Die Triangel Dirigent – Musiker – Publikum Teil 5

Gedanken zum Thema von Michael Kummer

Michael Kummer ist der fünfte Dirigent, der die Frage “Wie vereinbart man seine eigenen Vorstellungen als Dirigent:in und Künstler:in mit der Erwartungshaltung von Musiker:innen und Publikum?” beantwortet. Alexander Beer schrieb Teil 1, Sandro Blank Teil 2, Annette Burkhardt Teil 3 und Stefan Kiefer Teil 4. Demnächst folgen noch Dietmar Rainer (IT, Südtirol) und Meinhard Windisch (IT, Südtirol).

Michael Kummer
Michael Kummer

Michael Kummer ist Gründer und Dirigent des Akademischen Blasorchesters München, Initiator, Organisator und Dirigent der jährlichen Sommerkurse für Sinfonisches Blasorchester in Marktoberdorf und leitete in seiner Laufbahn viele Blasorchester im Bereich des Musikbund Ober- und Niederbayern.

Hier seine Gedanken zu der Frage: “Wie vereinbart man seine eigenen Vorstellungen als Dirigent:in und Künstler:in mit der Erwartungshaltung von Musiker:innen und Publikum?”:

“Als Eingangsüberlegung muss man sich erst einmal selbst darüber im Klaren werden oder sein, wo man mit seinen eigenen Zielsetzungen und Ansprüchen an seine musikalische oder künstlerische Ambitionen steht und in wieweit das überhaupt mit den Gegebenheiten der musikalischen und personellen Möglichkeiten im zur Verfügung stehenden Arbeitsbereich zu vereinbaren ist. Die Kernfrage heisst also: Was kann ich an dem Platz, an dem ich stehe, überhaupt erreichen und stellt mich das zufrieden? Damit ist eng verbunden: Was kann ich dort kurz- oder langfristig entwickeln? Es ist also tatsächlich ein fundamentaler Unterschied, ob ich in einem gut einwickelten und eingeführten Höchststufenverein arbeiten kann oder mit einem Mittelstufenverein mit begrenzter Besetzung im ländlichen Bereich abseits von kulturellen Zentren arbeiten werde.

Wenn ich meine Einstellung dazu mit gutem Gewissen und Überzeugung bejahen kann, besteht damit erst einmal eine reale Chance zu guter Zusammenarbeit mit dem zu betreuenden und leitenden Ensemble. Es muss einem aber klar sein, dass die anstehende künstlerische Arbeit ein längerer Prozess sein wird, bei dem auch etliche Kompromisse auf dem Weg liegen werden. Die Herausforderungen an pädagogische Fähigkeit und musikalische Urteils- und Gestaltungsfähigkeit sind allerorten weissgott nicht gering. Daher ist eine längerfristige Zusammenarbeit auch unabdingbar für einen tatsächlichen Erfolg und – im Idealfall – Voraussetzung für eine gutes Stück künstlerischer Selbstverwirklichung. Bei der Arbeit im Laienmusikbereich wird aber stets die Entwicklung und Einbindung des jeweiligen Ensembles wichtiger sein, als die eigene Vorstellung von einer „idealen“ Welt. Dies soll aber zudem heissen, dass man mit viel Kreativität und auch ferneren Zielen zu Werke geht, denn nur damit geht die Reise zu einem Ziel.

Wenn sich in der Realität herausgestellt hat, dass die prinzipiellen musikalischen und geschmacklichen Präferenzen von Leiter und Ensemble sich als vereinbar erweisen, beginnt die permanente Herausforderung, die im Titel dieser Fragestellung angesprochen ist. Diese erweist sich bei näherer Betrachtung als durchaus komplexer, als es auf den ersten Blick erscheint. Letztlich geht es nicht nur um die musikalische Ausrichtung und Programmgestaltung, sondern auch um die Erfüllung der Erwartungshaltung der Musiker an Probenarbeit und die grundsätzlichen menschlichen Qualitäten des Leiters. Seine fachliche Eignung steht permanent ebenso auf dem virtuellen Prüfstand wie seine Kreativität und Visionen. Die Fähigkeit zur Motivation ist dazu natürlich ganz zentral. Eng damit verbunden ist aber auch die Bereitschaft, Rückschläge hinzunehmen und zu verarbeiten. Das beginnt schon bei der Reaktion auf die systembedingten Schwankungen im Probenbesuch, die bestens dafür geeignet sind, die Motivation des Leiters auf die Probe zu stellen. „Motivation ist keine Einbahnstrasse“ ist hierbei eine durchaus brauchbare Leitlinie. Die Liste der gegenseitigen Motivationskiller könnte man ein gutes Stück ausdehnen – beispielsweise wenn man über Jahre sehr begabte junge Musiker ausbildet und diese dann aus veränderten Lebenssituationen wie etwas Studium an einem fernen Ort für das Ensemble verloren gehen. Bei solchen Fragen ist die positive Kompromissfähigkeit des Leiter essentiell um die Erwartungshaltung der Mitwirkenden nicht zu enttäuschen. Auch ein stark ausgeprägter und immer gepflegter Teamgeist ist hier äusserst wichtig. Letztendlich reduziert sich alles auf den bereits angesprochenen Punkt: im Zentrum steht das Ensemble und die positive Entwicklung desselben.

