Über die Notwendigkeit einer Spezialisierung von Komponisten für die Fachrichtung Blasorchester

Neuer Master-Studiengang Komposition für Blasorchester in Bern

Bewerbungsschluss 15. März 2018

 

Über eine mangelnde Auswahl an Werken in allen Genres, Stilen und Schwierigkeitsgraden können wir uns in unserer Blasorchesterwelt (Harmonie, Brass Band und in den Benelux-Ländern auch Fanfareorchester) mittlerweile wahrlich nicht mehr beschweren. Seit Finale, Sibelius und andere Computerprogramme es scheinbar leicht gemacht haben, Noten aufzuschreiben und ein vernünftiges reproduzierbares Notenbild zu schaffen, sprießen die Noten für Blasorchester geradezu exponentiell aus der blasmusikalischen Erde. Es entstanden durch diese Tatsache nicht nur zahlreiche Eigenverlage. Auch den „traditionellen“ – im Sinne von etablierten – Musikverlagen wird es über die digitale Anlieferung der Partituren durch die Komponisten leicht und finanzierbar gemacht, jede Menge Blasorchesterwerke auf den Markt zu werfen. Frei nach dem Motto „der Markt entscheidet“. Ist auch richtig so. Der Markt entscheidet. In unserem speziellen Fall „Blasorchester“ sind das die Dirigentinnen und Dirigenten.

Leider sind nicht alle Dirigentinnen und Dirigenten so gut ausgebildet, dass sie qualitätsvolle, für ihr Orchester geeignete Werke anhand einer Partitur erkennen können. Aus meinen langjährigen Erfahrungen im Musikalienhandel und Musikverlag kann ich berichten, dass es immer noch viele Dirigentinnen und Dirigenten gibt, die sich viel zu wenig mit der angebotenen Literatur eingehend, intensiv auseinandersetzen, vermutlich auch deshalb, weil ihnen vertiefte musiktheoretische oder analytische Kenntnisse fehlen.

Und doch sind wir mit der professionellen Ausbildung unserer Dirigentinnen und Dirigenten auf einem sehr guten Weg. Es ist vor allem im letzten Jahrzehnt erkannt worden, dass wir gut ausgebildete, professionelle und auf Blasorchester spezialisierte Dirigenten brauchen, wenn wir unsere Blasorchester qualitätsvoller und damit verbunden auch zukunftssicher machen wollen – stets mit dem Ziel, als Ausübende einer musikalischen „Kunstform“ anerkannt und ernst genommen zu werden. (Das Blasorchester im Spannungsfeld zwischen Mission, Qualität und Wirtschaftlichkeit) Nachdem die professionelle Instrumentalausbildung für Bläser und Schlagzeuger schon viel früher eingesetzt hatte, war die fundierte dirigentische Ausbildung über die Angebote der Blasmusikverbände bis hinein in die Hochschulen ein logischer Schritt.

Im Dreiergespann Musiker – Dirigent – Komponist ist die dritte Komponente „Komponist/Komposition“ nun diejenige in unserer Blasorchesterszene, die auf Grund der speziellen Anforderungen eines Blasorchesters – im Gegensatz zu denen eines Sinfonieorchesters – ebenfalls stärker professionalisiert werden muß. Spezialisierte, mit einer entsprechenden Ausbildung ausgerüstete Komponisten, sind für die Zukunft unabdingbar. Handwerklich und musikalisch unzureichende Werke haben wir genug.

Nun hat sich die Hochschule der Künste Bern – kurz HKB – als eine der führenden europäischen Hochschulen entschlossen, im Fachbereich Musik einen längst fälligen Master-Studiengang “Komposition für Blasorchester” einzurichten.

Diese Einführung eines Master-Studiengangs HaBra in Bern sehe ich als längst überfälliges positives Zeichen. Schon längst hätte in den Hochschulen erkannt werden müssen, dass es für die weitere Qualitätssteigerung der Blasorchesterszene auch einer spezialisierten Ausbildung in Richtung “Komponieren für Blasorchester” bedarf.

