Musiker:innen finden und binden
Oder warum unser Fokus auch darauf liegen sollte, die Musikerinnen und Musiker in unseren Musikvereinen zu halten
Nicht erst seit Corona ist eines der Haupt-Probleme in den Musikvereinen Kinder, Jugendliche und Erwachsene für das Erlernen eines Instruments zu begeistern, bereits ausgebildete Musiker:innen für das eigene Orchester und Unterstützer in Form von fördernden bzw. passiven Mitgliedern zu gewinnen. Darüber hinaus gilt es auch, die momentan im Blasorchester Musizierenden zu halten. Der Musikverein ist kein Selbstläufer. Gefühlt müssen wir heutzutage im Bereich Mitgliedergewinnung und -bindung sehr viel mehr Anstrengungen unternehmen als noch vor 20 Jahren.
Die Welt hat sich gewandelt, bzw. wandelt sich immer schneller. In der Betriebswirtschaft nennt man das VUCA-Welt. Das Wort VUCA als Akronym steht für volatility (Volatilität = Schwankung, Unbeständigkeit bspw. von Finanzmärkten), uncertainty (Ungewissheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Ambiguität = Mehrdeutigkeit). Die heutigen Märkte, wie auch unser Freizeitmarkt, verändern sich schnell und oft auch radikal. Die „äußeren“ Bedingungen wandeln sich schneller und wir sind gezwungen, auf diese Umstände zu reagieren.
Es ist die Tendenz zu erkennen, dass Musikvereine immer kleiner werden. Wenn die Orchester kleiner werden, bringt das Probleme mit sich. Zum Beispiel kann mit einer unvollständigen bzw. unausgeglichenen Besetzung nicht die ganze Vielfalt des Repertoires ausgeschöpft werden. Wenn Stimmen nur einzeln besetzt sind, leidet die Spielfähigkeit des Orchesters, wenn kurzfristig wegen Krankheit oder anderen Gründen einzelne Musiker:innen ausfallen. Es müssen dann schnell Aushilfen gefunden werden oder der Termin muss abgesagt werden. Das ganze Orchester leidet darunter. Die Frustration wächst. Die Möglichkeiten: weniger Auftritte, reduziertes Repertoire oder Spezialisierung auf die traditionelle Blasmusik, die mit kleineren Besetzungen auskommt. Wollen wir das? Wenn ja, ist alles gut. Wenn nein, müssen wir uns als Musikverein überlegen, wie unsere Besetzung (wieder) wachsen kann.
Wie schon angedeutet müssen wir unsere Hauptanstrengungen auf die Bereiche Jugend- und Erwachsenen-Ausbildung legen, aber auch schauen, wie wir bereits ausgebildete Musiker:innen – seien es Ehemalige, Zugezogene oder aus anderen Gemeinden – für unser Blasorchester bekommen.
Die Anstrengungen, in der Quantität zu wachsen, sind arbeitsintensiv. Dies bedarf u. a. auch einem zielgerichteten Marketing. Die Bereiche Jugend/Ausbildung und Marketing sind die beiden Bereiche, die die Zukunft des Musikvereins sichern und sind somit die beiden allerwichtigsten Abteilungen des Musikvereins. Leider sind gerade diese beiden Bereiche in den Musikvereinen dünn besetzt. In Musikvereinen mit herkömmlichen, hierarchischen Vorstandsstrukturen sind diese Bereiche nicht einmal mit geschäftsführenden Vorständen, sondern mit Jugendleitern oder Jugendreferenten bzw. sogenannten „Beisitzern“ besetzt.
Bis Kinder und Jugendliche so weit sind, dass sie in den großen Orchestern unserer Musikvereine mitspielen können, vergehen Jahre. Ausgebildete Musiker:innen zu gewinnen erfordert große Marketinganstrengungen. Ideal ist, den Musikverein gar nicht erst schrumpfen zu lassen.
Es gibt zweierlei Arten von Gründen, warum die Musikvereine kleiner werden bzw. Musikerinnen und Musiker ihren Verein verlassen. Einerseits Gründe, die im Außen liegen und die wir nicht beeinflussen können und andererseits Gründe, die in den Musikvereinen selbst liegen und die wir sehr wohl beeinflussen können.