Der allerwichtigste Bereich ist natürlich die programmtechische Seite der ganzen Vereinsarbeit. Als Grundlage gilt es erst einmal zu klären, was die Möglichkeiten am jeweiligen Ort sind, die zur Verfügung stehen. Danach richtet sich zwangsläufig die Auswahl der zu bewältigenden Stücke. Hier muss der Leiter den schmalen schmalen Pfad zwischen Über- und Unterforderung finden. Voraussetzung ist eine ausreichende Repertoirekenntnis, deren Erweiterung eine bleibende Herausforderung darstellt. Nur wenn man vieles kennt, kann man auch Passendes und Gutes auswählen und den Musikern in den Proben präsentieren. Vieles braucht hier einige Zeit um sich in die richtige Richtung zu entwickeln. Ob musikalischer Geschmack und Ambitionen deckungsgleich sind, muss man wie schon angesprochen im Vorfeld bereits überprüfen. Aber erst im Verlauf der Zusammenarbeit hat sich das dann tatsächlich zu bewähren. Qualitätsbewusstsein sollte für alle Beteiligten ganz oben an stehen. Dazu ist Sorgfalt bei der Programmauswahl ebenso wichtig wie die bereits erwähnte Repertoirekenntnis. Eine gekonnte Programmgestaltung ist der Schlüssel zu vielen Erfolgen. Ebenso die Kontaktfähig- und Freudigkeit zu Musikern und Publikum. Stete Beobachtung und Prüfung der Gegebenheiten ist dringend notwendig. Warnzeichen wie rückläufiger Proben- und Konzertbesuch sollte man schnellstens zur Kenntnis nehmen und dagegen arbeiten.

Was sind nun die Punkte, die man hierbei sinn- und wirkungsvoll einsetzen kann? Das allererste ist natürlich, dass der Leiter mit seinem Konzept und der daraus abgeleiteten Programmgestaltung voll überzeugt ist. Empfehlungen aus dem Kreise des Ensembles sind immer wahr und offen aufzunehmen, wenn es ins Konzept passt. Von Programmkommissionen halte ich nichts – wenn der Leiter nicht genau weiss, was er will, ist er nach meiner Meinung definitiv fehl am Platz. Der nächste Schritt ist, die eigene Begeisterung für die Stücke in eine abwechslungsreiche und motivierende Probenarbeit zu transferieren. Manches ist schnell vermittelbar, anderes kostet mehr Mühe und letztendlich wird es auch mal den Fall geben, dass etwas nicht so gut zu realisieren ist. In solchen Fällen sollte man nicht zögern, so ein Stück auch mal aus dem Programm zu nehmen. Keinesfalls sollte man immer den leichten Weg zum Erfolg wählen – die Mühe bei der Realisation von komplexeren und nicht sofort zugänglichen Stücken lohnt sich oft viel mehr, wenn man dann ein schönes Ergebnis erreicht hat, was am Ende alle voll motiviert. Über die Jahre stellt sich bestimmt auch ein Vertrauensverhältnis zwischen Leiter und Ensemble ein – man weiss ja irgendwann, was man gegenseitig voneinander erwartet.

