Randnotiz: Wo bleibt der feminine Touch in unserer Blasmusikszene?
Sechzehn Jahre Kanzlerin Dr. Angela Merkel. Und nun die „junge“ Annalena Baerbock als Außenministerin. Gerade mal 41 Jahre alt. Für eine Politikerin in Spitzenposition ein Kückenalter. Sie hat zwei Töchter, noch nicht mal im Teenager-Alter. Im Kabinett Scholz quasi die Hälfte der Minister:innen weiblich.
Doch politisch möchte ich auf dem Blasmusikblog gar nicht werden. Die Beispiele Dr. Angela Merkel und Annalena Baerbock zeigen mir nur eins: Frauen schaffen alles, wenn sie es wollen. In allen Bereichen. Sogar in der von Männern geprägten Politik-Welt. Und natürlich zeigen Euch diese einleitenden Worte, worauf ich hinaus will: die geringe Anzahl an Frauen in „Spitzenpositionen“ in der Blasmusikwelt.
Ist es zu gewagt oder zu provokant, wenn ich sage: Wir haben deshalb so wenig Dirigentinnen, Komponistinnen und weibliche Vereins- bzw. Verbandsverantwortliche in leitenden Funktionen, weil einfach zu wenig Frauen diese Positionen wollen!!?
Aber zu diesem Schluss komme ich jedes Mal, wenn ich darüber nachdenke.
Frauen schaffen alles.
Aber wenn wir uns so bei den Dirigentinnen in der Blasorchesterszene beispielsweise umgucken, fallen mir nur ganz wenige Beispiele von erfolgreichen Frauen ein: Allen voran Isabelle Ruf-Weber, die auf höchstem Niveau mit Blasorchestern arbeitet und gearbeitet hat.
In den Jurys der Wettbewerbe sitzen auch kaum Frauen. Bei den Schweizer Brass-Band-Meisterschaften 2021: Keine einzige Frau! Beim Deutschen Musikfest 2019 in Osnabrück: Von 21 Juror:innen bei den Bläserklassen zwei Frauen. Beim Konzertwettbewerb: Keine Frau von insgesamt fünf Juroren. Beim Wettbewerb Traditionelle Blasmusik: Keine Frau von 4 Juroren. Beim Entertainment-Wettbewerb: Keine Frau von 4 Juroren. Im Internationalen Dirigentenwettbewerb war Isabelle Ruf-Weber die einzige Frau unter insgesamt 4 Juroren.
Bei den erfolgreichen Komponistinnen, also denen, die wirklich weltweit auch gespielt werden und regelmäßig auf den Konzertprogrammen auftauchen, fallen mir spontan nur Julie Giroux, Ida Gotkovsky und Anne McGinty ein.
Ebenso habe ich Mühe Beispiele für Verbandspräsidentinnen zu finden. Sabine Wölfle vom Oberbadischen Blasmusikverband „Breisgau“ e. V. und Petra Midden (1. Vorsitzende) im Regionalmusikverband Emsland / Grafschaft Bentheim sind mir bekannt.
Im Präsidium vom BDB – Bund Deutscher Blasmusikverbände (der alle Blasmusikverbände in Baden und wenig mehr umfasst) sind von 9 Präsidiumsmitglieder alles Männer. Beim BVBW – dem Blasmusikverband Baden-Württemberg (der alle Blasmusikverbände in Württemberg umfasst) von 9 Präsidiumsmitglieder immerhin 2 Frauen. Im Bayerischen Blasmusikverband sind im Präsidium 5 Personen, darunter 1 Frau. Der Musikausschuss im Bayerischen Blasmusikverband zählt von 8 Personen immerhin 4 Frauen.
Die Blasmusikwelt ist also immer noch eine Männerdomäne. Doch halt. In den meisten Blasorchestern selbst sieht das anders aus. In vielen Blasorchestern spielen mittlerweile schon mehr Frauen als Männer mit. Zumindest ist das Verhältnis Männer und Frauen ausgeglichen. Es würde mich interessieren, ob es Verbandsinformationen, eine Studie, Umfrageergebnisse oder ähnliches darüber gibt, die dieses – mein – ‘Empfinden durch Beobachtung’ bestätigen.
