Ensemble-Schulung

Blasmusikaspekte: Proben mit Aufnahmetechnik

Ein Interview mit Mark Baumgartner

In der Reihe “Blasmusikaspekte” werden im Interview mit jeweils einer Persönlichkeit ein Teilbereich bzw. ein besonderer Aspekt der Blasmusik bzw. unseres Musikvereinswesen diskutiert. Es kommen jeweils Spezialist:innen zu Wort, die sich näher bzw. tiefer mit einem Teilbereich der Blasmusik beschäftigt haben bzw. besondere Fachleute für die jeweiligen Themen sind.

Herzlichen Dank an Mark Baumgartner, der in diesem Beitrag meine vielen Fragen zum Thema Proben mit Aufnahmetechnik, einer Methode, die er selbst entwickelt hat, in diesem Interview beantwortet hat.

Warum „Proben mit Aufnahmetechnik“ – reichen die Ohren des/der Dirigent:in nicht aus?

Die Ohren eines Dirigenten oder einer Dirigentin sind das zentrale Werkzeug, um den Klang eines Orchesters zu formen. Allerdings hat jeder Mensch natürliche Grenzen in seiner Wahrnehmung – besonders in einer Live-Situation. Bei einer Probe sind Dirigent:innen oft gleichzeitig mit vielen Dingen beschäftigt: dem Erfassen der musikalischen Struktur, dem Erkennen von Unstimmigkeiten in Intonation, Rhythmus oder Dynamik und der Anleitung der Musiker:innen.

Aufnahmen ermöglichen es, das Gehörte nachträglich und objektiv zu überprüfen. Sie liefern eine andere Perspektive – so, wie das Publikum den Klang erleben würde. Gerade bei komplexen Stellen, bei denen viele Stimmen aufeinandertreffen, helfen Aufnahmen, klangliche Details und Zusammenhänge genauer wahrzunehmen. Sie sind somit eine wertvolle Ergänzung zur Live-Wahrnehmung.

Diese Vorteile für die Dirigierenden ist jedoch nur die eine Seite: Es geht bei der Probe mit Aufnahmetechnik nicht nur um die Dirigierenden sondern als zentrales Element vor allem um die Musizierenden.

Was hat Dich dazu bewogen, Deine Proben aufzunehmen und mit Aufnahmetechnik zu gestalten?

Bei uns in der Schweiz gibt es bei Musikfesten oder Musikwettbewerben jeweils eine Aufnahme des Wettspielvortrags. Dabei stellen Dirigierende wie auch Musizierende jeweils fest, dass auf der Aufnahme viel deutlicher zu hören ist wo etwas nicht gestimmt hat als dies bei der Live-Wahrnehmung der Fall ist. Dies in allen Bereichen von der Intonation über Rhythmik/Metrum bis zur Interpretation. Eine Aufnahme ist quasi eine sehr strenge Reflektion des dargebotenen. Die brachte mich auf die Idee, dieses „strenge“ Werkzeug auch in der Probe einzusetzen. Die Idee entstand zudem aus dem Wunsch, die klangliche Entwicklung unseres Orchesters nachhaltiger zu fördern. Ich bemerkte, dass Musiker oft besser verstehen, was gemeint ist, wenn sie ihre eigene Leistung hören. Es war eine natürliche Weiterentwicklung meiner Probenmethodik – mit beeindruckenden Ergebnissen.

Wie genau kann eine Probe mit Aufnahmetechnik gestaltet werden und welche Voraussetzungen sind dafür notwendig?

Eine Probe mit Aufnahmetechnik lässt sich in drei Phasen unterteilen:

  1. Aufnehmen: Ein bestimmter Abschnitt oder eine Passage wird gespielt und aufgezeichnet. Es reicht bereits, ein Smartphone oder einen einfachen Digitalrekorder zu verwenden.
  2. Abspielen und Analysieren: Nach dem Spielen wird die Aufnahme kurz angehört. Gemeinsam analysieren wir, welche Aspekte gelungen sind und wo Verbesserungen notwendig sind – sei es bei der Intonation, der Balance oder dem Zusammenspiel.
  3. Verbessern: Mit den gewonnenen Erkenntnissen arbeiten wir gezielt an den Problemstellen und nehmen die Passage erneut auf, um den Fortschritt direkt zu überprüfen.