Gründe, die im „Außen“ liegen:
- Wegzug aus der Gemeinde, z. B. wegen Beruf, Studium oder Ausbildung
- Steigende Arbeitsbelastung im Beruf, der Schule, im Studium
- Geändertes Freizeitverhalten
- Gesteigertes Bedürfnis Einzelner nach mehr Selbstverwirklichung
- Ganztagsschulen
- Steigende Kosten somit weniger Geld für das Hobby (Musizieren muss man sich leisten können)
Gründe, die in den Musikvereinen selbst liegen:
- Mangelnde Kommunikation bzw. Wirrwarr durch zu viele schriftliche Kommunikationskanäle
- Veraltete Organisationsstrukturen
- Keine Klarheit über Aufgabenverteilung und fehlende schriftliche Fixierung
- Unterschiedliche Erwartungshaltungen und Motivationen
- Mangelnde Möglichkeiten der Mitgestaltung auf Grund von festen Vorstands- und Entscheidungsstrukturen mit wenigen Personen
- Eingefahrener musikalischer Jahreslauf ohne Innovationen
- Angst vor und Behinderung von Neuem durch wenige Musiker:innen
- Schwerpunkt der Vorstandsarbeit auf das Tagesgeschäft mit vielen Festen und Aktionen, die nicht unbedingt mit Musizieren zu tun haben
- Scheinbar witziger Umgang miteinander, der allerdings verletzend für Einzelne sein kann
- Scheinbarer Zusammenhalt und gute Gemeinschaft miteinander, die bei näherem Hinsehen nicht alle Mitglieder einbezieht
- Kein funktionierendes Registerleitersystem
- Keine strukturierte und verankerte Willkommenskultur („Onboarding“)
- Fehlendes Bewusstsein der Musiker:innen für Probendisziplin und Anwesenheit in Proben und bei Auftritten/Konzerten (Verwaltung der „Absenzen“ anstatt die Selbstverständlichkeit der Anwesenheit)
- Kommunikationsschwerpunkte auf „Ja, aber…“, anstatt sich darüber Gedanken zu machen, wie eine Idee umgesetzt werden kann
- Nicht ausreichend ausgebildete:r und geschulte:r Dirigent:in mit Defiziten in Pädagogik, Didaktik, Führungsqualitäten und Repertoirekenntnissen
- Musiker:innen verlieren den Spaß am Musikverein wegen Repertoire, das überwiegend nicht gefällt, zu vielen (Pflicht-)Terminen bzw. Auftritten, bei denen die Qualität der Musik nicht im Vordergrund steht, uvm.
Es gibt viele Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, um das Blatt zu wenden und die Abwärtsspirale aufzuhalten. Engagierte Persönlichkeiten vorausgesetzt. Und natürlich Lösungsideen. Und wir sehen, das Halten der Mitglieder bedeutet genau so viel Anstrengung innerhalb des Vereins wie das Gewinnen neuer Musikerinnen und Musiker.
Ausnahmen bestätigen die Regel, aber ich sehe momentan bei vielen Musikvereinen nicht unbedingt ein Aufwärts… Und ich bin mir nicht sicher, ob die Musikvereine es sehen, dass die Abwärtsspirale eingesetzt hat. Ein „weiter so“ und ein „so haben wir das schon immer gemacht“ hilft uns in der heutigen Welt nicht weiter. Wie eingangs schon geschrieben, müssen wir uns allein schon auf Grund der heutigen VUCA-Welt anders aufstellen. Wenn unsere Musikvereine flächendeckend überleben sollen, müssen neue Konzepte für Konzerte, Auftritte, Vereinsmanagement, Finanzierung und Ausbildung (Jugend, Erwachsene, Dirigent:innen) erdacht und umgesetzt werden. Eine weitere Möglichkeit sind Kooperationen mit beispielsweise Musikschulen, Schulen und anderen Musikvereinen.
Die Blasmusikverbände bieten sehr viele Möglichkeiten der Fortbildung in allen Bereichen an: für die Jugendarbeit, das Vereinsmanagement, die Finanzierung und Bewältigung der bürokratischen Hürden, für die Weiterbildung von Musiker:innen und Dirigent:innen. Allerdings klagen viele Verbände, dass die Informationen bei denen, die davon profitieren können, nicht ankommen. Die Informationen kommen bei einer E-Mail-Adresse des Musikvereins an und der Empfänger leitet diese nicht an die Mitglieder weiter. Gerade nach Corona ist die Tendenz zu erkennen, dass Workshops, Seminare bzw. Fortbildungen teilweise wegen mangelnden Anmeldezahlen abgesagt werden bzw. mit nur wenigen Teilnehmer:innen durchgeführt werden.
Dieser Artikel soll die Vereinsverantwortlichen und alle Musiker:innen in den Musikvereinen für die Notwendigkeit sensibilisieren, neue Wege einzuschlagen und auch motivieren, die Probleme und großen Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.
Zur ergänzenden Lektüre empfehle ich diese Beiträge auf dem Blasmusikblog:
Kinder und Jugendliche für das Musizieren begeistern!
Willkommenskultur im Musikverein
Was tun, wenn der Musikverein auf wenige Musiker:innen geschrumpft ist?
Liebe Alexandra,
da sprichst du wohl jeder Sängerin, Künstlerin und allen Musisch-Interessierten aus der Seele! Ein sehr lesenswerter Artikel – ganz gleich, ob als Blasmusiker:in und/oder anderweitig Musik-interessiert!
Viele liebe Grüsse
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