Unterricht für Erwachsene – die andere Art der Nachwuchsgewinnung im Musikverein
Best Practice: Musiker werden 40Plus – Eine Initiative der Orchestergemeinschaft Seepark
Wenn ich jetzt hier schreibe, dass es aus den unterschiedlichsten Gründen immer schwieriger wird, Jugendliche im Blasorchester bzw. Musikverein zu halten, dann ist das vielen kein unbekanntes Phänomen. In meinem Beitrag “Hat das Modell ‘Musikverein’ ausgedient?” habe ich bereits mit Zahlen belegt, dass die Anzahl der in den Musikvereinen spielenden Musikerinnen und Musiker eher stagniert bzw. zurückgeht.
Die Orchestergemeinschaft Seepark in Freiburg hat schon vor 2 Jahren erkannt, dass eine Möglichkeit, die Besetzung zu Vergrößern nicht nur die Nachwuchsgewinnung unter Kindern und Jugendlichen ist, sondern hat ein Konzept entwickelt, Erwachsenen das Spielen eines Instruments schmackhaft zu machen und sie aktiv am Instrument für eine zukünftige Mitwirkung im Blasorchester auszubilden. Einer der Initiatoren und Organisatoren dieses Konzepts ist der Dirigent der Orchestergemeinschaft Seepark, Michael Schönstein. Ihm habe ich dazu ein paar Fragen gestellt:
Was hat Euch dazu veranlasst, ein Konzept „Unterricht für Erwachsene“ zu erstellen und zu initiieren?
„Die Tatsache, dass wir in der klassischen Ausbildung “Früherziehung > Jugendmusiker > Hauptorchester” eine immer geringere Erfolgsrate derer haben, die dann im Hauptorchester ankommen (z.B. von 10 Blockflöten, machen 5 auf dem Instrument weiter und nur 1-2 landen im Hauptorchester nach 5-8 Jahren). Dieser klassische Weg ist sehr Ressourcenintensiv (Kosten, Zeit und Manpower). Erschwerend dann die Tatsachen, wenn die Musiker dann mit 15-16 ins Orchester kommen, dann evtl. G8 Schule haben sind sie spätestens nach 3-4 Jahren an der Schwelle nach Abi zum Studium, und hier verlieren wir dann meist wieder 60-70%, da es erstmal ins Ausland geht oder viele Studienangebote in anderen Städten wahrgenommen werden.
Zu dieser Haupttatsache hatten wir aber auch immer wieder die Nachfragen, ob man auch als “Älterer” bei uns ein Instrument lernen “dürfe”. Alleine diese Tatsachen haben uns den Antrieb gegeben, das Konzept auszutesten.“
Wie kam das Konzept an, wie viele Erwachsene konntet Ihr bisher für dieses Konzept begeistern? Wie viele Erwachsene werden momentan unterrichtet?
„Das Konzept kam gleich sehr gut an. Die Werbung in den offline Medien (Zeitschriften, Flyer,…), aber vor allem auch den Online Medien (Facebook, Google AdWords, E-Mail-Kampagnen,…) hatten sehr gute Rücklaufquoten. Der von uns zu diesem Zweck initierte “Freiburger Infotag: Musik zum Anfassen” wurde beim ersten Mal von “Wenigen” besucht, aber diese “Wenigen” waren genau mit der Absicht gekommen und so hatten wir eine hohe Anmeldequote an dem Tag. Letztes Jahr konnten wir an dem Tag 15 neue Ausbildungsverträge mit Erwachsenen und Wiedereinsteigern abschließen. Derzeit sind 26 Erwachsene bei uns in Ausbildung.“
Welche Instrumente werden momentan konkret innerhalb dieses Konzepts unterrichtet?
„Flöten, Klarinetten, Tenorhorn, Posaune, Saxophon, Trompete, Tuba.
Wir bieten aber alle Instrumente an, inklusive E-Bass.“
Aus welchem Umkreis kommen die Erwachsenen, die bei Euch momentan ein Instrument lernen? Nur aus Euren Stadtteilen oder aus dem ganzen Stadtgebiet Freiburg?
„Die Teilnehmer kommen aus dem gesamten Stadtgebiet Freiburg und auch aus dem Umland. So haben wir auch Teilnehmer aus Emmendingen und Kirchzarten.“
Ist nur Einzelunterricht im Konzept vorgesehen? Ab wann können die Erwachsenen im Ensemble musizieren?
„Ja, wir bieten ausschließlich 45-minütigen Einzelunterricht an. Der Unterrichtsbedarf ist zu individuell, vor allem bei “Spät- oder Wiedereinsteigern”, da auch die Investition an “Zeit” die der Einzelne leisten kann, je nach Familiensituation und Job unterschiedlich ist. Da würde Gruppenunterricht nicht funktionieren. Die Erwachsenen dürfen im Hauptorchester ab dem erreichten Bronze-Niveau und einem Vorspiel im Hauptorchester in Ausnahmen mitwirken, direkt aber nach erreichen des JMLA Silber Niveau. In einem “Ensemble”, dürfen sie “sofort” mitspielen. Jährlich findet das “Musikschulkonzert der Orchestergemeinschaft Seepark” statt, indem alle Auszubildenden ihren jeweiligen Leistungsstand in Ensemble-Spiel präsentieren. So auch die Erwachsenen.“
Welche Rückmeldungen erhaltet Ihr von den Erwachsenen, die momentan im Rahmen dieses Konzepts bei Euch ein Instrument lernen?