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: der Masterstudiengang “Komposition für Blasorchester” setzt einen Bachelor in Blasmusikdirektion oder in klassischer Komposition oder eine gleichwertige Ausbildung voraus. Es ist darüber hinaus eine Spezialisierung in der Fachrichtung “Blasorchester”.

Über den neuen Master-Studiengang in Bern habe ich mit dem künftigen Hauptdozenten Oliver Waespi gesprochen.

Die Gründe für diesen speziellen Studiengang an der Hochschule in Bern benennt er so:

“Zum Einen ist in der Blasorchesterwelt eine Dynamisierung zu beobachten, eine Qualitätssteigerung auf allen Stufen wie auch die Bildung und Konsolidierung von Elite-Projektorchestern, sowohl bei den Harmonien als auch bei den Brass Bands und den Fanfarenorchestern im Benelux. Dadurch werden die Repertoiremöglichkeiten vielfältiger, Komponisten können Stücke für verschiedenste Leistungsstufen bis in den professionellen Bereich hinein schreiben. Damit jedoch die Komponierenden professionellen Interpreten auf Augenhöhe begegnen und auch für Amateurmusiker qualitativ hochstehende Musik schaffen können, ist eine entsprechende professionelle Haltung und Ausbildung notwendig. Deshalb hat ein spezifischer Studiengang durchaus seine Berechtigung. Zum Anderen geht es darum, in einem Studiengang auf die Besonderheiten bläserischer Besetzungen und ihres Musizierens einzugehen, ähnlich wie die Vertiefung Jazz Composition die spezifische musikalische Kultur des Jazz mit allgemeineren kompositorischen Ansätzen verbindet.”

Die Abteilung Blasorchesterleitung, früher unter Ludwig Wicki, heute unter Rolf Schumacher, genießt seit Jahren innerhalb der Hochschule der Künste Bern – kurz HKB – und des Bläserwesens einen sehr guten Ruf. Insofern war der Schritt zu einem spezialisierten Kompositons-Master für Bläser nicht sehr weit. Und dennoch ist es bemerkenswert, dass die HKB das Komponieren für Bläserbesetzungen auf einer Stufe mit zeitgenössischer Komposition, Jazz Composition und Théatre musical ins Studienprogramm genommen hat. Die HKB konnte dabei von ihrem Composition and Theory – Angebot profitieren und die Vertiefung direkt am dortigen Studienangebot anbinden.

HKB Studienwoche Komponisten Dirigenten
Die Komponisten und Dirigenten der Studienwoche

Die Verzahnung der beiden Richtungen Blasorchesterdirektion und –komposition war auch schon früher Thema an der HKB. In sogenannten Studienwochen wurden einzelne Komponisten (beispielsweise Philip Sparke) eingeladen, um den Austausch zwischen Dirigent und Komponist zu fördern. Im Herbst 2017 war in der Studienwoche die Vernetzung von mehreren Komponisten bzw. Kompositionsstudenten mit den Studierenden im Fach Blasorchesterleitung das Ziel. Betreut von Oliver Waespi schufen Komponisten Werke bzw. Werkfragmente, die die angehenden Dirigentinnen und Dirigenten dann begleitet von Philippe Bach und Rolf Schumacher mit einem professionellen Blasorchester einstudieren konnten. Dafür stand das auf sehr hohem Niveau spielende Symphonische Blasorchester des

HKB Studienwoche Armeespiel
Schweizer Armeespiel

Schweizer Armeespiels zur Verfügung. Aufbauend auf diese Studienwoche Komposition und Direktion für Bläser im November 2017 möchte die HKB vermehrt das Proben und Aufführen von Werken Studierender in den Vordergrund rücken. Solche Studienwochen wie auch Konzertprojekte mit Bläsern werden auch in Zukunft komplementär zum Master-Angebot weitergeführt werden.

