Blasmusikaspekte: Auswahlblasorchester gründen, etabliereren, fortführen
Ein Interview mit Lukas Hofmann
In der Reihe “Blasmusikaspekte” werden im Interview mit jeweils einem Dirigenten / einer Dirigentin ein Teilbereich bzw. ein besonderer Aspekt der Blasmusik bzw. unseres Musikvereinswesen diskutiert. Alle Blasmusikblog-LeserInnen sind eingeladen, sich zum Thema und den Antworten im Kommentarfeld unter dem Beitrag zu äußern! Wir freuen uns auf einen regen Austausch.
Wo liegen die Potentiale eines Auswahlblasorchesters allgemein?
Ganz allgemein formuliert würde ich sagen, dass man in einem Auswahlorchester eine Menge Spaß hat bzw. haben muss! Konkret gesprochen trifft man ausschließlich auf „Gleichgesinnte“, die auch gerne gute und anspruchsvolle Blasorchesterliteratur spielen wollen. Man muss sich nicht auf alte Strukturen verlassen, sondern kann sich vielfältig ausprobieren, sei es mit der Literatur. Geht nicht, gibt’s nicht. Alle sind irgendwie Verrückte, die für irgendeine bestimmte Sache kämpfen. Hier konkret: Gute Blasmusik!
Was hat Euch bewogen, die Bläserphilharmonie Osttirol zu gründen?
Auswahlblasorchester hat es in Osttirol auf Initiativen der Landesmusikschulen und Bezirksblasmusikverbände durchaus schon vor der Bläserphilharmonie gegeben, oft jedoch nur sporadisch auf einen Anlass bezogen oder sehr unregelmäßig, z.B. „nur“ für einen Jugendblasorchesterwettbewerb. Das neue Orchester sollte sich jedoch von diesen Auswahlorchestern dadurch unterscheiden, dass es, nach Möglichkeit und Interesse, auch in Zukunft Bestand hat und die Besetzung möglichst konstant bleibt. 2012 entschloss ich mich mit einigen Freunden, die Idee in die Tat umzusetzen – die Bläserphilharmonie Osttirol war geboren. Für die Organisation zuständig war vorerst ein sechsköpfiges Personenkomitee, welches sich 2012 entschloss, die Bläserphilharmonie Osttirol als Verein zu gründen, um einen längerfristigen Bestand des Orchesters zu garantieren. Seitdem garantieren wir durch unser Proben und Engagement für viele spannende und innovative Konzertprojekte
Welche langfristigen Ziele verfolgt die Bläserphilharmonie Osttirol?
Das vorrangige Ziel der Bläserphilharmonie ist natürlich das gemeinsame Musizieren. Sinfonische Blasmusik und im Besonderen auch Werke, welche im Repertoire der heimischen Kapellen nicht so stark vertreten sind, sollen erarbeitet und dem Publikum präsentiert werden. Zudem soll durch dieses Projektorchester die musikalische Zusammenarbeit von Musikerinnen und Musikern aus allen Teilen Osttirols gefördert werden. Die mittlerweile rund 70 Mitglieder der Bläserphilharmonie sind meist zwischen 15 und 35 Jahre alt. Die meisten von ihnen besuchen nicht mehr die Musikschule, die Bläserphilharmonie versteht sich deswegen auch als Entfaltungsmöglichkeit für solche Musikerinnen und Musiker. Die Bläserphilharmonie Osttirol sieht sich als eine Erweiterung des (blas-)musikalischen Angebotes und als jugendliche Kulturinitiative im Bezirk. Natürlich soll sich der Verein sowohl musikalisch als auch organisatorisch ständig weiterentwickeln. Im Oktober 2015 stellte sich das Orchester im Rahmen des Tiroler Landeskonzertwertungsspiels in Innsbruck erstmals einer Jury und konnte sich auf Anhieb über 93,00 Punkte und einen 1. Preis, Goldmedaille mit Auszeichnung in der Höchststufe „E“ erspielen.
Wie sieht die Organisation der Bläserphilharmonie Osttirol aus und in wie weit ist der Blasmusikverband eingebunden?
Grundsätzlich gibt es bei der Bläserphilharmonie Osttirol eine „Künstlerische Geschäftsführung“ und eine „Organisatorische Geschäftsführung“. In der Praxis gibt es aber natürlich einen intensiven Austausch und eine enge Zusammenarbeit untereinander. Das „Orchestermanagement“ bestehend aus Orchestermanager, Schriftführer, Kassier und Dirigent bereitet die Themen bzw. die Konzertideen vor und beschließt diese dann mit dem gesamten Ausschuss, bevor die Projekte umgesetzt werden. Im Ausschuss sind aktuell 12 vom Orchester gewählte Mitglieder. Durch die jeweiligen Registerführerinnen bzw. -führer gibt es den direkten Kontakt zu den Musikerinnen und Musikern und auch die Besetzung wird so organisiert.