Beim aktuellen C3-Lehrgang (2021) an der BDB-Musikakademie in Staufen sind nur 6 der 22 Teilnehmer:innen weiblich. Aber immerhin. Sehr langsam steigt die Anzahl der Dirigentinnen. Es ist aber immer noch eine Seltenheit, wenn eine Frau vor einem Blasorchester steht. Seltsamerweise, je höher das Blasorchester spielt, desto rarer werden die Frauen, während vor den Bläserklassen, Vor- und Jugendorchestern schon sehr viele Frauen am Dirigierpult stehen.
Liebe Frauen, wollt Ihr nicht? Oder ist es so, dass Ihr als Dirigentin von den Blasorchestern nicht akzeptiert werdet? Wird Euch bei Bewerbungen ein Mann vorgezogen? Warum lasst Ihr Euch nicht in die Gremien wählen? Dirigentinnen, warum macht Ihr die Jurorenausbildung nicht? Warum komponiert Ihr nicht? Liebe Frauen, bitte nutzt das Kommentarfeld unter diesem Beitrag für Euer Statement, Eure Meinung, Eure Erfahrungen! Vielen Dank.
jetzt mach ich gerade wieder einmal einen Fehler: als Mann schreibe ich hier viel zu viel Wörter. Also stichpunktmäßig: hoffentlich verstehen´s alle. Schlagzeuger, Blechbläser, Ausbilder, früher Funktionär in KV Hohenlohe, oft auch Aushilfsspieler bei Vereinen. Ja- Frauen sind im Vormarsch, sind vielfältig in den Vereinen sehr engagierte Spieler in allen Registern- auch Schlagzeug und Tuba. Im ehrenamtlichen Bereich sehr häufig die rechte Hand des Vereinsvorstand, die gute Fee im Hintergrund usw…Ja , auch bei Jugendarbeit kenne ich sowohl auf Vereinsebene als auch in Verbandsarbeit gute weibliche Mitstreiter.
Meine Jugend in 1963- ca. 1972(Heimatvereine, im Allgäu waren Mädchen noch gar nicht In der Musikkapelle!!) Es ist nicht politisch: Musikerinnen können alles genauso gut wie männliche/ oder gender???….Manche Probleme werden durch Presse erst hoch geschraubt- wirkliche wichtige Aufgaben aber unter der Decke gehalten: Muß ein Funktionär wirklich zu jeder Ehrung in den Vereinen? Kann die musik. Früherziehung nicht endlich Hauptfach in den Schulen werden? Müssen die Betreuungsstunden in Schulen von Eltern/Senioren (Musik-AG)…in den Stundenplan und bei gleichberechtigter Entlohnung wie von Pädagogen ausgeführt werden? Erziehungsprobleme in Familien ….die werden durch gute Vereinsarbeit geleistet, aber überhaupt nicht entlohnt…Musikschulen werben Schüler/Ausbilder wollen gute Bezahlung,,, Vereine sollen das stemmen… Frage: Ist es nicht gut, dass die Frauen hier schon mal die wichtigen Akzente setzen… die Männer helfen dann schon mit, wenn´s immer besser wird. Für´s erste reicht´s.
Ich schließe mich mal dem Fehler meines Vorredners Hubert Milz an 😉 und schreibe auch zu viele Wörter. In meinem persönlichen Umfeld sehe ich in den Vorständen eigentlich schon fast Parität.
Im Vorstand unseres Jugendorchesters (eigenständiger Verein), in dem ich selbst tätig bin, herrscht eine Parität von 8 Frauen und 8 Männern, im geschäftsführenden Vorstand sind es 5 Frauen (1. Vors., Schriftführerin, Kassiererin) und 2 Männer (2. Vors., Geschäftsführer). Der Vorstand setzt sich aus Ehemaligen, Jugendlichen und Elternteilen zusammen. Während sich noch bis zur Jahrtausenwende hauptsächlich die Väter engagierten, sind es heute größtenteils die Mütter.
Im Vorstand des Erwachsenenorchesters, in dem ich selbst mitspiele, sind es 5 Männer und – inklusive Dirigentin (!) – 5 Frauen. Vor der Pandemie haben wir uns im Bereich Ober- bis Höchststufe eingeordnet. (Aktuell wäre ich aufgrund der flickenteppichhaften Probenarbeit der letzten zwei Jahre mit dieser Einstufung etwas vorsichtig, zumal der Wechsel vom ehemaligen Dirigenten zur neuen Dirigentin in die Zeit der Pandemie fiel.) Zum Probedirigat haben es seinerzeit im August 2020 übrigens 2 Frauen und nur 1 Mann geschafft und der war auch mit Abstand der ungeeigneteste Kandidat.
