch klingenden Rhythmen.
Doch wechseln wir nun einmal die Seiten – denn auch das, was uns und unserer Kultur vertraut und „normal“ erscheint, kann für Ohren anderer fremd und ungewohnt sein.
Kirchenchoräle bilden ein musikalisches Fundament unserer klassischen Musik – Johann Sebastian Bach und viele andere haben Werke erschaffen, die Grundlage und Maßzahl für Generationen von Komponisten, aber auch für die Bildung unserer Hörgewohnheiten waren.
Was aber passiert, wenn man das Gewohnte neu interpretiert, wenn man das „es war schon immer so“ einmal in Frage stellt ohne es aber aufzugeben? Bedeutet Veränderung nur Verlust, oder ist nicht vielmehr Veränderung oft auch die Chance zu Vielfalt, zu neuen Erfahrungen? Kann das Aufbrechen alter Formen nicht auch dazu führen, dass man Menschen mit einbeziehen kann, die bisher aus den verschiedensten Gründen heraus buchstäblich außen vor gelassen waren?
Der deutsche Komponist Thiemo Kraas hat sich in Crossbreed einmal daran gesetzt, unsere Hörgewohnheiten herauszufordern. Kern des Stückes ist das alte Marienlied „Segne Du Maria“, das der Komponist in die Begegnung mit anderen Musikstilen, anderen Rhythmen und anderen Hörgewohnheiten führt – eine Herausforderung, gewiss, aber gleichzeitig sicher auch ein Werben um Vielfalt und um die Bereitschaft, dass manche Kernaussagen auch einmal einer neuen Form bedürfen, damit sie auch andere Ohren erreichen kann.
Almansa von Ferrer Ferran wurde vom Dirigent Martin Jegle in diesem Konzertprogramm symbolisch für den Islam gewählt.
Der spanische Komponist Ferrer Ferran beschreibt in Almansa das Zusammentreffen verschiedener Kulturen, das schwierige oft auch konfliktreiche Zusammenfinden und die wechselhaft dominierenden Einflüsse westlicher und arabischer Kultur. Damit spiegelt er musikalisch die Geschichte der kastilischen Stadt Almansa, die lange unter arabischer Eroberung stand, später im Zuge der Reconquista blutig durch christliche Könige zurückerobert wurde, was in einer Vertreibung der Muslime und Juden mündete. Ähnlich wie in Granada, der Partnerstadt Freiburgs, war das konfliktreiche Zusammentreffen der Kulturen jedoch nicht allein von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt. Vielmehr profitierte die Region über Jahrhunderte in Architektur, Musik und Wissenschaft vom breiten Schatz beider Kulturen. In der Mischung liegt der Reiz. Es entstanden die Jahrhunderte überdauernde Bauten und Werke, die sich bis heute in den Städten wiederfinden lassen und jedes Jahr zahllose Menschen anzieht.
Dies sollte uns zu denken geben in einem derzeit oft von Angst geprägten Klima. Ja, Zuwanderung bringt neue Einflüsse, und neue Einflüsse bringen immer auch eine Veränderung und sind damit manchmal unbequem oder besorgniserregend.
Sie geben uns jedoch aber auch die Chance, zu überlegen, was wir in unserer Kultur dauerhaft beibehalten wollen und wo vielleicht Chancen liegen, Dinge neu zu betrachten und vielleicht auch Neues zu wagen.
Gemeinsam mit den alteingesessenen Menschen in unseren Dörfern und Städten und den neu Hinzukommenden kann es ein gutes Gelingen geben, solche Entwicklungen für uns alle nutzbringend zu gestalten.
Wie passt nun Sea Songs von Ralph Vaughn Williams in dieses Konzertprogramm, in den kirchlichen Konzertsaal und in die Thematik?
Urlaub am und auf dem Meer – unbeschwertes Freizeitvergnügen, wunderbare Entspannung in der Weite und Schönheit der Ozeane. Der Horizont verheißt Sonne, Erholung und Urlaubsfreude. Im Ohr klingen alte und neue Seefahrermelodien, vor dem geistigen Auge ziehen weiße Segel und singende Matrosen vorbei.
Doch was bringt dieses Stück in den heutigen Abend, was hat sich der Musikverein unter der Leitung von Dirigent Martin Jegle dabei gedacht?
