Die ersten Schritte zum Erlernen einer Partitur

Round-Up zum Thema „Einrichten einer Partitur“ – Teil 1

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Das Einrichten einer Partitur vor der ersten Probe macht jede:r Dirigent:in anders. Deshalb habe ich zu diesem Thema sieben Dirigent:innen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und den Niederlanden folgende drei Fragen gestellt:

  1. Ein neues Werk: Was sind Deine ersten Schritte zum Erlernen einer Partitur?
  2. Nach welchen Aspekten richtest Du die Partitur ein, was ist wichtig?
  3. Welche Zeichen und Farben verwendest Du in der Partitur und für was stehen sie jeweils?

Ein herzliches Dankeschön für die Beantwortung dieser drei Fragen an die Dirigent:innen Thomas Asanger (AT), Emilie Chabrol (FR), Thomas Joha (DE), Thomas Ludescher (AT), Heidi Maier (DE), Alex Schillings (NL) und Philipp Zink (DE).

In diesem ersten Beitrag könnt Ihr die Antworten zur ersten Frage „Ein neues Werk: Was sind Deine erste Schritte zum Erlernen einer Partitur?“ lesen.

Thomas Asanger (AT)

Thomas Asanger
Thomas Asanger

Dirigent, Komponist, Dozent und Juror. Lehrer für Ensembleleitung Blasorchester am OÖ. Landesmusikschulwerk. Gast-Dirigent bei Landesjugendorchester Oberösterreich und bei voestalpine Blasorchester Linz. Stellvertretender Landeskapellmeister in Oberösterreich.

„Meine Herangehensweise ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, wie ich auf die Komposition aufmerksam wurde, ob das Werk bereits veröffentlicht ist oder erst aus der Taufe gehoben wird.

Wenn die Komposition schon veröffentlicht ist, höre ich mir zunächst verschiedene Aufnahmen an, um einen ersten Eindruck zu bekommen. Dann verschaffe ich mir in der Regel einen Überblick über die formale Struktur des Werkes. Bei nicht veröffentlichten Kompositionen braucht es zunächst ein Kennenlernen der Partitur. Das mache ich beim Partiturspiel am Klavier. Midi-Files sind zwar klanglich oftmals schon in Ordnung, aber häufig sehr trügerisch. Nicht alles, was der Computer ausspuckt, funktioniert auch gut in der Praxis. Umgekehrt ist das genauso. Ob ein Stück funktioniert, entscheidet sich beim Orchester.“

Emilie Chabrol (FR)

Emilie Chabrol
Emilie Chabrol

Dirigentin, Saxophonistin und Saxohponlehrerin. Emilie dirigiert die Musikgesellschaft Rietheim und die Union Instrumentale de Delémont in der Schweiz. Sie ist Saxophonlehrerin an der „Yamaha Music School“ in Zürich.

„Ich höre mir das ganze Werk an, indem ich die Partitur lese, ohne zu schreiben.
Ich versuche, die verschiedenen Teile, Charaktere und verwendeten Tempi zu erkennen. Ich versuche, mir ein Gesamtbild des Stücks zu machen, bevor ich näher hineinzoome, um ins Detail zu gehen.
Dann höre ich ein zweites Mal zu und markiere die großen Teile und die Anzahl der Takte in jedem Teil, um eine genauere Vorstellung von der Struktur des Stücks zu bekommen. Wenn möglich markiere ich auch die Anzahl der verwendeten Themen oder Motive.“

Thomas Joha (DE)

Thomas Joha
Thomas Joha

Dirigent des Musikvereins Rittersdorf, Kreisdirigent des NBMB KV MSP, musikalischer Leiter des Kreisjugendorchester Main-Spessart und Juror im BDMV. Aktuell arbeitet er für den deutschen Bundestag.

„Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Musik. *lach* Wie beim Erlernen einer Sprache, versuche ich mich zuerst auditiv einem Werk anzunähern. Hierbei steht das Hören ohne das Lesen am Anfang im Vordergrund. Dies passiert bewusst und auch nebenbei, sei es beim Autofahren, bei der Hausarbeit oder beim Spazieren gehen. Wenn mir dann nach einiger Zeit der Aufbau, die angewandten Kompositionsstrukturen, sowie Klangebenen, die nicht gleich auf den ersten Blick bzw. auf das erste Hören wahrnehmbar sind, geläufig erscheinen, dann nehme ich mir die Partitur zur Hand.

Hier beginnt dann der Abgleich zwischen dem im Kopf vorgefestigtem Klangeindruck und dem, was das Auge mir als Musik vermittelt. Der nächste Schritt ist dann die Betrachtung der jeweiligen Großgruppen: Holz, Blech und Schlagwerk. Hier lese, höre und „lese und höre“ ich gleichzeitig mehrmals das Werk mit dem Fokus auf die jeweilige Gruppe, um zu erkennen, wie der Komponist oder Arrangeur die Struktur innerhalb der Großgruppe gesetzt hat. Nachdem die drei Großgruppen separat analysiert wurden, erfolgt die Untersuchung der Großgruppen zueinander. Zum Beispiel: An welchen Stellen verhält sich das Blech komplementär zu den Schlagzeugern, wo dicken die Saxofone die Waldhörner auf, weil diese wieder nur einfach an die Waldhörner angedockt wurden, anstatt eigenständig eingesetzt worden zu sein. Machen bei den Mallets weiche Schlägel Sinn, da diese parallel zu den Flöten laufen und so weiter. Zuletzt analysiere ich jede Instrumentengruppe einzeln. So bekommt jedes Register meine volle Aufmerksamkeit. Hier versuche ich z.B. Stimmkreuzungen, Vorhalte oder instrumentenspezifische Besonderheiten zu erkennen, bewusst hervorzuholen und in der Probe dann gezielt herauszuarbeiten.“

Thomas Ludescher (AT)

Thomas Ludescher
Thomas Ludescher

Professor für Blasorchesterleitung und Instrumentation an der Musikhochschule „Claudio Monteverdi“ in Bozen. Lehrer für Blasorchesterleitung am Vorarlberger und am Tiroler Landeskonservatorium. Fachgruppenleiter für Dirigieren im Vorarlberger Landeskonservatorium. Dirigent und künstlerischer Leiter von Windwerk (ehemals Sinfonisches Blasorchester Vorarlberg). Als Juror, Komponist und Gastdirigent international tätig.

„Oberste Priorität hat für mich, eine eigene Werkvorstellung zu erhalten. Es geht dabei nicht immer nur darum eine besondere eigene Interpretation zu finden, sondern diese Erarbeitung ist für mich die Basis für eine effiziente und gute Probenarbeit. Ich höre keine Aufnahmen an, versuche Informationen aus der Entstehung des Werkes verbunden mit Hintergrundinformationen sowie aus der Analyse des Materials (Notentext, …) zu erhalten. Dabei gehe ich mehrstufig vor, vergleichbar mit einer Zwiebel, wo ich mich nach und nach Schicht für Schicht zum Kern vorarbeite. Idealerweise habe ich viel Zeit, um diesen Prozess in Ruhe durchführen zu können.“

Heidi Maier

Heidi Maier
Heidi Maier

Dirigentin, Hornistin und Horn-Lehrerin. Sie leitet die Stuttgarter Bläserkantorei und die Bläserphilharmonie Rems-Murr. Als Hornlehrerin ist sie an der Musikschule Korntal-Münchingen tätig. Außerdem ist sie Jurorin.

„Wenn ich mich für ein Werk entschieden habe, blättere ich die Partitur erst locker durch und verschaffe mir einen groben Überblick. Welche Teile hat das Werk, gibt es eine klare Form, welche Tonarten, welche Tempi und Charaktere, gibt es Wiederholungen, Sprünge o.ä.? Sonstige Dinge, die gleich ins Auge fallen, wie zu organisierende Sonderinstrumente, schaue ich mir konkreter an und auch Passagen, die beim späteren Proben besondere Aufmerksamkeit brauchen, wie z. B.  Aleatorik oder Gesang der Musiker.

