Wie wir „Ehemalige“ für unseren Musikverein wiedergewinnen können
Da eines der Hauptprobleme von Musikvereinen bzw. Blasorchestern oder Spielmannszügen mit der ausreichenden und ausgewogenen Besetzung zusammen hängt, möchte ich hier die Chancen und das Potential aufzeigen, das im Wiedergewinnen von Ehemaligen liegt. Außerdem möchte ich Euch Möglichkeiten auf den Weg geben, wie das Wiedergewinnen von Ehemaligen organisiert und durchgeführt werden kann.
Bestandsaufnahme
Seid Ihr schon einmal Eure Mitgliederliste der letzten 10 Jahre durchgegangen und habt geschaut, welche MusikerInnen in dieser Zeit bei Eurem Musikverein aufgehört haben zu musizieren? Ich bin sicher, da kommt eine stattliche Anzahl zusammen. Und wie viele leben davon noch in Eurer Gemeinde? Wollt Ihr ehemalige MusikerInnen für Euren Verein wiedergewinnen, ist der erste Schritt zunächst eine Bestandsaufnahme. Außerdem das Erstellen einer Liste mit geeigneten KandidatInnen.
Ursachenforschung
Wisst Ihr überhaupt, warum diese MusikerInnen aufgehört haben? Junge MusikerInnen ziehen aus der Gemeinde wegen Ausbildung und Studium. Manche Frauen hören auf, sobald Nachwuchs da ist. Einige ziehen wegen dem Job anderswo hin. Viele hören auf, weil „keine Lust mehr“, „keine Zeit mehr“ oder nennen keine Gründe. Gerade bei der letzten Gruppe sind sicherlich einige dabei, denen irgendetwas in diesem Verein nicht mehr passt. Unzufriedenheit mit der musikalischen Ausrichtung, mit dem Dirigenten oder Probleme mit Musikkollegen, zu viele oder zu wenige Auftritte, usw.. Die wahren Gründe sind meistens nicht so klar erkennbar und oft nicht kommuniziert.
Selbstreflexion
Selbstreflexion tut zunächst einmal Not. Ist unser Musikverein wirklich attraktiv für potentielle neue aktive Mitglieder? Spielen wir tolle Konzerte, haben wir interessante Auftritte? Wie steht es mit der Gemeinschaft? Gehen wir freundschaftlich miteinander um? Haben alle Spaß am Musizieren und den außermusikalischen Aktivitäten? Ich behaupte jetzt einfach mal, dass niemand zu einem Musikverein hinzustoßen möchte, der am Boden liegt. Wo die Herausforderungen im Bereich Besetzung, Jugendarbeit, Vereinsführung, Kameradschaft große Baustellen sind. Wenn es um ehemalige MusikerInnen geht, werden diese sich sicherlich nicht durchringen können, im Verein wieder mitzuspielen, wenn die Umstände noch die gleichen sind, wegen denen sie einmal aufgehört haben. Also, bevor wir daran denken, das große Feld der Ehemaligen zu beackern, erst einmal den Verein auf Vordermann bringen und durch attraktive Konzerte und Events mit den entsprechenden Marketingmaßnahmen auf uns positiv aufmerksam machen.
Einmalige Projekte
Es ist leider mittlerweile in unserer Gesellschaft so geworden, dass sich die Menschen nicht mehr unbedingt festlegen und fest binden möchten – zumindest nicht an einen Verein oder an eine andere ehrenamtliche Aufgabe. Ein Vereinsjubiläum zum Beispiel bietet aber die große Möglichkeit ein „Projekt aller Ehemaligen“ zu wagen. Sehr unverbindlich können die Ehemaligen zu diesem einmaligen Ereignis eingeladen werden. Der ein oder andere bekommt auf diese Weise sicherlich wieder Lust, auch weiterhin im Orchester zu musizieren.
Offene Probe
Warum nicht alle Ehemaligen einmal zu einer offenen Probe einladen mit geselligem Beisammensein danach? Einfach mal zum Gucken und Hören kommen, wie die Proben jetzt so ablaufen, wie der musikalische Stand ist oder der Dirigent arbeitet. Ganz unverbindlich. Hinterher gemütlich zusammen sitzen bei Snacks und Getränken. Aber vorbereitet sein und Konzepte für die Wiedereingliederung parat haben. Beispielsweise durch die Bereitschaft, ein Instrument zur Verfügung zu stellen, Unterricht oder eine finanzielle Unterstützung für Instrumentalunterricht anzubieten.
Ansprache der Ehemaligen und Organisation
Doch wie an die Ehemaligen ran kommen? Einen Brief schreiben? Gute Idee. Persönlich ansprechen? Auch eine gute Idee. Im Gemeindeblatt, der Zeitung und in den Social-Media-Plattformen zum Mitspielen aufrufen? Natürlich auch eine gute Idee. Die beste Idee? Alle Kanäle nutzen.