Verbleibt der Weg zum Publikum. Meine Erfahrung von mehr als 40 Jahre ist eigentlich, dass die Erwartungshaltung des Publikums eine eher untergeordnete Rolle spielt. Der normale Zuhörer unserer Konzertprogramme wird die wenigsten Stücke im Vorhinein kennen und sicher auch nicht wegen der aufgeführten Programmfolge in den Plakaten oder Werbungsflyern kommen. Beinahe alle Konzertbesucher sind der direkte Anhang der Mitwirkenden und kommen aus persönlichen Gründen auf direkte Einladung von Bekannt- und Verwandtschaft. Entscheidend ist nun dabei nicht, was letztendlich gespielt wird, sondern wie begeistert die Personen auf der Bühne sind. Wenn wir als Hörer ein Ensemble vorfinden, das voll hinter der ganzen Sache eines Konzertes und des Vereines steht, ist die damit erreichte Ausstrahlung immens. Das beginnt bei den Erzählungen der Mitwirkenden in der Familie und im Freundeskreis während der Probenphasen und endet mit dem Bild froher Gesichter am Konzertabend im Saal und auf der Bühne. Wenn dann konzentriert und begeistert gespielt wird, ist der direkte Weg zum Publikum vorprogrammiert. Und wenn die Äusserungen über das Konzert von verschiedenen Leuten auch unterschiedlich gewichtet ist, hat man wohl ein Programm zusammengestellt, das vielseitig und interessant war: „Das und jenes hat mir besonders gefallen…“. Und wenn ich als Leiter auch so begeistert und gerne auf der Bühne meiner „Arbeit“ nachgehe, habe ich wohl das meiste richtig gemacht und gehe zufrieden von derselben.

Noch ein paar Gedanken aus dem Gesamtkomplex. Die meiste Musik leuchtet erst im richtigen Kontext. Allein dadurch erleichtert man allen Beteiligten den Zugang und es erscheint wichtig, dass man sich unter den gebotenen akustischen Ereignissen „etwas vorstellen“ kann. Dazu können programmatische Programmfolgen – sogenannte Mottos – durchaus viel gutes beitragen. Ausserdem sind verbindende Worte immer ein gutes Vehikel um den Weg zum Publikum zu verkürzen. Wenn man das Glück hat, als Leiter dazu ein wenig Begabung zu haben oder eine geeignete Person dazu zu gewinnen, ist dieses Medium sehr empfehlenswert. Allerdings sollte man hier schon viel Sorgfalt und Mühe aufwenden, denn der Effekt kann auch „nach hinten losgehen“. Niemand will endlose Zitate aus Wikipedia anhören und lexikalische Daten gustieren. Auch lustige Geschichten oder gar Witze, die nichts mit dem Programm zu tun haben, sind auch keine besonders clevere Idee. Auf einen Gemeinplatz kondensiert: eine gute Conference ist auch eine Kunst. Und noch ein oft leidiges Kapitel sind: Aushilfen. Für gar nicht wenige Veranstaltungen trifft der Begriff „Aushilfen“ gar nicht zu – es sind eigentlich Aufstockungen der Besetzung mit vereinsfremdem Musikern gegen Honorar. In der Regel sind diese „Not“-Massnahmen nicht besonders vereinsförderlich und täuschen etwas nicht wirklich existentes vor. Den treu zu den Proben erscheinen normalen Mitwirkenden wird so deutlich vor Augen geführt, dass sie es allein gar nicht geschafft hätten und ihre Leistung damit ohne Not herabgewürdigt. Die notwendige Erweiterung der Besetzung und stetige „Instandhaltung“ des Vereines wird dadurch keinesfalls ersetzt.

Kehren wir zur Ausgangsfragestellung zurück und versuchen wir ein Fazit. Ich denke, dass der Fetisch „künstlerische Selbstverwirklichung“ in einer erfolgreichen Vereinsarbeit keine wirkliche Rolle spielt. Für mich war diese stets das Erreichen des Möglichen und die gemeinsame Freude und Begeisterung an der Musik – und das ist eine bilaterale Sache. Wenn hier alles stimmt und nicht das Ensemble zum Vehikel für das Ego des Leiters instrumentalisiert wird, stellt sich eine nachhaltig wirkende Symbiose ein und der Weg zum Publikum ist kurz und direkt.”

Herzlichen Dank, lieber Michael Kummer, für Deine Ausführungen und die ergänzenden, wichtigen Worte zum Thema Moderation und Aushilfen.

Hier die Links zu allen Dirigenten-Statements zum Thema “Wie vereinbart man seine eigenen Vorstellungen als Dirigent:in und Künstler:in mit der Erwartungshaltung von Musiker:innen und Publikum?”
Teil 1 Alexander Beer
Teil 2 Sandro Blank
Teil 3 Annette Burkhardt
Teil 4 Stefan Kiefer
Teil 5 Michael Kummer
Teil 6 Dietmar Rainer
Teil 7 Meinhard Windisch

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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