Nun – manchmal spiegelt der harte Kontrast viel mehr an Wirklichkeit, als alle Worte es vermögen. Denn was für uns mit Gedanken an Freizeitvergnügen und Erholung verbunden ist, steht jedes Jahr für Tausende von Flüchtlingen für Angst, Not und Schrecken. Das Meer ist für sie Bedrohung und Grenze, unbekannte Macht und todbringende Überfahrt. Im Jahr 2014 starben laut UNHCR mindestens 2.200 Menschen bei Überfahrten von Flüchtlingen über das Mittelmeer. 2015 dürften die Zahlen, die ohnehin nur die bekannten Unglücke dokumentieren, nochmals weitaus höher liegen. Zahlen aus anderen Regionen der Welt sind hier nicht einmal berücksichtigt.
Mit Sea Songs sollte in diesem Konzert der unbedingten Hoffnung Ausdruck gegeben werden, dass es den Nationen dieser Welt gelingt, gangbare Lösungen zu finden, die Meere in naher Zukunft nicht mehr als todbringende Grenzen, sondern als völkerverbindende Lebensbereiche unseres Planeten bezeichnen zu können.
Trauer, Verzweiflung, Tränen und Schrecken – all dies kennzeichnet menschliches Erleben, wenn sich mitten hinein in unbeschwertes und fröhliches Zusammensein sinnlose und fanatisch motivierte Gewalt Bahn bricht.
Fassungsloses Entsetzen, Wut und Angst sind menschliche Reaktionen, die uns alle angesichts der Anschläge in Paris ergriffen haben. Fast zeitgleich gab es Anschläge in Beirut, zwischenzeitlich in Nigeria, in Ägypten, in Mali und an vielen anderen Orten dieser Welt. Täglich kommen dazu Nachrichten von Amokläufen, von Geiselnahmen und Morden aus Machtgier, aus Fanatismus und Ideologie.
Menschen, die anderen Menschen das Existenzrecht absprechen um ihre verbrecherischen Ziele oder aber ihr verzerrtes Weltbild durchzusetzen, schockieren und erschüttern uns.
Sie gewinnen aber nur dann, wenn wir ihnen durch Aufgabe unserer Werte, unseres Glaubens an die Freiheit und an die Rechte jedes einzelnen Menschen in die Hände spielen. Sie gewinnen dann, wenn wir aus Angst vor den Tätern deren Opfern gleichermaßen Hilfe verweigern und diese damit hoffnungslos werden lassen. Sie, die Verbrecher, aus welcher Verblendung und welchem Antrieb auch immer sie handeln, werden an dem Wunsch der Menschen nach Frieden und Freiheit scheitern – auch wenn es im ersten Schrecken der Gewalttaten schwerfällt, an dieser Grundüberzeugung festzuhalten.
American Elegy von Frank Ticheli wurde ursprünglich geschrieben, um der Opfer eines amoklaufenden jungen Amerikaners an der High School in Columbine zu Gedenken. In diesem Konzert stand dieses Stück für das Gedenken an alle Opfer sinnloser und verbrecherischer Gewalt – und für die Hoffnung, dass wir gemeinsam im Zusammenleben Wege finden, die Menschen zeigen, dass Gewalt und Tod nicht gewinnt, sondern immer verliert.
Mit Amen von Pavel Stanek ging dieses Konzert des Musikvereins Freiburg-Opfingen in der Bergkirche in Opfingen zu Ende. Ein Abend, der neben reizvoller Musik sicher auch viel Anlass zu Nachdenklichkeit, zu Traurigkeit, aber auch zu Hoffnung Anlass gegeben hat. Die Situation derzeit bringt für uns alle sicher viele neue Erfahrungen, sicher auch Sorgen und Ängste, aber auch die Möglichkeit, Menschen zu begegnen und neue Erfahrungen zu machen.
Mit diesem Konzert wurde ein weiterer Stein im guten Zusammenleben mit den Menschen gelegt, die in Opfingen und anderswo als Schutzsuchende einen kurzfristigen oder dauerhaften Aufenthalt finden.
Daniela Evers arbeitet seit vielen Jahren als Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Asylrecht in Titisee-Neustadt. Tagtäglich wird sie mit Schicksalen abgelehnter Asylbewerber konfrontiert. Sie stammt aus Freiburg-Opfingen und hat im dortigen Musikverein viele Jahre lang Querflöte gespielt.
Herzlichen Dank, liebe Daniela, für diese ausdrucksstarke, emotionale und nachdenklich stimmende Ansage beim Kirchenkonzert in Opfingen und für die Zurverfügungstellung Deines Ansagetextes für diesen Beitrag!
Danke noch Mal für’s Aushelfen und danke für den Beitrag!