Die beste Wirkung hat meiner Meinung nach das persönliche Gespräch. Im persönlichen Gespräch können auch die Gründe besprochen werden, wegen denen derjenige einmal aufgehört hat. Missverständnisse können ausgeräumt werden. Vorurteile können entkräftet werden. Die eigene Begeisterung für den Musikverein kann auf den Ehemaligen übertragen werden.
Für das Projekt „Ehemalige Rekrutieren“ eignet sich am besten eine kleine Arbeitsgruppe. Dies müssen nicht unbedingt Vorstandsmitglieder sein. Gut finde ich es, wenn ein junger und ein erfahrener Musiker sich dieser Aufgabe annehmen. Aber wie gesagt: Ein Projekt starten, das aus schriftlicher (Brief – nicht E-Mail!), persönlicher (Besuch) und allgemeiner (Mitteilungsblatt der Gemeinde, Zeitung, Social Media) Ansprache besteht. Und wie oben bei der offenen Probe schon geschrieben, Konzepte parat haben! (Ehemaligen-Projekt, Offene Probe, Unterstützung bei Instrument und Unterricht.)
Was soll kommuniziert werden?
Vor einiger Zeit haben wir in einem Workshop „Zukunft der Musikvereine“ über die Möglichkeit der Rekrutierung Ehemaliger gesprochen. Einer der anwesenden Vereine hat sich im Nachgang entschlossen diesen Weg zu gehen. Aufmacher der Werbung für die Ehemaligen: „Helft unseren Musikverein zu retten!“
Der richtige Weg? Ich bin mir nicht sicher. Dies widerspricht all meiner Überzeugung, dass Leute keine Lust haben, sich in problembehafteten Vereinen zu engagieren. Meine Meinung: die Probleme intern kreativ lösen, gute Arbeit vorlegen. Eventuell tolle Events in Kooperation mit anderen Vereinen oder sogar anderen Gattungen organisieren. Um einerseits attraktive Auftritte für die Verbliebenen anzubieten, um eine Möglichkeit zu bekommen, positiv nach außen zu treten und als Verein, der Außergewöhnliches wagt Aufsehen zu erregen. Und bei allen Ideen wollen wir doch auch nicht vergessen, dass wir auch mit nur wenigen MusikerInnen gute Musik machen und schöne Konzerte spielen können.
Begeisterung nach außen tragen
Besinnen wir uns auf das, was wir alle toll an unserem Verein finden. Zusammen fassen, was unser Orchester ausmacht: eine gute Gemeinschaft, viel Spaß beim gemeinsamen Musizieren, eine freundschaftliche Atmosphäre, interessante Auftritte. Und genau diese positiven Dinge in das Einladungsschreiben an Ehemalige mit hinein nehmen und persönlich kommunizieren. „Die eigene Begeisterung nach außen tragen“, nenne ich das in meinen Workshops. Deshalb ist die erste Übung in meinen Workshops auch immer die Frage an jeden Einzelnen zum eigenständigen Beantworten auf einer Moderationskarte: „Was gefällt Dir besonders an Deinem Musikverein?“ Die Antworten der Teilnehmer auf diese Frage geben jede Menge Argumente für das Spielen im Musikverein! Und das wird es auch bei einer Bestandsaufnahme unter Euren verbliebenen MusikerInnen tun.
Um das ganze nochmals plakativ aufzuzeigen: Ein Unternehmen, das kurz vor der Insolvenz steht, wird in seinen Werbemaßnahmen auch nicht schreiben „Kauf dieses Produkt, sonst gibt es unsere Firma bald nicht mehr“. Auch in der schlimmsten Firmenkrise wird nach außen der Nutzen kommuniziert, den das Produkt dem Käufer bringt.
Warum ist es überhaupt so wichtig, unser Orchester zu vergrößern, wenn ich oben schon einmal geschrieben habe „Wir können auch mit wenigen MusikerInnen gute Musik machen und schöne Konzerte spielen“? Nun, wenn immer alle da sind, stimmt das wohl. Eine größere Besetzung bringt jedoch den Musikverein nicht gleich in Schwierigkeiten, wenn einmal einer fehlt. Eine ausreichende und ausgewogene Besetzung minimiert das Problem, nicht spielfähig zu sein, sobald ein Musiker wegen Krankheit, einem großen Familienereignis oder was auch immer beim Auftritt nicht dabei sein kann. Außerdem steht dem Orchester eine viel größere Vielfalt an Repertoire zur Verfügung. Wir müssen ja nicht gleich an eine Orchestergröße denken, die manchen spanischen Blasorchestern zur Verfügung steht… Zu viel des Guten ruft dann wieder neue Herausforderungen auf den Plan. Beispielsweise können solche Fragen auftauchen wie „Ich habe viel zu viele Querflöten im Verhältnis zu den Klarinetten….“. Aber das ist wiederum Stoff für einen neuen Blog-Beitrag;-)
Wer von Euch hat schon ein Projekt „Rekrutierung Ehemaliger“ durchgeführt und möchte von seinen Erfahrungen schreiben? Nutzt dazu dieses Formular oder das Kommentarfeld weiter unten auf dieser Seite!