Die Zulassungsvoraussetzungen zum Master-Studiengang “Komposition für HaBra/Blasorchester” sind im Wesentlichen die folgenden (für genauere Angaben siehe https://www.hkb.bfh.ch/de/studium/master/mact/bewerben/voraussetzungen-und-zulassungsbedingungen/ ):

  • Ein sehr gutes Gehör, ein Verständnis für verschiedene Kompositionstechniken und eine eigenständige künstlerische Haltung.
  • Für den Major Komposition und Theorie mit Schwerpunkt Komposition im Besonderen: Fähigkeit, kompositorische Prozesse zu gestalten und Proben- und Produktionsprozesse eigener Stücken bis zur Realisierung zu begleiten; Fähigkeit, die eigene Arbeit im Kontext der aktuellen Musikproduktion zu situieren und Kenntnis der wesentlichen kompositorischen Strömungen.
  • Die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in ein transdisziplinäres künstlerisches Umfeld einzubringen und in spartenübergreifenden Projekten adäquat mitzuarbeiten, ebenso die Offenheit gegenüber den Schwerpunkten Forschung und Musikvermittlung des Fachbereichs Musik sowie den Bereichen „Zeitgenössische Musik“, „Sound arts“, „Théâtre musical“ und „Jazz“. Als Kunsthochschule beherbergt die HKB überdies die bildenden Künste, die Literatur, Oper, Theater, Konservierung und Restaurierung.
  • Sprachkenntnisse in Deutsch, Französisch oder Englisch für das Hauptfach. Nebenfächer werden teilweise nur in Deutsch bzw. Französisch angeboten.

Zur Eignungsabklärung zugelassen sind Kandidaten und Kandidatinnen, die über einen Bachelor-Abschluss in Blasmusikdirektion oder in klassischer Komposition oder eine gleichwertige Ausbildung verfügen. Die Studiengangleitung kann von Studierenden, welche die Eignungsprüfung bestehen, aber die Master-Orientierung Komposition nicht absolviert haben, zusätzliche Leistungsnachweise verlangen.

Zu den einzureichenden Unterlagen:

Sowie die Aufnahmeprüfung, bestehend aus:

  • Einreichen eines Dossiers mit mindestens 3 eigenen Werken, eines davon mit Tonaufnahme, und ein Motivationsschreiben
  • 2-Wochen-Aufgabe: künstlerische Auseinandersetzung mit einer zugeschickten Fragestellung
  • Gespräch (50 Minuten) über diese 2 Punkte; daneben eine Gehör-Prüfung anhand eines konkreten Stückes

Angeboten wird Einzelunterricht im Hauptfach Komposition für Blasorchester und Brass Band bei Oliver Waespi. Außerdem zahlreiche zusätzliche Fächer aus dem reichhaltigen, interdisziplinären Angebot der HKB, darunter u. a. Blasorchesterleitung, Vertiefung zeitgenössischer Kompositionstechniken oder solcher des Jazz, Masterkolleg, Workshops mit der Abteilung Blasorchesterleitung, u. v. m.

Neben dem schon benannten Komponisten Oliver Waespi stehen weitere Dozenten der HKB für die Ausbildung zur Verfügung. Darunter für das Fach Blasorchesterleitung Rolf Schumacher, für den Bereich zeitgenössisches Komponieren Xavier Dayer, Daniel Glaus, u. a., für sound arts Michael Harenberg, Daniel Weissberg, Cathy van Eck, für den Jazz Frank Sikora, Martin Streule, u. a., dazu zahlreiche internationale Gäste wie Simon Steen Andersen, Stefan Prins, etc.

Neben dem Hauptfach wird es individuelle Schwerpunktfächer, sogenannte „Minors“ geben. Hier bestehen relativ umfangreiche Wahlmöglichkeiten. Die Übersicht findet sich hier: https://www.hkb.bfh.ch/fileadmin/PDFs/Modulplaene/D_Modulplaene_Minor_Fachbereich_Musik.pdf

Je nach Struktur der gewählten Fächer kann der Schwerpunkt Bläsermusik stärker akzentuiert oder vermehrt mit anderen zeitgenössischen Ansätzen verknüpft werden. In dieser Flexibilität und Vernetzung mit anderen Angeboten sehen Oliver Waespi und seine Kollegen an der HKB denn auch eine zentrale Qualität dieses Studiengangs. Das Komponieren für Bläser soll durchaus in seiner Identität vermittelt, aber auch in einen breiteren ästhetischen und musikalischen Zusammenhang gestellt werden.