„Das sind sehr positive Feedbacks wie “…endlich hab ich das gemacht!” oder “…warum hab ich nicht schon lange mit Tuba angefangen…” – Wir bekommen viel “Dankbarkeit” und auch “Lob”. (Anmerkung: Das soll nicht arrogant klingen, aber das ist wirklich so!)“
Werden die Erwachsenen, die momentan ein Instrument lernen schon in die Aktivitäten der Orchestergemeinschaft eingebunden und in welcher Weise?
„Ja, alle die in der Orchestergemeinschaft Seepark aktiv Mitglied werden (und das beginnt ab der Ausbildung) werden sofort eingebunden. Hier sind viele Optionen möglich: auf jeden Fall zum Helfen an den Vereinsveranstaltungen (Freiburger Oktoberfest, Vino e Musica, die 2 Gala-Konzerte, Freiburger Seefest,…). Aber auch in der Vorstandsarbeit (z.B. Beisitzer) oder in einer der AGs (AG Jugend, AG Notenrat, AG Mitgliederwerbung, AG Reisen & Außermusikalisches)“
Was verspricht sich die Orchestergemeinschaft Seepark von diesem Konzept?
„Ganz gezielt “langfristige Musiker im Hauptorchester”. Denn ein Erwachsener, der ein Instrument lernt oder Wiedereinsteigt ist sich seiner Lebenssituation bewusst und überlegt sich gezielt (bzw. wir fragen dies auch gezielt zu Beginn nach), ob er “Orchestermusiker” werden will. Wenn er diesen Willen nicht hat, dann bilden wir ihn nicht aus. Also ist zu Beginn klar, ob und mit welcher Karriere er dann im Hauptorchester der Orchestergemeinschaft Seepark mitwirken kann.“
Könnt Ihr schon von kleinen oder großen Erfolgen berichten?
„Eine sehr witzige Kette kam wie folgt: Unser Solo-Klarinettist war im vergangenen Jahr beruflich in Karlsruhe und konnte nicht regelmäßig am Orchester teilnehmen. An unserem Infotag hatten wir einen Wiedereinsteiger auf dem Tenorhorn gefunden, der durch Zufall unsere Veranstaltung gefunden hatte. Wir konnten diesen dann überzeugen, dass er recht kurzfristig bereits 4 Wochen später zur Vereinsreise nach Wien mitkommt. Er hatte dann seine Frau mitgenommen und seinen Urlaub verschoben. Im Bus auf der Reise nach Wien stellte sich zum einen raus, dass seine Frau hier in Freiburg arbeitet und derzeit eine offene Stelle hat, die genau auf unseren Solo-Klarinettisten passte. Und zum anderen aber auch, dass seine Frau immer mal Posaune lernen wollte, das aber während Schulzeit und später Studium nicht geschafft hat. Ergebnis nach nun 4 Monaten: unser Solo-Klarinettist hat einen festen neuen Job in Freiburg und spielt dauerhaft wieder mit, im Orchester haben wir einen neuen Wiedereinsteiger am Tenorhorn und dessen Frau hat derzeit Unterricht auf der Posaune. Klingt zwar wie ein schlechtes “Hollywood“-Drehbuch, ist aber wirklich so passiert.“
Wer mehr über das Konzept erfahren möchte, dem empfehle ich die Homepage der Orchestergemeinschaft Seepark in Freiburg: “Musiker werden 40plus” .
Das Konzept der Orchestergemeinschaft Seepark finde ich sehr schlüssig. Eine weitere Möglichkeit wäre, eine “Bläserklasse für Erwachsene” anzubieten. Mit einem Erwachsenen-Bläserklassen-Konzept wäre jedoch die Flexibilität des Einzelnen eingeschränkt. Wichtig ist, dass die Möglichkeit des Ensemblesspiels in kleineren Gruppen von den Instrumentallehrern von Anfang an angeboten wird. So dass auch die erwachsenen Auszubildenden nicht jahrelang allein mit ihrem Instrument sind.
Wer von den Blasmusikblog-Lesern kann noch von positiven Beispiel der Zukunftssicherung der Musikvereine berichten? Gerne Info unten die Kommentare schreiben. Gerne berichte ich auch über Euer Konzept hier auf dem Blasmusikblog.com.
Feiert dieses Jahr bereits sein 10-jähriges Orchesterjubiläum: Das Orchester für Spätberufene namens “Endlisch Musigg”, das mitten im Rhein-Main-Gebiet angesiedelt ist:
http://www.endlischmusigg.de
Das Orchester stellt mittlerweile regelmäßig Konzertevents wie z.B. http://www.konzertparty.de vor ausverkaufter Halle auf die Beine.