Der Blasmusikverband als solches ist in die Organisation nicht eingebunden, wir als Orchester sind aber Mitglied beim Blasmusikverband Tirol.
Welche Anforderungen werden an die Musikerinnen und Musiker gestellt, die bei einem Projekt der Bläserphilharmonie Osttirol mitwirken möchten? Wie sieht ggf. das Auswahlverfahren aus?
Grundsätzlich haben wir einen Grundstock an Musikerinnen und Musikern, die bei jedem Projekt dabei sind. Natürlich gibt es eine gewisse „Besetzungsvorgabe“ meinerseits. Sollten Plätze frei werden, schauen die Registerführerinnen und Registerführer darum, diese mit guten Musikerinnen oder Musikern zu besetzen. Immer in Absprache mit der organisatorischen und künstlerischen Geschäftsführung. Da Osttirol ja ein sehr überschaubarer Raum ist, „kennt man sich“ einfach und weiß, wen man dafür fragen kann bzw. wer Interesse an unserem Verein hat. Und nahezu alle Mitglieder haben ihre Wurzeln in Osttirol oder zumindest einen sehr starken Bezug dazu. Oft kommt es auch vor, dass sich Musikerinnen und Musiker direkt bei uns bewerben zum Mitspielen.
Wie sieht es mit der Akzeptanz der Bläserphilharmonie Osttirol beim Blasmusikverband und bei den Blasorchestern der Region aus?
Mittlerweile kann man sagen, dass die Bläserphilharmonie als Kulturinitiative in Osttirol und auch außerhalb der Bezirksgrenzen nicht mehr wegzudenken ist. Zahlreiche erfolgreiche Konzertprojekt und volle Konzertsäle sind der beste Beweis dafür! Die Zusammenarbeit mit dem Blasmusikverband ist sehr gut und auch die Blasorchester der Region sehen zunehmend den Mehrwert dieses fixen Orchesters. Dies war jedoch nicht immer so, besonders in der Gründungsphase und in den ersten Jahren hörte man oft Kritik oder musste mit dem ein oder anderen Gegenwind rechnen. Nach mehreren erfolgreichen Jahren sind wir aber oft „Vorzeigeorchester“ für andere Auswahlprojekte in Tirol, was mich persönlich sehr freut. Außerdem wollen wir keine Konkurrenz gegen irgendetwas oder irgendjemanden sein sondern nur eine „Lücke“ im Bezirk abdecken – nämlich gute Blasmusik.
Die Bläserphilharmonie Osttirol macht immer wieder durch professionelles Orchestermarketing auf sich aufmerksam. Wie sehen die Marketingmaßnahmen aus, wer ist dafür verantwortlich und welche Ziele verfolgt Ihr damit?
Auch hier läuft alles über das Orchestermanagement und den Ausschuss. Zu erwähnen ist, dass wir keine professionellen Marketingfirmen einsetzen oder beauftragen, es kommt alles von uns selbst und jeder im Vorstand investiert viel in den Verein. Wir versuchen uns Jahr für Jahr zu verbessern und neben „traditionellen Marketingmaßnahmen“ auch „moderne soziale Medien“ zu verwenden. Die Ziele ergeben sich oft von selbst. Alles klingt zuerst einfach, doch auch eine einheitliche Konzertkleidung mit einheitlichen Krawatten war für uns ein wichtiger Schritt für das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Außenwirkung. Auch ein professionelles Logo, ein guter und aktueller Internetauftritt, Facebook, Instagram und Twitter gehören aus unserer und meiner Sicht heute dazu. Und natürlich sehr wichtig sind auch Sponsoren, die solche kulturellen Initiativen wie die Bläserphilharmonie Osttirol mittragen, denn wie heißt es so schön: „Ohne Geld keine Musik!“
Das Ziel ist kurz zusammengefasst aber einfach: Wir wollen viele Leute erreichen und für unsere Musik begeistern. Gott sei Dank gelingt uns das nun schon über mehrere Jahre und hoffentlich geht es auch noch lange so weiter!
Beispiel Video-Konzerteinladung zum 5-jährigen Bestehen der Bläserphilharmonie Osttirol:
Sponsoring, Marketing, Orchesterorganisation, Konzerte: Was sind in diesen Bereichen die besonderen Herausforderungen bei einem Auswahlblasorchester und wie unterscheiden sie sich dabei von „normalen“ Musikvereinen?