Wichtig ist, die Aufnahmetechnik als Hilfsmittel einzusetzen, ohne die eigentliche Probenzeit zu dominieren. Ein einfaches Aufnahmegerät und gute Lautsprecher reichen in den meisten Fällen aus. Für fortgeschrittene Nutzer:innen könnten auch spezielle Mikrofone oder Schnittprogramme genutzt werden, dies macht die Arbeit noch deutlich effizienter.

Setzt Du selbst Aufnahmetechnik in den Proben mit deinem Blasorchester ein? Gestaltest Du jede und die komplette Probe mit Aufnahmetechnik?

Ja, ich setze regelmässig Aufnahmetechnik ein, allerdings nicht in jeder Probe und auch nicht durchgängig. Der Einsatz erfolgt gezielt, meist bei Stücken oder Passagen, die besondere Aufmerksamkeit erfordern. Zum Beispiel, wenn es darum geht, die Balance zwischen verschiedenen Instrumentengruppen zu optimieren oder Details in der Dynamik auszuarbeiten.

Ein bewährtes Vorgehen ist es, die Technik in der Mitte oder gegen Ende einer Probe einzusetzen, wenn das Orchester die Passage bereits einige Male gespielt hat. So kann man die Fortschritte dokumentieren und mögliche Feinanpassungen vornehmen, ohne den Fluss der Probe zu unterbrechen.

Welche Vorteile hat der Einsatz von Aufnahmetechnik für den Dirigenten / die Dirigentin?

Für mich als Dirigent bietet die Aufnahmetechnik zahlreiche Vorteile. Sie erlaubt mir, meinen eigenen Eindruck während der Probe zu überprüfen und zu ergänzen. Oft ist es so, dass man während des Dirigierens so stark mit dem Prozess beschäftigt ist, dass kleine Details leicht übersehen werden. Die Aufnahme gibt mir die Möglichkeit, diese Details zu analysieren und gezielt anzusprechen. Vielleicht fällt mir auf dass das zweite Euphonium sehr schlecht mit der Tuba intoniert, was ich vielleicht beim Durchspiel überhört habe, als ich mit der rhythmischen Linie der Flöten beschäftigt war.

Zudem macht es die Kommunikation mit den Musiker:innen präziser. Anstatt abstrakt zu beschreiben, was ich höre, kann ich sie auf eine konkrete Stelle in der Aufnahme hinweisen. Das spart Zeit und sorgt für ein besseres Verständnis. Als Dirigent:in kann ich auch die Wirkung der gewählten Tempi und die Agogik besser überprüfen als an der Probe selber.

Proben mit Aufnahmetechnik

Wie reagieren die Musikerinnen und Musiker in den Proben? Wie hilft die Aufnahmetechnik den Musiker:innen?

Die Reaktionen der Musiker:innen sind überwiegend positiv. Anfangs gibt es manchmal eine gewisse Unsicherheit, da der Gedanke, „aufgenommen zu werden“, ungewohnt ist. Doch sobald die Musiker:innen ihre eigene Leistung hören, verstehen sie schnell den Nutzen.

Die Aufnahmen schaffen ein neues Bewusstsein für den Gesamtklang. Viele Musiker:innen sind überrascht, wie sie im Kontext des Orchesters klingen, und erkennen, wie ihr eigenes Spiel den Gesamtklang beeinflusst und was ihre genaue Rolle ist. Das fördert eine stärkere Eigenverantwortung und ein präziseres Musizieren. Und vor allem: Es sind nachhaltige «Aha»-Erlebnisse, welche den Verein stetig weiter bringen.