Wenn das Werk eine Transkription ist, besorge ich mir eine Partitur des Originals und vergleiche es damit. Wurden Tonarten oder Artikulation geändert, gibt es Kürzungen, wie ist die Idee der Bearbeitung?

Dazu gibt es erste Eintragungen mit Bleistift in die Partitur, Blätterhilfen, wenn ich mal zurückblättern muss, Lesezeichen bei langen Werken zur Orientierung, z. B. für die jeweiligen Sätze. Ich lege einen DIN A4-Notizzettel bereit, um nach und nach Änderungen zu notieren für die Musiker, Hinweise oder Fehler in der Partitur. Auf einem weiteren Zettel skizziere ich bei komplexeren Werken den Aufbau des Werkes samt Tempoangaben (sofern vorhanden), um mir die Struktur und die Übergänge einzuprägen.

Dann höre ich mir verschiedene Aufnahmen an, lese in der Partitur mit und höre jeweils, was mir gefällt oder nicht. Ich entscheide mich für eine Aufnahme, die später meine Musiker:innen zum Anhören bekommen. Bei einer Transkription gilt das auch für die originale Fassung. Über das Anhören von Aufnahmen wird immer wieder diskutiert – ich mache es, da ich zum einen dadurch selbst in diesem Stadium schneller bin und außerdem ohnehin eine Aufnahme für meine Musiker suchen muss.

Damit ich auf verschiedenen Ebenen einen Zugang zum Stück finde, suche ich nun nach Hintergrundinformationen. Beispielsweise kann es für eine Ouvertüre zu einer Oper wichtig sein, die Handlung der Oper zu kennen: Werden in der Ouvertüre wesentliche Charaktere aus der Oper vorgestellt und musikalisch dargestellt? Dann gelingt die Umsetzung mit dem entsprechenden Wissen viel besser. Außerdem stelle ich für meine Musiker gerne Konzertinfos zum jeweiligen Programm zusammen. Auf diese Weise bekommen sie Lust auf die Werke und erlangen bei anspruchsvolleren Werken ein tieferes Verständnis. Quasi nebenbei habe ich dann auch bereits das Material für die Konzertmoderation vorbereitet.“

Alex Schillings (NL)

Alex Schillings
Alex Schillings

U. a. Ehemaliger Dirigent der Johan Willem Friso Military Band, er unterrichtet Blasorchesterleitung (Bachelor und Master) an den Musikhochschulen in Den Haag und Zwolle, Metafoor Privatstudiengang Dirigieren in Staufen, Dozent für Dirigieren, Juror, u. v. m.

An erster Stelle ist die Wahl des Werks sehr entscheidend. Komponist und Titel sowie der Platz im Programm bedürfen einer langen Recherche im Vorfeld. Angenommen, die Wahl ist getroffen, dann folge ich der folgenden festen Route:

  • Sammeln aller relevanten Informationen über den Komponisten. Ansehen und Anhören anderer Werke des jeweiligen Komponisten. Also nicht das gewählte Werk. Der Schreibstil und das Klangbild des Komponisten sind sehr wichtig und bestimmen viele Aspekte der gewählten Partitur.
  • Sammeln von Hintergrundinformationen zum gewählten Titel. Ist es vorstellbar, dass der gewählte Titel die Partitur/Interpretation beeinflusst? Leider ist dies sehr oft gar nicht der Fall und der Titel ist nur ein „Aufschrei“ oder ein nichts sagendes Wort.
  • Beim Aufschlagen der Partitur weiß ich natürlich schon, vor allem durch die Auswahl, ob es sich um ein einsätziges oder mehrsätziges Werk handelt.
  • Die Angaben über den Noten, z. B. Tempo und Charakterbezeichnungen, sind wichtige Informationsquellen. Hier ist die Struktur oft schon sichtbar. Die Formanalyse ist eine logische Konsequenz. Wenn ich die Form weiß und kenne, dann werde ich nach dem thematischen Material suchen, bei dem sich ziemlich schnell eine Trennung von Haupt- und Nebenthemen abzeichnet. Formanalyse basierend auf Stilwissen!!
  • Es kann sein, dass das thematische Material vom Komponisten stammt und wenn nicht, suche ich nach der Quelle der Themen (oft in volksmusikähnlichen Werken).
  • Der harmonische Verlauf der Komposition war bereits bei der Wahl des Komponisten (teilweise) Vorwissen. Das harmonische Konzept hat direkten Einfluss auf die Instrumentierung. Welche Stimmen/Noten sind wichtig und verdienen Priorität in der Balance, um das harmonische Bild zu verdeutlichen?
  • Ich ändere die Dynamik in jeder Partitur. Selten ist eine Partitur in ihrem dynamischen Bild so geschrieben, dass die Balance von alleine stimmt. Natürlich hat es auch großen Einfluss auf die Besetzung des Orchesters. Mit einer guten Analyse der Dynamik lassen sich viele Balance-Probleme lösen. Dies gilt auch für die Notation der Artikulationszeichen und deren Interpretation. Jedes Instrument hat seine eigene DNA!!
  • Instrumentierung an das von mir geformte Klangbild anpassen
  • Tempi analysieren und bestimmen auf der Grundlage der Fähigkeiten des Orchesters, aber auch auf der Grundlage von Stil- und Formkenntnissen
  • Notieren der „ungeschriebenen Dynamik“ und der „ungeschriebenen Tempowechsel“ in der Partitur basierend auf Interpretations-/Stilkenntnissen
  • Bilden eines Gesamtbildes/Interpretation. Die Beziehung zwischen dem 1. Schlag und dem allerletzten Schlag bestimmen.

Philipp Zink

Philipp Zink
Philipp Zink

Trompeter, Instrumentalpädagoge und Dirigent für Blasorchester. Leiter der Musikschule Waghäusel-Hambrücken, Dirigent verschiedener Ensembles und Orchesterformationen, darunter zwei Musikvereine und eine Big Band. Philipp Zink engagiert sich in der WASBE Sektion Deutschland.

“In der Regel entdecke ich ein neues Werk, indem ich es irgendwo höre, sei es bei einem Konzert, beim Durchhören einer CD oder auch beim Probehören im Internet. Somit entwickelt sich, der Praxis geschuldet, ein erster Eindruck und somit Einstieg meist durch das bewusste Hinhören. Dies kann für einen groben Überblick über ein Werk sehr hilfreich sein. Wo es keine Aufnahmen gibt, ist das Partiturspiel unumgänglich, um harmonische und melodische Abläufe sicht-, bzw. hörbar zu machen. Nach einem groben auditiven Überblick geht es ins analytische Detail, wo ich versuche, harmonische Zusammenhänge zu entschlüsseln, das Gestalten von Übergängen und Phrasierungen festzulegen etc. Zuletzt mache ich mir Gedanken und auch konkrete Notizen, wo ich dem Orchester durch das Geben wichtiger Einsätze oder z.B. auch Unterteilungen helfen kann. Für diese drei Schritte lasse ich mir Zeit und gehe jedes Mal die Partitur einmal komplett durch. Im vierten Schritt, dem Proben, ergeben sich dann immer wieder Fragestellungen und Ideen, die es dann zu beantworten, bzw. anhand der Partitur zu entwickeln gibt.”

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Felix Hauswirth hat sich intensiv mit dem Einrichten einer Partitur beschäftigt und vieles dazu in seinen Büchern verschriftlicht und veröffentlicht:

Übersicht über die drei Beiträge zum Round-Up „Einrichten einer Partitur“

Die ersten Schritte zum Erlernen einer Partitur
Was ist wichtig beim Einrichten einer Partitur?
Symbole, Zeichen und Farben für das Einrichten einer Partitur

©Beitragsbild: Jens Weismantel

Alexandra Link

Musik ist ein sehr wichtiger Bestandteil meines Lebens. Musizierende Menschen zusammen zu bringen meine Leidenschaft.

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