„Normale Musikvereine“ haben hier oft eine gute Infrastruktur und sind auch in der jeweiligen Gemeinde sehr gut aufgestellt, sei es mit einem Probelokal, dem entsprechenden Instrumentarium und auch den entsprechenden Sponsoren. Auswahlblasorchester müssen diese Aspekte und natürlich auch zahlreiche andere eine Ebene höher bearbeiten. Ein geeigneter Probenort muss organisiert werden, Schlagwerkinstrumentarium muss ausgeliehen werden, Noten müssen bestellt und irgendwo kopiert werden, Getränke müssen besorgt werden, auf die Verpflegung muss man achten und das alles darf am besten nicht viel kosten, denn man muss auch auf das zur Verfügung stehende Budget achten.
Ich persönlich arbeite aber mit meiner Musikkapelle gleich wie mit der Bläserphilharmonie Osttirol. Ich versuche mich lange und intensiv auf die Proben und Konzerte vorzubereiten, suche lange im Vorfeld ein geeignetes Programm aus und konzipiere die Projekte hoffentlich ansprechend, vielseitig und abwechslungsreich. Hier sehe ich in der heutigen Zeit eigentlich gar nicht so starke Unterschiede.
Doch wenn die Musikerinnen und Musiker und auch das Publikum den Verein oder das Auswahlblasorchester schätzen und auch mittragen, geht alles wie von selbst!
Wie gestaltete sich die Anfangsphase des Orchesters, wie war bisher die Entwicklung und welches Potential siehst Du für die Zukunft?
Am Anfang war natürlich alles Neuland. Jeder war irgendwie ein wenig skeptisch und zugleich auch neugierig. Braucht es in Osttirol ein fixes Auswahlblasorchester? Ist es eine Konkurrenz zu den heimischen Vereinen? Wird das Orchester auch Weiterbestand haben? Wird es die Bläserphilharmonie Osttirol auch noch in fünf, zehn oder zwanzig Jahren geben?
In den vergangen Jahren haben wir meiner Meinung nach eine enorme Entwicklung durchlaufen, sei es organisatorisch aber auch musikalisch. Von kleinen Gemeindesälen in die großen Konzertsäle des Bezirks und immer quasi vor ausverkauftem Publikum.
Hoffentlich geht es auch in den nächsten Jahren so weiter! Meiner Meinung nach besteht die Schwierigkeit bei Auswahlblasorchestern darin, dass nicht alles zu eintönig wird und dass auch die Konzerte „exklusiv“ bleiben. In dieser Phase stehen wir jetzt: Auf der Suche nach spannenden und neuen Konzerformaten, neue Ideen und neue Sachen ausprobieren, Auslandsfahrten und Wettbewerbe andenken und einfach kontinuierlich weiterarbeiten und die Qualität und Weiterentwicklung nicht aus den Augen verlieren. Denn auch wie beim Dirigenten gilt für das gesamte Orchester: Man hat nie ausgelernt oder ist fertig entwickelt.
Wie können die Heimatvereine von einem Auswahlblasorchester profitieren?
Auswahlblasorchester und Heimatvereine sollen im Idealfall gegenseitig profitieren. Je weiter der Horizont der Musikerinnen und Musiker ist, desto mehr engagieren sie sich auch im jeweiligen Verein und bringen sich ein. Auch ich persönlich war und bin viel bei heimischen Kapellen als Gastdirigent oder für Probentage zu Gast. Das macht immer sehr viel Spaß und ich bin der Meinung, die Heimatvereine profitieren im gesamten durch das entstehende Netzwerk Blasmusik.
Gewachsene Struktur und permanentes Arbeiten in einem Musikverein mit wöchentlichen Proben versus Bläserphilharmonie als Projektorchester: Wo liegen jeweils die Vor- und Nachteile?
Diese Frage ist vielleicht nicht so leicht zu beantworten und für mich der größte Unterschied ist die Probengestaltung. Habe ich bei einem Musikverein oft viel Zeit, das jeweilige Konzertprogramm einzustudieren, fehlt vielleicht beim Projektorchester oft die eine oder andere Probe. Spielen beim Auswahlblasorchester im großen und ganzen gut ausgebildete Musikerinnen und Musiker mit, sind beim Musikverein auch Musikantinnen und Musikanten dabei, die sich vielleicht nicht so regelmäßig mit dem Instrument beschäftigen. Diese Gegenüberstellung ließe sich noch lange fortführen. Mir erscheint es wichtig, dass der Dirigent die Musikerinnen und Musiker dort abholen kann, wo sie gerade stehen und dann das Orchester weiterentwickelt. Sei es in wöchentlichen Proben oder in wenigen Proben vor einem Konzert. Man muss für jegliche Situation die richtige Methode parat haben. Dann gibt es im besten Fall nur Vorteile für beide Seiten.