Der Masterstudiengang „Komponieren für Blasorchester“ mündet – nach 120 ECTS-Credits* (90 ECTS-Credits bei Zweitmaster) – in einer abschließenden Master-Thesis.

Die Master-Thesis besteht in der Regel aus mehreren Teilen:

  1. Präsentation des Master-Projekts: Selbständige Planung, Gestaltung und Durchführung eines performativen künstlerischen Abschlussprojektes (Dauer 40 – 60 Minuten) mit eigenen Kompositionen.
  2. Dossier in der Art eines Finanzierungsgesuches, mit Kurzbeschreibung, Inhaltsangaben, Zeitplanung, Mitwirkenden etc.
  3. Kolloquium zur eigenen ästhetischen Position, den Arbeiten des Projektes (mit Hörbeispielen) und dessen schriftlichen Teilen (Dauer ca. 45 Minuten)
  4. Schriftliche Arbeit in der Form einer Reflexion des eigenen ästhetischen Standpunktes in Bezug auf das künstlerische Umfeld, andere Personen und fremde Werke (Umfang 20 – 40 Seiten)

Dies sind allgemeine Anhaltspunkte; im Einzelnen bleibt die Modulbeschreibung vorbehalten.

Zu den Kompetenzen, die durch das Studium vermittelt werden, siehe: https://www.hkb.bfh.ch/de/studium/master/mact/studieren/ausbildungszimusicct/kompetenzenmusicct/

Während dem Studium entstehende Kompositionen sollen durch Blasorchester und Brass Bands durchgespielt und geprobt (Playdowns) sowie auch aufgeführt werden. Dabei wird die HKB auf bereits bestehende Kontakte mit leistungsfähigen Bläserensembles sowie hochschuleigene Ensembles zurückgreifen können.

Für mich als Blasmusikerin stellt sich zum Thema “Komponieren” immer die folgende Frage: Wie viel ist “Handwerk”, welche Rolle spielt “Talent” und wie ist die “Kreativität” in diesem Zusammenhang zu sehen? Und in wieweit kann man “Komponieren” überhaupt lehren bzw. lernen?

Oliver Waespi gibt dazu folgende Antwort: “Letztlich ist dieses Verhältnis bei jedem/r Komponierenden unterschiedlich. Ich persönlich denke, dass handwerkliches Können beim Komponieren nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, dass aber zwischen Talent, Kreativität und Handwerk nicht zwingend Widersprüche bestehen müssen, sondern sich letztlich bei jeder Person Teilkompetenzen zu einem Gesamtbild ergänzen.

Verschiedene technische, handwerkliche und auch historisch-ästhetische Elemente können lernend vermittelt werden.

Kaum gelernt werden können meines Erachtens das eigentliche Bedürfnis zum Komponieren, das „Mitteilungsbedürfnis“, auch die Freude daran, die Intuition, das Gespür für Aussage und Wirkung und letztlich Fähigkeiten, die man diffus als „Begabung“ bezeichnen muss, in Ermangelung einer präziseren Begrifflichkeit.”

Zum Schluss dieses Beitrags, der in enger Zusammenarbeit mit Oliver Waespi entstanden ist, möchte ich meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Notwendigkeit einer spezialisierten, professionellen Aus- und Weiterbildung der Komponisten, die sich dem Bereich Blasorchesterkomposition auseinandersetzen bzw. widmen auch an anderen Hochschulen erkannt wird. Ähnlich wie das auch schon für das Fach Blasorchesterleitung passiert ist.

Alle Informationen zum Master-Studiengang findet Ihr hier. Bewerbungsschluss ist der 15. März 2018.

 

*ECTS-Credits (European Credit Transfer and Accumulation System) sind vereinheitlichte europäische Standards zur Bemessung des durchschnittlichen Arbeitsaufwands für Studiengänge. So entspricht 1 ECTS-Credit ca. 25-30 Arbeitsstunden (inklusive Unterricht mit Vor- und Nachbereitung, Selbststudium und Prüfungsvorbereitung). So entsprechen 120 ECTS-Credits einem Arbeitsaufwand von ca. 3600 Stunden, 90 ECTS-Credits (wenn dieser Studiengang ein Zweit-Master ist) ca. 2700 Stunden.

 

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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