Erzähle von Deinen Erfahrungen mit dem Einsatz von Aufnahmetechnik in Deinem Blasorchester!

Eine meiner prägendsten Erfahrungen war, als wir ein schwieriges Stück mit vielen Übergängen und dynamischen Kontrasten probten. Nach mehreren Durchläufen war das Ergebnis immer noch nicht zufriedenstellend. Erst durch die Aufnahme wurde uns allen bewusst, dass das Problem nicht in den Einsätzen lag, sondern in der Dynamik eines bestimmten Abschnitts.

Nach dieser Erkenntnis haben wir gezielt an dieser Stelle gearbeitet und schnell Fortschritte gemacht. Die Musiker:innen waren begeistert, weil sie selbst hören konnten, wie sich der Klang verbesserte. Diese Erfolgserlebnisse motivieren das gesamte Orchester.

Es gäbe noch viele Situationen zu beschreiben aber alle haben eines Gemeinsam: Alle Orchestermitglieder werden durch diese Art des Probens sensibilisiert für alles Aspekte der Musik und das Spielen im Ensemble.

Welche „Langzeiterfolge“ stellen sich mit dem Einsatz von Aufnahmetechnik für das Blasorchester ein? Welche positiven Auswirkungen hat es? Und gibt es auch Nachteile beim Einsatz von Aufnahmen der Probe?

Langfristig führt der Einsatz von Aufnahmetechnik zu einer hörbaren Steigerung der Klangqualität. Das Orchester entwickelt ein feineres Gehör für Intonation, Balance und Dynamik. Auch die Kommunikation zwischen Dirigent:innen und Musiker:innen wird klarer, da beide Seiten ein besseres Verständnis für den Klang entwickeln.

Ein möglicher Nachteil ist, dass der Einsatz von Aufnahmen zusätzliche Zeit in Anspruch nimmt. Hier muss der Dirigent oder die Dirigentin abwägen, wie oft und in welchem Umfang die Technik genutzt wird, um den Probenfluss nicht zu stören und möglichst effizient zu sein.

Unter Umständen „verlängert“ der Einsatz von Aufnahmen und deren regelmässigem „Abhören“ die Probe. Effektiv Proben und Proben mit Aufnahmen: Wie passt das zusammen? Und wie verhält sich die Aufmerksamkeitsspanne der Musiker:innen durch die „Unterbrechung“ durch das Abspielen der Aufnahme?

Der Schlüssel ist, den Einsatz von Aufnahmetechnik sorgfältig zu planen. Es macht keinen Sinn, jede Passage aufzunehmen und abzuspielen. Stattdessen wähle ich gezielt kritische Stellen aus und halte die Analysephase kurz und prägnant.

Was die Aufmerksamkeit der Musiker:innen betrifft, hängt viel davon ab, wie die Technik eingesetzt wird. Wenn die Musiker:innen aktiv in die Analyse einbezogen werden, bleibt die Spannung erhalten.

Wie können Dirigentinnen bzw. Dirigenten vom Einsatz von Aufnahmetechnik in ihren Proben überzeugt werden und wie können sie den Einsatz der Aufnahmetechnik in ihren Proben lernen?

Der beste Weg, Dirigent:innen zu überzeugen, ist es, ihnen die Vorteile praktisch zu zeigen. Workshops wie meiner bieten eine gute Möglichkeit, erste Erfahrungen zu sammeln und zu sehen, wie einfach der Einstieg sein kann. Ich empfehle, mit einfachen Mitteln zu beginnen – ein Smartphone reicht oft aus. Es geht erstmal nicht um Perfektion in der Aufnahme, sondern um die praktische Anwendung und die Erkenntnisse, die daraus gewonnen werden.