Welche Faktoren müssen bei einem Auswahlblasorchester stimmen um es zu einem langlebigen, nachhaltigen Projekt zu machen?
Einer der wichtigsten Punkte aus meiner Sicht ist die konstruktive Arbeitsteilung. Damit meine ich, dass mehrere Personen das gleiche Ziel verfolgen und daran arbeiten. Wenn die gesamte Organisation nur an einer, zwei oder wenigen Personen hängt, ist es oft sehr mühsam, denn schließlich handelt es sich bei Auswahlblasorchestern – jedenfalls in Österreich – um freiwillige Vereine, d.h. jede und jeder investiert hier seine Freizeit und bekommt dafür kein Geld.
Ein weiterer Punkt ist ein stimmiges Gesamtkonzept. Ein Auswahlblasorchester muss sich von den anderen Musikkapellen oder Musikvereinen in irgendeiner Weise abheben. Sei es durch anspruchsvolle Literatur, durch innovative Konzertprojekte, durch Zusammenarbeit mit anderen Gruppen oder auch durch Teilnahme an nationalen und internationalen Wertungsspielen. Hier muss ein gewisser Mehrwert für alle Beteiligten entstehen. In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch der Dirigent eine wichtige und nicht unwesentliche Rolle und hier braucht es wirklich Führungspersönlichkeiten, die fachlich und menschlich über der Situation stehen. Kurzum: Leute mit einer soliden und umfassenden Ausbildung.
Ein kleiner Ausblick auf die nächste Projektphase der Bläserphilharmonie Osttirol?
Auf Grund von Corona haben wir im Jahr 2020 leider alle unsere Konzertprojekte um ein Jahr verschoben. 2021 sind sind wir mit der Bläserphilharmonie Osttirol wieder im „Wettbewerbsmodus“, ein Schwerpunkt wird das Landeskonzertwertungsspiel in Tirol sein, wo wir gerne an den großen Erfolg der letzten Runde anschließen möchten. Die weiteren Auftritten sind leider noch nicht zu 100% fix und eben auch an die Corona-Maßnahmen gebunden, im Sommer sind wir vielleicht wieder bei den Innsbrucker Promenadenkonzerten zu Gast und eventuell geht’s auch ins Ausland. Zu viel kann ich jetzt noch nicht verraten, aber mit einem Like auf Facebook bleibt man immer “up to date“…
Vita
Mag. Lukas Hofmann (Jahrgang 1988) wuchs in Heinfels in Osttirol auf. Nach der Matura am musischen BORG in Lienz leistete er seinen Präsenzdienst als Saxophonist bei der Militärmusik Tirol ab.
Lukas studierte Musikpädagogik mit Hauptfach Saxophon und Schwerpunktfach Blasorchesterleitung an der Universität Mozarteum Salzburg und Geographie und Wirtschaftskunde an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck. Zu seinen Lehrern und musikalischen Wegbereitern zählten u.a. Romed Hopfgartner, Mag. François-Pierre Descamps, Generalmusikdirektor Prof. Edgar Seipenbusch und Albert Schwarzmann, MA. Zusätzlich schloss er den dreijährigen Kapellmeisterkurs des Blasmusikverbandes Tirol mit dem Prädikat „Ausgezeichnet“ ab.
2012 feierte Lukas die Sponsion zum „Magister artium“ und unterrichtet seither am Öffentlichen Gymnasium der Franziskaner in Hall in Tirol.
Am Tiroler Landeskonservatorium schloss Lukas im Juli 2013 als erster Student im „Modell Tirol“ den „Lehrgang Blasorchesterleitung“ bei Mag. Hermann Pallhuber und Mag. Thomas Ludescher mit der Sächsischen Bläserphilharmonie „mit Auszeichnung“ ab und im November 2014 beendete er ebenfalls „mit Auszeichnung“ das einjährige „Exzellenzstudium Blasorchesterleitung“ mit der Brass Band Tirol. Er ist somit Träger des Tiroler Dirigentenabzeichens in Gold.
2012 gründete Lukas Hofmann die Bläserphilharmonie Osttirol und ist seither ihr Chefdirigent, seit 2014 ist er auch Kapellmeister der Bundesmusikkapelle Matrei-Mühlbachl-Pfons.
2015/16 studiert Lukas Hofmann Hauptfach Blasorchesterleitung am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg bei Prof. Maurice Hamers und seit 2016 ist er Student in Bozen an der Hochschule für Musik Konservatorium „Claudio Monteverdi“ bei Prof. Walter Ratzek. www.lukas-hofmann.at
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