Eine These möchte ich aufstellen:
Alles braucht seine Zeit und die ist in der Regel länger als sich frau (und man) das wünscht. Das wird schon:
Meine Wahrnehmung in meinem Orchester ist folgende: Spielen beide Teile eines Paares im Orchester, wechseln sie sich heute ab, wenn Nachwuchs ins Haus gekommen ist. Eine Woche der Vater bei der Probe, die nächste Woche die Mutter. Das hat sich seit ca. 10 – 20 Jahren so entwickelt. Zuvor kam die Mutter halt jahrelang nicht oder gar nie mehr. Spielt nur die Mutter im Orchester, kommt sie inzwischen häufig relativ schnell wieder regelmäßig. Nur stelle ich fest, dass in den ersten 15 – 20 Jahren der Kindererziehung weder Vater noch Mutter Zeit für ein zusätzliches Vorstandsamt haben. Ich glaube, dass die erste Generation Frauen, die es für sich als selbstverständlich erachtet, sich im Vorstand zu engagieren und auch höhere Vorstandsämter zu übernehmen, heute so um die 40 – 50 ist. Die ersten müssten ihre Kinder also bald “aus dem Gröbsten raus” haben. Insofern hoffe und erwarte ich, dass sich die Frauenanteile in den kommenden Jahren stark nach oben bewegen werden.
Hallo zusammen,
also bei uns sind seit der letzten Generalversammlung 4 Frauen und 1 Mann in der Vorstandschaft inkl. neuer Dirigentin. 1. und 2. Vorstand sind weiblich.
Viele Grüße
Christine aus Lutzingen
Vielen Dank für diesen Beitrag!
Die Blasmusikszene ist verdammt männerlastig, gerade wenn man sich den Frauenanteil unter den Dirigent*innen anschaut. Ich habe schon vom verschiedenen Dirigentinnen gehört, dass sie das Gefühl haben, es schwerer zu haben, als männliche Kollegen. Steht eine Frau am Pult sind sexistische Sprüche meist vorprogrammiert. Ich habe das als Sohn einer Dirigentin von klein auf mitbekommen. Meine Mama hat immer geschimpft über dumme Kommentare, von Musikern wie Zuschauern, insbesondere bei Hocks mit Bierlaune. Noch schlimmer sieht es bei Komponistinnen aus. Als ich vor ein paar Jahren bei meinem Verein ein Stück von Julie Giroux aufgelegt habe, war das das erste Mal, in der über 60-jährigen Vereinsgeschichte, dass ein Stück einer Komponistin gespielt wurde. Eigentlich sollte das in der Konzertansage erwähnt werden, es war den Verantwortlichen dann aber zu peinlich. Bei den Musikverlagen für Blasmusik scheinen im deutschsprachigen Raum massive gläserne Decken zu existieren, so dass Werke von Komponistinnen erst gar nicht verlegt werden oder entstehen. Ist die Szene an sich vielleicht so sexistisch, dass Frauen gar nicht erst für Blaskapelle komponieren? Wieviele insbesondere deutsche Komponistinnen fallen euch ein? Selbst in der Repertoireliste des Berliner Frauenbladorchesters finden sich kaum Stücke von Komponistinnen. Fördert weibliche Musik! Vielleicht könnten sich Dirigent*innen ja generell vornehmen, pro Jahreskonzert mindestens ein von einer Frau geschriebenes Stück aufzulegen? Der Sexismus in der Blasmusikszene muss endlich verschwinden!
Richtig. Es ist aber immer noch auch ein generelles Problem, meines Erachtens. Nicht nur für die Blasmusikszene.
Viele Komponstinnen fallen mir nicht ein. Mir fällt aber die Komponistin aus der Schweiz, Evi Güdel-Tanner, ein. Suite Sarladaise z.B. finde ich klasse.
Hallo zusammen,
ich darf aktuell mit 5 wundervollen Frauen die Musik Sparte in einem Turnverein leiten. Lediglich unser Dirigent, der eine beratende Funktion hat im Vorstand, ist männlich. Seine Stellvertretung ist weiblich.
Allerdings sieht man sich immer wieder mit den Themen konfrontiert, Frauen sind zu emotional und das hindert sie. Da stell ich mir schon die Frage was ist daran verkehrt? Warum darf ich nicht emotional sein, wenn mich etwas bewegt? Ist der sachliche Weg immer automatisch der Richtige?
Im Verband sitze ich ebenfalls im Vorstand hier ist es ausgewogen inzwischen. Aber auch dort hat man das Gefühl als Frau muss man etwas mehr arbeiten – ähnlich wie im Job. Dabei sind wir Frauen oft Organisationstalente und können mit mehreren Themen gleichzeitig jonglieren, was den einen oder anderen männlichen Kollegen nicht so leicht von der Hand geht.
Ich glaube, Frauen haben es aktuell noch schwer und setzen vielleicht irgendwann die Freizeitprioritäten anders. Aber wir sind auch am Überholen und sollten dem Nachwuchs ermöglichen alles werden zu können, was sie möchten und sie ermutigen. Das Blatt wird sich wenden.
Sehe ich auch so.
Ich bin selbst Dirigentin und kenne einige Frauen die dirigieren oder als Vorständin einen Verein leiten.
Fühle mich nicht diskriminiert oder zurückgestellt im Vergleich zu Männern.
Wenn Frau/Mann den Job gut macht, dann wird er/sie auch akzeptiert oder eben nicht.
Weshalb Frauen weniger in “höheren” Positionen sind könnte bei vielen auch einfach damit zu tun haben, dass Frauen häufig für die Familie zuständig sind oder auch noch neben der Familie arbeiten. Dann das Hobby Musik noch in einer Führungsposition auszuweiten sprengt doch irgendwann den Rahmen.
Haben wir doch alle einfach 24h Tage.
Werke von Komponistinnen sind wenig bekannt, es gibt jedoch auch Bemühungen, sie zu sammeln und zu präsentieren und so bekannter zu machen. Europäische Komponistinnen aus Vergangenheit und Gegenwart werden hier geschmackvoll präsentiert:
https://www.europeanfemalewindbandcomposers.com/
Nicht ganz so informativ, dafür globaler gefasst ist diese Seite:
https://docs.google.com/spreadsheets/d/1i4mcvDo3j6P9MiXKDbgyZ6enIGPcDhY2NTG278ReOaI/edit#gid=0
Danke für die Links. Die sind wirklich hilfreich. Beim zweiten Link wird auch klar, wie man an die Stücke ran kommt, oder man kann sie hören. Die USA scheinen da etwas voraus zu sein. Bei den europäischen Komponistinnen habe ich mal hier und da gesucht und auf den ersten Blick keine gefunden, bei der man Aufnahmen von den Stücken im Internet findet, geschweige denn, dass ihre Blasorchesterwerke verlegt wären.
Pingback: Blasmusikblog Monatsrückblick Januar 2022 – Blasmusik
Hallo,
ich möchte ergänzen, das im Bläserverband M-V e.V. sogar seit 2017 hauptsächlich Frauen im Präsidium sind (Präsidentin, Vizepräsidentin und Schatzmeisterin), aktuell auch Landesjugendwartin.
In 2-3 von den Mitgliedvereinen sind es sogar Dirigentinnen. Ich glaube M-V ist erstaunlicherweise ziemlich gut dabei, was einige der genannten Punkte betrifft 😀
Ich bin gerade auf den Artikel gestoßen, als ich Einträge zu den Stichwörtern “Komponistin Blasorchester” gesucht habe ^^
Das ist mit Abstand der arroganteste Beitrag zu diesem Thema. „Frauen können alles schaffen“ – nein, das ist nicht wahr. Nur in einem Umfeld, das sich aktiv der Förderung von Frauen* verschreibt ist das wirklich möglich. Die Blasmusikszene ist eine durch und durch patriarchal durchstrukturierte und teilweise auch misogyne Szene. Z.B Selbstbewusstsein hier zu entwickeln und beispielsweise ein Dirigat überhaupt in Erwägung zu ziehen ist für Frauen* (ganz zu schweigen für Queers) von Grund auf viel schwerer. Frauen*, sich durchbeißen, spielen nicht selten in den Codes der erfolgreichen Männern, das heißt sie reproduzieren diese Strukturen, man nennt das TAR-Komplex. Insofern kann man auch nicht davon ausgehen, wenn X- Anzahl an Frauen in einer Jury sitzt, oder X-Frau dirigiert, dass damit automatisch alles besser ist und das Problem gelöst. Sehr einseitig hier alles diskutiert.