Allerdings macht die Arbeit mit der richtigen Technik deutlich mehr Spass! Professionellere Geräte, wie hochwertige Mikrofone oder tragbare Audiorekorder, bieten eine bessere Klangqualität und eröffnen viele zusätzliche Möglichkeiten. Diese Technik kann später auch genutzt werden, um Konzerte aufzunehmen und diese Aufnahmen als wertvolle Referenzen oder sogar für Veröffentlichungen zu verwenden.

In meinem Workshop zeige ich nicht nur, wie man die Technik effektiv in den Proben einsetzt, sondern auch, wie der Klang einer Aufnahme optimiert werden kann. Dabei gehe ich unter anderem auf folgende Aspekte ein:

  • Platzierung der Mikrofone: Wie man die optimale Position wählt, um alle Instrumentengruppen gleichmäßig und ausgewogen aufzunehmen.
  • Einsatz von Equalizern: Wie Frequenzen angepasst werden, um einen klaren, natürlichen Klang zu erzeugen.
  • Balance und Nachbearbeitung: Tipps, um einzelne Klänge hervorzuheben oder die Gesamtbalance zu verbessern.

Mit diesen Techniken können Dirigent:innen nicht nur ihre Proben effizienter gestalten, sondern auch professionelle Ergebnisse erzielen, die langfristig das gesamte Musikerlebnis bereichern.

Mark Baumgartner
Mark Baumgartner

Vita Mark Baumgartner

Mark Baumgartner erlebte seine musikalische Grundausbildung als Kornettist in der MG Schüpfen, CH. Später liess er sich zusätzlich zum Perkussionisten ausbilden. Als Bläser und Perkussionist wirkte er vor allem im Seeland in verschiedenen Formationen mit. Nach der Verbands-Ausbildung wirkte er als Dirigent verschiedener Orchester und Blasmusikformationen in Harmonie- und Brass-Besetzung.

Mit diversen Praktika bei namhaften internationalen Persönlichkeiten wie u. a. James Gourlay, Thomas Rüedi, Graziella Contratto, Thomas Ludescher, Carlo Balmelli, Michael Bach und Pia Bucher und verschiedener Weiterbildungskurse vertiefte er seine Fähigkeiten als Musiker und Dirigent.

Im Bereich der Orchesterdirektion bildete er sich an Meisterkursen von Bernhard Haitink, Daniele Gatti und Valery Gergiev weiter.

Seit 2009 führte er erfolgreich die MG Bellmund/Sutz-Lattrigen, mit jenem Musikverein er am Eidg. Musikfest 2016 in Montreux in der Konzertmusik Harmonie die höchste Bewertung im Aufgabestück erzielte. Zur Zeit leitet er verschiedene Projekte im Bereich Harmoniemusik und Brass Band.

2021 gewann er mit der Lakeland Brass Band den internationalen Online Brass Contest der Cory Band aus Wales (UK). 

​Seit August 2023 leitet Mark die Stadtmusik Solothurn, mit welcher er am Solothurnischen Kantonal Musikfest 2024 den 1. Rang erreichte.

​Gerne übernimmt er Expertisen und Beratungen an Musikfesten und Vorbereitungskonzerten, Stellvertretungen, Projektleitungen und die Mitarbeit bei Probewochenenden.

Für weitere Informationen: 
info@markbaumgartner.ch
https://www.markbaumgartner.ch/dirigent

Mark Baumgartner steht für Workshops zum Thema “Proben mit Aufnahmetechnik” gerne zur Verfügung.

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

    One thought on “Blasmusikaspekte: Proben mit Aufnahmetechnik

    • diese Informationen sind sehr gut. Bin selbst in vielen Orchestern bei Vereinen aktiv in Ausbildung und Orchesterspiel. Wichtig finde ich, daß Dirigent und Spieler beide teilhaben am Aufnehmen und Wiedergabe. Auch beim eigenen Üben nehme ich die schwierigen Passagen mit dem Handy so bald als sinnvoll auf. So sollte es auch beim Ausbilden der Schüler sein. Es lohnt sich, die Schüler darauf vorzubereiten.

      Antwort

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert